LINGUISTISCHE BEMERKUNGEN ZUR HERKUNFT
DER MAMVU-BALESE
Von Anton Vorbichler
Einführung
Am 26. Mai 1915 starb im Kongo Adolph de Calonne-Beaufaict, ein bel¬
gischer Regierungsbeamter, der sich in besonderer Weise um die Erfor¬
schung der Geschichte der Bevölkerungsgruppen des Nordostkongo ver¬
dient gemacht hat. Ein Teil seiner Forschungen wurde von Oberst A. F.
Bebtband posthum 1921 als Buch unter dem Titel veröffentlicht: „Azande.
Introduction ä une Ethnographie genirale des Bassins de l'Ubangi-Uele et de
VAruwimi. Par A. de Calonne-Beaufaict"^. Leider wurden die linguistischen Notizen de Calonne's, die Bertrand vorlagen, nicht in diese Veröffentlichung
miteinbezogen, da sich der Herausgeber dafür nicht kompetent genug hielt.
In dem Werk findet sich ein Kapitel: ,,Les derniers Neolithiques" (pp. 135-
49), in dem sich de Calonne in besonderer Weise mit der Herkunft der
Mamvu-Balese auseinandersetzt. Danach war das Gebiet, das man als
Azande-Schwelle bezeichnet, lange Zeit von einer Bevölkerung geringer
Körpergröße und sehr dunkler Hautfarbe besiedelt, die Werkzeuge in Form
von Bola-Kugeln, Äxten und Pfeilspitzen aus den in der Gegend sehr häu¬
figen Minerahen Granit, Quarz und Gneis herstellte und deren Oberfläche
sie polierte. Unter dem Druck zentralsudanischer Bevölkerungswellen
wurden diese Neolithiker immer weiter nach Süden abgedrängt, bis ihre
Ausläufer schheßlich die Gegend westlich des Ruwenzori erreichten. Ihre
heutigen, noch am wenigsten beeinflußten Nachkommen sind nach Ansicht
de Calonne-Beaufaiots die Mamvu-Balese, die heute noch mit den hell¬
häutigen Pygmäen in wirtschaftlicher und z. T. auch sozialer Symbiose le¬
ben, und deren südliche Ausläufer sich teilweise stark mit den Zwergen ver¬
mischt haben.
Die Birri, die heute zwisohen Shinko und Warra, zwei rechten Neben¬
flüssen des Mbomu, zwischen 24-25 Grad östl. L. und 5-6 Grad nördl. B.
wohnen, sind nach de Calonne eine von der Hauptgruppe abgespaltene und
zurückgebhebene Nachhut der Mamvu-Balese. In diesem Zusammenhang
sagt de Calonne, daß die Sprache der Birri nach einem von ihm erfragten
Vokabular direkte Beziehungen zu den verschiedenen Mamvu-Dialekten
aufweise. Da die linguistischen Aufzeichnungen de Calonnes nie verölfent-
licht wurden, hat seine Behauptung dieser sprachlichen Verwandtschaft
bisher weder eine Bestätigung noch Widerlegung gefunden. Im „Handbook
of Afriean Languages"^ wird die Sprache der Birri überhaupt nicht vermerkt.
Inzwischen hat sich der Missionar P. Stefano Santandeba in mehreren
Publikationen mit Geschichte und Ethnographie der Birri befaßt*. 1966
erschien auch eine von ihm verfaßte Grammatikskizze mit einem Vokabular,
das knapp 400 Lexeme umfaßt*. Nach Santandrea erscheint der Name Birri
zum erstenmal auf einer Karte, die dem Werk Gaetano Casatis „Zehn
Jahre in Aequatoria" , 1891, beigegeben ist und von F. Gessi, dem Sohn des
Generalgouverneurs im Bahr el Ghazal, Romolo Gessi Pascha, nach An¬
gaben von W. JuNKBE und G. Casati gezeichnet wurde*. Irrtümlich behaup¬
tet Santandrea, die Birri würden von Junker-Casati auf dem linken Warra-
Ufer verzeichnet ; desgleichen hätte sie auch de Calonne an derselben Stelle,
zwischen 25-26 Grad östl. L. vermerkt^. In Wirklichkeit befinden sie sich
bereits auf der Karte in Casatis zweibändigem Werk auf dem rechten Ufer,
und zwar genau an der Stelle, wo sie wirklich zu finden sind. Nur ist das
Gitter der Längengrade etwas nach links verschoben. Bei Calonne-Beau¬
faict dagegen findet man sie zwischen dem 24.-25. Längengrad eingezeich¬
net, wobei freilich ein kleiner Zipfel des gekennzeichneten Gebietes den
letzteren etwas überschreitet. Richtig ist, daß heute die Birri auch noch
weiter nach Westen hin vorkommen, als dies aus den beiden erwähnten
Karten zu ersehen ist.
Nicht uninteressant ist auch die Feststellung Santandreas, daß Adolf
Fbiedeich Heezog zu Mecklbnbueg im 1. Band seines Werkes „Vom
Kongo zum Niger und Nil. Berichte der deutschen Zentralafrika-Exfedition
1910/1911"*, von 4500 Biri im Sultanat von Rafai berichtet (S. 276). Aus
neuerer Zeit liegt eine offizielle Zählung der Birri mit 1602 Seelen im Jahre
1952 für den Obo-Distrikt vor, der vom Rafai-Distrikt getrennt wurde.
Santandrea meint, daß die Zählung für den Rafai-Distrüit um ein Geringes
höher ausfallen würde, daß ihre Anzahl jedoch auf ein Drittel der von Adolf
Friedrich von Mecklenburg für das Jahr 1910/11 angegebenen Zahl zusam¬
mengeschmolzen sein dürfte'. Wenn man dem die Zahl von mehr als 80000
Sprechern der verschiedenen Mamvu-Balese-Dialekte gegenüberhält, so
unterstreicht dieser Vergleich die Auffassung von de Calonne, bei den Birri
handle es sich um einen zurückgebliebenen Rest*.
* Siehe Literaturverzeichnis.
2 S. Santandeea, The Birri. Language. Afrika u. Übersee, XLIX, S. 81.
3 A. a. O., S. 81-2. Dees., A Tribal History of the Westem Bahr el Ghazal, S. 293.
* A. N. TucKEE, M. A. Beyan, The Non-Bantu Languages of North-Eastem
Africa, Handbook of African Languages, Part III, S. 5-7.
1146 Anton Vobbichleb
LINGUISTISCHE ANALYSE
Die Birri selbst nennen sich Viri, mit Mittelton und gleichem Akzent auf
beiden Silben. Sie dürfen nicht mit den Belanda-Bviri verwechselt werden,
die das ,, Handbook of Afriean Languages" in die Sprachgruppe des Sere-
Ndogo einordnet*. Diese leben mit den Belanda-Boor, die eine dem Süd-Lwo
verwandte nilotische Sprache sprechen, in der Gegend um Wau im Bahr el
Ghazal zusammen. Auch die Bviri der Sere-Ndogo-Gruppe nennen sich
nämhch Viri, wobei allerdings die zweite Silbe Hochton trägt, der mit dem
Wortakzent zusammenfällt*.
Das Gebiet der Mamvu-Balese befand sich bereits zur Zeit de Calonne-
Beaufaicts dort, wo es sich heute befindet: Südlich des 3. Längen- und öst¬
lich des 28. Breitengrades, in südöstlicher Richtung sich bis an das Westufer
des Albertsees und die dem Westabhang des Ruwenzori vorgelagerte
Ebene erstreckend. Die Entfernung in gerader Linie zwischen den südöst¬
lichsten Birri und den nordwestlichsten Mamvu beträgt 400 km. Der breite
Gürtel, der Birri und Mamvu-Balese trennt, wird vor allem von Dialekten
der Zandesprache eingenommen. Dazu kommt der breite Streifen der Mang¬
betu-Medje Dialekte. Dazwischen eingesprengt erscheinen Enklaven von
Sere-Dialekten und Bantu-Idiome, die vor allem von Westen und Südwesten
her mit den sudanischen Sprachen verzahnt sind, aber auch als abgeschnürte
Insel, wie das Kare am linken Mbomu-Ufer, in das Zandegebiet eingestreut
erscheinen'.
Santandrea nimmt in der Einleitung zu seiner Birri-Sprachskizze folgen¬
dermaßen zu de Calonnes Behauptung von der engen sprachlichen Ver¬
wandtschaft zwischen Birri und Mamvu Stellung: ,,Dc Calonne-Beaufaict
says that the Birri represent, together with the Momvu, the oldest aborigi¬
nals of the Mbomu Basin. He speaks of ,fragments de vocabulaire birri,
rattachant directement cette langue aux divers dialects momvu' ; but he
quotes no Birri word (pp. 146-47). At p. 142 he gives a list of twenty words
in Momvu and Logo, which show much more similarity between Momvu
and Logo than between Momvu and Birri. On the whole, I am afraid that
de Calonne's statements cannot be safely relied upon."'
Man muß sich zunächst fragen, wie Santandrea behaupten kann, daß
ein Vergleich zwischen Mamvu und Logo viel mehr Ähnlichkeit zwischen
^ A. a. O., SS. 21, 103. Dies. lAngmstic Analyses, Handbook of Afriean Lan¬
guages, S. 86 ff.
• Afrika u. Ubersee, XLIX, S. 82. A Tribal History . . ., S. 292.
' Vgl. die Übersichtskarten in Handbook of Afriean Languages, Part III,
1956 und in Linguistic Analyses, 1966. Ebenso Labochette, J., Les langues du
grouse Moru-Mangbetu, Kongo-Overzee XXIV (1958), 3, S. 119.
» Afrilca u. Übersee XLIX, S. 82.
diesen beiden Sprachen zeige, als zwischen Mamvu und Birri, da doch keine
Birri-Lexeme zum Vergleich vorlagen und Santandrea nirgendwo einen
solchen Vergleich durchgeführt hat.
Im Zuge meiner Beschäftigung mit den Mangbutu-Efe-Dialekten, unter
denen das Mamvu meiner Ansicht nach eine gewisse Sonderstellung ein¬
nimmt, kam ich dazu, das von Santandrea dargebotene Birri-Sprachmaterial
mit dem Mamvu und den anderen Dialekten der Mangbutu-Efe-Gruppe zu
vergleichen®. Hinsichtlich der morphologisch-syntaktischen Struktur stimmt
das Birri wie das Mamvu und die diesem verwandten Dialekte weitgehend
mit den Moru-Madi-Sprachen überein. Dies wird auch von Santandrea be¬
sonders hervorgehoben*®. Darauf soll hier nicht weiter eingegangen werden.
Was die etymologische Verwandtschaft der Lexeme angeht, so ist San¬
tandrea aufgrund der von ihm angestellten Vergleiche folgender Ansicht:
,, Birri stands as a , central' Language, both geographically and linguistically,
in the Mbomu-Bahr el Ghazal area, showing relationship to the Momvu-
Makere etc. (according to de Calonne), the Moru-Madi-Lugbara-Avukaya-
Logo and the Bongo-group, including the Kresh subgroup (with Aja).
Moreover there exists some relationship - too extensive to be casual - bet¬
ween Birri and the Ndogo-group, and, though in a lesser degree, the Feroge-
group as well."**
Da Santandrea die Beziehungen des Birri zum Mamvu nur von de Calonne
übernimmt und nur die zu den anderen aufgezählten Sprachgruppen selbst
untersucht, konnte er, wenn auch nicht berechtigterweise, zu diesem Er¬
gebnis kommen. Ganz anders sieht es jedoch aus, wenn man den Vergleich
der zur Verfügung stehenden knapp 400 Birri-Lexeme*'' mit dem Mamvu-
Balese durchführt. Danach lassen sich wenigstens 170 davon dmch regel¬
mäßige Lautentsprechungen den etymologisch verwandten Lexemen in den
Mangbutu-Efe-Dialekten gegenüberstellen*'. Dabei fällt auf, daß manche
Lexeme, die keinen Vergleich zwischen dem Mamvu und den südlicheren
Dialekten Balese-Efe-Mvuba zulassen, als etymologisch verwandte Mor¬
pheme in den letzteren und im Birri übereinstimmen. Das heißt, es haben
' A. Vobbichler, Die Phonologie und Morphologie dea Baleae, 1965. Dbbs.,
Die tonale Struktur der Verbalklasaen in den Waldneger- und Pygmäensprachen
dea Ituri-Urwaldes, Ost-Kongo. ZDMG 116,2, 1966, S. 219-226. Dbrs., Erzäh¬
lungen in der Mamvu-Sprache. Mit einer vergleichenden Einführung in die
Phonologic und das Verbalsystem. Afrika u. Übersee L, S. 244-278; S. 2-29;
116-144.
*" Santandrea, A Tribal History, S. 293.
11 Debs., Afrika u. Übersee, XLIX, S. 82-3.
12 A. a. O., S. 95-100; S. 196-234 passim.
1' Vgl. A. Vobbichleb, Die Phonologie und Morphologie des Baleae. S, 6-8
und Erzählungen in der Mamvu-Sprache, AuÜ L, S. 251-2. Dazu J. Larochette,
Les langues du groupe Moru-Mangbetu. Kongo-Overzee XXIV, S. 123-31.
1148 Anton Vobbichler
sich im nordwestlichen und südöstlichen Grenzgebiet der Birri-Mamvu-
Balese-Zone Morpheme erhalten, die in der Mitte des Gebietes verloren¬
gegangen sind oder durch andere ersetzt wurden. So ist etwa das Birri-
Wort für ,,Glut" küvü, das im Mamvu durch qdru ersetzt ist, im Balese als
xübü erhalten. Desgleichen ist das Birri-Wort vö für „Boden, Erde" im
Efe, Mvuba, Balese als obo vorhanden, wenn auch das gängigere Wort
heute xene, bzw. qene ist, das im Mamvu als einziges mit der selbständigen
Bedeutung ,, Boden, Erde" vorkommt. Allerdings scheint es noch in dem
Suffix -bu weiterzuleben: qenye-bu ,,auf dem Boden". Diese Beispiele ließen
sich häufen, es soll aber nur noch eines angeführt werden: Die Signal¬
trommel heißt bei den Birri gürü, bei den Balese gburü, während die Mamvu
igdgö verwenden.
Weiter stellt man fest, daß im Birri Lexeme im Alltagswortschatz vor¬
kommen, denen man in den Dialekten Mamvu, Balese, Mvuba, Efe etc.
nur noch in Liedern und im mythischen Kontext begegnet. So etwa
„schwer"MTOd (Birri), ndimä (Mamvu); „Mond" dfi (Birri), epi (Balese) = ,,mj^hische Mondschlange"; ,,Bhtz" ndigbä (Birri), dia (Balese) = ,, Blitz als mythisches Wesen"; ,, tanzen" ara (Birri), dra (Efe) = ,, besondere Tanzart".
Wichtiger aber als diese Beobachtungen sind die durch die Dialekte hin¬
durchgehenden regelmäßigen Lautentsprechungen. Ich verweise hier auf
die vergleichende phonologische Einführung, die ich in ,, Afrika und Über¬
see", Band 50, S. 250-278 für die Mangbutu-Efe-Dialekte gegeben habe".
Ähnhch wie dort, muß man auch beim Vergleich des Birri mit dem Mamvu-
Balese Phoneme, die praktisch invariabel sind, von solchen mit geringer
Variabilität unterscheiden, denen eine dritte Gruppe regelmäßiger Laut¬
entsprechungsketten gegenübersteht. Was noch mehr ist, es sind praktisch
dieselben Phoneme, die beim Vergleich der Mangbutu-Efe-Dialekte unter¬
einander und beim Vergleich dieser Gruppe mit dem Birri in die erste,
zweite oder dritte Kategorie eingereiht werden müssen, soweit vergleich¬
bare Morpheme zur Verfügung stehen.
Allerdings kann dieser Vergleich nach dem vorliegenden Birri-Material
nur mit den Konsonanten vorgenommen werden. Warum das so ist, wird
aus zwei Bemerkungen Santandreas verständhch werden: ,,My infor¬
mants . . . were all, except one, extremely backward, and unwilling to
speak their own language ... It was only by dint of sheer efforts and kind
contrivances that I succeeded in getting in touch with them for short
periods of time. Luckily enough, later on I was able to check my material
with a more willing tribesman . . ."** Die zweite Bemerkung bezieht sich
" Vgl. Anmerkung 9.
" AuÜ XLIX, S. 83.
auf die Vokalphoneme, die im Birri häufig zentralisiert und oft nasalisiert
werden, wodurch die phonetischen Unterschiede bei dem geringen vorlie¬
genden Material verwischt werden. Außerdem sind dieselben Wörter ,,apt
to change in pronunciation according to the varying of grammatical and
phonetical contexts. To these we should add the variations due to the
different speakers, belonging to difFerent sections or clans.**
Bei dem nun folgenden Vergleich, der die zwischen Birri und Mangbutu-
Efe bestehenden Lautentsprechungen illustrieren soll, gehe ich von meiner
oben zitierten Arbeit in ,, Afrika und Übersee" aus** und lege die zu ver¬
gleichenden Morpheme in der Gestalt des Balese-Obi, des Mamvu-Mung-
bere und des Birri vor. Dabei verwende ich für Balese-Obi und Mamvu-
Mungbere meine eigene Transkription, während ich die Birri-Wörter in
der phonetischen Form wiedergebe, die sich bei Santandrea findet, der sich
auf die bestmöglichste Erfassung aller phonetischen Varianten beschränkt
und keine phonologische Systematisierung durchführt.
1. Invariable Phoneme ßl
Dieses Phonem wird in allen Dialekten der Mangbutu-Efe-Gruppe als
bilabiale, stimmhafte Implosiva realisiert. Im Birri ist es ,,b preceded by a
plosion {= glottal stop)" :*'
Balese-Obi Mamvu Birri Deutsch
xdbü qahü dhü Haut
///
wird heute in allen Dialekten der Mangbutu-Efe-Gruppe als bilabiale
Frikativa realisiert. Die Opposition stimmlos-stimmhaft existiert hinsicht¬
lich dieses Lautes nicht. Einige mjdihische Eigennamen und gewisse Orts¬
bezeichnungen lassen jedoch vermuten, daß auf einer früheren Stufe der
Sprachentwicklung eine stimmlose, bilabiale Explosiva gesprochen wurde.
In Birri: „/ as in: far, future . . . Similar words having p in other languages, but / in Birri . . ."*'
xdfü qdfü-ta ofo Genick
ßl
wird als postdentale, retroflexe stimmhafte Implosiva in allen Dialekten
der Mangbutu-Efe-Gruppe realisiert; in Birri ist d „d preceded by a glottal
stop. In some cases ... it sounds rather as a retroflex d . . .":*' 1« A. a. O., S. 87.
*' Die für den folgenden Phonemvergleich die Phonetik des Birri erläuternden
SteUen finden sich bei Santandrea, The Birri Language, AuU XLIX, S. 85-93.
1150 Anton Vobbichleb
Balese-Obi Mamvu Birri Deutsch
idi uii adi graben
M
wird in alien Dialekten der Mangbutu-Efe-Gruppe als postdental-
präpalatale stimmlose Frikativa realisiert. Im Morphemanlaut tritt als freie
phonetische Variante eine leicht afFrizierte Aussprache auf. In Birri: „In
all cases, except the following one, s was frequently interchanged by my
informants with either c or sk. Example: tooth si."*' Allerdings taucht
unter den von Santandrea beigebrachten Beispielen dann doch wieder die
Form shii für Zahn auf.
use ^si si Zahn
Ig^l
wird in allen Mangbutu-Efe-Dialekten als labio-velare Implosiva stimm¬
haft realisiert. Dieses Phonem wird von Santandrea nicht verzeichnet. Die
folgenden Beispiele könnten nahelegen, daß /grS/ im Birri mit /g/ zusammen¬
gefallen ist :
iighü ugSü mömdgu Brustkasten
gBurü fehlt gürü Signaltrommel
wird in allen Dialekten der Mangbutu-Efe-Gruppe als labio-postvelare
Implosiva stimmlos realisiert. Santandrea unterscheidet im Birri phonetisch
drei Labio-Velare : kp, gb und mg^ö*'. Eine nähere Analyse dieser Laute er¬
folgt nicht.
aqherd äqBere agbörö alt (v. Personen)
Iml
wird in allen Mangbutu-Efe-Dialekten als bilabialer Nasal stimmhaft
realisiert. In Birri: ,,m as in: moon, man."*'
emu emu ewie heiß (sein)
2. Phoneme von geringer Variabilität Itl
Dieses Phonem wird im Efe, Balese-Obi-Dese-Karo, Mangbutu, Mabendi
imd Mamvu als retroflexe, postdentale Explosiva stimmlos reahsiert. Im
Mvuba dagegen entspricht ihm ein gerollter (r)-Laut. Santandrea unter¬
scheidet t, ,, dental t, as in Itahan", ty ,, palatal t", das er aber - und zwar
in ein und demselben Morphem - auch als retroflexes / wiedergibt, / „ten-
dentially retroflex, followed by an ,initial r', /r „the same as above, follo¬
wed by a clear r" und th „interdental < as in: thorn, thick". Dazu kommen
die stimmhaften Entsprechungen*'. Für den Vergleich mit Mangbutu-Efe
Ifl kommen aus dieser großen Zahl phonetisch festgehaltener Dentales
t, ty bzw. / und d in Frage :
xutu qutu 6t6 Blut
uti vii tyi Mund
etil fehlt M/m zuerst
Uta ota 606 bauen
M
ist ein retroflexer Schlaglaut, der im Mamvu, Balese-Obi-Dese-Karo,
Mabendi, Mangbutu und Mvuba präpalatal gebildet wird und aus mehreren
Schlägen bestehen kann, aber nicht gerollt wird. Im Efe jedoch wird das¬
selbe Phonem als ein einschlägiger, retroflexer, mediopalataler Laut reali¬
siert. Im Birri unterscheidet Santandrea ein r, das mit l wechselt, von einem leicht gerollten r*'.
orii öru ür Fturcht
ora ora oro binden
/nl
wird als postdental-alveolarer stimmhafter Nasal in allen Dialekten der
Mangbutu-Efe-Gruppe realisiert. Im Mamvu wird /n/ vor je/, /o/, /o/, /u/
und /u/ zu (ny). Santandrea unterscheidet nur phonetisch: „n as in: nose,
no" und ,,ny as in Italian gn: bagno, compagno"*'.
anu anyu änyo essen
ona fehlt ono betrunken machen
N
ist im Mangbutu, Mabendi und Mamvu eine postvelare, stimmlose Ex¬
plosiva, im Balese-Obi tmd Mvuba eine postvelare, stimmlose Frikativa.
Im Balese-Dese-Karo scheinen beide Realisierungen als freie Varianten
vorzukommen, im Efe dagegen harter Glottisverschluß tmd postvelare,
stimmlose Explosiva. Im Birri ist k gleich g und umgekehrt. Außerdem ver¬
merkt Santandrea den Glottisverschluß, von dem er sagt: ,, Generally
speaking, its , plosion' is not particularly strong; by careless speakers,
especially when they are talking fast, it is ommitted altogether both before
and between vowels."*'
oxa oqa -ka sagen
aaxi yqa dgd hacken, schneiden
raxo raqo a'a beißen
1152 Anton Vorbichler
3. Regelmäßige Lautentsprechungen Ivl-Ibl-.M
upa uba ovo treffen, finden
Ibl : ImbI : Igbj
uba umba ogbo binden, schließen
Ipfl : lbvi : Invl
upfo ubvo nva weibliche Brust
lbvi : Imvl : jnvj (y)
rabvu tamvu anvu fangen, festhalten
rubvö rimvu riyo Geruch
Itl : Idi : ßl
xbta qoda -td groß, lang
Idi : Indi : Indj
ädi andi vündü Stamm, Sippe
Ici : Iii (dr) : /^r/
xecu qijii (qidrü) e^ru Ader, Sehne
Ihl : Isl :Jnhl
xohi qösi ünhh Dorn
Iki : Igl (gy) : jkj (g, ')
aki egi äkä brechen
ku fehlt gu Richtungsaffix
xoka qogya o'o stehlen
Verghchen mit den wenigstens 170 Entsprechungen der soeben exemplifi¬
zierten Art zwischen Birri und den Mangbutu-Efe-Dialekten bei nur annähernd
400 zur Verfügung stehenden Birri-Morphemen, bleibt die Anzahl der fest¬
stellbaren Beziehungen zu den anderen Sprachgruppen weit zurück : 30 Le¬
xeme des Birri lassen sich mit der Moru-Madi-Lugbara-Avukaya-Gruppe
vergleichen**. Davon finden sich aber wenigstens 12 auch in der Mangbutu-
Efe-Gruppe. 46 Lexeme sind mit der Bongo-Kresh-Gruppe verwandt*®,
wovon etwa 20 sich auch mit den Mangbutu-Efe-Dialekten vergleichen las¬
sen. 24 Lexeme lassen sich in ihrer Gestalt auf die Ndogo-Feroge-Gruppe
beziehen^®, wovon nur 5 mit den Mangbutu-Efe-Dialekten vergleichbar sind.
Etwa 40 Lexeme des vorhandenen Birri-Vokabulars kann man mit entspre¬
chenden, bedeutungsgleichen- oder ähnlichen Mangbetu-Morphemen zu¬
sammenstellen"*. Davon sind wieder die gute HäKte solche, die das Mangbetu
mit dem Mamvu-Balese gemeinsam hat.
18 A. a. O., S. 101.
1» A. a. O., S. 102-3.
2» A. a. O., S. 103-4.
21 Nach einem von mir naoh J. Larochette, Orammaire des dialectes Mangbetu
et Medje, Tervuren 1958, und Les langues du groupe Moru-Mangbetu, Kongo-
Overzee XXIV, S. 118-35, durchgeführten Vergleich.
Auffallend ist die Tatsache, daß trotz der intensiven Zandeisierung der
Birri, die etwa bewirkte, daß die Gewährsleute Santandreas ftießender
Zande sprachen als ihr eigenes Idiom, nur neun Lexeme sich aus dieser
Sprache herleiten lassen"". Dabei handelt es sich hauptsächlich um Kultur¬
wörter, wie Erdnuß, Schuh, Boot, Kornspeicher, Sklave etc. Allerdings ist
auch das Wort für ,, heiraten" aus dem Zande. Dieses kommt nebenbei auch
im Mangbetu in derselben Bedeutung vor.
7 Lexeme lassen sich mit dem Kare, das eine Bantu-Sprache sein soll,
vergleichen"'. Zwei davon haben auch in den Mangbutu-Efe-Dialekten ihre
Entsprechungen .
ZUSAMMENFASSUNG
Aus dem Gesagten ergibt sich, daß die linguistische Analyse die Feststel¬
lung de Calonnc-Bcaufaicts, es handle sich bei den Birri um einen zurück¬
gebliebenen Rest der nach Südosten fortschreitenden Mamvu-Balese-Migra-
tion, nicht nur nicht widerlegt, sondern offensichthch vollauf bestätigt.
Das Birri aber ist eine ,, central language" für die es umgebenden Sprach¬
gruppen, insofern es eine enge Verwandtschaft zu den Mangbutu-Efe-Dia¬
lekten aufweist, mit denen es diese zentrale Stellung gemeinsam hat.
ZITIERTE ODER DER DURCHGEFÜHRTEN ANALYSE
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mäen- und Waldnegerdialekten des Ituri, Congo. In 'Festschrift Paul J. Sche¬
besta, Mödhng 1963, S. 23-34.
-, Die Phonologie und Morphologie des Balese (Ituri-Urwald, Kongo). Afrika¬
nistisehe Forschungen Bd. II, Glückstadt-Hamburg 1965.
-, Die tonale Struktur der Verbalklassen in den Waldneger und Pygmäensprachen des Ituri-Urwaldes, Ost-Kongo. ZDMG Bd. 116, S. 219-226.
-, Zur tonalen Struktur des Verbalsystems im Wald-Bira (Ostkongo). Neue Afri¬
kanistisehe Studien, herausgegeben von Johannes Lukas, Hamburg 1966,
S. 256-64.
-, Erzählungen in der Mamvu-Sprache. Mit einer vergleichenden Einführung in
die Phonologie und das Verbalsystem. Afrika und Übersee L, 1967, S. 244-78;
LI, 1968, S. 2-29; S. 116-44.
TONSPRACHEN IM BANTU
Von Wilhelm Möhlig, Köln
A. VORBEMERKUNGEN
1. Es ist das Ziel der prosodologischen Analyse, die prosodischen Sprach¬
erscheinungen auf ihre formal kleinsten funktionstragenden Einheiten,
nämlich die Prosodeme, zurückzuführen. Unter prosodischen Merkmalen
verstehe ich hier Tonhöhen-, Schalldruck- und Quantitätserscheinungen.
2. Das Verfahren der prosodologischen Analyse wurde zuerst am Dciriku,
einer Bantusprache vom mittleren Okavango, entwickelt und erprobt.
An anderen Bantusprachen aus Südwestafrika sowie teilweise auch am
Hehe, Chaga und Shi konnte es inzwischen bestätigt werden. Um von vorn¬
herein dem Argument zu begegnen, in den von mir ausgewählten Sprachen
seien die Töne nicht relevant, habe ich mich bei meinen Untersuchungen
auf solche Bantusprachen beschränkt, die nach herkömmlicher Auffassung
bisher als Tonsprachen bezeichnet worden sind.
3. Hinsichtlich der Theorie, die nicht Gegenstand dieser Abhandlung ist,
sei nur erwähnt, daß sich die Prosodologie in einigen wichtigen Grund¬
sätzen an die Phonometrie, wie sie von meinem verehrten Lehrer Eber¬
hard Zwirner und seiner Schule entwickelt wurde*, anlehnt. Innerhalb der
linguistischen Theorien steht die Prosodologie auf dem Boden des funktio¬
nalen Strukturalismus etwa in der Prägung ANDBt Martinets".
B. HAUPTTEIL
Das Verfahren der prosodologischen Analyse läßt sich in drei Abschnitte
gliedern :
(1.) Das Anfertigen eines prosodischen Abhörtextes,
(2.) das Aufstellen der prosodischen Klassen und Kombinationsklassen,
(3.) die Zuordnung der prosodischen Kombinationsklassen zu bestimm¬
ten sprachlichen Funktionen.
* Vgl. : Ebebhard ZwmNEB u. Kurt Zwibneb, Orundfragen der Phono¬
metrie, 2. Aufl. Basel - New York 1966; Eberhard Zwirner u. Konnosuke
EzAWA (Hrsg.), Phonometrie II, Allgemeine Theorie, Basel - New York 1968.
2 Vgl. : Andre Martinet, EUments de linguistique ginirale, 3. Aufl. Paris 1960.