Göttliche Gnade in Sarikaras Soteriologie? 1
Von Peter Stephan, Halle-Wittenberg
In seinen Kommentarwerken entwickelt Sarikara seine Lehrinhalte mittels
Exegese von z.T. theistisch beeinflußten Offenbarungstexten. Seine Me¬
thode ist also eher interpretativ-argumentativ. Bisweilen muß sich Sahkara
in seinen Kommentarwerken mit Lehrinhalten auseinandersetzen, die wohl
bereits von Vorgängern etabliert worden waren und mit seiner eigenen Lehre
nicht übereinstimmen. Vor diesem Hintergrund sind zur Darstellung von
zentralen Positionen seiner Philosophie nur den in seinen Kommentaren be¬
harrlich als Leitgedanken herausgestellten Aussagen Bedeutung beizumes¬
sen sowie denjenigen Inhalten, die er in seinem einzigen selbständigen Werk
thematisiert, nämlich der UpadesasähasrT (US). Insofern es bisher nicht ge¬
lungen ist, eine herausragende Stellung der Idee göttlicher Gnadenwirkung
in einem seiner als authentisch akzeptierten Werke auszumachen, erschien
eine thematische Spezialuntersuchung über die Rolle der göttlichen Gnade
in Sahkaras Soteriologie bislang als wenig erfolgversprechend.
In Anbetracht dieser Ausgangslage ist die 1993 an der Katholisch-Theo¬
logischen Fakultät der Eberhard Karls Universität Tübingen eingereichte
und approbierte Dissertation von Bradley Malkovsky, die er 2001 in
einer überarbeiteten Fassung publizierte, 2 sicherlich ein ambitioniertes Vor¬
haben. Die Bedeutung des Gegenstandes in der von ihm vorgelegten neuen
Deutung erfordert eine adäquate Auseinandersetzung und gegebenenfalls
Korrektur, stellt M. doch im Vorwort bzw. in der Einleitung (Introduction,
S. xi-xvii) seiner Arbeit in Aussicht, eine grundlegende Revision des eta¬
blierten Wissens über Sahkaras ^ra^ra^-Konzeption 3 und damit auch seiner
Soteriologie auszulösen. Weiter kündigt M. an, daß die erklärte Absicht
1 Für hilfreiche Anregungen und Verbesserungen gilt mein Dank Herrn Prof. W.
Slaje sowie Dr. J. Hanneder.
2 Bradley J. Malkovsky: The Role of Divine Grace in the Soteriology of Samkarä- cärya. Leiden/Boston/Köln: Brill Verlag 2001. XVII, 431 S. (Numen Book Series: Studies in the History of Religions. 91.) ISBN 90-04-12044-0.
3 „My findings not only revise the traditional understanding of Samkara, [...]. This study on grace causes us to substantially revise our understanding of the nature and acti¬
vity of brahman, the supreme reality." (S. xii).
seiner Studie, d. i. die zentrale Rolle eines persönlichen Gottes in Sahkaras
Soteriologie aufzuzeigen, einer gründlichen Untersuchung bedürfe, die er
erstmalig systematisch zu präsentieren beabsichtige. 4 Insofern das letzte
Kapitel, der Vergleich von Sahkaras Erlösungslehre mit der christlichen
Soteriologie, aus der publizierten Version seiner Dissertation herausgenom¬
men wurde, betrachtet M. seine Studie daher als rein indologische Arbeit
(S. xvii). Angesichts dieser so angekündigten Tragweite soll M.s Studie hier
mit gebührender Aufmerksamkeit besprochen werden. Dazu soll zunächst
ein Überblick über M.s Arbeit vorausgeschickt werden, dem sich dann eine
Richtigstellung der vermeintlichen Gnadensoteriologie Sahkaras anschließt,
wie sie M. im BhGBh auszumachen glaubte.
Mangelnde Kenntnis des zum Zeitpunkt der Fertigstellung seiner Disser¬
tation aktuellen Forschungsstandes kann man M. sicher nicht unterstellen,
faßt er doch anhand der einschlägigen Sekundärliteratur in den ersten vier
Kapiteln §ahkaras Leben und Werk (S. 1-36), Erkenntnistheorie (S. 37-44),
Metaphysik (S. 45-68) und Soteriologie (S. 69-88) zusammen. 5 Zur Be¬
schreibung der Metaphysik Sahkaras stellt M. zwei Interpretationsansätze
gegenüber, nämlich die „monistic interpretations" (S. 46-47), der sich
unter vielen anderen Deussen, Hiriyanna, Dasgupta und Mahadevan
anschlössen, während die sog. „realist interpretation" (S. 47-50) von Datta,
De Smet, Brooks und Kattackal vertreten würde. M. schließt sich der
„realist interpretation" an und versucht die „monistic interpretations" zu wi¬
derlegen. M. bezeichnet die „monistic interpretations" als „world-negating
interpretations of Samkara" (S. 47) und ersetzt in der Konklusion seiner
Gegenüberstellung dieser beiden Interpretationsansätze „monistic inter¬
pretation" durch „illusionistic interpretation" (S. 50). 6 Wie nämlich bereits
Hacker bei der Untersuchung zentraler systemspezifischer Begriffe in
Sahkaras BSüBh feststellte, verwendet §ahkara den Begriff mäyä nicht so
4 „To show that grace and divine personalism are central to Samkara's soteriology requires a thorough examination of all Samkara's authentic writings. It is on the basis of such exegesis that I am able to establish what I believe is a solid systematic theology of grace." (S. xi-xii).
5 Zum Verständnis bzw. zur Hinführung an die Untersuchung im Hauptteil, wären
die Darstellungen zu Sarikaras Leben und Werk in der vorliegenden Breite nicht not¬
wendig gewesen. M.s Eigenleistung in diesen vier Kapiteln besteht überwiegend im
Zusammenstellen von Zitaten aus dem großen Angebot an Sekundärliteratur. Pande
1994 hätte hier - wenigstens durch Einbeziehung in die Bibliographie - grundsätzlich Be¬
achtung verdient.
6 Eine Begründung für diesen „sorglosen" Umgang mit metaphysischen Begriffen ent¬
hält M. dem Leser vor. Diese Gleichsetzung erscheint dennoch insofern berechtigt, weil eine Form des Illusionismus als philosophische Stütze in Sarikaras reinem Geistmonis¬
mus notwendig ist (vgl. Hacker 1952).
Göttliche Gnade in Sankaras Soteriologie? 399
zentral wie avidya etc. und zudem auch mehrdeutig, nämlich i.S. von Trug,
Zauber oder göttlicher Wunderkraft (1950, S. 268-272 = kl. Sehr., S. 91-95).
Daher sei die Bezeichnung der Metaphysik Sahkaras als Illusionismus
(mäyäväda) nicht gerechtfertigt, so M. 7 Gegen diese Interpretation der Me¬
taphysik Sahkaras als Illusionismus von Seiten moderner Autoren bringt M.
folgende bemerkenswerte Argumentation vor:
„... if the world were annihilated through the knowledge of brahman, it would
already have been destroyed by the first person to have attained liberation. The implication is that the world's obvious continued existence indicates the falsity of an illusionistic rendering of Advaita." (S. 50). 8
Vermutlich, um damit einem göttlichen Gnadenwirken in Sahkaras Sy¬
stem mehr als nur eine bedingte, vorläufige oder gar rein subjektive Rolle
7 Mit dem Vorwurf der Nähe zum Illusionismus, sei es ein solcher wie er im
Vijfiänaväda als erkenntnistheoretischer Idealismus oder im Sünyaväda als Relativismus entwickelt wurde (Hacker 1952, S. 278 = kl. Sehr., S. 121), war Sarikara jedoch vorwie¬
gend von Vertretern aus den Reihen des Advaita (z.B. von Bhäskara, vgl. Ingalls 1954;
1967, S. 65; Raghavan 1968, S. 283) konfrontiert worden, die ihn damit als heimlichen Buddhisten zu ächten beabsichtigten. Richtungsweisende moderne Interpreten erklären Sahkaras Metaphysik im Sinne eines Illusionismus, der nicht das Vorhandensein der Er¬
scheinungswelt als Produkt kognitiver Fehlleistung (avidyä) erklärt, sondern lediglich die durch avidyä bedingte, fehlerhafte Objekt- und Selbstwahrnehmung für das Zustan¬
dekommen und Bestehen des samsära verantwortlich macht (vgl. z.B.: Ingalls 1954,
S. 304-306; 1967; Mayeda 1965, S. 177; 1979, S. 22-26; Schmithausen 1965, S. 151-153;
Vetter 1968). Ein Abriß der verschiedenen in der indischen Geistesgeschichte entwickel¬
ten Varianten des Illusionismus wäre hier zur Differenzierung des Illusionismus Sarikaras hilfreicher gewesen als die gebotene „realist interpretation".
8 Der mit Sarikaras Philosophemen vertraute Leser bekommt hier nun den Eindruck,
es mangele M. ganz grundlegend am Verständnis illusionistischer Metaphysik im all¬
gemeinen und Sarikaras Illusionismus im speziellen, sieht M. doch seinen Standpunkt in einer von Sarikara in BSüBh 3.2.21 vertretenen Position bestätigt, ohne dabei diese Textstelle im Wortlaut anzuführen. Vermutlich bezieht sich M. auf folgende Aussage:
ekena cädimuktena pnhivyädipravilayah krta iti ... „und durch einen einzigen Erster¬
lösten würde die Welt usw. aufgelöst" ... Dieser prasatiga dient Sarikara zur Widerlegung
der unmittelbar vorangestellten Prämisse: ... yadi tävad vidyamäno 'yam prapanco
dehädilaksana ädhyätmiko hähyas ca prthivyädilaksanah ... (BSüBh S. 362, 2-5)
„... wenn zunächst diese auf die eigene Person bezogene Ausbreitung, gekennzeichnet von Körper usw., und eine äußerliche [Ausbreitung], gekennzeichnet von Welt usw., vorhan¬
den [wäre] ..." Thematisiert wird hier in BSüBh 3.2.21 wie die Ausbreitung von nämarüpa,
welche die brahman-F-rkenntnis behindere, vernichtet werden solle. Das könne, so
Sarikara, nur durch zutreffendes Erkennen zustande gebracht werden. Dadurch wird aber
die nämarüpa-Ausbrehung nur in der Erkenntnis des Individuums vernichtet und nicht
etwa die gesamte avidyä als weltkonstituierende Größe an sich. Diese Argumentation, die Sarikara sich hier zur Widerlegung einer gegnerischen These zunutze macht, scheint M.
zur Stütze seiner eigenen Position gegen die Bezeichnung der Metaphysik Sarikaras als Illusionismus geeignet, wie sie von modernen Autoren bevorzugt wird.
zuzuweisen, bietet M. im Zusammenhang mit der Darstellung der Lehre
Sahkaras über das Absolute eine „revised theory of the hrahman-isvara
relation" (S. 52-57), deren Ergebnis er unter Bezugnahme auf Hackers
Untersuchung (1950) folgendermaßen darstellt:
„On the basis of Samkara's own linguistic usage the relegation of isvara to an inferior ontological plane is no longer justifiable. Is'vara-parames'vara is the Absolute, just as the nirguna brahman is the Absolute." (S. 57).
Dieser Darstellung der beiden Interpretationsansätze von Sahkaras Meta¬
physik läßt M., im Anschluß an eine Darlegung gewisser Gnadenkonzeptio¬
nen, wie sie in zentralen Texten des Vedänta entwickelt wurden (S. 89-1 33), 9
einen Abriß von modernen, unterschiedlichen Interpretationsansätzen
des Stellenwertes von göttlicher Gnade in Sarikaras Philosophie folgen
(S. 135-158). Diese Ansätze teilt er in vier Gruppen ein: 1. Das Ignorie¬
ren der Gnade in Sahkaras Soteriologie: Mayeda und Potter. 2. Sarikara
lehne die Idee der Gnade ab: Organ, Griffiths, Siauve und Thibaut.
3. Sahkara erhalte die Idee der Gnade nur vorläufig aufrecht: Sinha, Maha¬
devan, Warrier und Deussen. 4. §ahkara bestätige die Realität göttlicher
Gnade: Sastri, Date, Hacker, De Smet und von Brück. 10
Anschließend an die einleitenden Kapitel I-VI bereitet M. den thema¬
tischen Kern seiner Untersuchung mit der Bestimmung derjenigen von
Sahkara verwendeten Begriffe vor, welchen die Bedeutung von Gnade
zukomme (S. 161-164). Diese seien vorwiegend nur drei, nämlich prasäda,
anugraha und die von dem Nomen karuna abgeleiteten Adjektive kärunika
und paramakärunika. Zusätzlich stellt er auch noch die Begriffe dayä,
krpä und anukrosa als Synonyme für die drei genannten Hauptbegriffe
vor. Anstatt nun zu belegen, daß seine Interpretation wenigstens dieser
drei Hauptbegriffe als „Gnade Gottes" auch der Konnotation in Sahkaras
Sprachgebrauch entspricht, indem er Sahkaras eigene Definitionen von
prasäda etc. heranzieht, 11 begnügt sich M. jedoch mit der Wiedergabe der
9 Upanisaden, BhG, BSü, Gaudapädiyakärikä sowie der Paramärthasära des Adisesa,
Nimbärkas Vedänta-Pärijäta-Saurabha und, vorwiegend auf die Untersuchungen Rü-
pings gestützt, die Gnadenkonzeption des Bhartrprapanca.
10 Warum in dieser Einteilung die Positionen namhafter Sahkara-Forscher wie Halb¬
fass, Ingalls, Pande, Sawai oder Vetter, um nur einige zu nennen, die Berücksichti¬
gung verdient hätten, nicht aufgenommen wurden, erwähnt M. nicht. Ob die Position
Hackers nicht eher mit derjenigen übereinstimmt, die M. als dritte Gruppe definiert,
wäre u.a. vor dem Hintergrund von Hackers Befund zur rein subjektiven Realität des
isvara (1950, S. 284-286 = kl. Sehr., S. 107-109) durchaus wert, hinterfragt zu werden.
11 Insofern M.s Begriffsbestimmung von prasäda und anugraha als Fundament aller
weiteren Folgerungen über Sarikaras Gnadenkonzeption dienen soll, wäre eine gründ¬
lichere Untersuchung durch Heranziehung des expliziten Wortlautes von Sarikaras
Göttliche Gnade in Ankaras Soteriologie? 401
Bedeutungsansätze dieser Begriffe gemäß dem Wörterbuch von Monier-
Williams sowie einer Erklärung von prasäda nach dem Dafürhalten mo¬
derner Autoren. 12 Obwohl er sich offensichtlich über den zweiten Bedeu¬
tungsbereich von prasäda, nämlich ein Zustand mentaler Ausgeglichenheit
(„clearness, brightness, purity, calmness, tranquillity, absence of exitement";
S. 161), bewußt ist, thematisiert er die Semantik dieses problematischen Be¬
griffs nicht im Kontext von Sahkaras gnostischer Erlösungsmethode, die
nämlich der Klärung des Erkenntnisorgans als eine notwendige Vorausset¬
zung zur zutreffenden Objekt- und Selbsterkenntnis und damit zur Erlö¬
sung einen zentralen Stellenwert zuweist. M. zieht es vor, eine Verbindung
dieses ebenfalls durch prasäda bezeichneten mentalen Zustandes zum ande¬
ren Bedeutungsbereich, dem Zustand der Gnade, anzunehmen: „Thus the
state of deep tranquillity and clarity [...] is linked to a state of being graced"
(S. 161). Diese Annahme scheint nun auch für den weiteren Verlauf von
M.s Untersuchungen die Grundlage für seine Akzeptanz von prasäda aus¬
schließlich als „grace/favour of the Lord" (nicht etwa: „... [of the Lord]") zu
bilden, während er die gnoseologische Komponente von prasäda in der nun
folgenden Textanalyse außer Acht läßt.
eigenen Definitionen dieser Begriffe durchaus angebracht und leicht durchzuführen gewesen. M. widmet der Erläuterung dieser beiden Begriffe aber gerade zwei Seiten, in welchen er korrekt die Mehrdeutigkeit von prasäda thematisiert. Allein im BhGBh gibt es mindestens zehn zur Untersuchung won prasäda geeignete Stellen, wo Sarikara prasäda als pratika aufnimmt: BhGBh 2.64, 65, 17.16, 18.37 im Sinne eines Zustandes geistiger Ge- klärtheit ohne offensichtlichen Zusammenhang mit isvara. Im Kontext des persönlichen Gegenüber von Gläubigen/Schüler und Gott/Guru, in BhGBh 11.31,44,47,18.56,73, weist Sarikara jedoch auf eine Aktivität bzw. in BhGBh 18.62 (S. 266, 22) auf eine Motivation (prasädäd = isvaränugrahät) des persönlich gedachten Gottes Krsna hin, um Arjuna zur Erkenntnis zu verhelfen. Da M. einige BhG-Textstellen als Beispiel für die mindestens zwei Bedeutungen von prasäda erwähnt, um die wohl zutreffende Vermutung anzustellen, daß in BhG 2.64, 65 und 18.37 besagter Begriff im Sinne einer mentalen Ausgeglichenheit („tranquillity") Verwendung finde, während er in 18.56, 62, 73 eher als Gnade zu verstehen sei (S. 162), hätte er doch den methodisch nächstliegenden Schritt vollziehen können, um darzustellen, wie denn Sarikara diesen Begriff in den entsprechenden Stellen des BhGBh definiert. Mit einer solchen Untersuchung - und sei es nur durch Verweis auf die relevanten BhGBh-Stellen - hätte M. seine Behauptung, nämlich daß auch Sarikara prasäda in beiden
Bedeutungen verwende, überzeugend begründen können. Statt dessen schließt M. die Er¬
läuterung dieses zentralen Begriffs mit der sicherlich nie falschen Feststellung ab, daß die Bedeutung vonprasäda vom Kontext abhängig sei und kann nur behaupten, daß dies auch gleichermaßen „true wherever Samkara uses the word prasäda" wäre (S. 162).
12 Auch wenn sie die anstehende Aufgabe nicht zu lösen vermögen, mögen J. Gondas (1978, S. 205) Anmerkungen zur Hinführung an die Problematik, den Begriffsumfang von prasäda zu bestimmen, dienlich sein. Ob jedoch die Spekulationen G. Feuersteins (1990, S. 270), scheinbar im Kontext des systematischen Yoga, wesentlich zur Klärung der prasäda-Y^onnotation in Sarikaras Sprachgebrauch beitragen, ist zweifelhaft.
Nach dieser methodisch dürftigen Vorbereitung des Hauptgegenstandes
seiner Untersuchung widmet sich M. nun der Analyse derjenigen Textstel¬
len in Saiikaras Werken, welche seine Hypothesen über den zentralen Stel¬
lenwert der göttlichen Gnade in dessen Soteriologie stützen sollen. Diese
Untersuchung wiederum unterteilt er in zwei Kapitel. Das erste dieser bei¬
den (VIII S. 165-288) ist ausschließlich dem BSüBh 13 gewidmet, während er
im folgenden Kapitel (IX S. 289-375) der Gnadendoktrin Sahkaras in allen
weiteren als authentisch geltenden Werken nachgeht. BSüBh 2.3.41 bewer¬
tet M. als „most important sütra [sic!] on grace in Samkaras entire BSüBh",
weil Sahkara hier deutlich die Erlösung von der Gnade des Herrn abhängig
mache (S. 236) und die Gnade im Erteilen des „supreme knowledge" bestehe,
welches das Mittel zur Erlösung sei (S. 241). M. widmet in seiner Textana¬
lyse solchen Aussagen Sarikaras viel Aufmerksamkeit, wo sich Bezeich¬
nungen für einen persönlichen Gott (isvara, paramesvara, Visnu) mit dem
Absoluten (brahman) gleichgesetzt finden, nämlich in BSüBh 1.1.5 (S. 173),
1.1.20 (S. 179), 1.2.7 (S. 188), 1.2.13 (S. 192), 2.4.20 (S. 249). In der Zusam¬
menfassung der Ergebnisse seiner Untersuchung des BSüBh (S. 284-288)
betont M. nochmals, daß nach BSüBh 2.3.41 das zur Erlösung führende
Wissen durch Gottes Gnade verursacht werde. Gemäß BSüBh 3.2.5 ver¬
treibe die Gnade des paramesvara die Unwissenheit und ermögliche damit
die erlösende Schau des wahren Selbst (S. 284). M. erklärt jedoch zwei Seiten
später (S. 286), es ließe sich nicht eindeutig feststellen, daß göttliche Gnade
eine notwendige Bedingung für die spirituelle Entwicklung der Adepten
sei. Zudem lehre £ahkara nirgendwo, daß man sich im Zustand der Gnade
befinden müsse, um sich dem Erlösungsweg widmen zu können. Möglicher¬
weise sei Sahkara sich auch nicht im Klaren darüber gewesen wie Gnade die
ersten Schritte zur Erlösung einleite, jedoch lehre er explizit das Erreichen
des höchsten Lebensziels durch göttliche Gnade. Ob nun durch eigene
Anstrengungen oder mit Hilfe göttlicher Gnade, die spirituellen Adepten
erreichten den Zustand mentaler Ausgeglichenheit, welcher ihnen den Emp¬
fang göttlicher Gaben ermögliche (S. 286).
Derartig unkoordinierte und widersprüchliche Feststellungen präsen¬
tiert M. nun als Ergebnis seiner Untersuchung des Gnaden-Konzeptes im
BSüBh. Offensichtlich gelang es ihm nicht, eine solche Gnaden-Soteriologie
im BSüBh tatsächlich auszumachen, in der das Erreichen göttlicher Gnade
eine notwendige Bedingung oder zumindest eine zentrale Position auf dem
Weg zur erlösenden brahman- bzw. <«rm^«-Erkenntnis wäre.
13 M. untersucht folgende 25 Textauszüge aus dem BSüBh: 1.1.5, 20, 28 | 1.2.7, 13, 24, 29 | 1.3.30 | 2.1.21-23, 34 | 2.2.42 | 2.3.29 | 2.3.41, 42 | 2.4.20 | 3.1.4 | 3.2.5, 24, 38, 41 | 3.3.32
| 3.4.38 | 4.1.2 | 4.2.17.
Göttliche Gnade in Sankaras Soteriologie? 403
Im nun folgenden Kapitel (IX S. 289-375) beabsichtigt M., Ankaras „po-
sition on grace" in den Kommentaren zu den Upanisaden, der BhG und zur
GauKä sowie der US zusammenzufassen. Dabei unterteilt er - wo immer
es ihm möglich erschien - die untersuchten Werke thematisch in folgende
Paragraphen: „brabman-ätman-is'vara-Om", „The Teacher", „Scripture",
„The Gods". Seine Darstellungen zu Sahkaras Upanisadbhäsyas beschrän¬
ken sich häufig auf stark reduzierte, mitunter kryptische Inhaltsangaben
aus Ubersetzungen, ohne den Originaltext anzuführen. Seine Ergebnisse
der jeweils untersuchten Werke unterbreitet er zum Abschluß der ent¬
sprechenden Abschnitte.
Den Befund seiner gesamten Textanalyse aller als authentisch akzep¬
tierten Werke Sahkaras faßt er abschließend in einem eigenen Kapitel (X
S. 377-402) zusammen, das er mit einer grundlegenden Reflexion über die
Bedingungen und Möglichkeiten göttlicher Gnade in Sahkaras Philosophie
einleitet. Dort weist er die nach seinem Dafürhalten falschen Einschätzungen
über die Rolle göttlicher Gnade in Sahkaras Soteriologie zurück, nämlich
daß Sarikara sich auf diese Thematik nicht einließe oder diesem Thema ab¬
lehnend oder gar indifferent begegne. Dabei gerät er allerdings - wie bereits
im III. Kapitel (vgl. Fn. 7, 8) - mit Sankaras Konzeption der zwei Ebenen
göttlicher Entfaltung in Schwierigkeiten, da sie nur zwei unterschiedliche
Aspekte (saguna/nirguna) ein und desselben identischen brahman beschrei¬
ben. Er bemüht sich eifrig darum, wie bereits im III. Kapitel (S. 52-57) und
in der Textanalyse, durch Uberbewertung der Charakterisierungen von
isvara etc. als brahman, dem Absoluten in Sarikaras Ontologie Persönlich¬
keitscharakter zuzuschreiben (S. 378-381). Es folgt nun eine - im Vergleich
mit der Zusammenfassung am Ende des achten Kapitels - wesentlich klarere
Darstellung der Funktion göttlicher Gnade in Sahkaras Soteriologie, so wie
sie sich nach M.s Analyse zeigt. Demnach lehre Sahkara in BSüBh 2.3.41
und 3.2.5, in Taittirlya-Upanisad-Bhäsya 1.11.4 sowie in BhGBh 2.39, daß
die Gnade Gottes die Ursache für das Aufkommen des erlösenden Wissens
und damit für die Vernichtung der Unwissenheit sei (S. 381-382). Nach
einigen, durchaus anregenden, theologischen Reflexionen über Aspekte
der Theodizee in Sahkaras Philosophie (S. 382-387) faßt er den Stellenwert
des spirituellen Lehrers und der sruti (S. 387-393) in Sahkaras Soteriolo¬
gie zusammen. Aus der Tatsache, daß Sahkara in der US, seinem einzigen
nicht exegetischen Werk, zwar die Gnade des spirituellen Lehrers erörtert,
jedoch die Idee eines persönlichen Gottes nicht einmal ansatzweise thema¬
tisiert, sollte man, so M., nicht schließen, daß die Idee göttlicher Gnade
für Sahkara nicht wichtig sei, vielmehr könne man allenfalls spekulieren,
weshalb Sahkara in der US diesem Thema keine Aufmerksamkeit widmet.
So könnte nach M.s Ansicht dieses Fehlen nämlich auch damit zu erklären
sein, daß dieses Werk eventuell nicht vollständig oder gar nur teilweise
authentisch sei (S. 393-396). Diese Zusammenfassung endet mit einem Ver¬
gleich von Sahkaras Gnadenlehre mit denjenigen Gnadenlehren, die in den
prasthänatraya-Texten und im frühen Vedänta entwickelt wurden, sowie
mit abschließenden Überlegungen (S. 396-402).
Bevor M.s Kernthese über Sahkaras Soteriologie, das mit personellen
Eigenschaften versehene brahman beseitige die avidyä, nun ausführlicher
besprochen wird, sollen noch die zur Textanalyse herangezogenen Quellen
Beachtung finden: M. interpretiert Sahkaras Texte ausschließlich anhand
von Übersetzungen (Gambhirananda, Thibaut, Madhavananda), wobei
er sich, nach eigener Aussage, beim Anführen von übersetzten Textstellen
des BSüBh darum bemühte, nicht einfach nur die verständlichste, sondern
eher die den Wortlaut Sahkaras am treuesten wiedergebende Übersetzung
zugrunde zu legen, oder zum Zwecke der Präzision gelegentlich selbst Än¬
derungen vorzunehmen (S. 166). Zusätzlich führt er bei der Untersuchung
des BSüBh den der Übersetzung zugrunde liegenden Sanskrit-Text transli-
teriert an. Leider entstellt er dabei diese Stellen bisweilen bis zur Unkennt¬
lichkeit, so daß ein am Original interessierter Leser nicht umhin kommt,
eine Textedition heranzuziehen. 14 Bei Betrachtung der aus dem Sanskrit
transliteriert angeführten Belegstellen gewinnt man zudem den Eindruck,
mit M.s Sanskritkenntnissen sei es nicht zum besten bestellt.
M.s These, Sahkaras nirguna-brahman hätte personellen Charakter, re¬
lativiert sich vor dem Hintergrund der von Sahkara entwickelten, scheinbar
dualen Ontologie göttlicher und weltlicher Entfaltung. Um nämlich theore¬
tische Probleme hinsichtlich der Entstehung von Materie aus reinem Geist
14 M. gelingt es fast nie, eine BSüBh-Textstelle fehlerfrei zu zitieren, so daß man sich als Leser fragt, ob M. das Transliterieren entweder nie gelernt oder etwa die grammatisch¬
syntaktische Struktur der zitierten Sätze gar nicht durchschaut hat und schon von
daher auf unkritische Ubersetzungen angewiesen war. So liest er - um ein Beispiel an¬
zuführen - in dem drei Zeilen langen Textauszug aus BSüBh 2.3.41, der von ihm - da
er seine Hypothese bestätige - als wichtigste Belegstelle im BSüBh bezeichnet wurde, anstatt hhavitum arhati „bhaviturmahati", anstatt ... säksinas cetayitur is'varät tad ...
„... säksinesvatayiturisvarättad ...", aus samgbäta wird „samdhäta" aus darsino „dars'ano"
(S. 239 Fn. 285) nebst einigen weiteren Trennungsfehlern. Denn eigenständige Wörter, die
in der Transliteration eines Sanskrit-Textes durch Abtrennen vom vorangehenden und
nachfolgenden Wort markiert werden müßten, falls sie nicht mit diesen durch vokalischen Sandhi verbunden sind, transliteriert M. grundsätzlich ungetrennt, als ob ein langes Kompositum vorläge. Eine Auflistung unter Korrektur von Transliterationsfehlern, wie in Besprechungen bisweilen üblich, kann hier nicht geleistet werden, sie würde nämlich den Rahmen dieses Beitrags sprengen (vgl. Fn. 13), sind doch allein in dem neun Zeilen langen Auszug von BSüBh 1.1.20 (S. 175 Fn. 37) 26 Fehler enthalten.
Göttliche Gnade in Sankaras Soteriologie? 405
zu umgehen, die ein reiner [Geist-] Monismus bei einer Erklärung des du¬
alen Charakters der Erscheinungswelt in sich birgt, entwickelt Sahkara eine
begrenzt bzw. vorläufig duale „zweistufige" Ontologie einer sog. alltäglich¬
scheinbaren (vyavahära) und der absoluten (paramärtha) Ebene des Seins.
Während die scheinbare Wirklichkeit der vyavahära-Ebene durch kognitive
Fehlleistung (avidyä) eines im Zustand der Unwissenheit befangenen Indi¬
viduums zustande kommt und damit auch nur in diesem Rahmen begrenzte
Wirklichkeit hat, wird vom Standpunkt des höheren Seins die duale Subjekt-
Objekt-Struktur der phänomenalen Welt als nur vorläufig real und daher als
letztendlich irreal erkannt. Zur Darstellung des Absoluten (brahman) als
eigentlich einzig realer Entität wird genau dasselbe, vorläufig duale Modell
herangezogen. Demnach entspricht der ontologische Status eines mit Eigen¬
schaften versehenen und personifizierten Schöpfergottes (saguna brahman,
isvara, paramesvara) vollends dem der Erscheinungswelt: dieser Aspekt des
brahman mitsamt seinem Wirken gehört zum Bereich bloß phänomenaler
Wirklichkeit. 15 Vor diesem Hintergrund zeichnet sich ganz deutlich die
Relevanz eines Gottes als persönliches Gegenüber in Sahkaras Philosophie
ab: Realität im absoluten Sinne kommt einem wirkenden isvara keinesfalls
zu. Insofern diese beiden Aspekte göttlicher und weltlicher Entfaltung auf
das letztendlich einzig Seiende, das brahman, gründen, kann Sahkara dem
saguna- brahman zugeschriebene Eigenschaften auch vom Standpunkt be¬
dingter Realität aus als zutreffend für das nirguna-brahman akzeptieren.
Mit diesem Modell der zwei Realitätsebenen konnte sich Sarikara nicht nur
15 Diese ontologische Konzeption beschreibt Sahkara u.a. in BSüBh 2.1.14 (S. 197,
23-24): bädhite ca s'ärirätmatve tadäsrayah samastah sväbbäviko vyavahäro bädbito
bhavati yatprasiddhaye nänätvämso paro brahmanah kalpyeta. „Und wenn [wegen der
Beseitigung der avidyä die Idee] beseitigt ist, daß der ätman körperlich ist, [dann] ist auch die darauf gestützte, gesamte natürliche Alltagsrealität (vyavahära) beseitigt, zu deren
Konstitution ein einen Teil der Vielheit bildendes, vom brahman Verschiedenes ange¬
nommen werden müßte." Dies hat eine nur vorläufig bedingte Realität jeglicher Dualität
zur Konsequenz, wie Sarikara am Beispiel der Beziehung zwischen brahman und ätman
verdeutlicht (BSüBh S. 201, 13-15): tad evam avidyätmakopädhiparicchedäpeksam
eves'varasyes'varatvam sarvajnatvam sarvasaktitvam ca, na paramärthato vidyayäpästa- sarvopädhisvarüpa ätmanisitrisitavyasarvajnatvädivyavahära upapadyate. „Daher [gibt es dieses] Herrscher-Sein eines Herrschers, [seine] Allwissenheit und Allmacht nur in
Abhängigkeit der Abgrenzung durch die zusätzlichen Bestimmungen, die ihrem Wesen
nach Unwissenheit ist. Der [alltägliche Sprachgebrauch, wie Beherrscher und zu Be¬
herrschendes, Allwissenheit usw., ist im absoluten Sinne hinsichtlich eines ätman, der seiner Natur nach durch Wissen frei von allen zusätzlichen Bestimmungen [ist], nicht zutreffend." Die nur auf die vyavabära-Ebene beschränkte Wirklichkeit des isvara wird
insbesondere aus den eingehenden Ausführungen in BSüBh 2.1.14 deutlich und - wie be¬
reits von Mayeda (1965, S. 176-177) angemerkt - ebenso aus der Einleitung zum BhGBh (vgl. Fn. 28) sowie BhGBh 4.6. Vgl. dazu auch Pande 1994, S. 193-196.
elaborierte Kosmogonien anderer zunutze machen, indem er sie in sein Sy¬
stem integrierte, sondern bot auch verschiedenen soteriologischen Konzep¬
ten Raum in seiner eigenen Soteriologie. So konnte Sahkara der theistischen
Idee eines wirkenden und in das Weltgeschehen eingreifenden Gottes, des¬
sen Gnade sich ein Gläubiger durch gefälliges Verhalten verdienen konnte,
eine vorläufige Funktion auf dem Weg zur Erlösung einräumen. Eine sol¬
che Gottesvorstellung mag denjenigen, die sich noch im Zustand latenter
Unwissenheit befinden, als nützliches Meditationsobjekt auf dem Weg zur
erlösenden „Schau" der absoluten Realität des tatsächlich eigenschaftslosen,
unpersönlichen und mit dem ätman wesensidentischen nirguna-brahman
dienen. Ein wie auch immer geartetes Wirken zwischen Einzelsubjekten,
dem notwendig duale Struktur zugrunde liegt, kann daher nur auf der
vyavahära-Ebene, also nur vorläufig bis zur Erkenntnis des Absoluten, re¬
levant sein. 16
Weil Sarikara seine Position aus der exegetischen Interpretation von
Offenbarungstexten mit theistischen Einflüssen gewonnen hatte, war er
jedoch gezwungen und eventuell auch gar nicht abgeneigt, theistische
Ideen über das aktive Eingreifen eines persönlich gedachten Gottes in das
Weltgeschehen in seine eigene Erlösungslehre zu integrieren und sich damit
die Methoden, Erfolg und Zuspruch anderer Strömungen inklusivistisch
zunutze zu machen, was ihm mit Hilfe seiner zweistufigen Ontologie des
Transzendenten leicht gelingen konnte. Somit wird auch verständlich, daß
Sahkara seine Position gelegentlich mit Rekurs auf die Gnade des isvara
durchfocht, obgleich die von ihm kommentierte Textvorlage eine solche
Thematik offensichtlich nicht zum Gegenstand hatte. Vor dem Hintergrund
dieser scheinbar zweistufigen göttlichen Entfaltung erscheinen die von M.
angeführten BSüBh-Textstellen, in denen Sahkara im Verlauf der Diskussio¬
nen mit seinen Opponenten die Begriffe prasäda oder anugraha in einen Zu¬
sammenhang mit isvara stellt, als Erklärungsversuche göttlichen Wirkens
auf der Ebene vorläufiger, bedingter Wirklichkeit. Aus dieser bei Sahkara
so häufig gebrauchten Gleichsetzung von isvara mit dem höchsten brahman,
ist jedoch kein personeller Charakter des nirguna-brahman im absoluten
Sinne zu folgern (vgl. Hacker 1950, S. 276-286 = kl. Sehr., S. 99-109).
M.s Behauptung, die Rolle des isvara in Saiikaras Soteriologie sei die
Beseitigung der Unwissenheit durch aktives Eingreifen in den spirituellen
Reifeprozeß des Adepten, soll nun anhand der von ihm selbst als Beleg
16 In diesem Sinne verdeutlichte auch Hacker den Realitätsgrad des Seienden: „Denn das Wahrhaftseiende wirkt nicht, sondern ist; das Wesen des Praktisch-Seienden dagegen, welches die Illusion ersten Grades ist, besteht [...] gerade in seiner Verwobenheit in die Praxis des Erkennens und Handelns." (1952, S. 287 = kl. Sehr., S. 130).
Göttliche Gnade in Ankaras Soteriologie? 407
dafür angeführten Textstellen im BhGBh nachgegangen werden. 17 Dabei
muß zunächst die in der BhG zugrunde liegende Dialogstruktur Beachtung
finden: Arjuna wendet sich mit seiner Bitte um Belehrung über das in der
bevorstehenden Schlacht-Situation angemessene Verhalten an Krsna, so wie
ein Schüler sich im Zweifel über den dharma an seinen spirituellen Lehrer
mit der Bitte um Belehrung wendet. 18 Krsnas Gnade, als Lehrer gegenüber
seinem Schüler Arjuna, äußert sich nun darin, daß er ihm relevantes Wissen
für sein Heil vermittelt, was sowohl mit dem Begriff anugraha als Mitgefühl
beschrieben sowie mit prasäda als Gnadenerweis bezeichnet wird. Im direk¬
ten Gespräch zwischen Arjuna und Krsna wird also in der BhG, vergleichbar
dem Dialog zwischen Schüler und Lehrer in Sahkaras US, mit prasäda die
Gnade des Lehrers bezeichnet, der des Schülers Begehren nach Erlösungs¬
wissen erfüllt. Deshalb legt Sahkara in BhGBh 18.73, nach abgeschlossener
Belehrung, dem Arjuna nahezu die gleiche Aussage in den Mund wie in
US II. 2.74 dem Schüler, der ebenfalls vom Lehrer klärende Unterweisung
erhielt. 19 Sarikara interpretiert Arjunas Aussageintention in BhG 18.73cd
(sthito 'smi gatasamdehah karisye vacanam tava) folgendermaßen: aham
tvatprasädät krtärtho na mama kartavyam astity abhipräyah („Durch
deine Gnade bin ich [jetzt] einer, der [sein] Anliegen erreicht hat. Es gibt
für mich nichts mehr zu tun, 20 so ist [Arjunas] Aussageintention") und leitet
17 Diese These hatte M. bereits vorab veröffentlicht (2000, S. 74-75). Insofern ihr eine eklatante Fehlinterpretation des BhGBh zugrunde liegt, ist ihre Thematisierung hier er¬
forderlich.
18 kärpanyadosopahatasvabhävah prcchämi tvä dharmasammüdhacetäh | yac chreyah
syän niscitam brühi tan me sisyas te 'harn sädhi mäm tväm prapannam (2.7, BhGBh S. 8).
„Ich, dessen [ganzes] Wesen durch das Übel der Hoffnungslosigkeit beeinträchtigt ist, [und] dessen Gedanken über das rechte Verhalten verwirrt sind, frage dich, was besser sei.
Das sage mir definitiv. Ich bin dein Schüler, unterweise mich, den dir Ergebenen." Auch Sarikara bezeichnet in BhGBh 3.31 (S. 55, 4) Krsna als Lehrer, indem er das Objekt von sraddhävantah aus 3.31 c mit ... mayi gurau väsudeve erklärt. Ebenso erläutert er auch bhaktim mayi paräm krtvä (BhG 18.68 c): bhagavatah paramaguroh s'usrüsä (S. 275, 26).
19 Obwohl M. zur Darstellung der Rolle des Lehrers US 11.2.74 (S. 368) und zur Dar¬
stellung der Rolle göttlicher Gnade BhGBh 18.73 (S. 353; von M. irrtümlich als BhG 18.65 bezeichnet) anführt, verdeutlicht er diese wichtige, offensichtliche Parallele nicht.
20 Aussagen wie: näham kartä, kartavyam nästi, na karomiti etc. charakterisieren im BhGBh den Reflexionsgrad eines tattvavid, d.i. jemand, der rational-diskursiv das Wissen über das Wesen des ätman realisiert hat und von daher weiß, daß er selbst, also sein ätman, im absoluten Sinne gar nicht handeln und an den Ergebnissen des Handelns teilhaben kann (vgl. z.B. BhGBh 2.21 S. 19, 19-22). Dieses Wissen ist - obgleich eine wichtige Voraussetzung für diese - keineswegs mit der unmittelbaren, aus dem samsära endgültig erlösenden ätman-Schsu gleichzusetzen, wie u.a. aus Sarikaras Ausführungen zu König Janaka in BhGBh 2.11 (Fn. 23) sowie der Einleitung zum 6. adhyäya deutlich wird. Demnach könne ein tattvavid durchaus noch in Aktivität, also als grhastha, leben, während sich nur ein samnyäsin der Methode zur Realisierung der ärmaw-Erkenntnis
BhG 18.74 mit parisamäptah sästrärtho ... (der Zweck/Gegenstand des
[BhG-]Lehrwerkes ist vollkommen erfüllt/abgeschlossen) ein. Denn mit
Krsnas Unterweisung ist die BhG hier inhaltlich zu Ende und die Erzähl¬
ebene wechselt wieder zu Samjaya. Es verhält sich jedoch nicht etwa so, wie
M. nahelegt, daß Sahkara damit das BhGBh mit der Gnade als letztem Wort
hätte abschließen wollen (S. 354). Seiner Interpretation der Aussageintention
Arjunas in BhGBh 18.73 vergleichbar läßt Sahkara auch in US II. 2.74 den
Schüler antworten, der hier am Ende der Unterweisung durch die Gnade des
Lehrers seine soteriologische Orientierungslosigkeit verloren hat: bbagavan
apagatas tvatprasädäd vyämohah (zitiert nach M., S. 368) („Ehrwürdiger,
aufgrund deiner Gnade ist [meine] Verblendung beseitigt/verschwunden").
Sogar die Bezeichnung bbagavan, die Sahkara im BhGBh für Gott Krsna
verwendet, setzt er auch in der US als angemessene Anrede für den Lehrer
ein. Sowohl in der US als auch in der nach Sarikara interpretierten BhG be¬
steht also die Gnade des Lehrers in der Anleitung zur Selbsterlösung, indem
er das dazu nötige Wissen durch Unterweisung vermittelt. Die vollständige
Beseitigung der avidyä, um die zutreffende Selbsterkenntnis zu realisieren,
erfolgt jedoch erst nach einem langwierigen Prozeß.
Auch BhG 2.39 21 liegt genau diese Dialogstruktur zwischen Lehrer und
Schüler zugrunde. Im Gegensatz zur Ansicht seiner Gegner, den Jnäna-
karma-samuccaya-vädins, deren BhG-Exegese er im BhGBh u.a. zu wider¬
legen sucht, interpretiert Sahkara den Lehrinhalt der BhG als zwei völlig
unterschiedliche und keinesfalls miteinander zu kombinierende Disziplinen
(vgl. Fn. 26 unten), nämlich die Handlungsdisziplin (karmayoga), die von
Unwissenden (vgl. Fn. 23) und in Aktivität Lebenden (grhastha) so lange
ausgeführt werden müsse, bis diese sich mittels der „Läuterung des fein-
stofflichen Erkenntnisorgans" (sattvasuddbi) für die eigentliche Erlösungs¬
methode, die Erkenntnisdisziplin (jnänayoga), qualifiziert hätten, während
sich Asketen (samnyäsin) unmittelbar der Erkenntnisdisziplin widmen
könnten. 22 Sahkara ordnet damit die Methoden des karmayoga, zu welchen
bedienen könne, nämlich des dhyänayoga. Der endgültig aus dem samsära erlösenden
irmarc-Erkenntnis geht jedoch die Entsagung notwendig voraus (vgl. Fn. 28).
21 efä te 'bhihitä sämkhye buddhir yoge tv imäm srnu \ buddhyä yukto yayä pärtha
karmabandham prahäsyasi (2.39; BhGBh S. 27) „Über das sämkhya ist dir jenes Wis¬
sen (buddhi) mitgeteilt worden, vernimm aber nun dieses Wissen in Bezug auf den yoga,
womit verbunden du, Sohn der Prthä, die Bindung überwinden wirst, die das Handeln
ist." (Übersetzung gemäß Sarikaras Interpretation, vgl. Fn. 24).
22 Einleitung zu BhGBh 5.27 (S. 92, 21-23): samyagdars'ananisthänäm samnyäsinäm
sadyomuktir uktä. karmayogas cesvarärpitasarvabhävenes'vare brahmany ädhäya
kriyamänah sattvasuddhijnänapräptisarvakarmasamnyäsakramena moksäyeti bhagavän
pade pade 'bravld vaksyati ca. „Für Entsager, die in der klaren Sichtweise gefestigt sind,
Göttliche Gnade in Sarikaras Soteriologie? 409
u.a. auch gottesdienliches Handeln gehört, 23 seiner eigenen, asketisch-
gnostischen Erlösungsmethode unter, indem er sie als eine für den jnänayoga
qualifizierende Methode erklärt; dem jnänayoga könne sich jedoch nur ein
samnyäsin widmen. In BhGBh 2.39, nach M. diejenige Textstelle im BhGBh,
welche die zentrale Rolle göttlicher Gnade in Sahkaras Soteriologie belege,
erklärt Sahkara yoga (2.39b) als die Handlungsdisziplin, die im Ausführen
von Handlungen mit dem Zweck bestehe, die Zuneigung Gottes [durch
Verehrung] zu gewinnen. Offensichtlich führt Sahkara hier ein der Hand¬
lungsdisziplin eigentümliches Charakteristikum an. Sahkara deutet Vers
2.39 als Ankündigung Krsnas, Arjuna nun über die Möglichkeit zu unter¬
richten, sich beim Ausführen des karmayoga der durch Handeln bedingten
Vergeltungskausalität zu entziehen. Ein solches Wissen aber ist in der im
BhGBh entwickelten Soteriologie nur für in Aktivität lebende Familienväter
(grhastha) relevant. Sahkara gibt als Bezugswort für das Pronomen imäm
(2.39b) buddhi (Wissen) an und erklärt diese Verwendung - um nicht der
Sache des Jnäna-karma-samuccaya-väda das Wort zu reden - als Zweck der
lobenden Hervorhebung dessen, was unmittelbar anschließend vorgetragen
werden soll, nämlich das Wissen um den karmayoga. Sahkara interpretiert
die Aussageintention in BhG 2.39 folgendermaßen: Weil Arjuna durch die
Gnade des Herrn (d. h. Krsna) das Wissen erreicht, welches ihm ab BhG 2.40
wurde die Erlösung [als] unmittelbare gelehrt. Und ständig lehrte und wird der Herr leh¬
ren, daß die Handlungsdisziplin, die [man] ausführt, indem [man] sie mit seinem ganzen dem isvara dargebotenen Wesen auf das brahman [als] Herrn richtet, in der Reihenfolge von „Läuterung des sattva", [die zum] Erreichen von Erkenntnis [führt und schlie߬
lich dem] Aufgeben aller Handlungen zur Erlösung [dient]." So auch die Einleitung zum 6. adhyäya (S. 94, 4): ... tatra dhyänayogasya bahirangam karmeti yävad dhyäna-
yogärohanäsamarthas tävadgrhasthenädhiknena kartavyam karmety ... „Insofern dort
[in BhG 5.27-29] Handlung als äußerliche Zugabe (d.h. nicht essentieller Teil) der Kon¬
templationsdisziplin gelehrt wird (nach Sahkaras Interpretation !), muß ein grhastha, der [zum Ausführen ritueller Handlungen] qualifiziert ist / Anwartschaft hat, solange Hand¬
lung ausführen, wie es ihm nicht gelingt, die Kontemplationsdisziplin zu erklimmen."
23 BhGBh 2.11 Einleitung (S. 11, 18 - 12, 2): Sarikara nimmt hier bereits vorab auf zwei BhG-Aussagen (3.20, 4.15) Bezug, nach welchen in Aktivität lebende grhasthas,
wie König Janaka, Vollendung (samsiddhi) erreichten. Diese Aussagen müßten jedoch,
so Sarikara, folgendermaßen differenziert verstanden werden: 1. Die besagten grhasthas wußten, wie es sich tatsächlich verhält (tattvavid, i.e. daß der ätman weder von Sub¬
stanz-Qualitäten affiziert werden noch an den Handlungsergebnissen teilhaben kann), dann handelten sie zum Welterhalt (lokasamgrahärtham). 2. Sollten sie nicht tattvavid (atha na te tattvavidafhj ...) gewesen sein, räumt Sarikara die beiden folgenden Mög¬
lichkeiten ein: isvarasamarpitena karmanä sädhanabhütena samsiddhim sattvasuddhim
jnänotpattilaksanäm vä samsiddhim ästhitä janakädayafhj. „[Dann] haben Janaka und
weitere durch gottesdienliches Handeln, das ein Mittel ist, eine Vollendung, welche die .Läuterung des sattva' ist oder eine Vollendung erreicht, die [dadurch] charakterisiert ist,
[daß sie] aus Erkenntnis entstanden ist ..." Ebenso: BhGBh 5.27 Einleitung (Fn. 22).
mitgeteilt werden wird, könne er damit die Karma-Fessel zerstören, 24 also
die an den samsära bindenden soteriologischen Konsequenzen seines Han¬
delns. Nach M.s Verständnis lehre Sahkara demgegenüber hier, daß Un¬
wissenheit unmittelbar durch göttliche Gnade beseitigt werde (S. 355f.) und
daß göttliche Gnade die Ursache zum Erreichen von Wissen sei mit dem
Zweck, die avidyä zu beseitigen. 25 Tatsächlich interpretiert Sahkara hier
aber mit tsvaraprasädanimittajnänapräpteh die Aussageintention von BhG
2.39 folgendermaßen: Krsna wolle Arjuna in der vorliegenden Situation über
die Möglichkeiten des karmayoga unterrichten, also darüber, wie sich der
24 ... sämkhye [=] paramärthavastuvivekavisaye, buddhir [=] jriänam säksäc choka-
mohädisamsärahetudosanivrttikäranam \ yoge tu [=] tatpräptyupäye nihsarigatayä
dvamdvaprahänapürvakam isvarärädhanärthe karmayoge karmänusthäne, samädhiyoge
cemäm [=] anantaram evocyamänäm buddhim srnu \ täm buddhim stautiprarocanärtham
buddhyä yayä [=] yogavisayayä yukto he pärtha karmabandham [=] karmaiva
dharmädharmäkhyo handhab, karmabandhas tarn prahäsyasisvaraprasädanimittajfiäna-
präpter ity abhipräyah (BhGBh S. 27, 11-16) „Uber das sämkhya, [d.h.] über den Lehr¬
gegenstand [bestehend in der zutreffenden] Unterscheidung eines Dinges im Sinne der absoluten Realität; buddhi [bedeutet] Wissen, welches die Ursache zur Beseitigung von Fehlern ist, die den samsära verursachen, [nämlich] offensichtlich Sorge, Verblendung usw.
Aber über den yoga, [d.h.] in Bezug auf das Mittel diese [Ursache zur Beseitigung] zu er¬
reichen, [das ist] die Handlungsdisziplin, die im Ausführen von Handlungen besteht, die den Zweck hat, die Zuneigung Gottes [durch Verehrung] zu gewinnen, [und] der die Ver¬
nichtung von Gegensatzpaaren durch Affektlosigkeit vorausgeht, und dem samädhiyoga, vernimm nun dieses, [d.h.] das Wissen (buddhi), das unmittelbar anschließend [ab 2.40]
gelehrt wird. Dieses [auf die Handlungsdisziplin bezogene] Wissen (buddhi) preist er
zum Zwecke der lobenden Hervorhebung. Mit welchem Wissen, [das] der Gegenstand
des yoga [ist], verbunden du, Sohn der Prthä (= Vokativ), die Handlungsbindung, [d.h.]
genau die Handlung, die als pflichtgemäß und nicht pflichtgemäß bezeichnet wird, ist Bindung, diese wirst du überwinden, weil [du] - veranlaßt durch die Gnade des Herrn (d.h. Krsna) - Wissen erreichst, so ist die Aussageintention." Zum Begriff samädhiyoga:
Dieser findet im BhGhBh nur zweimal Verwendung (2.39 + 4.38). Auch nach BhGBh 4.38
(S. 78, 5) dient er neben dem karmayoga zur Vorbereitung: karmayogena samädhiyogena
ca samsiddhab [=] samskrto yogyatäm äpanno mumuksuh [= yogasamsiddhah]. Samädhi
ist nach BhGBh 2.44 (S. 29, 11) und 2.53 (S. 32, 23) etwas, wo hinein man alles bzw. das Denken versenkt: samädhiyate 'smin ... sarvam bzw. cittam iti samädhih. Nach BhGBh 8.10 werden durch samädhi psychische Eindrücke erzeugt, die Festigkeit im Denken be¬
wirken: ... samädhijasamskärapracayajanitacittasthairya (S. 123, 14).
25 „Thus the ultimate good that divine grace could confer would be the eradication of avidyä. And this is Samkara's expressed teaching in [...] BhGBh 11.39: The final cause of the dawn of liberating knowledge is the grace of the Lord." (S. 381). Damit mag M. in etwa die Ansicht Änandagiris beschreiben: „Woher soll durch die Idee, die das Ausfüh¬
ren von Handlungen zum Gegenstand hat, die Beseitigung der Karmabindung erfolgen?
Denn ohne das Wissen, wie es sich tatsächlich verhält, kann das Karma mitsamt seiner Ursache nicht vernichtet werden. Nachdem er diesen Zweifel vorgebracht hat, antwor¬
tet [Sahkara]: .Isvara'." karmänusthänavisayabuddhyä karmabandhasya kuto nivrttir
na hi tattvajnänam antarena samülam karma hätum s'akyam ity äsahkyäha - isvareti
(BhGBhTl S. 68, 29 - 69, 2).
Göttliche Gnade in Sarikaras Soteriologie? 411
standesgemäß zu aktivem Handeln verpflichtete Arjuna der notwendigen
Vergeltungskausalität aus eben diesem Handeln entziehen könne. Denn um
Unterweisung wurde er von Arjuna in BhG 2.7 (Fn. 18) gebeten. Diese in
der BhG entwickelte und als karmayoga bezeichnete intentionale Ethik ak¬
zeptiert Sarikara jedoch keinesfalls als Erlösungsmethode. Wie nämlich aus
der Einleitung zum 3. adhyäya im BhGBh 26 deutlich wird, werde sie dem
in Aktivität lebenden (grhastha) Arjuna lediglich gelehrt, um die weitere
Ansammlung soteriologisch hinderlicher Wirksubstanz zu vermeiden. In¬
sofern Krsnas Unterweisung für Arjuna relevantes Erlösungswissen bein¬
haltet, entspricht sein Verhalten genau dem, was auch, wie oben gezeigt, in
US II. 2.74 bzw. BhGBh 18.73 als Gnade des Lehrers bezeichnet wird. Sollte
Sahkara dagegen, wie M. vorschlägt, tatsächlich lehren, daß durch göttliche
Gnade die Unwissenheit als solche beseitigt und damit unmittelbar der Weg
zur atman-Erkenntms bereitet würde, wäre doch zu erwarten gewesen,
daß Sahkara dies im Zusammenhang mit der Erörterung der stufenweise
erfolgenden Annäherung an die <i£mtfw-Erkenntnis explizit gemacht hätte.
Gemäß der BhGBh-Erlösungslehre wird nämlich mittels der Methoden
des karmayoga, den sich nur die grhasthas als vorbereitendes Hilfsmittel
zunutze machen können, das zur ^rm^w-Erkenntnis nötige Wissen jedoch
nach der bzw. durch die „Läuterung des feinstofflichen Erkenntnisorgans"
(sattvasuddhi) erreicht, wie u. a. deutlich aus BhGBh 2.11,2.48,2.50,3.4,5.12,
5.26, 13.24 und 18.10 hervorgeht. 27 Daß standesgemäßes Handeln als eine
von mehreren Methoden der Handlungsdisziplin zur Position des Handelns
26 s'ästrasya pravrttinivrttivisayabhüte dve buddhi bhägavata nirdiste sämkhye
buddhir yoge buddhir iti ca | [...] | arjunäya ca „karmany evädhikäras te" „mä te sarigo 'stv akarmani" iti karmaiva kartavyam uktavän yogabuddhim äsritya na tata eva sreyahpräptim uktavän (BhGBh S. 40, 17-22) „Der Herr hat die zwei unterschied¬
lichen Ansichten (buddhi) des [BhG-]Lehrbuches aufgezeigt, deren Gegenstand das
Handeln und Nicht-Handeln ist: die Idee (buddhi) im sämkhya und die Idee im yoga. [...]
Und für Arjuna hat er [mit dem Vers] ,nur auf Handlung besteht deine Anwartschaft [...]
nicht sollst du der Tatenlosigkeit anhängen' (2.47) unter Bezugnahme auf die Idee des yoga gelehrt, daß er ausschließlich Handlung ausführen müsse, jedoch hat er nicht gelehrt, daß genau von da aus das höchste Heil erreicht wird."
27 Dort nimmt Sahkara auf besagte Konzeption mit sattvasuddhija, sattvas'uddhijriäna- präpti bzw. -utpatti Bezug. So erklärt er z.B. naisthikim aus BhG 5.12b folgendermaßen:
nisthäyäm bhaväm sattvasuddhijnänapräptisarvakarmasamnyäsajnänanisthäkrameneti
(BhGBh S. 86, 22-3) „naistbikiht eine [Vrddhi-] Ableitung aus nisthä (Stabilität). [Diese Stabilität erfolgt] durch die Reihenfolge: , Läuterung des sattva', Erreichen von Erkennt¬
nis, Aufgeben aller Handlungen, Erkenntnisposition (bzw. Stabilität im Erkennen)".
Sankara integriert isvaraprasäda etc. nie in eines der mit sattvasuddhi beginnenden Kom- posita, die den kontinuierlichen Reifeprozeß beschreiben, der zur jnänanisthä (Stabilität
im Erkennen/Erkenntnisposition) hinführt und in der Erlösung durch unmittelbare
irmarc-Erkenntnis gipfelt.
(karmanisthä) gehört, die nur für Unwissende oder gezwungenermaßen in
Aktivität lebende Wissende zur Vorbereitung auf die zur Erlösung führende
Position des Erkennens (jnänanistbä) geeignet ist, ist ein zentraler Stand¬
punkt im BhGBh, der keinesfalls ein Eingreifen Gottes in den Reifeprozeß
des Erlösungssuchenden über eine Anleitung zur Selbsterlösung hinaus
beinhaltet. Was dem noch unwissenden grhastha Arjuna in BhG 2.40ff. von
Krsna gelehrt wird, beseitigt dessen Unwissenheit auch nur graduell bzw.
nur hinsichtlich eines für ihn relevanten Aspektes, insofern es - auf der meta¬
physischen Lehre über den wesentlichen Unterschied von rein geistigem
Selbst und materiellem Körper des Menschen aufbauend - nur lehrt, wie
karmische Konsequenzen des durch den svadharma bestimmten Handelns
überwunden werden können. Dieses Wissen könnte Arjuna so von jedem
geeigneten Guru vermittelt werden, wie es in Sahkaras Soteriologie für ge¬
wöhnliche Menschen wohl auch vorgesehen war. Sahkara bringt in seinem
BhGBh durch geschickte Exegese das in der BhG einer vergöttlichten Person
in den Mund gelegte Erlösungswissen in Übereinstimmung mit seiner eige¬
nen Erlösungslehre, die er damit in den Rang göttlicher Offenbarung hebt.
Und genau darauf, nämlich daß sich der mit dem brahman wesensidentische
isvara zur Unterstützung bzw. aus Mitleid mit der Welt dazu entschließt, Er¬
lösungswissen als Anleitung zur Selbsterlösung zu vermitteln, wie Sahkara
zu Beginn des BhGBh erwähnt, 28 bleibt die Möglichkeit göttlicher Gnade
28 Einleitung zu BhGBh 2.11 (S. 9, 5): tayos [seil, samsärabijabhütau s'okamohau] ca
sarvakarmasamnyäsapürvakäd ätmajnänät nänyato nivrttir iti tad upadidiksuh sarva-
lokänugrahärtham arjunam nimittikrtyäha bhagavän väsudevah „as'ocyän" ity ädi „Die Beendigung dieser beidenf, nämlich Sorge und Verblendung, die Keim des samsära sind, erfolgt] nicht anders als durch die Erkenntnis des ätman, welcher das Aufgeben aller
Handlungen vorausgeht. Der Erhabene, Väsudeva, der dies so zur Unterstützung der
ganzen Welt (d.h. für alle Menschen) zu unterweisen beabsichtigt, lehrt [das], indem er
Arjuna zum Anlaß [für die Lehre] genommen hat, [beginnend mit dem Vers 2.11] ,die
nicht Bedauernswerten' usw. (2.11a)." BhGBh Einleitung (S. 1, 11-15): sa ca bhagavän [...] dehavän iva jäta iva ca lokänugraham kurvann iva laksyate \ svaprayojanäbhäve pi bhütänujighrksayä vaidikam hi dharmadvayam [...] upadidesa ... „Und dieser Erhabene [...] ist zu verstehen als ein scheinbar Verkörperter, der - als ob er geboren [wäre] - schein¬
bar Mitleid (alt.: Unterstützung) für die Welt entwickle. Obgleich für ihn selbst kein Zweck vorliegt, lehrte er, indem er beabsichtigte die Lebewesen zu unterstützen, [...] den vedischen, zweifachen [von pravrtti und nivrtti gekennzeichneten] Dharma." M. sieht in dieser Aussage „a tension between affirming a normal human body for Krsna and a mere appearance of such a body" (S. 343). Sahkara scheine diese Frage nach der Beschaffenheit des Körpers von Krsna offen gelassen zu haben (S. 344). Offensichtlich beschränkt Sahkara hier das scheinbare Wirken eines isvara - ganz gleichgültig welche physische Beschaffen¬
heit seiner in Erscheinung tretenden Gestalt zugrunde liegen mag - auf die vyavahära- Ebene, wie er das nochmals in BhGBh 4.6 (sambhavämi [=] dehavän iva bhavämi jäta iva;
ätmamäyayä[=ä]tmano mäyayä [=] naparamärthato lokavat S. 61, 23) verdeutlicht.
Göttliche Gnade in Sahkaras Soteriologie? 413
in Sahkaras BhGBh-Soteriologie beschränkt. Sahkara macht sich also die
der BhG eigentümlichen Ideen über das Wirken eines personifizierten Got¬
tes inklusivistisch zunutze, um damit seine eigene Erlösungslehre mit der
Autorität göttlicher Offenbarung zu stärken. Um die von pravrtti-Idealen
beeinflußte BhG-Erlösungslehre mit seiner eigenen von nivrtti-ldealen be¬
stimmten Lehre in Übereinstimmung zu bringen, muß Sahkara im BhGBh
den BhG-Text entsprechend „zurechtbiegen". Indem er die grundsätzliche
Trennung von Handlungs- und Erkenntnisdisziplin in die BhG hinein
interpretiert, ordnet er damit die in der BhG favorisierte Erlösungslehre,
nämlich sich durch Verzicht auf Handlungsergebnisse bzw. durch Übertra¬
gen dieser auf einen persönlich gedachten Gott (bhakti) von den soteriolo¬
gischen Konsequenzen des eigenen Handelns zu befreien, der Handlungs¬
disziplin zu. Damit wird auch die Idee göttlichen Gnadenwirkens, so wie sie
in der bhakti vorliegen mag, ebenso der Gnoseologie untergeordnet wie die
pravrtti-ldezle eines Lebens in Aktivität. 29 Ein direktes Eingreifen dieses
Gottes in den spirituellen Reifeprozeß, indem er durch einen Gnadenakt
die avidyä als solche beseitigen würde, lehrt Sahkara weder in BhGBh 2.39
noch anderswo im BhGBh. M.s Interpretation von BhGBh 2.39 ist daher als
krasse Fehleinschätzung zu bewerten.
Gemessen an M.s eigenen Behauptungen, wie er sie in der Einleitung zu
seiner Arbeit aufstellt, kann seine Studie indologischen Ansprüchen schon
wegen der aufgezeigten methodischen Mängel nicht genügen. Eine wirk¬
lich indologische Studie hätte sich der Methoden der historisch-kritischen
Philologie bedient. Für textbezogene Untersuchungen bedeutet das, unter
gebührender Berücksichtigung der Qualität der Editionen, zuallererst das
Anfertigen einer philologisch haltbaren Übersetzung, wenn eine solche
nicht bereits von anderen erstellt wurde. Und das trifft gerade im Falle des
BhGBh eben nicht zu. So kann M.s BhGBh-Untersuchung wie er sie in sei¬
ner Studie anbietet, als Beispiel dafür dienen, wie die unkritische Benutzung
29 Wegen dieser exegetischen Kniffe ist bei thematischen Spezialuntersuchungen zum
BhGBh davon abzuraten, ohne Berücksichtigung der von Sahkara bereits eingangs (Ein¬
leitung zu BhGBh 2.11) gesetzten Prämissen einzelne Aussagen im BhGBh zu beurteilen.
So bringt Sahkara im BhGBh die häufigen Huldigungen an die bhakti mit seiner Lehre in Einklang, indem er diese Aussagen als Lob seiner eigenen Erlösungslehre deutet, obgleich diese eigentlich nicht mit der Wa&fz-Soteriologie übereinstimmt. Seine eigene Ansicht zur bhakti-Lehre macht er dagegen in BhGBh 18.66 (S. 271,23) deutlich: hhagavatkarmakärino ye yuktatamä api karmino 'jrläs ta uttarottarahlnaphalatyägävasänasädhanäh. „Diejeni¬
gen, die Handlungen für den Herrn veranlassen, [sind,] auch wenn sie äußerst ergeben sind, Unwissende, die Handlungen ausführen. Sie [benutzen das] Mittel, welches sich im Aufgeben der [Handlungs-]ergebnisse erschöpftf, jedoch] ohne das allerletztef, nämlich
Handlungsaufgabe]."
von unzuverlässigen Übersetzungen ein inadäquates Verständnis nach sich
zieht, aus dem dann notwendig die falschen Schlüsse gezogen werden. Und
das gilt nicht nur für M.s Untersuchung von BhGBh 18.73 (S. 353f.). Für
eine angeblich indologische Arbeit, noch dazu für eine solche, deren Ergeb¬
nis einen guten Teil des bisherigen indologischen Wissens über Sahkaras
soteriologische Konzeptionen revisionsbedürftig werden lassen soll, wie M.
meint, fehlt ihm erkennbar das philologische Rüstzeug. M.s Studie erweckt
vielmehr den Eindruck eines methodisch gewagten, hinduistisch-christlich
interreligiösen Dialogs, oder einer spekulativen Reinterpretation der Phi¬
losophie Sankaras mit der Absicht, sie den Ideen christlicher Soteriologie
anzunähern. Ein solider Beitrag zur Erlösungslehre Sahkaras, errichtet auf
einem zuverlässigen Fundament, kann sie nicht sein. Allem Anschein nach
sucht M. nach einem Gnaden-Konzept, das seiner eigenen Denkvorausset¬
zung entsprechen mag, jedoch in Sarikaras Soteriologie so gar nicht vorliegt.
Aber nicht nur methodisch weist M.s Arbeit elementare Mängel auf, son¬
dern auch was die Sorgfalt im Erstellen des Manuskriptes betrifft, das vor
der Publikation einer gründlichen Korrektur durch einen des Sanskrit Kun¬
digen bedurft hätte, wie an den unzähligen Fehlern in den aus dem BhSüBh
transliterierten Textstellen deutlich wird (Fn. 14 oben). Daß er sich mit sei¬
ner Studie insgesamt auf ein fragwürdiges Experiment eingelassen hatte, ist
ihm scheinbar doch bewußt geworden, was er anläßlich der abschließenden
Zusammenfassung der Ergebnisse seiner Studie durchblicken läßt:
„Such an endeavor [i.e. to reflect on Samkara's grace-articulations as a whole]
may appear to some to be a questionable undertaking. For, as has been amply
shown in the previous chapters, Samkara himself offers practically nothing in
the way of a systematic approach to the question of divine grace and mercy,
and perhaps deliberately so." (S. 377).
Abkürzungen
BÄUBh Brhadäranyaka Upanisad
BhG Bhagavadgitä
BhGBh BhagavadgTtäbhäsya
BhGBhTT
Bhagavadgltäbhäsyatlkä
BSü Brahmasütra
BSüBh Brahmasütrabhäsya
GauKä Gaudapädlyakärikä
US Upadesasähasrl
Göttliche Gnade in Sarikaras Soteriologie? 415
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BhGBhTT
BSüBh
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Eine Gegen-Geschichte des Sultanats Banten
Vergangenheitsbewältigung in westjavanischen Erzählungen
über den verborgenen Herrscher Hadschi Mangsur
Von Edwin Wieringa, Leiden
Im November des Jahres 1808 erlebte Marschall Daendels seine große
Stunde. Gegenüber seiner Forderung an das westjavanische Sultanat Banten,
eine Flottenbasis am Möwenbai in der Sunda-Straße anzulegen, hatte sich
der dortige Sultan bislang immer ausweichend verhalten. Da zum großen
Ärger des niederländischen Marschalls die Arbeit nicht vorankam, ließ er
am 10. November seinen Kommandanten dem Sultan ein Ultimatum über¬
geben, in dem er mit Krieg drohte, falls die drei folgenden Forderungen nicht
erfüllt werden sollten: Die Auslieferung des Großwesirs, der zu keiner Ko¬
operation mit den Holländern bereit war; der tägliche Einsatz von tausend
Kulis für die Hafenarbeit und die Verlegung des Sultanpalastes nach Anyer.
Der Sultan reagierte voller Wut auf diese Demütigung: Der Kommandant
und sein Gefolge wurden ermordet und ihre Leichen ins Meer geworfen.
Sobald Daendels davon am 15. November erfuhr, zog er persönlich mit
seinen Truppen nach Banten. Die Stadt wurde umzingelt und nach einigem
Zögern gewährte der Sultan Daendels Einlaß in seinen Palast. Daendels
ging direkt auf ihn zu und als der Sultan sich vom Thron erhob, um ihm
die Hand zu reichen, ergriff Daendels die dargebotene Hand, schob den
Sultan beiseite und nahm dessen Stelle auf dem Thron ein. Als symbolische
Amtsenthebung war diese Geste eindeutig genug, zudem aber soll Daendels,
als er sich hinsetzte, auch noch laut und deutlich gesagt haben: „Nun bin ich
Sultan!" Der Palast wurde geplündert, der Großwesir erschossen und seine
Überarbeitete und erweiterte Fassung eines auf dem „XXVIII. Deutschen Orienta¬
listentag" in Bamberg (26.-30. März 2001) gehaltenen Vortrags. Frau Dr. S. Dorpmüller und Herrn Drs. J.P.M. van de Pasch möchte ich herzlich für die Korrektur meines Auf¬
satzes danken.
1 Für Kurzdarstellungen von Daendels' Rolle bei der Auflösung des Sultanats Banten, siehe van "t Veer 1983, S. 147-149 und de Graaf 1949, S. 368.
2 „Het volk van Bantam deelt in de sultanaatsmystiek en voelt de aantasting ervan als een verstoring van de natuurlijke orde der dingen, als een aanslag op de eigen persoonlijk- heid" (Van 't Veer 1983, S. 150).