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S Das Salz der Erde

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Academic year: 2022

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chon am Morgen war klar, dass der heutige Tag gesalzen sein würde. Oder eben nicht. Das Birchermüesli schmeckte trotz vieler frischer Früchte fade, und als ich zum Salzfass greifen wollte, war Letzteres nicht auf dem Tisch. «Schahaaatz, bringsch es Salzfässli uuse?», rief ich in die Küche.

Meine bessere Hälfte kam ins Esszimmer, setzte sich seufzend hin und begann, ihre halbe Grapefruit zu filetieren. «Nein!», sagte sie, mit leicht säuerlichem Gesichtsausdruck, der aber sicher nur eine Folge des ersten Pampelmusenschnitzes war, welchen sie ge- rade in den Mund geschoben hatte. «Bei uns wird es ab heute kein Salzfass mehr auf dem Tisch geben!», kündigte sie an. «Zu ungesund. Herr und Frau Schwei- zer bringen sich mit ihrem Salzkonsum um!» «Ach was», widersprach ich, «die durchschnittliche schweizerische Lebenserwartung ist hoch in den Achtzigern!» «Das sind nur die Menschen, die salzarm leben!», rief meine Frau. «Hast du denn nicht das ‹Swiss Medical Forum›

gelesen? Salz führt zu Hirnschlag, Herzinfarkt, ver - ursacht und unterhält den hohen Blutdruck und ist für jede Menge anderer Varianten schrecklicher Todes - arten verantwortlich. Daher habe ich mich dazu ent- schlossen, dass wir ab heute gesund essen. Salzarm!»

Ich erstarrte. Nicht etwa wie seinerzeit Lots Weib, das die begehrenswerte Form einer Salzsäule annahm.

Sondern wie ein älterer Schweizer Hausarzt, dem man eine preiswerte Freude nehmen will: Salzen!

Es gibt doch nichts, was nicht mit einer Prise Salz noch köstlicher wäre. Sogar in süsse Rührkuchen geben erfahrene Bäckerinnen noch ein bisschen Salz. «Wie stellst du dir das vor?», begehrte ich auf. «Nicht mehr nachsalzen?» «Nein. Und auf alle salzhaltige Sachen verzichten», verkündete meine Liebste. Ein kulinari- sches Ödland tat sich vor mir auf. Keine Salzheringe mehr, kein Bacalao, kein Schüfeli, kein Kassler, kein Bündnerfleisch, keine Salzgurken, kein rezenter Käse, nichts mehr in Salzkruste Gegartes, kein Pökelfleisch mehr … Ich seufzte. «Aber wir können doch gar nicht mehr jung sterben!», versuchte ich zu verhandeln. «Wir sind bereits über fünfzig. Und alle in unseren Familien sind uralt geworden.» «Sie leben halt gesund!», wandte meine bessere, salzlosere Hälfte ein. «Speziell dein Vater und dein Schwiegervater, gell?», keifte ich los – vermutlich eine Folge des Salzentzugssyndroms. «Sau- fen und fressen tun sie, Stumpen rauchen sie, und kör- perlich angestrengt haben sie sich noch nie. Und sind beide über neunzig!» «Statistische Ausreisser!», mur- melte meine Frau. «Apropos Statistik …», versuchte ich den intellektuellen Weg. «Ganz schön simpel, die

ANOVA in diesen Studien im ‹Swiss Medical Forum›.

Da wird dem Bias doch Tür und Tor geöffnet. Die gehen kein bisschen auf die anderen Risikofaktoren der Salz - esser ein. Wissenschaftlich sind die Aussagen absolut nicht haltbar. Grotesk, dass die kardiovaskulären Er- krankungen und die relativ frühen Tode nur vom Salz kommen sollen. Das glaubt doch kein vernünftig den- kender Mensch!» «Aber es heisst schon sei Jahren, dass Salz ungesund ist!», schaltete sich meine MPA ein, die heute ein Schoggiweggli statt ihres sonstigen Sil- serlis als Znüni mitgebracht hatte. «Das hiess es auch seit Jahrhunderten über Masturbation und heisse Wannen- bäder!», bellte ich. MPA und Ehefrau schwiegen betre- ten. «Und überhaupt – das Jod und das Fluor! Wichtige Stoffe, mit denen unser gutes schweizerisches Salz an- gereichert ist! Und Aromat – ein Pfeiler der Schweizer Wirtschaft. Wollt Ihr all das vernichten? Und mich un- glücklich machen?», flehte ich, denn die Mittagszeit rückte näher, und ich fürchtete mich vor salzloser Kost.

«Du wirst dich dran gewöhnen!», war die herzlose Reaktion. Ich überlegte, einen gesalzenen Leserbrief an den EMH-Verlag zu schreiben. Die schweizerische Salzindustrie zu sensibilisieren. Oder in Möhlin Asyl zu beantragen, diesem kleinen aargauischen Städtchen, welches stolz auf seine Salinen ist und in welchem das grösste Salzlager Europas von einer klugen Ge- meindepräsidentin angelegt wurde. Man sollte sie zur Bundesrätin wählen, eine der letzten Verteidigerinnen des Menschenrechts auf Salz. Abends kam im TV ein Bericht über das Tote Meer. Ich zappte weg, weil mir das Wasser im Munde zusammenlief, kam in eine Koch- sendung mit Jamie Oliver, der gerade eine Handvoll Gros Sel über eine Dorade streute. Weiter zappen, auf D-Max. Da fuhren sie Rennen auf dem Salt Lake. Weiter zappen, ins SRF. Dort forderte ein Schnitzelbangg,

«Die Gsalzene», in den Bundesrat gewählt zu kommen.

Von mir aus gerne, wenn sie mir mein Salzmonopol erhalten. Doch glücklicherweise wird alles cum grano salis gegessen – so auch die Salzfrage. Als mich meine Frau nachmittags beim Verzehr einer Grosspackung Salzstangen in flagranti ertappte, lenkte sie ein. «Isst du das denn sooo gerne?», fragte sie mich eindringlich.

«Ja!», sagte ich traurig. «Und dafür gebe ich auch gerne ein paar Jahre meines Lebens. Aber die vor- her gerne gesalzen, meine Süsse!»

«Genuss geht vor!», entschied sie und stellte das Salzfässli wieder auf den Tisch.

Das Salz der Erde

A R S E N IC U M

S

MEDIEN, MODEN, MEDIZIN

176

ARS MEDICI 4 2014

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