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Die Erhaltungs- und Forschungssituation unter den west- und nordpontischen Wand- bzw.

Deckenmalereien spätklassischer bis hellenistischer Zeit stellt sich im Verhältnis zu der anderer Regionen, vor allem der griechischen Gebiete346, wesentlich ungünstiger dar. Trotzdem haben sich im Untersuchungsgebiet ausreichend Malereien in einer über den fragmentarischen Zustand hinausgehenden Form erhalten, die gemeinsam mit den durch frühere Forschungen überlieferten Beispielen ein charakteristisches Bild der malerischen Wandgestaltung im nördlichen und westlichen Pontusraum wiedergeben.

Die Wände unterteilt eine malerische Gliederung in Zonen, deren Anzahl, Reihenfolge und Gestaltung bei den Einzelbeispielen variieren. In diese Gliederungen können florale und ornamentale Motive sowie figurale Szenen eingebunden sein. Letztere schließen sich den Wandmalereien teilweise unmittelbar auf den Lünettenbereichen oder Decken der Räume an.

Die typologische Untersuchung der nord- und westpontischen Wände unter dem Gesichtspunkt des Wandaufbaus lässt eine Unterscheidung in vier Typen unterschiedlicher Dekorationssysteme zu – Zweizonige Wände (Typus I), Einfacher Zonentypus (Typus II), Zonentypus mit architektonischer Gliederung (Typus III), Quaderwandtypus (Typus IV). Die Wandgliederungssysteme vermitteln für den west- und nordpontischen Raum ein relativ einheitliches Bild, d. h. regionale Unterschiede zwischen West und Nord können nur bedingt festgestellt werden: Es fällt lediglich eine Bevorzugung der Dekorationstypen I und IV im nordpontischen Gebiet auf. Des Weiteren weisen die Wände keine Anzeichen für stilistische Veränderungen innerhalb der Wandgliederungssysteme während des relevanten Zeitraumes vom Ende des 4. Jh. v. Chr. bis zum Ende des 1. Jh. v. Chr. / Anfang des 1. Jh. n. Chr. auf. Die Wandgliederungen der Typen I bis IV zählen in mehr oder weniger stark abgewandelter Form zu den üblichen Dekorationssystemen klassischer bis späthellenistischer Räume in Gebäuden der griechischen bzw. griechisch-makedonischen Region, Kleinasiens, Alexandriens u.s.w. Die nord- und westpontischen Gliederungssysteme weisen nur gelegentliche Variationen bei der Ausführung einzelner Elemente und darüber hinaus keine Unterschiede zu den entsprechenden Beispielen o. g. Gebiete auf.

Ähnliches gilt für die ornamentalen und floralen Elemente nord- bzw. westpontischer Malereien.

Bis auf wenige Ausnahmen existieren für diese in Ausführung und Verwendungszusammenhang vergleichbare Beispiele auf gleichzeitigen Wandmalereien o. g. Regionen. Das heißt, die nord- und

346 Als Beispiel seien hier die zahlreichen Funde der Stadt Delos erwähnt – Bulard, a. O.; Bruno a. O.; Scheibler.

westpontischen Malereien zeigen lediglich Variationen der in anderen Regionen üblichen ornamentalen und floralen Dekoration. Die ornamentalen und floralen Motive auf den nord- bzw.

westpontischen Wänden kommen sowohl als Einzelornamente als auch in Friesform vor und sind z.

T. in die Wandgliederungen eingebunden. Bei Existenz figuraler Darstellungen dienen sie häufig zu deren Betonung und Rahmung. Hinsichtlich ihrer Ausführung und Platzierung lassen sich kaum Unterschiede zwischen nord- und westpontischen Malereien feststellen: Nur eine bestimmte Kombination ornamentaler Elemente – der Fries, bestehend aus Girlanden und Antefixen -konzentriert sich ausschließlich in der nordpontischen Region. Die ornamentalen und floralen Motive sowohl des nord- als auch des westpontischen Raumes besitzen auf Grund ihrer hauptsächlichen Fundorte in Gräbern zum großen Teil einen thematischen Bezug zum sepulkralen Bereich, zu Grabkult, Jenseits- und Unsterblichkeitsvorstellungen, gelegentlich ergänzt durch Bildkürzel für menschliche Tugenden, z. B. den agonalen Erfolg (Kat. Nr. n6, Taf. 46). Auf den Malereien der griechischen und griechisch geprägten Regionen erscheinen diese Motive ebenfalls im sepulkralen Bereich mit vergleichbarer inhaltlicher Bedeutung, aber darüber hinaus mit abweichender Bedeutung in Gebäuden und Räumen nicht sepulkralen Charakters. Demzufolge handelt es sich bei den auf west- und norpontischen Malereien entdeckten Ornamenten um auch außerhalb der Untersuchungsregion gebräuchliche Motive von polyvalentem Inhalt, deren Deutung vom jeweiligen architektonischen Verwendungszusammenhang und der übrigen Dekoration abhängig ist.

Figurale Darstellungen bilden auf zahlreichen nord- und westpontischen Wand- bzw.

Deckenmalereien die zentralen Blickpunkte. Sie zeigen erheblich deutlicher Unterschiede zwischen nord- und westpontischen Malereien und setzen sich wesentlich stärker von den griechischen (und griechisch geprägten) Malereien ab als die Wandgliederungssysteme oder die ornamentalen bzw.

floralen Dekorationselemente. Charakteristisch für die stilistische Ausführung der nordpontischen Malereien auf der einen Seite ist ein vorwiegend statischer Gesamteindruck, hervorgerufen durch Verwendung von wenigen unterschiedlichen Figurenansichten und wenigen, schwachen Bewegungsmotiven sowie durch die zahlreiche Figuren und Gesamtdarstellungen prägende Frontalität. Ergänzt wird dies bei den Einzelfiguren mittels einer konsequenten Anwendung der durchgehenden Umrisszeichnung sowie einer erheblichen quantitativen Beschränkung der künstlerischen Mittel zur Wiedergabe von Räumlichkeit (wie Farbabstufungen, Schattenangaben, Schraffuren). Auf der anderen Seite kennzeichnet die westpontischen Maler ein deutliches Streben nach der Wiedergabe von mehr Bewegung und Räumlichkeit bei den einzelnen Figuren, das sie durch eine variablere und vermehrte Anwendung von unterschiedlichen Figurenansichten,

Farbabstufungen, Schraffuren, Schatten-, Lichtangaben u. ä. erreichen. Auch die Kompositionsweise trennt nord- und westpontische Bilder. Während nordpontische Malereien häufig einzelne, voneinander unabhängige Figurengruppen in unterschiedlichen Ebenen des Bildraumes zeigen, entwickeln sich westpontische figurale Szenen ausschließlich in einer Ebene und bieten als beliebteste Variante eine Dreiteilung der Figurenkomposition. Westpontische Kompositionen sind in sich geschlossen und deren Figuren aufeinander, nicht auf den Raum bzw.

auf den Betrachter bezogen. Im Gegensatz dazu können nur bei wenigen westpontischen Malereien (z. B. Kat. Nr. n2 und n9) unmittelbare Bezüge zwischen den einzelnen Figuren festgestellt werden.

Sie sind in der Mehrheit auf den Betrachter ausgerichtet. Bezogen auf ihre Ausführung sind den nord- und westpontischen Malereien das vereinzelte Vorkommen verschobener Körperproportionen bei menschlichen Figuren sowie die künstlerischen Einflüsse griechischer bzw. griechisch-makedonischer Herkunft gemeinsam. Letztere drücken sich besonders bei den Mitteln zur Darstellung von Räumlichkeit aus und prägen die westpontischen Beispiele in einem erheblich stärkeren Ausmaß als die nordpontischen Malereien. Nordpontische Figurenszenen weisen mit ihrer Linearität und Frontalität intensivere Bindungen zur künstlerischen Tradition des östlich gelegenen parthischen bzw. altorientalischen Raumes auf.

Die figuralen Szenen der nord- bzw. westpontischen Region geben Darstellungen von männlichen und weiblichen Lebenswelten, von kultischen Handlungen, von Gelagen, von Prozessionen, von Kampf und Jagd sowie von mythologischen Geschehnissen wie dem Raub der Persephone und der Geranomachie wieder. Kampf- und Jagdszenen erscheinen nur auf westpontischen Malereien.

Mythologische Bilder haben sich nur im nordpontischen Raum erhalten. Zeigen nord- und westpontische Malereien das gleiche Thema, unterscheiden sie sich deutlich in der Umsetzung, d. h.

in Komposition, Wahl und Kombination einzelner Motive. Alle vermitteln bestimmte gesellschaftliche und persönliche Normen und geben Auskunft über soziale Strukturen, Weltsicht, Selbst- und Fremdbilder der jeweiligen Künstler oder Auftraggeber. Die gewählten Themen sowohl der erhaltenen west- als auch der nordpontischen figuralen Malereien dominieren vor allem zwei Aspekte: Zum einen die Absicht der Heroisierung bzw. Vergöttlichung des Bestatteten mit Hilfe aus der Heroen-, Götter- und Herrscherikonographie entlehnter Elemente sowie die Demonstration und Verstärkung seines hohen sozialen Status innerhalb einer stark differenzierten Gesellschaft durch Betonung und bildlich-symbolhafte Umsetzung von prestigeträchtigen Dingen und Fähigkeiten bzw.

Tugenden wie Reichtum, Vornehmheit, militärischer und agonaler Erfolg; zum anderen Unsterblichkeits- und Jenseitsvorstellungen, d h. mit dem sepulkralen Bereich verbundene Gedanken.

Bei der Betrachtung der dargestellten Themen und Inhalte sowie der Wahl einzelner Motive kann die oben beschriebene Teilung von einerseits stärker griechisch beinflußten westpontischen Malereien und den andererseits altorientalische Einflüsse aufweisenden nordpontischen Figurenszenen aufrecht erhalten werden. Allerdings verwischt hierbei die Grenze, da Maler beider Regionen Motive verwenden, die mit vergleichbarem Erscheinungsbild und ähnlicher inhaltlicher Bedeutung auf Denkmälern sowohl des Untersuchungsgebietes als auch der westlich-griechischen und der östlich-orientalischen Region über einen langen Zeitraum gebräuchlich waren. Besondere Aufmerksamkeit verdient in dieser Hinsicht das Reitermotiv. Eine zeitlich umfassendere und Denkmäler übergreifende Untersuchung des in der nord- und westpontischen künstlerischen Tradition beliebten Motivs könnte interessante Erkenntnisse zu bestimmten sozialen und religiösen Vorstellungen sowie zu deren Entwicklung und Veränderung und des Weiteren zu kulturellen und künstlerischen Verbindungen zwischen den im Untersuchungsgebiet siedelnden Völkern liefern.

Eine ergänzende Analyse des Motivs auf Denkmälern der benachbarten Regionen und der eventuellen gegenseitigen Transfer- und Rezeptionsprozesse wäre in diesem Zusammenhang sicher sinnvoll und eine m. E. lohnenswerte Erweiterung bzw. Weiterführung dieser Arbeit.

Trotz der Unterschiede zwischen den nord- und westpontischen Malereien vereint diese ein wesentliches Merkmal: Die Verwendung künstlerischer Einflüsse, Motive und Elemente unterschiedlicher regionaler Herkunft. Die nord- und westpontischen Maler übernehmen jene jedoch nicht in deren ursprünglichem Erscheinungsbild und inhaltlicher Bedeutung, sondern wandeln sie entsprechend ihren auf lokalen Vorstellungen und künstlerischen Traditionen beruhenden Bedürfnissen ab und kombinieren sie mit einheimischen Motiven und Elementen anderer Regionen.

Auf diese Weise erschließen sich dem Betrachter im nord- und westpontischen Raum Malereien, die während der spätklassischen und hellenistischen Zeit in ihrem Erscheinungsbild einzigartig sind.

Die Freiheit im Umgang mit fremden Einflüssen, einem wesentlichen Charakteristikum hellenistischer Kunstäußerungen Griechenlands, Italiens, Kleinasien, Alexandriens u. a., vereint die west- und nordpontischen Wand- bzw. Deckenmalereien wiederum mit der hellenistischen Malerei o. g. Regionen.

Abschließend bleibt zu hoffen, dass die geplante Fortsetzung der Grabungen in der Kasanlakregion neue Wandmalereien ans Tageslicht und die Öffentlichkeit bringt, die das Bild der westpontischen Malerei durch weitere Beispiele ergänzen und möglicherweise verändern sowie neue Erkenntnisse zur Stellung der westpontischen innerhalb der hellenistischen Malerei liefern könnten.