• Keine Ergebnisse gefunden

Symbol- und Abkürzungsverzeichnis

1 Zusammenfassung

Der steigende Automatisierungsgrad in biotechnologischen und chemischen Syntheseverfahren geht einher mit einer systematischen, risikobasierten Prozessentwicklung und einem ausgepräg-ten Prozessverständniss im Sinne des Quality-by-Design-Ansatzes. Aus diesem Grund wurden in den letzten zehn Jahren vermehrt „Software - Sensoren“ zur Ermittlung von Prozessgrößen in Echtzeit entwickelt und eingesetzt. Dazu kommen häufig spektroskopische Methoden oder die Messung der Schallgeschwindigkeit in Kombination mit Sensormodellen zum Einsatz. Die Auswertung von thermischen Informationen über die Reaktionskalorimetrie liefert ebenfalls über die zeitliche Änderung der Temperaturen gewünschte Prozessinformationen wie z.B. den thermischen Umsatz der Reaktion. Obwohl die kontinuierliche Messung des thermischen Um-satzes relativ einfach für alle industriell bedeutsamen Syntheseverfahren realisierbar ist, gibt es kaum Ansätze, Prozessgrößen online aus thermischen Informationen mittels Prozessmodellen zu ermitteln. Weiterhin haben klassische reaktionskalorimetrische Methoden im Einsatz als online - Messmethode den Nachteil, dass nur ein summarischer Wert für die Reaktionsleistung bestimmt werden kann. Somit sind Rückschlüsse auf die individuellen Umsätze einzelner Stoffspezies nicht möglich.

Im Zusammenhang mit der Entwicklung von Software-Sensoren sind in der technischen Che-mie modellbasierte Zustandsschätzer, die auf Basis von physikochemischen Gesetzmäßigkeiten über die Abbildung eines Prozessmodells aus eingehenden Messgrößen gewünschte Prozessin-formationen modellieren, weit verbreitet. Ziel dieser Arbeit war es daher, einen modellbasierten Zustandsschätzer zu entwickeln, der auf Basis der isothermen Wärmeflusskalorimetrie nicht messbare Prozessgrößen aus thermischen Informationen online modellieren kann. Dazu musste zunächst geklärt werden, welche Einflüsse die Ungenauigkeiten der Modellparameter (z.B.

Wärmeübergangszahl zwischen Mantel und Reaktor oder Wärmekapazität der Reaktions-masse) auf die Güte der modellierten Prozessgrößen haben. Ein weiterer wichtiger Aspekt war die Untersuchung des Einflusses von Störungen in Form von Signalrauschen und systemati-schen Abweichungen der thermisystemati-schen Informationen auf die quantitative Identifizierbarkeit des Prozessmodells. Abschließend sollte ermittelt werden, ob der Einsatz des entwickelten modell-basierten Zustandsschätzers zur Optimierung der Umsatzgeschwindigkeit und der Einstellung von Produkteigenschaften durch die Überwachung und Regelung von Prozesssteuergrößen (z.B. Reaktortemperatur und Feedströme) mittels PID - und Fuzzy - Reglung in ausgewählten Reaktionssystemen geeignet ist.

Um den Zugriff auf alle Mess-, Regel- und Steuergrößen eines Reaktionskalorimeters zu erhal-ten, wurde im Rahmen dieser Arbeit ein Versuchsreaktor mit einem Nennvolumen von einem Liter aufgebaut und mit einer selbstentwickelten Labview Anwendung betrieben. Anhand der Durchführung geeigneter Testreaktionen in isothermer Betriebsart wurden anschließend

wich-Zusammenfassung 2 tige Validierungsparameter des Reaktionskalorimeters mittels Wärmeflusskalorimetrie mit ge-eigneten statistischen Methoden ermittelt. Dabei konnte in verschiedenen Reaktionsansätzen eine Wiederholpräzision von 0,5 kJ/mol bei einer Wiederfindungsrate von 98 % erreicht wer-den. Weiterhin wurde für die Empfindlichkeit des kalorimetrischen Messsystems ein quantifi-zierbarer Wärmestrom von 0,5 Watt erreicht. Im nächsten Schritt wurden vier unterschiedliche Reaktionssysteme kalorimetrisch in batch und semibatch Betrieb im selbst konstruierten Reak-tor untersucht. Ziel war hierbei, geeignete experimentelle Daten für den Aufbau und die Vali-dierung des Prozessmodells innerhalb des zu entwickelnden modellbasierten Zustandsschätzers zu erhalten. Über den Einsatz der Modellierungssoftware PREDICI® 11 wurden dann aus der Literatur geeignete kinetische und thermodynamische Modelldaten in ein Reaktionsmodell hin-terlegt. In Verbindung mit den vorher ermittelten Reaktorkenndaten (Wärmedurchgangszahlen, Reaktorgeometrien) wurde dann die quantifizierbare Identifizierbarkeit des Prozessmodells mittels Residualanalyse durch den Vergleich zwischen modellierten und gemessenen Messgrö-ßen ermittelt. Für alle vier Reaktionssysteme wurden beispielsweise Abweichungen zwischen den modellierten und gemessenen Wärmeströmen zwischen 3 bis 9 Watt erreicht. Die Ergeb-nisse liegen im Bereich der Genauigkeit der vorher untersuchten kalorimetrischen Messungen.

Auf Grundlage der zuvor entwickelten und validierten Prozessmodelle für die untersuchten Re-aktionssysteme wurde durch die Kopplung der Modellierungssoftware PREDICI® 11 mit der Entwicklungsumgebung LabVIEW® 2013 der modellbasierte Zustandsschätzer entworfen.

Durch einen selbst entwickelten OLE - Schnittstellenkonverter gelang es, die eingehenden Messdaten des kalorimetrischen Systems in Labview zu verarbeiten und dann mittels Interak-tion mit PREDICI® in das Prozessmodell zu übertragen. Durch die geringe Latenzzeit von ma-ximal 900 ms können somit die gewünschten nicht messbaren Prozessdaten in Echtzeit bereit-gestellt werden. Die Übertragung der Informationen zwischen dem kalorimetrischen Messsys-tem und dem modellbasierten Zustandsschätzer erfolgte hierbei über eine Netzwerkschnittstelle bidirektional. Durch die Integration von Regelstrecken (z.B. Fuzzy - Regler) im modellbasier-ten Zustandsschätzer konnmodellbasier-ten verschiedene Steuergrößen innerhalb des Prozessmodells über-wacht und optimiert werden. Hierbei gelang es, die Ungenauigkeiten wichtiger Modellparame-ter (z.B. Wärmekapazität der Reaktionsmasse) durch eine Modellrückführung während der Zu-standsschätzung zu optimieren. Dadurch war es möglich, den Wärmeübergangskoeffizienten in Abhängigkeit der Temperaturänderung im Reaktor und der stofflichen Veränderung der Reak-tionsmasse gegenüber der klassischen kalorimetrischen Auswertung genauer zu ermitteln. So-mit konnten Abweichungen zwischen dem thermischen und analytischen Umsatz im Mittel auf zwei Prozent reduziert werden.

Es konnte weiterhin gezeigt werden, dass der modellbasierte Zustandsschätzer durch die Instal-lation zweier unabhängig arbeitender Regelkreise zur Überwachung und Regelung des

thermi-Zusammenfassung 3 schen Umsatzes eines semibatch - Versuches geeignet ist. Durch die Rückführung der Steuer-größen Feedstrom und Rührerdrehzahl zum Reaktionskalorimeter gelang es hierbei die Raum-zeitausbeute um 60 % zu optimieren. Gleichzeitig wurde durch die Veränderung der Rührer-drehzahl eine Anpassung des konduktiven Wärmestroms zwischen Mantel und Reaktionsmasse erreicht. Somit gelang es, die Reaktortemperatur schneller auf den gewünschten Sollwert ein-zustellen. Abschließend wurde der modellbasierte Zustandsschätzer zur Überwachung und Re-gelung einer Lösungsmittelpolymerisation von Methylmethacrylat in Toluol erprobt. Hierbei konnte gezeigt werden, dass die Einstellung des massenmittleren Polymerisationsgrades mittels P-Regler durch Anpassung der Zugabe an Initiator und Veränderung der Reaktortemperatur während der Dosierung auf einen konstanten Wert möglich ist. Der Einsatz eines P-Reglers zur Überwachung der Regelstrecke führte jedoch zu einer Überschwingung der Steuergrößen. Da-her ist zu prüfen, ob der Einsatz eines komplexeren Regelsystems (z.B. Fuzzy - Regler) für den Einsatz des modellbasierten Zustandsschätzers bei Polymerisationsreaktionen nicht besser ge-eignet ist. Des Weiteren sollte untersucht werden, welchen Einfluss die Komplexität des Pro-zessmodells auf die Latenzzeit der Modellierung der gewünschten Prozessgrößen während der Zustandsschätzung hat.

Summary 4