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7.7. Zusammenfassung, Limitierungen und

Die vorliegende Arbeit versuchte neuronale Korrelate der sprachlichen Störung des Dysgrammatismus zu untersuchen. Dabei wurde der Fokus auf sprachperzeptive Pro-zesse im Hinblick auf Grammatikalität und semantische Konsistenz von Sätzen gelenkt.

Dazu wurden Probanden grammatische, ungrammatische und semantisch inkonsistente Sätze akustisch dargeboten, wobei die Probanden die Aufgabe hatten, diese drei As-pekte zu beurteilen. Des weiteren wurden dazu drei Gruppen von Probanden untersucht:

Erwachsene, gesunde Kontrollkinder und dysgrammatische Kinder.

In einem ersten Schritt wurde untersucht, ob das verwendete Paradigma zur Aktivierung ähnlicher neuronaler Netzwerke in allen drei Versuchspopulationen führte.

Dabei zeigte sich ein mit der Literatur konformes Netzwerk aus frontalen, temporalen, parietalen und okzipitalen Aktivierungen, das mit sprachperzeptiven Prozessen assozi-iert werden kann. Das aktivassozi-ierte Netzwerk war bei den gesunden Erwachsenen am stärksten ausgeprägt. Ein Grund dafür könnte eine größere interindividuelle neuroana-tomische Variabilität bei Kindern im Vergleich zu den Erwachsenen darstellen. Aller-dings waren nur bei den Erwachsenen Aktivierungen in hauptsächlich temporalen und frontalen Arealen zu beobachten, die speziell mit der Prozessierung von grammatisch

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und semantisch korrekten Sätzen in Verbindung gebracht werden konnten. Der Tatsa-che, dass ähnliche Unterschiede innerhalb der Gruppe der Kontrollkinder nicht signifi-kant wurden, könnte ebenfalls eine zu große interindividuelle neuroanatomische Va-rianz zugrunde liegen. Zusätzliche erhöhte interindividuell verschiedene Aktivierung in Arealen, die für Aufmerksamkeit, Gedächtnis und Arbeitsgedächtnis verantwortlich sind, könnten ebenfalls als Grund dafür angeführt werden, dass kein Unterschied zwi-schen den Bedingungen gefunden werden könnte.

Interessanterweise zeigten die dysgrammatischen Kinder Unterschiede bei der Prozessierung grammatischer und semantischer Information, die vor allem in Arealen vorkamen, die im Zusammenhang mit Aufmerksamkeit, Gedächtnis und Arbeitsge-dächtnis erwähnt werden. Das könnte eine erhöhte Prozessierungskapazität bei der Durchführung der Aufgabe widerspiegeln. Die Beurteilung ungrammatischer Sätze vglichen mit grammatischen oder semantisch inkonsistenten Sätzen führte zu keiner er-höhten Aktivierung bei den dysgrammatischen Kindern. Dieser Effekt könnte sich auch in einer Interaktion zwischen der Aktivierung der Kontrollkinder und der dysgrammati-schen Kinder widerspiegeln. Dabei zeigten die gesunden Kinder mehr Aktivierung in aufmerksamkeits–, gedächtnis– und arbeitsgedächtnisassoziierten Arealen bei der Be-urteilung grammatischer und ungrammatischer Sätze verglichen mit semantisch inkon-sistenten Sätzen. Der umgekehrte Effekt war bei den dysgrammatischen Kindern zu be-obachten. Ein interessanter Aspekt bezüglich dieser Interaktion ist, dass ein ähnlicher Befund für den Vergleich von gesunden Kontrollkindern und Erwachsenen zu be-obachten war. Hier wiesen die Kontrollkinder erhöhte Aktivierung in aufmerksam-keits,– gedächtnis– und arbeitsgedächtnisassoziierten Arealen bei der Prozessierung semantisch inkonsistenter Sätze im Gegensatz zu grammatischen und ungrammatischen Sätzen auf. Bei den Erwachsenen war das Gegenteil zu beobachten. Dieser Befund könnte einen altersabhängigen Effekt in der Form wiedergeben, als das Vorhandensein grammatischer Bewusstheit im Zusammenhang mit auditorischer Sprachperzeption sich graduell mit zunehmendem Alter entwickelt. Angewendet auf den Vergleich zwischen den Kontrollkindern und dysgrammatischen Kindern könnte dieser Befund im Hinblick auf linguistische Phänomene diskutiert werden, wenn man sich Theorien ins Gedächtnis ruft, die davon ausgehen, dass linguistische Fehler bei dysgrammatischen Kindern den Fehlern von sich normal entwickelnden Kindern zu einem früheren Entwicklungszeit-punkt entsprechen.

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Als prominentester Befund der vorliegenden Arbeit kann die Deaktivierung der dysgrammatischen Kinder beim Beurteilen ungrammatischer Sätze im Brocagebiet, den Basalganglien und dem Cerebellum im Vergleich zu den Kontrollkindern hervorgeho-ben werden, wobei der pars triangularis des Brocagebietes darüber hinaus noch eine verminderte Dichte der grauen und weißen Substanz vorwies. Dieser Befund könnte durchaus das neuronale Korrelat fehlender grammatischer Bewusstheit ausdrücken, was zusätzlich durch die geringere Trefferrate der dysgrammatischen Kinder verglichen zu den Kontrollkindern unterstützt wird. Ähnliche strukturelle und funktionelle Auffällig-keiten wurden zudem auch in den Studien in Bezug auf die KE–Familie und in pädiatri-schen morphometripädiatri-schen Studien dysgrammatischer Kinder beschrieben, auch wenn diese Studien sich von der vorliegenden hinsichtlich der Beschaffenheit der Stichprobe und der Art der untersuchten psycholinguistischen Prozessen unterschieden. Ein interes-santer Aspekt in Bezug auf die Deaktivierung im Putamen und dem Cerebellum ist, dass es sich dabei um Gebiete handelt, bei denen man eine Expression des Genes FOXP2 bei menschlichen Föten festgestellte (Lai, Gerelli, Monaco, Fisher und Copp, 2003). Ein Zusammenhang mit der Mutation des FOXP2–Gens und einer allgemeinen Form des Dysgrammatismus konnte allerdings bislang nicht hergestellt werden.

Die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit können aufgrund des Studiendesigns keine differenzierte Aussage darüber treffen, ob die strukturellen und funktionellen Anomalien der dysgrammatischen Kinder auf rein linguistische oder allgemeine kogni-tive Prozesse, inbesonders arbeitsgedächtnisspezifische Prozesse zurückzuführen sind.

Allen beschriebenen Arealen können neben linguistischen Funktionen auch arbeitsge-dächtnisspezifische Funktionen zugeschrieben werden. Arbeitsgedächtnis kann als eine Voraussetzung für grammatische und im Besondern syntaktischer Prozessierung ange-sehen werden.

Trotz allem könnten die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit auch die Hypothese unterstützen, dass es sich beim Dysgrammatismus um eine selektiv linguistische Stö-rung handeln könnte, die eventuell durch die spezielle Verschaltung eines spezifischen neuronalen Netzwerks aus linkem inferioren frontalen Gyrus, Insula, Basalganglien, prämotorischen Arealen und dem Cerebellum beschrieben werden könnte. Diese Areale partizipieren ihrerseits wiederum an Netzwerken, die mit anderen kognitiven Funktio-nen assoziiert werden könnten, und könnten somit in ihrer Wechselwirkung mit den dysgrammatismusspezifischen Netzwerken für die komorbiden Symptome bei dys-grammatischen Kindern verantwortlich gemacht werden. Um die Spezifizität der

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schen Aktivierungsmuster bei dysgrammatischen Kindern im Vergleich zu Kontrollkin-dern bezüglich arbeitsgedächtnisspezifischer Aspekte, grammatischer Aspekte oder Aspekten zeitlicher Prozessierungskapazität näher zu untersuchen, sind allerdings wei-tere Untersuchungen notwendig. Zudem wäre wünschenswert in multifaktoriellen De-signanordnungen den Zusammenhang zwischen Dysgrammatismus und Störungen wie ADHD, Legasthenie oder phonologisch –artikulatorische Störungen (PAS) näher zu erörtern.

Die vorliegende Arbeit konnte als erste pathophysiologische Unterschiede zwi-schen dysgrammatizwi-schen und Kontrollkindern im Hinblick auf auditorische syntaktische Prozessierungsmechanismen zeigen. Dabei ergab sich ein Unterschied in der Verarbei-tung grammatischer Strukturen. Allerdings ist anzumerken, dass die Stichprobengröße der dysgrammatischen Gruppen verhältnismäßig klein war und somit die Repräsentativität der Studie nur als eingeschränkt betrachtet werden kann. Die kleine Anzahl der dysgrammatischen Kinder ist auf den Versuch zurückzuführen, eine relativ homogene Gruppe zu erhalten. Aufgrund der häufig auftretenden komorbiden Störun-gen, wie ADHS, Legasthenie oder auffälliger Hörprofile stellt dies eine gewisse Heraus-forderung dar. Im Gegenzug wurde versucht die Kontrollgruppe auch möglichst exakt mit der dysgrammatischen Gruppe zu homogenisieren. Für die morphometrische Ana-lyse wurde die Kontrollgruppe verdoppelt, was sich in einer konservativern Statistik und einer besseren Kontrolle des α–Fehlers auswirkte. Ein mögliches zukünftiges Ziel könnte die Validierung der Ergebnisse dieser Arbeit an einer größeren Stichprobe dar-stellen. Für zukünftige Studien wäre zudem auch abzuwägen, ob es sinnvoll wäre, ne-ben der altersangepassten Kontrollgruppe eine weitere Kontrollgruppe einzuführen, die den dysgrammatischen Kindern im Hinblick auf deren sprachliche Entwicklung ange-passt wird.

Ein weiterer methodischer Kritikpunkt der Studie könnte sich auf die Normali-sierung der Daten beziehen, wobei ein Erwachsenentemplate verwendet wurde. Die Verwendung eines Kindertemplates wurde vor allem deswegen in dieser Arbeit nicht gewählt, da Erwachsene und Kinder verglichen werden sollten. Außerdem existieren für die Kindertemplates keine standardisierten Atlanten, die die anatomische Bestimmung von Gehirnstrukturen in einen stereotatkischen Raum erlauben. Eine Studie von Muzik, Chugani, Juhawsz, Chen und Chugani (2000) zeigte, dass die Normalisierungsroutinen der Software SPM bei Kindergehirnen erst ab einem Alter von weniger als sechs Jahren

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große Abweichungen von Erwachsenengehirnen aufwiesen. Da das durchschnittliche Alter in der vorliegenden Arbeit aber höher als sechs Jahre war, könnte eine Verwen-dung eines Erwachsenen–Templates gerechtfertigt sein.

Eine Weiterführung der hier vorliegenden Arbeit könnte den Versuch darstellen, zu untersuchen, inwiefern sich die Verwendung verschiedener Templates auf die Ergeb-nisse auswirken könnte. Dabei sollten sowohl Unterschiede zwischen Kindern und Er-wachsenen, als auch geschlechterspezifische und altergruppenspezifische Aspekte fo-kussiert werden.

Die Studie liefert erste Hinweise für das bessere Verständnis der Patho-physiologie des Dysgrammatismus, indem gezeigt werden konnte, dass funktionell atypisch aktivierte Gehirnareale bei dysgrammatischen Kindern auch strukturell verän-dert waren, wobei sich diese Auffälligkeiten in einem kognitiven Phänotyp wiederfin-den könnten, der mit der im Vergleich zu wiederfin-den Kontrollkindern sehr niedrigen Trefferrate beim Beurteilen grammatischer und semantischer Inkonsistenzen assoziiert werden könnte.

In der vorliegenden Arbeit konnten bedauerlicherweise keine genetischen Untersu-chungen angestellt werden. Es wäre wichtig zu klären, inwiefern der in dieser Arbeit beschriebene kognitive Phänotyp des Dysgrammatismus in seiner neuronalen Reprä-sentation genetisch markierbar wäre.