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Protein-Kohlenhydrat-Wechselwirkungen zählen zu den wichtigsten biologischen Prozessen. Viele Kohlenhydrat- Interaktionen befinden sich auf Zelloberflächen und haben essentielle Funktionen für Zell-Zell-Erkennung, Zellkommunikation und Zelladhäsion; darüber hinaus spielen sie eine wesentliche Rolle in pathophysiologischen Prozessen wie z.B. Wirt-Pathogen-Wechselwirkungen, Transplantat- Abstossung und Tumorwachstum. Die detaillierte Charakterisierung von Protein-Kohlenhydrat-Wechselwirkungen bildet die Grundlage für die Identifizierung von neuen diagnostischen Targetsubstanzen und Biomarkern und für das Design von neuen Kohlenhydrat-Wirkstoffen. Röntgenkristallographie, NMR und spezifische Mutagenese sind die traditionellen Methoden für die Identifizierung von essentiellen Aminosäuren von Kohlenhydrat- erkennenden Proteinen; die Anwendung dieser Methoden ist jedoch durch die hohen erforderlichen Substanzmengen und Reinheitsanforderungen, sowie aufwändigen Verfahren eingeschränkt. Die Entwicklung von direkten, einfachen Strategien zur Identifizierung von Kohlenhydrat- Erkennungsstrukturen in biologisch aktiven Proteinen ist daher von großem Interesse.

Aufgrund der Fähigkeit der Massenspektrometrie (MS), strukturelle Informationen über eine Vielzahl von Biomolekül- Substanzklassen mit hoher Empfindlichkeit, geringem Probenbedarf und Reinheitsanforderung zu liefern, ist die MS hervorragend geeignet für die analytische Entwicklung neuer Methoden zur Identifizierung von Kohlenhydrat-bindenden Strukturen in Proteinen.

Der erste Abschnitt der vorliegenden Arbeit beschreibt die Entwicklung von neuen Methoden der Affinitäts- Massenspektrometrie zur Identifizierung von Kohlenhydrat-bindenden Regionen in Proteinen. Die neuen Methoden basieren auf der Kombination von proteolytischer Exzision und Extraktion und Massenspektrometrie;

sie erfordern nur minimale Probenmengen mit niedrigen Reinheitsanforderungen und können ohne Veränderung der nativen Proteinstruktur durchgeführt werden. Die MS- Methoden wurden entwickelt, optimiert und für die Identifizierung der Erkennungsstrukturen von Lactose in Galektin-1, -3, -4, -5 und -8 angewendet. Die Galektine sind eine Familie von β-Galaktosid- bindenden Proteinen mit signifikanten

Ähnlichkeiten der Kohlenhydrat- Bindungssequenzen. Es ist bekannt, dass Galektine auf vielfältige Weise Entzündungs- und Autoimmunreaktionen beeinflussen und daher potenzielle Zielmoleküle für die Arzneimittelentwicklung darstellen.

Zur Entwicklung von affinitäts-massenspektrometrischen Methoden wurden Affinitätssäulen durch Immobilisierung von Lactose auf Divinylsulfon-aktivierter Sepharose hergestellt. Nach der Säulenkonditionierung wurden die Galektine auf das Säulenmaterial gegeben und inkubiert. Anschließend erfolgte der proteolytische Abbau der affinitätsgebundenen Galektine. Alternativ wurden die Galektine zuerst in Lösung verdaut und das resultierende Peptidgemisch anschließend mit der immobilisierten Lactose inkubiert. Die nicht-bindenden Peptide wurden vollständig durch Waschen entfernt. Die spezifisch gebundenen Peptide wurden mit Lactose oder einem organisch-wässrigen Gemisch eluiert. Die analytischen Parameter des Verfahrens wie Proteolyse-Bedingungen, Puffer- und Eluenten-Zusammensetzung, und Waschprotokolle wurden optimiert. Die Elutionsfraktionen wurden mittels Massenspektrometrie analysiert und die Ergebnisse mit verfügbaren kristallografischen Daten verglichen. Die durch proteolytische Exzisions- und Extraktions-MS identifizierten Peptide enthielten vollständig die Galactose-bindenden Sequenzmotive HxNxR und WGxExR/K. Für die Galektine ohne bekannte Kristallstrukturen haben die massenspektrometrischen Ergebnisse durch die aufgrund von Konsensus-Sequenzen vorhergesagten potenziellen Bindungsstellen experimentell bestätigt. Die neu entwickelten massenspektrometrischen Methoden wurden auch zur Identifizierung von Bindungsstellen der Blutgruppenantigene von humanem und Hühner- Galektin-3 mit Erfolg angewendet. Die identifizierten Sequenzen konnten aufgrund der verwendeten Kohlenhydrate differenziert werden und somit konnte es gezeigt werden, dass die neuen Verfahren zwischen Bindungsstrukturen komplexer Oligosaccharide unterscheiden können. Alle Experimente wurden unter streng kontrollierten Bedingungen durchgeführt, um unspezifische Bindungen auszuschließen.

Der zweite Abschnitt dieser Arbeit beschreibt die Charakterisierung der Kohlenhydrat-Erkennungseigenschaften von synthetischen Galektin-Peptiden. Die

Peptide wurden durch Festphasenpeptidsynthese nach der Fmoc-Strategie hergestellt und mittels Massenspektrometrie charakterisiert. Die spezifische Bindung zwischen den synthetischen Peptiden und Kohlenhydraten wurde durch Affinitäts-Massenspektrometrie unter Verwendung einer Mikrosäule mit Sepharose-immobilisierten Kohlenhydraten gezeigt. Die gereinigten Peptide wurden dazu auf eine Lactosyl-Sepharose Säule gegeben und zur Bindung an Lactose, Blutgruppenantigene oder andere Kohlenhydraten inkubiert. Die Säulen wurden intensiv gewaschen, um überschüssige/ungebundene Peptide zu entfernen, und anschließend die gebundenen Peptide wurden eluiert. Die Ergebnisse zeigten die Spezifität der synthetischen Peptide für die einzelnen Kohlenhydrate und bestätigten vollständig die mittels proteolytischer Excisions- Massenspektrometrie erhaltenen Ergebnisse. Die minimalen Sequenzlängen für die Kohlenhydrat-Erkennung wurden durch den Vergleich mit verkürzten Versionen der identifizierten Peptide bestimmt.

Ferner wurde die Bedeutung spezifischer Aminosäuren für die Kohlenhydrat-Erkennung durch die Synthese und Verwendung von mutierten Peptiden charakterisiert. Zusätzlich wurden Kontrollexperimente zur Absicherung der Spezifität mit der unmodifizierten Matrix, "Scrambling" Sequenzen und Kohlenhydraten ohne die essentielle Galactoseeinheit durchgeführt.

Die Lactose-Bindungsaffinitäten der intakten Galektine und der synthetischen Peptide wurden quantitativ mit einem akustischen Wellen (SAW) Biosensor bestimmt.

Die Affinitätssonde bestand aus einem Neoglycopeptid, das durch kovalente Bindung von Lactose an einen Peptidträger hergestellt wurde. Die Sonde wurde auf der SAW-Chip Oberfläche kovalent immobilisiert und die Gleichgewichts-Dissoziationskonstanten (KD) wurden durch Analyse von zunehmenden Konzentrationen der Galektine und synthetischen Peptide bestimmt. Die Bindung von intakten Galektinen an Lactose lieferte mikromolare KD Werte, in Übereinstimmung mit den Ergebnissen aus ITC- und SPR Untersuchungen. Die KD-Werte der synthetischen Peptide waren 2-3 Größenordnungen höher als die der intakten Galektinen, was durch die kleineren Sequenzlängen der assemblierten, diskontinuierlichen Kohlenhydrat-Erkennungsdomänen erklärt werden kann.

Der letzte Teil dieser Arbeit beschreibt die Identifizierung der Galactose-Bindungsstellen in alpha-Galaktosidase A und den Einfluss von pharmakologischen Chaperonen auf die Galactose Erkennung durch dieses lysosomale Enzym. Infolge des Fehlens der Alpha-Galaktosidase kommt es zur Speicherung von Glykosphingolipiden in verschiedenen Organen des Körpers, eine Krankheit, die als Morbus Fabry bekannt ist. Mit großem Interesse wird seit einigen Jahren eine neue Therapieform verfolgt, die sogenannte Chaperone-Therapie. Chaperone sind kleine zuckerähnliche Wirkstoffmoleküle, die positiv die Faltung der Enzyme beeinflussen und somit die Aktivität der Enzyme erhöhen können. Die Identifizierung der Galactose-Bindungsstellen wurde unter Verwendung von immobilisierter Galactose und der neu entwickelten proteolytische-Extraktion MS Methode durchgeführt. Die identifizierte Galactose- bindenden Peptide enthielten die essentiellen Aminosäuren, in Übereinstimmung mit Röntgenkristallografie Daten des Enzyms im Komplex mit Galactose. Konkurrenzexperimente mit einem Galactose-Strukturanalogon, 1-deoxygalactonojirimycin (DGJ), wurden ebenfalls durchgeführt und zeigten, dass DGJ die Bindung von Galaktosidase-abgeleiteten Peptiden zur Galactose verhindert.

Die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit zeigen die Affinitäts-Massenspektrometrie als eine leistungsfähige Methode für die Untersuchung von Protein-Kohlenhydrat- Wechselwirkungen. Der kombinierte Ansatz aus proteolytischer Exzision oder Extraktion und Massenspektrometrie liefert eine wichtige Grundlage für die Aufklärung und Optimierung von bioaktiven Ligand-bindenden Peptiden in Lektinen und anderen KohlenhydratLigand-bindenden Proteinen.

Affinitäts-Massenspektrometrie erfordert wesentlich niedrigere Probenmengen im Vergleich zu Röntgenkristallografie und NMR; sie ist wesentlich schneller und stellt somit eine molekulare Ergänzung zur Röntgenkristallografie und NMR-Strukturanalyse dar.