• Keine Ergebnisse gefunden

Kombinierte Frakturen im Unterkiefer und Mittelgesichtsschädel, deren Anteil am traumatologischen Gesamtkrankengut allerdings unter 10% liegt (siehe S. 107), werden in der Regel unter Einsatz aller Therapiemöglichkeiten entweder rein operativ mit Miniplatten oder durch Kombinationen aus operativen und konservativen Maßnahmen versorgt.

Ausbildungsprogramm von 1881 als Vorreiter der akademischen Zahnheilkunde in Deutschland angesehen werden und Körners Leistungen im traumatologischen Bereich als Leiter eines Kieferlazaretts in Halle sind durchaus mit denen von Bruhn in Düsseldorf vergleichbar. Alle drei bevorzugten in der Kiefertraumatologie Behandlungsmethoden, die durch zahnärztlich-orthopädische und prothetische Verfahren geprägt waren und neben manueller Fertigkeit besondere Kenntnisse spezieller Abformmethoden sowie zahnärztlicher Materialien erforderten. Hohl und Körner konnten außerdem jeweils zu ihrer Zeit durch enge persönliche Zusammenarbeit mit den Chirurgen der Universität die speziellen zahnärztlichen Therapiemethoden in der Kiefertraumatologie auch außerhalb ihres Fachgebietes bekannt machen und zu einer Optimierung der Behandlungsergebnisse beitragen. Die Zusammenarbeit zwischen Chirurg und Zahnarzt bei der Versorgung von Kieferverletzten hatte sich besonders im I. Weltkrieg bewährt, insofern war Hohl mit seiner Tätigkeit seiner Zeit weit voraus.

Der Nachfolger Körners, sein Schüler und Mitarbeiter Hans Heinroth, hatte trotz der Weltwirtschaftskrise, dem aufkommenden Faschismus und den Kriegsvorbereitungen Hitlers sein Ziel, die universitäre Zahnmedizin aus der räumlichen Enge und Unzulänglichkeit des alten Instituts am Domplatz herauszuführen, mit dem Umzug in das ehemalige Bankhaus Lehmann 1935/36 erreicht. Faschismus und Beginn des II.

Weltkrieges ließen eine optimale Nutzung der neuen Möglichkeiten aber nicht zu, Forschung und Lehre stagnierten. Im Vordergrund standen die zahnärztliche Betreuung der Bevölkerung sowie die spezielle Versorgung Kieferverletzter. Neben einer zunehmenden Anzahl unfallverletzter Arbeiter aus zahlreichen Fabriken der Rüstungsindustrie um Halle mussten Verletzte im Reservelazarett der Universität von Heinroth und wenigen Mitarbeitern betreut werden. Dazu kam die traumatologische

„Pflichtfortbildung“ für Kassenzahnärzte, die an der Universität auf Fronteinsätze vorbereitet wurden, sowie der tägliche Kampf um die Rückstellung der verbliebenen Mitarbeiter vom Wehrdienst. In den letzten Kriegsjahren kam der Lehrbetrieb praktisch zum Erliegen, die wenigen Mitarbeiter hatten mit der Patientenversorgung zu tun. Die Behandlungsmethoden in der Kiefertraumatologie waren in dieser Zeit von den Veröffentlichungen der Kieferchirurgen Wassmund und Reichenbach geprägt, wobei weiterhin zahnärztlich-orthopädische bzw. prothetische Verfahren dominierten.

Ein entscheidender Fortschritt für die Zahnheilkunde und den Bereich der Kiefertraumatologie konnte nach dem Ende des II. Weltkrieges und der Wiedereröffnung der Universität 1946 durch die 1947 erfolgte Berufung Reichenbachs zum Lehrstuhlinhaber und Direktor der Universitäts-Zahn- und Kieferklinik erzielt werden. Trotz schwierigster äußerer Bedingungen konnte Reichenbach innerhalb

weniger Jahre nicht nur einen qualifizierten akademischen Lehrbetrieb wiederaufnehmen, sondern durch neu gestaltete Operationsräume und die Eröffnung einer Bettenstation eine moderne, kiefer-gesichtschirurgische Klinik betreiben. Dadurch war nicht nur die Möglichkeit gegeben, zahlreiche noch zu versorgende Kriegsverletzte klinisch zu behandeln, sondern es wurde auch der Grundstein gelegt für die spätere Universitätsklinik für Kiefer-, Gesichts-, Chirurgie, die als einzige Spezialklinik im DDR-Bezirk Halle auch für die Versorgung kiefer-gesichtsverletzter Patienten zuständig war.

Die Ära Reichenbach ist in der Kiefertraumatologie gekennzeichnet durch die Umsetzung der Erfahrungen aus den Kriegslazaretten des II. Weltkrieges. Es dominierten die Methoden der manuellen Sofortversorgung durch Schienenverbände und prothetische Hilfsmittel neben kombinierten chirurgisch-konservativen Behandlungsmethoden. Gleichzeitig setzte eine rege wissenschaftliche Tätigkeit ein mit kritischer Untersuchung verschiedener traumatologischer Therapiemethoden. Nach seiner politisch motivierten Zwangsemeritierung konnte Reichenbach mit der 1969 in beiden Teilen Deutschlands erfolgten Herausgabe der „Traumatologie im Kiefer-Gesichts-Bereich“ sein traumatologisches Lebenswerk abschließen und der interdisziplinären Zusammenarbeit in der Traumatologie des Kopfes entscheidende Impulse geben.

Sein Mitarbeiter und Nachfolger Grimm, der Mitautor in diesem damals stark beachteten und verbreiteten traumatologischen Standardwerk gewesen war, hielt im Wesentlichen an den traumatologischen Therapierichtlinien Reichenbachs fest.

Besonders unter dem Eindruck der Forschungsergebnisse der Schweizer AO zur funktionsstabilen Osteosynthese und zur primären Knochenheilung sowie unter dem Druck ständig steigender Verletztenzahlen mit Gesichtsschädelfrakturen in den 70-er Jahren des 20. Jahrhunderts akzeptierte er die Einführung der Metallplattenosteosynthese im Kieferbereich durch seine Mitarbeiter. Gleichzeitig unterstützte er auch die fachübergreifende traumatologische Zusammenarbeit mit den medizinischen Nachbardisziplinen sowie die wissenschaftliche Betätigung seiner Mitarbeiter. Von diesen konnten sich unter Grimm zwei mit traumatologischen Themen habilitieren. Die Zeit unter Grimm war bis zum Ende der Teilung Deutschlands geprägt vom täglichen Kampf gegen den Mangel, um Verbesserungen im klinischen und stationären Alltag. Besonders um den Import von Instrumenten, Ausrüstungen und Osteosynthesematerial wurde unablässig gerungen. Vielfach musste der Mangel durch Improvisation ausgeglichen werden.

Die Einführung der Kompressionsplattenosteosynthese im Kieferbereich hatte bei weiterhin strenger Indikation deutliche Vorteile für verletzte Patienten gebracht. Doch während im Westen Deutschlands schon in den 80-er Jahren mit der Einführung

miniaturisierter Plattensysteme für den Kiefer-Gesichtsbereich ein Paradigmenwechsel teils unter heftigen Diskussionen von der bikortikalen Kompressionsosteosynthese zur monokortikalen Zuggurtungsosteosynthese erfolgte, hinkte die Entwicklung wie in den anderen DDR-Universitäten auch in Halle dem wissenschaftlichen Entwicklungsstand hinterher. Ein Import geeigneter Systeme kam bis zum Ende der DDR nicht mehr zu Stande, Eigenentwicklungen durch die einheimische Industrie verliefen äußerst schleppend und führten nicht zum Ziel. Am Ende seiner Amtszeit konnte Grimm nach der Wiedervereinigung Deutschlands und dann uneingeschränkter Ausrüstungsmöglichkeiten auch in der Traumatologie den Einsatz diverser moderner Osteosynthesesysteme und -materialien registrieren.

Unter seinem Nachfolger, seinem langjährigen Mitarbeiter Schubert, konnte innerhalb kurzer Zeit der westdeutsche Standard in der Traumatologie des Kiefer-Gesichtsbereichs in instrumenteller und apparativer Ausrüstung sowie in der klinischen Praxis erreicht werden. Mit dem Umzug der Klinik für Mund-, Kiefer- und Plastische Gesichtschirurgie in das Universitätsklinikum in Halle-Kröllwitz im Jahre 2004 war dann endlich auch für traumatologische Patienten ein barrierefreier Zugang in Untersuchungs- und Behandlungsräume möglich. Derzeit werden Gesichtsschädelfrakturen zwischen 70% (Unterkieferfrakturen) und 86%

(Mittelgesichtsschädelfrakturen) operativ versorgt, wobei Miniplattensysteme aus Metall als Osteosynthesemittel dominieren. Inzwischen entwickelte Osteosynthesesysteme aus resorbierbaren Materialien werden in Halle klinisch erprobt, aber nicht routinemäßig eingesetzt. Methoden der konservativen Immobilisationstherapie bei Gesichtsschädelfrakturen ohne oder mit prothetischen Hilfsmitteln werden nur noch in ausgewählten Fällen in Abhängigkeit von Frakturform und Lokalisation verwendet. Parallel zur Grundlagenforschung zum Osteosyntheseplattendesign werden zurzeit interessante alternative Möglichkeiten der Knochenverbindung im Sinne einer Klebung im Rahmen klinikinterner Forschungsprojekte durch zwei Doktoranden untersucht. Erste Ergebnisse lassen die Knochenklebung als eine Zukunftsoption in der Traumatologie des Gesichtsschädels erkennen.

In der überblickten, über 140 Jahre währenden Zeitspanne, wurden die Patienten nach dem jeweils aktuellen Stand der Wissenschaft interdisziplinär behandelt. Dabei hat sich die Kiefertraumatologie an der Universität Halle trotz widriger Zeitumstände von der konservativen, zahnärztlich geprägten Therapie der Kieferverletzungen mittels orthopädischer oder prothetischer Hilfsmittel zur modernen, vorwiegend operativen Therapie der Gesichtsschädelverletzungen unter Verwendung geeigneter

Osteosynthesematerialien im engen Kontakt mit der medizinischen Forschung entwickelt.