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Die akute Nierenschädigung nach Operationen an der Herz-Lungen-Maschine ist ein lange be-kanntes und häufig beobachtetes Problem in der operativen Intensivmedizin. Eine postoperative ANS geht mit einer erhöhten Morbidität und Mortalität, einer verlängerten Krankenhausliegedauer und erhöhten Behandlungskosten einher.

Maßnahmen zur Vermeidung und Therapie dieser Nierenfunktionsstörungen stehen im Mittelpunkt des Interesses der klinischen Forschung. Positive Einflüsse auf die renale Funktion wurden für verschiedene pharmakologische und nicht-pharmakologische Interventionen beschrieben. Dane-ben liegt ein Schwerpunkt der Forschung auf der Identifizierung von Risikofaktoren für die Entste-hung einer ANS nach Operationen an der HLM.

Zur Vorhersage für das Auftreten einer postoperativen ANS wurden von verschiedenen Autoren Scoring-Systeme entwickelt. Die meisten Scores beinhalten ausschließlich Parameter aus dem präoperativen Bereich und sollen dadurch eine möglichst frühe Diskriminierung zwischen renal ge-fährdeten und renal weniger gege-fährdeten Patienten ermöglichen. Somit soll es möglich sein, be-reits vor Beginn der Operation präventive Maßnahmen zu ergreifen. Beispielsweise kann in ge-eigneten Fällen, anstatt des konventionellen operativen Vorgehens mit Nutzung der HLM, eine so genannte Off-Pump-Technik (ohne extrakorporale Zirkulation) Anwendung finden. Die Verwen-dung der HLM, mit ihrem unphysiologischen Blutfluss und der relativ großen, proinflammatorisch wirkenden Fremdoberfläche, ist einer der wichtigsten Risikofaktoren für die Entstehung einer ANS in der Herzchirurgie.

Verschiedene andere präventive und therapeutische Maßnahmen können aber auch noch wäh-rend der Operation oder wähwäh-rend der postoperativen Therapie auf der Intensivstation begonnen werden. Hieraus ergibt sich die Frage nach dem optimalen Zeitpunkt für die Abschätzung des ANS-Risikos, denn es sollen möglichst alle tatsächlich renal gefährdeten Patienten wirksamen Vorsorgemaßnahmen zugeführt werden. Auf der anderen Seite sollen Patienten nicht unnötig ei-ner medizinischen Intervention oder eiei-ner Medikamentengabe ausgesetzt werden. Dies verbietet sich auch aus ökonomischen Gründen.

Die vorliegende Studie untersucht, inwiefern sich die Vorhersagekraft eines Scores verändert, wenn, neben den üblichen präoperativen Parametern, auch intra- und postoperative Risikofakto-ren in ihm repräsentiert sind.

Zusammenfassung

Zu diesem Zweck wurden die elektronischen und analogen Krankenakten von 1.560 Patienten, die sich an der Universitätsmedizin Göttingen einer Operation an der Herz-Lungen-Maschine un-terzogen, retrospektiv ausgewertet. Die Daten von 1.191 Fällen entsprachen den Einschlusskrite-rien der Studie und konnten vollständig erhoben werden, so dass diese als Studienkollektiv aus-gewertet wurden. An einem Evaluationskollektiv, bestehend aus den ersten 662 Patienten, wur-den mithilfe von uni- und multivariaten Analysen drei Scores zur Vorhersage einer postoperativen ANS entwickelt. Score 1 enthielt nur präoperative Parameter. Score 2 enthielt prä- und intraopera-tive und Score 3 prä-, intra- und postoperaintraopera-tive Risikofaktoren. Die Scores wurden an den übrigen 529 Patienten validiert und ihre Vorhersagekraft verglichen.

Die Definition der ANS erfolgte in der vorliegenden Studie anhand der 2007 veröffentlichten AKIN-Kriterien. Sie ermöglichen eine objektive und vergleichbare Diagnose der Nierenschädigung. Zu-dem kann durch sie auf ungeeignete Endpunkte verzichtet werden, wie den Einsatz der Nierener-satztherapie, der, obwohl keinerlei Konsens oder Evidenz über den Zeitpunkt ihres Einsatzes be-steht, früher häufig als solcher herangezogen wurde.

Für die Studienkollektive ergab sich eine ANS-Inzidenz von 38,2 %, ein Wert, der verglichen mit anderen Studien aus dem kardiochirurgischen Umfeld zunächst sehr hoch erscheint. Betrachtet man die Unterschiede der einzelnen Studien, relativieren sich diese Unterschiede jedoch.

Die Ergebnisse der ROC-Analyse für die drei Scores zeigten keine wesentliche Steigerung der Spezifität und Sensitivität bei Verwendung der drei Scores. Im Einzelnen zeigte sich für Score 1 eine AUC von 0,691, für Score 2 eine AUC von 0,694 und für Score 3 von 0,729. Die Unter-schiede der Vorhersagekraft zwischen den Scores erwiesen sich als nicht statistisch signifikant (p > 0,05).

Es zeigt sich demnach, dass die Vorhersage einer postoperativen ANS mittels Scoring-Systemen durch die Integration intra- und postoperativer Risikofaktoren nicht verbessert werden kann. Der Unterschied zwischen dem rein präoperativen Score 1 und dem prä- und intraoperativ gestalteten Score 2 war minimal. Eine Verbesserung der Vorhersagekraft durch das Heranziehen intraopera-tiver Parameter wäre von besonderer Bedeutung in Bezug auf die Frage nach dem richtigen Zeit-punkt der Risikoabschätzung im klinischen Alltag. Denn verschiedene präventive Maßnahmen können auch intraoperativ oder sogar noch bei Aufnahme auf die Intensivstation sinnvoll einge-setzt werden, so dass unter Umständen die Anwendung eines prä- und intraoperativen Scores der eines präoperativen Scores vorzuziehen wäre. Bei Verwendung des dritten Scores, dessen Aus-sage erst nach Beginn der postoperativen Intensivtherapie feststeht, sind die meisten

vorbeugen-Zusammenfassung

den Interventionen nicht mehr möglich. Zudem fällt hier die Abgrenzung zwischen der Vorhersage einer Nierenschädigung und dem Aufdecken einer bereits stattgehabten ANS zunehmend schwer.

Um abschließende Aussagen über den Wert der einzelnen Scores treffen zu können, sollten diese an größeren Patientenzahlen validiert werden. Das hier gezeigte Studienkollektiv ist mit 1.191 Pa-tienten im Vergleich zu anderen Studien, die Scores zur Vorhersage einer ANS in der Herzchirur-gie entwickelten und validierten, klein. Auch der retrospektive und unizentrische Ansatz muss als Schwäche der Studie genannt werden.

Als Stärke dieser Dissertationsarbeit ist die Verwendung der AKIN-Kriterien zur Diagnosestellung der ANS zu nennen. Damit wird die am aktuellen interdisziplinären Konsens orientierte Definition einer ANS verwendet und die Vergleichbarkeit der Daten gewährleistet. Weiterhin bildet die Studie ein realistisches Bild der herzchirurgischen Population einer westeuropäischen Klinik der universi-tären Maximalversorgung ab und beschreibt zudem zusätzliche Charakteristika des analysierten Studienkollektivs. Durch die Erhebung des EuroSCORE wird beispielsweise eine Aussage über zum Operationszeitpunkt vorhandene Komorbiditäten ermöglicht.

Literaturverzeichnis