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In dieser Arbeit wurde die Dynamik der Wahrnehmung von visuell simulierter Eigenbe-wegung untersucht. Visuelle Navigation ist von beträchtlicher Bedeutung im täglichen Leben. Interaktion mit der Umgebung erfordert eine präzise Determination von Raum und Zeit. Während Eigenbewegung ist es notwendig, die Richtung und Geschwindigkeit der Eigenbewegung genau zu kennen. Um Kollisionen mit Hindernissen oder heranna-henden Objekten zu verhindern, ist es außerdem wichtig, die Zeit bis zur Kollision zu berechnen. Die Erforschung des Phänomens kann beispielsweise dabei helfen, Autoun-fälle zu verhindern, realistischere Flugsimulationen zu bauen und die stetig steigende Informationsflut besser zu bewältigen.

Ich habe drei experimentelle Serien und eine Modellrechnung durchgeführt. Die Resultate sollen verstehen helfen, wie das Gehirn Informationen über Bewegung im Raum und über räumliche Zusammenhänge verarbeitet. Die wichtigsten Ergebnisse lassen sich wie folgt formulieren:

6.1 Visuelle Navigation: Dynamik der Wahrnehmung während simulierter Eigenbewegung

In dieser Arbeit wurde zunächst gezeigt, dass man Parameter der Eigenbewegungsrich-tungswahrnehmung in Abhängigkeit vom Alter experimentell zugänglich machen kann, gleichermaßen den Einfluss des stereoskopischen Sehens bezüglich der Eigenbewegung, ebenso die Sensitivität von Richtungserkennung und Geschwindigkeitserkennung bei Bewegung in die Tiefe und auch die Zeitwahrnehmung während Eigenbewegung.

Dazu wurde eine experimentelle Prozedur entwickelt, die demonstriert, dass es expe-rimentell möglich und auch praktikabel ist, Eigenbewegungswahrnehmung mit einem Virtual-Reality-System zu untersuchen. Der Aufbau bestand aus einer Videokontrollein-heit und einem Head-Mounted-Display. Zudem wurde ein Algorithmus konstruiert, mit dem man Vektorfelder dreidimensional auf einem Head-Mounted-Display darstellen kann.

Einfluss des Alterns auf die Eigenbewegungswahrnehmung

Die Heading-Genauigkeit für ältere Versuchspersonen war generell weniger gut als dieje-nige für jüngere Versuchspersonen. Von zusätzlichen visuellen Informationen, wie eine höhere Anzahl von Flussvektoren, konnten ältere Menschen im Gegensatz zu jünge-ren nicht profitiejünge-ren. Die ermittelten Ergebnisse zu einer altersbezogenen Entwicklung können neben einem allgemeinen Verständnis der Eigenbewegungsmechanismen auch Zielvorgaben für eine Kompensation liefern. Es gilt durchweg, altersabhängige Faktoren

6 Zusammenfassung und Ausblick

bei der Erforschung von klinischen Läsionsexperimenten zu berücksichtigen. Die experi-mentellen Beobachtungen konnten mit einem neuronalen Netzwerkmodell, das auf einem altersbezogenen Neuronenverlust basiert, simuliert werden.

Einfluss der Querdisparität auf die visuelle Eigenbewegungswahrnehmung

Disparität führte im Fall translatorischer Eigenbewegung zu einer expliziten Verbes-serung der Eigenbewegungsrichtungseinschätzung bei langen Präsentationsdauern und größeren Punkteanzahlen. Tiefeninformation machte die Heading-Genauigkeit bei jungen Versuchspersonen und langen Präsentationsdauern sowie großen Punktezahlen robuster gegen Störungen. Bei rotatorischen Flussfeldern, die mit Störungen versehen wurden, verbesserte Tiefeninformation die Leistung der jüngeren Versuchspersonen bei langen Präsentationsdauern.

Richtungs- und Geschwindigkeitssensitivität bei simulierter Eigenbewegung

In diesem Experiment wurden Richtungsdiskrimination und Geschwindigkeitsdiskrimi-nation während simulierter Eigenbewegung untersucht. Als Stimuli dienten sequentiell gezeigte optische Flussfelder. Richtungsänderungen ereigneten sich im Experiment in der Tiefe entlang verschiedener Bewegungsachsen in horizontaler Ebene. Die Resulta-te zeigResulta-ten, dass Richtungsdiskrimination und Geschwindigkeitsdiskrimination von der jeweiligen Referenzbewegungsrichtung abhingen. Das heißt, Richtungs- und Geschwin-digkeitsdiskrimination waren räumlich anisotrop. Erklären ließ sich dies durch eine Überrepräsentation von lateralen Eigenbewegungsvorzugsrichtungen im Areal MST. Die Augenbewegungen wiesen bei verschiedenen Stimulus-Konstellationen charakteristische Muster auf: Erstens bei Eigenbewegung in die Tiefe im Vergleich zur Bewegung in frontoparalleler Richtung und zweitens auch bei Richtungsdiskrimination im Vergleich zur Geschwindigkeitsdiskrimination.

Zeitdilatation während simulierter Eigenbewegung

In diesem Experiment habe ich die Interaktion zwischen Wahrnehmung von Zeitin-tervallen und simulierter Eigenbewegung mit verschiedenen Geschwindigkeitsprofilen untersucht. Befand sich ein Beobachter in Ruhe, dann konnte die Zeitsequenz im Rah-men der allgemeinen Erwartung von Genauigkeit gut bestimmt werden. Bewegte sich ein Beobachter mit konstanter Geschwindigkeit, dann erschien ihm Zeit länger, als sie tatsächlich war; die Zeit war gedehnt. Bewegte sich ein Beobachter mit gleichförmiger Beschleunigung, dann erschien ihm die Zeit sehr stark gedehnt, er nahm die Zeit als deutlich länger wahr als sie tatsächlich war. Es gab keinen Unterschied zwischen positi-vem oder negatipositi-vem Beschleunigungsgradienten (Beschleunigen oder Abbremsen bzw.

Verlangsamen). Bewegung bei inkohärenten Flussfeldern führte zu keiner Dilatation.

Man kann folgern, dass die Verarbeitung von zeitlichen und raum-zeitlichen Signalen im Kortex repräsentiert bzw. verbunden ist. Allerdings führten nur bestimmte Formen von Bewegungen zu modulatorischen Effekten.

6.2 Ausblick und Experimente der 2. Generation

6.2 Ausblick und Experimente der 2. Generation

Die Untersuchung der visuellen Navigation bildet in theoretischer wie experimenteller Hin-sicht ein interessantes und aktuelles Forschungsgebiet. Aufgrund der Experimente dieser Arbeit sind neue Fragen angestoßen worden. Weiterführende Berechnungen, Extensionen von Modellen und intensive experimentelle Studien werden in Zukunft notwendig sein.

Die experimentellen und theoretischen Ergebnisse sind u.a. für die Planung von zukünfti-gen Messunzukünfti-gen zur visuellen Navigation von Bedeutung. Die theoretische Beschreibung von Eigenbewegung lässt Modelle erhoffen, die alle experimentellen Daten gleichzeitig beschreiben können, die also eine einheitliche Darstellung von visueller Navigation liefern.

Insbesondere von Interesse ist dabei die Frage, auf welche Weise sich die verschiedenenen Parameter, wie Bewegungsgeschwindigkeit, Eigenbewegungsrichtung, Tiefe und Tiefe des Fixationspunktes, kombinieren lassen und wie diese Parameter von einem 2-dimensionalen Geschwindigkeitsvektorfeld repräsentiert werden. Das Ganze läuft auf die Frage hinaus, wie die einzelnen Informationen in konkreten Situationen zusammenwirken und wie die einzelnen Informationen im System gewichtet und zusammengeführt werden. Die Frage schließt sich an, welches die Funktionen der Auswertung von Bewegung in den einzelnen Stufen des visuellen Systems sind. Quer- und Rückverbindungen zwischen den einzelnen Stufen der Bewegungsverarbeitung sind noch unzureichend analysiert. Neben der Kenntnis von Funktionen sind also auch Kenntnisse zur Konnektivität notwendig.

Um eine robuste Wahrnehmung zu erzeugen, kombiniert und integriert unser Gehirn permanent Informationen von verschiedenen Sinnessystemen. Es kann visuelle, audito-rische und taktile Reize verbinden, damit mehr Informationen vermittelt werden. Die unterschiedlichen Wahrnehmungskanäle des Menschen ergänzen sich nicht nur, sondern verstärken einander (siehe z.B. von Hopffgarten u. Bremmer 2010; Angelaki u. Hess 2005) Weiterführende Experimente könnten die Ergebnisse in den Kontext der Kombination verschiedener Wahrnehmungskanäle stellen. Es könnte überprüft werden, inwieweit sich der Neuronenverlust bei der Alterung auf vestibuläre Navigation auswirkt. Ebenfalls von Interesse ist es, herauszufinden, ob ältere Testpersonen bei der Navigation einen bestimm-ten Wahrnehmungskanal bevorzugen und ob sich die Alterung auf die Wechselwirkung zwischen visueller und vestibulärer Navigation auswirkt.

Die neuronalen Mechanismen, die den beschriebenen Ergebnissen bei Zeitdilatation während simulierter Eigenbewegung zugrunde liegen, gilt es zu analysieren. Eine Heran-gehensweise bestünde darin, in physiologischen Untersuchungen das Grenzwertverhalten bei Geschwindigkeitsreizen von Neuronen weiter zu untersuchen, um zu klären, ob eine maximale Geschwindigkeitsgrenze für die Zeitdilatation verantwortlich ist.

Die Ergebnisse haben gezeigt, dass Tiefeninformationen bei der Wahrnehmung der Eigenbewegungsrichtung eine besondere Bedeutung zukommt. (i) Heading-Genauigkeit wird bei stereoskopischen Flussfeldern besser und (ii) Richtungsdiskrimination ist bei Bewegung in der Tiefe besser. Zukünftige Experimente sollten diesen expliziten Einfluss generell berücksichtigen. Experimentelle Erweiterungen kann man erreichen, indem man ein Augenbewegungsmesssystem mit dem Virtual-Reality-System kombiniert. Mit

6 Zusammenfassung und Ausblick

Berücksichtigung der Blickposition kann die Stimulusdynamik optimiert werden. In diesem Zusammenhang könnte nicht nur die Tiefe des optischen Flussfeldes, sondern auch die Blickposition relativ zur Bildebene systematisch variiert werden. Es liegt auch nahe, mit elektrophysiologischen Methoden den Zusammenhang von Tiefe und Eigenbewegung systematisch zu erforschen.