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Der Zauberlehrling Hat der alte HexenmeisterHat der alte Hexenmeister

Im Dokument Semiotik der Verewigung (Seite 196-200)

Grundoperation Autonome Performative Produktion

1. Unteroperation Poetische Performativität

1.1 Der Zauberlehrling Hat der alte HexenmeisterHat der alte Hexenmeister

Sich doch einmal wegbegeben!

Und nun sollen seine Geister Auch nach meinem Willen leben.

Seine Wort’ und Werke Merkt’ ich, und den Brauch, Und mit Geistesstärke [1–8] Tu’ ich Wunder auch.

Walle, walle Manche Strecke!

Daß, zum Zwecke, Wasser fließe,

Und mit reichem, vollem Schwalle [9–14] Zu dem Bade sich ergieße.

Und nun komm du alter Besen!

Nimm die schlechten Lumpenhüllen.

Bist schon lange Knecht gewesen;

Nun erfülle meinen Willen!

Auf zwei Beinen stehe, Oben sei ein Kopf.

Eile nun, und gehe [15–22] Mit dem Wassertopf!

27  Nicht dass eine solche Reflexion nicht auch in Hölderlins Ode stattfinden würde, sie ge-schieht jedoch mit klarem Fokus auf das Verstummen; vgl. Kapitel II.2.2.

Walle walle Manche Strecke!

Daß, zum Zwecke, Wasser fließe,

Und, mit reichem, vollem Schwalle, [23–28] Zu dem Bade sich ergieße.

Seht, er läuft zum Ufer nieder;

Wahrlich! ist schon an dem Flusse, Und mit Blitzesschnelle wieder Ist er hier mit raschem Gusse.

Schon zum zweitenmale!

Wie das Becken schwillt!

Wie sich jede Schale [29–36] Voll mit Wasser füllt!

Stehe, stehe!

Denn wir haben Deiner Gaben Vollgemessen! –

Ach, ich merk’ es! Wehe! wehe!

[37–42] Hab’ ich doch das Wort vergessen!

Ach! das Wort, worauf am Ende Er das wird, was er gewesen.

Ach! er läuft und bringt behende.

Wärst du doch der alte Besen!

Immer neue Güsse Bringt er schnell herein, Ach! und hundert Flüsse [43–50] Stürzen auf mich ein.

Nein, nicht länger Kann ich’s lassen;

Will ihn fassen.

Das ist Tücke!

Ach! nun wird mir immer bänger!

[51–56] Welche Miene! Welche Blicke!

O, du Ausgeburt der Hölle!

Soll das ganze Haus ersaufen?

Seh’ ich über jede Schwelle Doch schon Wasserströme laufen.

Ein verruchter Besen, Der nicht hören will!

Stock, der du gewesen, [57–64] Steh doch wieder still!

187 Unteroperation Poetische Performativität

Willst’s am Ende Gar nicht lassen?

Will dich fassen, Will dich halten,

Und das alte Holz behende [65–70] Mit dem scharfen Beile spalten.

Seht, da kommt er schleppend wieder!

Wie ich mich nur auf dich werfe, Gleich, o Kobold, liegst du nieder;

Krachend trifft die glatte Schärfe.

Wahrlich! brav getroffen!

Seht, er ist entzwei!

Und nun kann ich hoffen, [71–78] Und ich atme frei!

Wehe! wehe!

Beide Teile Stehn in Eile Schon als Knechte Völlig fertig in die Höhe!

[79–84] Helft mir, ach! ihr hohen Mächte!

Und sie laufen! Naß und nässer Wird’s im Saal und auf den Stufen.

Welch’ entsetzliches Gewässer!

Herr und Meister, hör’ mich rufen! – Ach, da kommt der Meister!

Herr, die Not ist groß!

Die ich rief, die Geister, [85–92] Werd’ ich nun nicht los.

„In die Ecke, Besen! Besen!

Seid’s gewesen.

Denn als Geister

Ruft euch nur, zu seinem Zwecke, [93–98] Erst hevor der alte Meister.“28

Goethes Kunstballade Der Zauberlehrling erschien im von Schiller heraus-gegebenen Musen-Almanach resp. Balladen-Almanach 1797.29 Sie orientiert

28  Goethe, Werke, 1. Abteilung, Bd. 1, S. 683–686.

29  Zur Entstehung und Datierung vgl. die ausführliche Zusammenfassung bei Laufhütte 1979, S. 59, Anm. 37.

sich inhaltlich sehr genau an einer Passage aus dem Philopseudes (Der Lügen-freund) des antiken Schriftstellers und Satirikers Lukian von Samosata (2. Jahr-hundert n. Chr.), die Goethe entweder im Original bekannt war30 und/oder ihm in der zeitgenössischen Übersetzung von Wieland (1788) vorgelegen hat.31 In formaler Hinsicht nimmt Goethe jedoch eine entscheidende Änderung gegenüber der antiken Vorlage vor:32 Handelt es sich bei Lukian noch um eine Binnenerzählung innerhalb eines Dialoges, macht Goethe bei der Übertragung des Stoffes vollen Gebrauch von den Möglichkeiten der Epik, Dramatik und Lyrik vereinenden Kunstballade:33 Im Gegensatz zum Philopseudes, wo eine Drittperson von der Begebenheit mit dem Meister und seinem Zauberlehrling berichtet, gibt es in seiner Ballade keinen Erzähler, sondern bloß die direkte Rede des Lehrlings und, in der letzten Strophe, des Meisters.34 Dies – so wird sich zeigen – ermöglicht es Goethe, das Sprechen der Figuren resp. deren per-formative Sprechakte direkt wiederzugeben und so einerseits ins Zentrum der Ballade zu stellen sowie andererseits das Sprechen der Figuren unmittelbar in Analogie zum Sprechen des Lesers zu setzen, womit wiederum die Voraus-setzung für eine Selbstbezugnahme der Ballade geschaffen wird.35

Der Zauberlehrling umfasst sieben eigentliche Strophen, die sich mit sieben Refrainstrophen abwechseln. Während die ersten beiden Refrainstrophen als ein Refrain im engen Sinne eingeführt werden, indem sie identisch sind, ver-ändert sich im Weiteren bei gleichbleibendem Rhythmus und Reimschema ihr Inhalt und trägt damit wesentlich zur Dramatisierung und Pointe (sofern sich eine festmachen ließe)36 der Ballade bei. Zudem spiegelt sich in dieser

30  Vgl. Brügger 1951.

31  Vgl. Witte 2008, S. 716 f., der diese Stelle bei Lukian in der Reclam-Sammlung von Goethes Gedichten mitabdruckt. Eine kurze Besprechung der von jüdischen Gelehrten Ende des 18. Jahrhunderts versuchten Herstellung einer Verbindung des Besens im Zauberlehrling mit der Golem-Figur der jüdischen Mystik nimmt Cathy S. Gelbin vor und hält fest, dass eine solche Verbindung heute nicht belegt werden könne (vgl. Gelbin 2013, S. 24).

32  Einen Vergleich der beiden Texte – wenngleich dieser weniger Raum einnimmt, als es der Titel des Aufsatzes suggeriert – hat Lilo Brügger vorgelegt; vgl. dies. 1951, S. 246 und 253–255.

33  Die Vereinigung von Epik, Lyrik und Drama in der Kunstballade ist am komplexesten und zugleich übersichtlichsten dargestellt in einer Graphik bei Conrad 2014, S. 74 f.

34  Damit erweitert Goethes Gedicht „den strukturellen Umkreis der [Gattung, MG] Ballade, soweit er sich bisher abzeichnete, beträchtlich. Es zeigt, daß die Vorgangsgestaltung aus-schließlich mit Hilfe der ‚szenischen‘ Mittel der situationsgebundenen Rede ohne jede innerfiktionale Erzählerdistanz zustande kommen kann“ (Laufhütte 1979, S. 63).

35  Laufhüttes Befund, „[d]ie zu völliger Konsequenz geführte innerfiktionale Unmittelbar-keit schlägt in diesem Gedicht um in die Ermöglichung weitgehender Distanznahme durch den Leser oder Hörer“ (ders. 1979, S. 63), trifft somit nur halb zu.

36  Vgl. Laufhütte 1979, S. 63.

189 Unteroperation Poetische Performativität

Veränderung durch den Bruch mit der Refrainkonvention die Machtlosigkeit des Zauberlehrlings gegenüber der Eigendynamik der Wortmagie. Die einzel-nen Strophen sind in zwei Hälften à vier Versen aus vier- resp. dreihebigen Trochäen37 geteilt, gefolgt von den Refrainstrophen bestehend aus sechs Versen, zusammengesetzt aus jeweils vier Versen zweihebiger und zwei Versen vierhebiger Trochäen. Die Anzahl der Hebungen alterniert dadurch über die ganze Ballade hinweg nach einem Schema von vier zu drei zu zwei und von dort wieder zu vier etc. Hebungen, was ihr – passend zum steigenden und am Ende eingeleiteten, wieder sinkenden Wasserspiegel – etwas Wogendes verleiht.38 Die Reimschemata gestalten sich nach folgenden Prinzipien: jeweils zwei Kreuzreime (a,b,a,b,c,d,c,d) im Falle der ‚normalen‘ Strophen und eine „kunst-volle Kombination zweier Umschließungsgruppen“39 (ar,br,br,cr,ar,cr,)40 für die Refrainstrophen.41 Hartmut Laufhütte wertet die hier als Refrainstrophen be-zeichneten Verse nicht als Refrain, da sie „Teil am Geschehensprozeß“42 hätten.

Das haben sie durchaus; ihre formale Anlehnung an einen Refrain nutzt aber gerade die inhaltliche und formale Abweichung von demselben ästhetisch produktiv und damit noch immer in Relation zu einer Refrainfunktion. Lauf-hütte fasst die Refrainstrophen mit der jeweils vorangegangenen achtzeiligen Strophe als je eine Strophe zusammen. Dem Verfasser erscheint hingegen zu-mindest aus heuristischen Gründen eine separate Zählung der Refrainstrophen für präziser und besser dazu geeignet, die inhaltlichen Wechsel zwischen per-formativem Sprechakt und Beschreibung sowie die damit verbundene poeto-logische Ebene der Ballade angemessen zu behandeln.43

37  Lilo Brügger sieht in diesen den passenden Versfuß für ein Gedicht, das von Zauber handelt: „denn der schwere Einsatz und eine gewisse Monotonie stimmen zur Grandezza einer Beschwörung“ (dies. 1951, S. 255).

38  Die wogende Bewegung erstreckt sich also – weiterreichend als von Annemarie Christiansen vermerkt (vgl. dies. 1987, S. 43) – über die gesamte Ballade und ist nicht allein und isoliert für die Refrainstrophe zu betrachten.

39  Brügger 1951, S. 60.

40  Das tiefgestellte r signalisiert, dass Reim a der ersten Refrainstrophe nicht Reim a der ersten Strophe entspricht etc. Der erste Reim der ersten Strophe entspricht jedoch dem letzten Reim des letzten Refrains und damit dem letzten Reim der Ballade überhaupt, siehe dazu unten.

41  Vgl. ausführlich zu Metrik und Reim Laufhütte 1979, S. 59 f.

42  Ebd., S. 59.

43  Die jüngeren Beobachtungen Martin Todtenhaupts zur Bedeutung der Zahl Sieben für die Struktur der Ballade konstatieren sieben Achtzeiler und sieben Sechszeiler, die zu-sammen sieben Strophen à vierzehn (= 2 × 7) Verse ergeben würden (vgl. Todtenhaupt 1999, S. 191). Letzteres ließe sich jedoch – und dies mahnt zugleich zur Vorsicht bei der Anführung zahlenkombinatorischer Belege – auch als Argument für die Einteilung des Verfassers verwenden.

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