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4.2 Ergebnisdiskussion

4.2.1 Wundinfektionen

Obwohl postoperative Wundinfektionen nach endoprothetischem Kniegelenksersatz mit ver-gleichsweise geringen Infektionsraten assoziiert sind, stellen sie aufgrund ihrer dramatischen Folgen für den einzelnen Patienten und der erheblichen finanziellen Belastung für das Ge-sundheitssystem eine Herausforderung dar. Eine Übersicht zu aktuell verfügbaren Studien über Wundinfektionsraten und Risikofaktoren bei postoperativen Wundinfektionen nach knieendoprothetischen Operationen zeigt Tabelle 47. Zur besseren Vergleichbarkeit werden nur Studien aufgezählt, die die CDC-Definitionen als Grundlage zur Wundinfektionserfas-sung angewandt haben.

Tabelle 47: Übersicht über Studien zu Inzidenzen oder Risikofaktoren von postoperativen Wundinfektionen nach knieendoprothetischen Operationen

Autor Land

Finnland CDC1 Prospektiv 1565 0,96

Finnland CDC + NNIS3 Prospektiv 3915 0,79

Namba et al., 2013 (22)

USA CDC4 + NHSN5 Retrospektiv 56216 0,72

ECDC, Annual

USA CDC + NHSN Retrospektiv 10718 1,2

NRZ,

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1 In dieser Studie nur Erfassung von A3-Infektionen

2 Protokoll desHealthcare-Associated Infections Surveillance Network

3 National Nosocomial Infections Surveillance System

4 In dieser Studie nur Erfassung von A2/A3-Infektionen

5 National Heatlthcare Safety Network

6 Korean National Healthcare-associated Infections Surveillance System

7 Swiss National Surgical Site Infection Surveillance Program

In der Tabelle 47 wird ersichtlich, dass die in Studien beobachteten Wundinfektionsraten in der Knieendoprothetik von 0,38% bis 3,4% variieren (10–13, 15, 16, 19–22, 26, 30–33, 46, 49, 54). Unter Einbeziehung aller hier aufgelisteten Studien ergibt sich eine mediane Inzidenz von 0,91%. Auch aktuelle Metaanalysen von Zhu et. al. und Kong et al. zur Erfassung von Wundinfektionen nach endoprothetischen Operationen ermittelten eine ähnliche kumulative Inzidenz mit 1,1%, bzw. 1,17% (99, 102).

Die in dieser Arbeit für den gesamten Studienzeitraum erfasste Wundinfektionsinzidenz lag bei 3,4% und war damit deutlich über den in der Literatur angegeben Wundinfektionsraten.

Trotz des Rückgangs der Inzidenz von 4,4% im Jahr 2007 auf 2,5% im Jahr 2010 (p=0,076) lag die Inzidenz 2010 immer noch höher als in vielen ähnlichen Studien. Auch die Erfassung der Wundinfektionsrate über die Kriterien des KPRO-KISS-Surveillance-Protokolls des NRZ (Siehe 2.1.4) erbrachte für den Zeitraum 2007 bis 2010 eine um annähernd das Fünffache höhere Infektionsrate (3,2%) im Vergleich zu den vom NRZ veröffentlichten Referenzdaten Fortführung Tabelle 47

Frankreich CDC + NHSN Retrospektiv 1097 1,91

Dicks et al., 2015 (49)

USA CDC + NHSN Retrospektiv 42187 1,03

Thelwall et al.,

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78 für Deutschland (0,65% für den Zeitraum 2009-2013, 0,57% für den Zeitraum von 2012-2016 und 0,38% für das Jahr 2017) (20, 26, 54).

Bei der Analyse und Einordnung der hier erfassten Inzidenz ist beim Vergleich mit anderen Studien zu beachten, dass die ermittelte Wundinfektionsrate entsprechend der obigen Diskus-sion zur angewandten Methode dieser Untersuchung sehr von dem Studiendesign, hier im Besonderen von der Definitionen für Wundinfektionen und Beobachtungszeitraum, sowie der Erfassungsmethode, Kohortengröße und -zusammensetzung, abhängig ist. Dies kann zu einer Limitierung der Vergleichbarkeit führen. Da die in der Tabelle aufgeführten Studien sowie auch diese Untersuchung jedoch CDC-Kriterien verwenden, lässt sich der deutliche Unter-schied der Inzidenzen auf diese Weise nicht wirklich erklären.

Eine mögliche Ursache für die vergleichsweise sehr hohe Wundinfektionsrate kann in dem hier untersuchten Patientenkollektiv liegen. Das Annastift ist eine orthopädische Schwer-punktklinik und gehört zum Klinikverbund der Universitätsklinik „Medizinische Hochschule Hannover“. So finden sich in dieser Studie nicht selten komplexere Fälle. Fast die Hälfte der untersuchten Patienten wies diverse Voroperationen (47%) auf und wurde länger als die durchschnittliche OP-Dauer operiert (45%). Das 75%-Quantil lag in dieser Studie bei >103 min. Vergleichsweise lag das vom NRZ ermittele 75%-Quantil für knieendoprothetische Ope-rationen in Deutschland 2017 nur bei > 95 min (54). 33,8% (n=824) der in dieser Studie ana-lysierten Fälle wiesen eine längere OP-Dauer als 95 min auf. Des Weiteren konnten bei vielen Patienten multiple Begleiterkrankungen festgestellt werden. Diese Faktoren sind mit einem erhöhten Infektionsrisiko assoziiert, wie in dieser Untersuchung ebenfalls gezeigt werden konnte (z.B. M. Ahlbäck; HR 4,5, OP-Dauer >180 min; HR:4,0, Adipositas 3; HR:2,9).

Viel wahrscheinlicher sind jedoch eine unzureichende Compliance des medizinischen Perso-nals in Bezug auf Hygienemaßnahmen oder fehlende Präventionsmaßnahmen. Ein Hinweis hierfür liefert der Rückgang der hier ermittelten Infektionsrate von 2007 bis 2010. Dieser Rückgang lässt sich unter anderem durch eine stufenweise Einführung und Kontrolle von Präventionsmaßnahmen während des Beobachtungszeitraumes erklären. Zu diesen Maßnah-men zählten 2007 die Einführung einer Wundinfektionssurveillance mit entsprechendem Feedback der Infektionsraten an das Behandlungsteam, 2008 die Durchführung einer Kam-pagne zur hygienischen Händedesinfektion (Einführung der nationalen KamKam-pagne „Aktion Saubere Hände“) und 2010 die Einführung eines Maßnahmenkatalogs zur W undinfektions-prävention. Dieser Katalog beinhaltete:

• den Wechsel des Desinfektionsmittels für die Desinfektion des OP-Feldes von Propan-2-ol (Cutasept G®) auf ein PVP-Jod/Propan-Propan-2-ol-Gemisch (Braunoderm®),

• die Einhaltung der empfohlen Wirkdauer des Hautdesinfektionsmittels,

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• das Händewaschen mit Seife vor Betreten des OP-Bereichs,

• das Einhalten der empfohlenen Handdesinfektionszeit von 3 min,

• die Durchführung einer gewichtsadaptierten PAP,

• die Einschränkung der Drainagenliegedauer auf max. 24 Stunden,

• die Reinigung des OP-Feldes mittels Jet-Lavage vor Gabe von Knochenzement und

• die Verwendung von antibiotisch wirksamen Knochenzement.

Trotz fehlender Signifikanz ist anzunehmen, dass der Rückgang der Infektionsrate von 4,4%

2007 auf 2,5% 2010 durch diese Maßnahmen maßgeblich unterstützt wurde. Dies wird auch bei weiterer Betrachtung der Entwicklung der Infektionsraten nach 2010 deutlich. Auch nach Abschluss dieser Studie fand eine Surveillance der Wundinfektionen nach knieendoprotheti-schen Operationen mittels des OP-KISS-Protokolls des NRZ statt. Ohne Erweiterung des Maßnahmenkatalogs und durch die stetige Verbesserung der Compliance zeigte sich für das Jahr 2012 im Vergleich zu 2007 eine signifikant niedrigere Infektionsrate von 1,0%

(p<0,001).

In der vorliegenden Studie erfolgte die Einteilung der Wundinfektionen in oberflächliche postoperative Wundinfektionen (A1) und in organbezogene postoperative Wundinfektionen (A3/Kniegelenks- bzw. Protheseninfektion). Nach diesen Kriterien konnten 74 Infektionen (89,3%) als A3-Infektionen eingeordnet werden und nur 9 Infektionen (10,7%) als A1-Infektion. Auch in Vergleichsstudien zu Wundinfektionen nach Knieendoprothetik treten tiefe und organbezogene Wundinfektionen (52-77%) oft häufiger auf als oberflächliche Wundin-fektionen (23-46%) (11, 12, 15, 26, 30, 54). So zeigt auch die Analyse der Referenzdaten des NRZ für postoperative Wundinfektion nach Knieendoprothetik in Deutschland ein häufigeres Auftreten von A3-Infektionen (73,1%) (26). Nur in einer einzelnen japanischen Studie von Fan et al. mit einem vergleichbarem Beobachtungszeitraum von über einem Jahr konnten oberflächliche Wundinfektionen öfter als tiefe Infektionen nach Knieendoprothetik nachge-wiesen werden (64,3% vs. 35,7%) (17).

Eine mögliche Erklärung für das im Verhältnis vermehrte Auftreten von tiefen- bzw. organ-bezogenen Wundinfektionen in der Knieendoprothetik kann die unmittelbare anatomische Nähe des Kniegelenks zur Hautinzision sein, was die Ausweitung einer erst superficialen Wundinfektion auf das ganze Gelenk begünstigen könnte.

Bei 86,9% aller in dieser Studie erfassten postoperativen Wundinfektionen konnte mindestens ein Erreger kulturell nachgewiesen werden. In Vergleichsstudien konnte in 47%-94% der Fäl-le ein Erreger ermittelt werden, womit sich die Nachweiserate der hier vorliegenden Studie im

Diskussion

80 oberen Bereich befindet (15, 42, 43, 46, 50). Bei Betrachtung des Erregerspektrums zeigten sich bei den hier ausgewerteten Wundinfektionen grampositive Erreger mit 90,4% als häu-figste Erreger. Vor allem Koagulase-negative Staphylokokken (44,6%) gefolgt von Staphy-lococcus aureus (32,5%) und Enterococcus spp. (6%) wurden als Ursache einer postoperati-ven Wundinfektion nachgewiesen. Dies deckt sich mit den Ergebnissen, die in anderen Arbei-ten zur postoperativen Wundinfektionen nach endoprothetischen Implantationen publiziert wurden. Die Autoren beschreiben hier einen Erregeranteil von Koagulase-negativen Staphy-lokokken von 19,7%-47%, für Staphylococcus aureus einen Anteil von 25%-44% und für Enterokokken spp. 6%-11,41% (11, 15, 20, 26, 27, 33, 42, 43, 45, 46, 50, 51). Jedoch sind in den meisten Studien im Gegensatz zu dieser Studie Staphylococcus aureus häufiger als Koa-gulase-negative Staphylokokken nachgewiesen worden (11, 20, 26, 33, 42, 43, 46). Lediglich Song et al. und Ravi et al. legten mit einem Verhältnis Koagulase-negative Staphylokokken zu Staphylococcus aureus von 47% zu 27%, bzw. 35% zu 25% ein ähnliches Verhältnis wie in dieser Studie vor (15, 27). Der Anteil an Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus betrug in dieser Arbeit 14,8% und war damit im Vergleich zu anderen Studien mit einem MRSA-Anteil von 0%-84% unterdurchschnittlich (15, 20, 26, 27, 33, 43, 50, 79, 80). Vanco-mycin-resistente Enterokokken oder multiresistente Gram negative Erreger wie Escherichia coli wurden in dieser Studie nicht nachgewiesen. Auch in den Vergleichsstudien spielen diese Erreger im Bereich der Endoprothetik bisher keine Rolle (11, 15, 20, 26, 27, 33, 42, 43, 45, 46, 50, 51).

Viele Autoren haben bereits die teils gravierenden Folgen einer postoperativen Wundinfekti-on für den einzelnen Patienten und das behandelnde PersWundinfekti-onal, bzw. Krankenhaus insbesWundinfekti-onde- insbesonde-re nach einer endoprothetischen Operation betont (24, 34, 48, 55, 58–60, 65, 68, 125–127).

Die vielfachen negativen Auswirkungen konnten in dieser Arbeit ebenfalls bestätigt werden.

So zeigte sich, dass bei 94% der Patienten (n=79), die eine Wundinfektion entwickelten, ne-ben einer antibiotischen Behandlung auch mindestens eine chirurgische Intervention notwen-dig war. Bei 20,2% der Patienten (n=17) mit Wundinfektionen wurde mehr als eine Revision im Verlauf durchgeführt und bei 21,4% der Patienten (n=18) musste zur Sanierung des Knie-gelenks die Prothese vollständig ausgebaut werden. In einer Studie von Husted et al. musste die Kniegelenksprothese sogar bei 96% aller Patienten nach Auftreten einer postoperativen Wundinfektion entfernt werden (155). Diese hohe Revisionsrate nach postoperativen Wundin-fektionen ist auf die Empfehlungen zur Behandlung einer knieendoprothetischen Infektion, die sich aus einer Literaturübersicht ergibt, zurückzuführen. Gemäß dieser ist eine kombinier-te Therapie aus parenkombinier-teraler Antibiotikagabe und chirurgischer Inkombinier-tervention, in der Regel ein

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81 zweizeitiger Prothesenwechsel, zwingend zur erfolgreichen Eradikation der Infektion erfor-derlich (60, 61, 65, 68, 125–127, 155). Eine hauptsächliche Ursache für die notwendige chi-rurgische Intervention bei endoprothetischen Infektion ist die Bildung eines Biofilmes durch die Erreger auf dem Implantat, was die Resistenz dieser gegen eine alleinige antibiotische Therapie und gegen das körpereigene Immunsystem massiv erhöht (60, 68–71, 73, 128).

Der durch eine postoperative Wundinfektion verursachte erweiterte Therapiebedarf geht mit einer längeren Krankenhausliegedauer von Wundinfektionspatienten im Krankenhaus einher.

Der durchschnittliche Krankenhausaufenthalt war bei infizierten Patienten mit 19,7 Tagen im Vergleich zu 13,3 Tagen bei den anderen Patienten signifikant verlängert (p<0,001). Auch in der Literatur wird dieser Zusammenhang beobachtet. Hebert et al. zeigten z.B. in ihrer Studie eine mehr als 3-fache Steigerung der Liegedauer bei Patienten mit einer Wundinfektion nach endoprothetischem Kniegelenksersatz und Poultsides et al. wiesen ebenfalls bei Patienten mit knieendoprothetischen Wundinfektionen eine Steigerung der Liegedauer von 4 auf 9,7 Tagen nach(p<0,001) (48, 55). Dabei ist zu beachten, dass sich die in der hier vorliegenden Studie erfasste Liegedauer nur auf den ersten Krankenhausaufenthalt bezieht und dass die Liegedau-er eines möglichen zweiten Krankenhausaufenthaltes bei Patienten mit einLiegedau-er Post-Discharge-Wundinfektion nicht in dieser Analyse berücksichtigt wurde. Das heißt, die eigentliche durch Wundinfektionen erhöhte Krankenhausliegedauer wird in der vorliegenden Arbeit sogar noch unterschätzt. Diese Vermutung wird durch eine Studie von Kapadia et al. unterstützt. Hier zeigte sich bei Berücksichtigung der Gesamtliegedauer aller Krankenhausaufenthalte eine fast 7-fach erhöhte Krankenhausverweildauer von Patienten mit einer Wundinfektion nach Knie-gelenksersatz im Vergleich zu Patienten ohne Wundinfektion (23,71 Tage vs. 3,43 Tage;

p=0,0001) (58).

Der einzige in der hier vorliegenden Studie erfasste Todesfall betraf einen Patienten mit einer nachgewiesen postoperativen Wundinfektion. Ob der Tod des Patienten eine direkte Folge der Wundinfektion war, konnte in dieser Studie nicht geklärt werden. Ein möglicher Zusammen-hang von postoperativen Wundinfektionen mit einer erhöhten Mortalität nach knieendopro-thetischen Operationen wurde jedoch in einer Studie von Poultsides et al. mit einer Steigerung der Mortalität von 0,1% auf 1,2% aufgezeigt (48).

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