• Keine Ergebnisse gefunden

Win-win auf Kosten von wem?

Im Dokument 37 10. 9. 2014 (Seite 22-25)

Viele Menschen machen sich Sorgen um ihr Geld, manche aus Armut, andere aus Gier.

Wenige aber schauen ihr Geld an und hinterfragen den Sinn der Darstellungen (auf den Zahlungsmitteln) oder dessen Zweck. In der internationalen Finanz-marktregulierung ist der Ursprung und die Bedeutung des Geldes für ein Indivi-duum kaum mehr erkennbar. Kurz nach Be-ginn der letzten Weltwirtschaftskrise fragte die Königin Elisabeth II. anlässlich der Einweihung eines 71 Millionen teuren Erweiterungsbau der Lon-don School of Economics am 5. 11. 2008 die Anwesen-den: Weshalb hat keiner von Ihnen die Krise vorher-gesehen? [1].

Geld wurde und wird zwar in unterschied - lichen Kulturen benützt: zum Tausch von Gütern und Dienst leistungen wurden Steine, Münzen, Noten, lokale Wechselpapierchen eingesetzt. Bei grossen Wertverschiebungen in der Kapitalmarktregulie-rung spielt das Geld an sich aber kaum mehr eine Rolle. Hier geht es um die Regulation von Krediten.

Kredit bedeutet ursprünglich Glauben, Vertrauen (credere). Ursprünglich hatte zwar ein «Gläubiger»

einem vertrauenswürdigen Menschen Geld zum Ar-beiten gegeben oder eine Schuld übernommen. Über den Handel und das Anhäufen von Krediten und Schulden entstand ein Kapital, das letztlich einem Sammel surium von «Wertpapieren» entspricht. So-lange alle an ihren Kredit glauben, bleibt alles fried-lich. Eine Krise entsteht, wenn ein grosser oder viele kleine ihren Kredit zurückfordern und damit die Li-quidität einer staatlichen oder privaten Institution (Bank) existenziell herausfordern. Meist wird dies verursacht durch den Verlust der Glaubwürdigkeit dieser Institution.

Der Fünfliber

Es geht hier nicht um den wörtlichen Sinn der Be-zeichnung unserer grössten Münze, die eigentlich

«fünf Pfund» bedeutet. Fünf Pfund herumzutragen ist unpraktisch. Weniger Volumen war praktisch für den Geldbeutel.

Auf dem Fünfliber ist ein Mann abgebildet. Viele halten ihn irrtümlich für Wilhelm Tell, der als Schif-fer am Vierwaldstättersee gelebt haben soll. Knapp

sichtbar auf der Münze ist der Name des Künstlers Paul Burkhard (1888–1964). Als Bildhauer und Zeich-ner hatte er 1919–1921 am Wettbewerb für die 2- und 5-Franken-Stücke teilgenommen und durfte dann das Münzbild für den Fünfliber «Alphirte» prägen lassen.

Der ursprünglich eingereichte Alphirte, auf einem Felsen stehend oder mit Schweizer Fahne, wurde dann als Portrait in Auftrag gegeben [2]. Auf dem Fünfliber ist also nicht Wilhelm Tell zu sehen, son-dern ein namenloser Alphirte.

Wichtiger als das Abbild sind die vier lateinischen Wörter, die auf dieser Münze geprägt sind. Sie mögen auf den Sinn und Zweck des Geldes zum Abfedern von Gewinnschwankungen oder eigener Gewinn hinweisen.

Geld als konservierte Arbeit

Zentral ist die stets aktuelle Frage nach dem Sinn des Geldes überhaupt. Manche Völker verwendeten Geld in Form einer Münze, zum Tausch eine Ware oder Dienstleistung. Für die Akzeptanz der unterschied-lichsten Zahlungsmittel war aber stets das Vertrauen auf dessen inneren Wert massgebend. Geld entsprach der konservierten Arbeit. Der Besitzer von Münzen konnte damit Saatgut kaufen oder ein Haus bauen.

Für den Staat wurde es einfacher, Steuern in Form von Münzen einzutreiben, als den «Zehnten» Teil der Ernte. Selbst ein Tyrann kann nicht so viel Ochsen, Fastnachtshühner oder Wein selbst verzehren oder damit Soldaten ernähren, damit diese noch mehr Land für noch mehr Zehnten erobern. Dies hat bisher gemäss der Geschichte auf der ganzen Welt nur vor-übergehend funktioniert.

Geld als konservierte Arbeit wird von vielen Öko-nomen abgelehnt. Managerlöhne lassen sich damit schwer rechtfertigen. Geld sei deshalb konservierte Markus Gassner

Korrespondenz:

Dr. med. Markus Gassner Spitalstr. 8

CH-9472 Grabs m.gassner[at]hin.ch

«Kredit bedeutet ursprünglich Glauben, Vertrauen (credere).»

1919 reichte Paul Burkard in einem Wettbewerb für die 5-Franken-Münze den Alphirten mit und ohne Fahne ein.

Geprägt wurde dann das Portrait dieses Bergbauern.

(Foto: Swissmint [2]).

S t r e i f l i c h t

H O R I Z O N T E

Schweizerische Ärztezeitung | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2014;95: 37

1392

Leistung. Physikalisch bedeutet Leistung die in einer Zeiteinheit verrichtete Arbeit. An der Arbeitszeit kann es dabei nicht liegen, denn jeder Mensch ver-fügt über genau gleich viel Zeit. Der Wert einer Idee in einem Moment, ein Gedankenblitz als üblicher Ur-sprung einer Kreativität ist so nicht messbar, ökono-misch irrelevant, sonst wären Künstler und Erfinder die reichsten Menschen, oder die Reichsten müssten am meisten eigene originelle, produktive und nach-haltige Ideen produzieren. Wer zertifiziert Manager nach welchen Kriterien? Auch der Energieverbrauch ist kaum relevant, denn dieser ist bei geistiger Arbeit kleiner.

Geld und die konservierte Kultur

Der Alphirte auf der Münze zeigt die älteste Kultur, die ein Überleben unserer Bevölkerung ermöglichte, die Agrikultur. Die Abbildung zeigt den Bergbauern Simi Schneider aus Weisstannen (1912–2003) bei der Heu-ernte, wie sie hier bis in dieses Jahrhundert durch-geführt wurde. Sie war die Voraussetzung für das Überwintern der Kühe, die über die Käseverarbeitung (Kunst der Milchkonservierung) den Handel und das Überleben der Bauern ermöglichte.

Was aber kostet ein Liter Milch, produziert von diesem Mann wie auf dem Fünfliber oder im vollauto-matisierten Stall mit Kraftfutter aus importierten Sojabohnen? – Was kostet welche Laborbestimmung, Operation, ein Hausbesuch, wann und wo, z. B. bei diesem Bauern? Wer darf welche Leistung auf Kosten von wem erbringen, zu welchem Taxpunktwert?

Somit stellt sich die berechtigte Frage nach dem, was Leistungen ermöglicht.

Daraus ergibt sich die Bedeutung der Tradition, unser kulturelles Erbe: das Wissen und die Erfahrung, wie man Werkzeuge macht, womit man Werke erzeu-gen kann sowie die Bildung und die Infrastruktur. All das wird heute so ganz selbstverständlich zur Geld-produktion vorausgesetzt, konsumiert. Aber nicht jeder hat die gleichen Möglichkeiten, gleich viel da-von zu benutzen, z. B. Menschen in den Bergen, an-derswo, Kranke, Personen mit geringer Bildung usw.

Zum Wert der Heilkunde

Wie die Agrikultur zur Ernährung pflegt auch jedes Volk die Heilkunde. Kranke Menschen sind meist nicht leistungsfähig. Invalid übersetzt heisst «wert-los», für die Familie und den Staat eine Belastung.

Für Versicherungen sind sie ein Schaden oder nicht versicherbar. Absolut sicher ist nur der Tod. Nur Un-sicherheiten sind versicherbar, die Dauer und die Qua-lität des Lebens. Unsere staatliche «Confoederatio» ist für eine optimale Gesundheit aller Einwohner verant-wortlich. Deshalb erwarten ihre «Genossenschafter»

von uns Ärzten, dass wir uns um die Gesundheit und das Leben aller einsetzen. Jeder Patient ist eine leben-dige Persönlichkeit, als solche nicht normierbar. Die Kultur und die Kunst der Heilkunde hat aber nicht die Aufgabe, die Rendite einer Versicherung zu verbes-sern. Kriterien der gesunden Prämienzahler sind für manche moderne Gesundheitsökonomen das Wich-tigste. Damit lasse sich Gesundheit, Pflege marktwirt-schaftlich automatisch regeln. Das Schweizer Volk hatte hierzu seine berechtigten Zweifel und hat am 17. Juni 2012 immerhin mit einer Mehr heit von 76 %

«Managed Care» abgelehnt. Unser Souverän möchte die Pflege nicht so regeln. Heute spürt man kaum etwas von diesem Volkswillen. Die Spitäler werden über ein DRG AG Konzept verwaltet, was vor allem neue Probleme schafft. Krankenkassen haben sich so weit vermarktwirtschaftlicht, entsolidarisiert, dass eine Einheitskasse notwendig wird. Win-win im Sozialbereich muss äusserst sorgfältig hinterfragt wer-den, auf Kosten von wem: Solidarität bedeutet ein grösseres «win» für die Schwächeren!

Zur Kultur im Wert des Geldes

Das Wissen über die Geschichte, die Kultur und die Infrastruktur haben unsere Vorfahren mit Steuern und Abgaben finanziert. Unsere Aufgabe ist es, diese Werte unseren Kindern und Enkelkindern weiter-zugeben. Manche Produkte und Dienstleistungen, auch Personen lassen sich importieren und exportie-ren. Die entsprechenden Werte von Dingen in Fran-ken und Kilo kann man in der Schweizerischen Aus-senhandelsstatistik nachschauen [4]. Soziale Probleme sind nicht exportierbar (z. B. Pflege von kranken und alten Einwohnern). Darf ein Spital rentieren – auf Kosten von anderen Spitälern – oder was?

Man könnte auch nachdenken, wozu wir arbei-ten! Welche Dinge, welche Dienstleistung, welche Arbeit (Lohn) sind uns wie viel wert: Eine 1.-August-Rakete oder eine Zeitung, ein Buch, eine Wellness-

«Kur» oder eine Impfung. Wer soll welche Vorsorge, Forschung, welche Sicherheit mit welchem Geld für wen bezahlen? Wie konservieren wir welche Werte?

Welche Lasten, ungelösten Probleme überlassen wir der nächsten Generation?

– Für was sind uns, dem Staat (CH) wie viele Fünf-liber wert?

– Soziale Marktwirtschaft: Win-win auf Kosten von wem?

So produzierte dieser Bergbauer in Oberrüti ob Weisstannen (Sarganserland) Nahrungs-mittel. Seine Vorfahren hatten das Land «gerodet». Trotz Agrikultur ein müh sames, gefährliches Leben. – Wie viel kostet ein Liter seiner Milch? Dieses Land wird heute vom Wald zurück erobert. (Foto: Pius Rupf, Flums [3]).

Literatur

1 Martin F. Geld, die wahre Geschichte über den blinden Fleck des Kapitalismus.

München: Deutsche Verlagsanstalt DVA; 2014.

2 Swissmint. Paul Burkhard und der Fünfliber; 2001 www.swissmint.ch/upload/

4 Gassner M. Die schweizeri-sche Aussenhandelsstatistik.

Schweiz Ärztezeitung. 1990;

71:603–6.

1393

S t r e i f l i c h t

H O R I Z O N T E

Schweizerische Ärztezeitung | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2014;95: 37

«Life is a tale told by an idiot, full of sound and fury.

Signifying nothing.» (Macbeth im gleichnamigen Drama von Shakespeare)

Von der Ausstellung …

Zahlreiche Zitate fordern die Besucher heraus: «Wir werden als Originale geboren, sterben aber als Ko-pie» oder «Die häufigste Krankheit ist die Diagnose».

Die Ausstellung im Vögele Kultur Zentrum «Der helle Wahnsinn; das Leben jenseits von Normen»

will Bewertungsmuster prüfen und Verständnis für das Irrwesen Mensch wecken*. Ein Riesenthema, das eine Begrenzung verlangt. Gemäss Kuratorin soll es primär um die schöpferische Kraft des Andersseins gehen, um Menschen, die unangepasst, gemäss eige-nen Vorstellungen als Aussenseiter, Spinner, Kranke und Nestbeschmutzer oder als gefeierte Vorbilder, Helden und Genies handeln. Die Grenzen werden von Menschen ausgehandelt, was gestern normal war, ist heute verrückt und umgekehrt. Plakate des Luzerner Stadtoriginals Emil Manser begleiten den Weg entlang einer symbolischen Normlinie durch den interaktiven Themenpark. Beidseits polarisieren die positiven und negativen Seiten des Wahnsinns, in die man leicht abrutschen kann. Die Verrücktheit dominiert in der bildenden Kunst, von Art brut über Rockstars, Installationen und Animationsfilme. Wir willigen Mitläufer und passiven Durchschnittler be-wundern die erfolgreichen Normverletzer, die beses-senen Entdecker, die revolutionären Utopisten. Das aufgeschlagene Handbuch DSM 5, die aktuelle Ver-sion des diagnostischen und statistischen Leitfadens für Ärzte, Versicherer und Juristen, signalisiert die Gefahren vorschneller Etikettierungen, die leicht zu sozialen Zwangsjacken geraten. Ärgerlich wird es, wenn Arno Gruen in der Begleitbroschüre zur Aus-stellung die Schizophrenie als Gegenbewegung zur Leistungsorientierung und Anpassung verklärt. Ein Hinweis auf den Missbrauch der Psychiatrie, am Bei-spiel der Zwangsbehandlung von Dissidenten in der Sowjetunion, wäre hier realistischer gewesen. Der Preis, der durchaus originell gestalteten Beschrän-kung auf das zivilisationskritische Element des Ge-gen-den-Strom-Schwimmens und

Starre-Systeme-Aufbrechens ist eine gewisse Verharmlosung. Viele Denkanstösse, wie die zur Perversion des Finanzsys-tems, kratzen letztlich an der Oberfläche. Das Nietz-sche Zitat: «Der Irrsinn ist bei Einzelnen etwas Selte-nes, aber bei Gruppen, Parteien, Völkern, Zeiten die Regel» verweist auf die zum grössten Teil ausgeblen-deten Abgründe unserer Gegenwart. Es geht hier um den hellen und weniger um den dunklen Wahnsinn.

… zum Buch

Philosophisch Interessierte können sich ergänzend und vertiefend zur Ausstellung in das Buch von Daniel Strassberg «Der Wahnsinn der Philosophie.

Verrückte Vernunft von Platon bis Deleuze» [1] ver-tiefen. Das Buch des Psychiaters, Psychoanalytikers und Philosophen zeigt, wie es der Irrationalität im-mer wieder gelingt, sich inmitten der Vernunft fest-zusetzen. Spannend zu lesende Gedankengänge ana-lysieren die Werke von Giordano Bruno, Jean-Jaques Rousseau, Kant, Hegel, Nietzsche, Lacan, Foucault und Gilles Deleuze. Die unendliche Vielfalt, so Da-niel Strassberg, lässt sich nicht vollständig in ein sinnvolles Ganzes stopfen, immer bleibt ein Rest üb-rig. Der Wahnsinn der Philosophie sei sowohl das im Laufe der Konstruktion eines Ganzen Ausgeschlos-sene, wie auch die Öffnung des Ganzen auf die Un-endlichkeit hin. Deleuze entdeckt im schizophrenen Denken ein Merkmal unserer Zivilisation. Allerdings nicht im Sinne von Arno Gruen als Kampf gegen das Unmenschliche in unserer Kultur. Der Wahnsinn hat sich, ganz im Gegenteil, als neue Vernunft durchgesetzt. Die schizophrene Wunschmaschine und der vielbeschworene Tod des Subjekts hätten sich nirgends präziser verwirklicht als im Finanzka-pitalismus. Leidenschaften sind etwas für Mathema-tiker, die Flash Boys mit ihrem Hochfrequenzhandel sind die wahren Irren einer Wohlstandsgesellschaft, die ihren Konsum der global organisierten Sklaven-arbeit verdankt. In einer Web-beherrschten Welt gebe es kein Zentrum und keine Einheit. Kein Weg führe zurück in die romantisch geteilte Welt – hier bürgerliche Ordnung, dort Kunst, Genie oder Wahnsinn.

Ein eigenwilliges, sehr lesenswertes Buch.

Erhard Taverna Bild: «Just the Two of Us»

von Klaus Pichler

* Der helle Wahnsinn; das Leben jenseits von Normen.

Ausstellung im Vögele Kultur Zentrum, Pfäffikon, bis 21. September 2014.

www.voegelekultur.ch

1 Strassberg D. Der Wahnsinn der Philosophie – Verrückte Vernunft von Platon bis Deleuze. Zürich: Chronos Verlag; 2014.

erhard.taverna[at]saez.ch

Wahnsinn

1394 Z U G U T E R L E T Z T

Schweizerische Ärztezeitung | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2014;95: 37

Im Dokument 37 10. 9. 2014 (Seite 22-25)