• Keine Ergebnisse gefunden

Wie ÖkoStadtwerke die Energiewende gestalten

3. Die neue Rolle von Kommunen und Stadtwerken

3.3. Wie ÖkoStadtwerke die Energiewende gestalten

3.3.1. … als Erzeuger

Knapp die Hälfte der rund 900 Stadt- und Gemeindewerke sind heute Betrei-ber von Heiz- und Gaskraftwerken, vor allem in der Auslegung als KWK. Den meisten Strom zur Versorgung ihrer Endkunden kaufen sie aber am Strom-markt ein oder direkt von den Großkraftwerken der EVUs. Wind- oder Solar-energie waren bislang seltener ihr Geschäft.

Zwei Prozesse könnten das ändern: Der dezentrale Charakter der Energie-wende und der Druck von Bürgerinnen und Bürgern auf die Kommunalpolitik, ins regenerative Geschäft einzusteigen. Dem neuen Engagement liegen aller-dings rechtliche und wirtschaftliche Stolpersteine im Weg, die aber

überwun-den werüberwun-den können. Zu überwun-den Hürüberwun-den zählt, dass Kommunalbetriebe – ähnlich wie die meisten Ökostromanbieter – ihren Kunden momentan kaum wirt-schaftliche Grünstromangebote aus heimischen EEG-Anlagen machen können.

Deshalb importieren beide für ihre Ökostromtarife in der Regel preiswerten Wasserkraftstrom aus Skandinavien oder aus den Alpen. Das Problem wird im Abschnitt 3.4.1 ausführlich behandelt, und es ist lösbar. Es hindert bereits heute manche Stadtwerke nicht an Investitionen in eine regionale regenerative Erzeugung in Deutschland, macht diese allerdings hinsichtlich des eigenen Öko-Marketings deutlich weniger attraktiv.

Ein weiterer Stolperstein: Dem Betrieb noch notwendiger fossiler Erzeugungs-anlagen haftet aus Sicht mancher Umweltbewegter ein Makel an. Gleiches gilt für den Zukauf von Börsenstrom. Das sollte sich ändern. Denn selbst Vorzeige-Stadtwerke, die öko-engagiert sind, kommen in der Regel nicht umhin, eine wachsende regenerative Erzeugung mit Elektrizität und Abwärme aus Gaskraft-werken zu kombinieren oder durch den Zukauf von »Graustrom« an der Strom-börse zu ergänzen. Diese Strukturen werden zwar zu Gunsten eines Erneuerba-ren-Systems schrittweise verschwinden. Energiesparen wird das beschleunigen.

Bis sie weg sind, liegt jedoch noch eine längere Wegstrecke vor uns. Deshalb ist die Integration der fossilen Erzeugung ins neue Energiesystem (mit seinem rege-nerativen, aber schwankenden Dargebot) eine der zentralen Herausforderungen der Energiewende. In diesem Sinn sollte »die Flucht« in reine Ökostromangebote – welche früher den notwendigen politischen Druck mit aufbaute, überhaupt die Energiewende in Angriff zu nehmen – langsam der Vergangenheit angehören.

Zum einen, weil reine Ökostromangebote meistens fragwürdige Importe aus dem Ausland sind. Zum anderen, weil auch Stadtwerke Kunden brauchen, sollen sie wirtschaftlich Erfolg haben. Am besten engagierte und kritische Kunden, die den Geschäftsführungen auf die Finger schauen.

Aktuell haben viele Stadtwerke mit wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen.

Jenen Stadtwerken, die bereits heute Erzeuger sind, verhageln die niedrigen Großhandelspreise die Bilanz. Diese Strompreise sind an der Börse aufgrund europaweiter Überkapazitäten stark gesunken. Das schmälert die Rentabilität kommunaler Gas- und Steinkohlekraftwerke, obschon manche davon fast neu sind. Es mindert auch die Mittel, um in regenerative Anlagen zu investieren.

Der Ausbau der KWK stockt ebenso.

Mittelfristig werden die Erzeugungskapazitäten jedoch knapp. Entsprechend werden die Preise höchstwahrscheinlich wieder steigen, unter anderem

aufgrund des deutschen Atomausstiegs bis 2022. Ein forcierter Kohleausstieg würde diesen Prozess unterstützen. Die herrschende Politik war hier bislang jedoch zögerlich. Sie diskutiert vielmehr, ob es Subventionen für das reine Bereitstellen von Anlagen braucht, um beispielsweise flexible Gaskraftwerke für die Energiewende zu sichern. Doch auch Kohlemeiler könnten von solchen Zahlungen profitieren – dies ist die größte Gefahr so genannter Kapazitätsme-chanismen.

Auf jeden Fall ist eine weitere (eventuell sogar höhere) Förderung der hocheffi-zienten Kraft-Wärme-Koppelung notwendig. Ihr Anteil soll bis 2020 bundesweit von derzeit 16 auf 25 Prozent steigen. Davon würden insbesondere Stadtwerke profitieren.

KWK spart viel Energie, weil die Technologie mit dem Heizen gleichzeitig auch Elektrizität erzeugt. Das ermöglicht Wirkungsgrade bis 90 Prozent. Umgekehrt produziert sie in einer stromgeführten Fahrweise nicht nur Elektrizität, son-dern auch nutzbare Wärme, anstatt mit der Verbrennungshitze sinnlos Luft und Flüsse aufzuheizen. Kein Wunder, dass KWK gerade in Kommunen stark verankert ist. Denn sie verfügen – wenn sie sich vom Privatisierungswahn ferngehalten haben – sowohl über Stromnetze wie auch über Wärmenetze und Wärmespeicher.

Heizkraftwerk Süd, Stadtwerke München, Foto: Daniel/Flickr

Die Verbindung zwischen Strom- und Wärmemarkt wird in Zukunft goldwert sein. Denn gerade die so genannte stromgeführte Fahrweise kann jene Flexi-bilität erzeugen, die dringend nötig ist: Ziehen Wolken über PV-Anlagen oder schläft der Wind, können sie schnell nach oben fahren, um Strom zu liefern.

Die dabei produzierte Abwärme fließt auch in Wärmespeicher. Die werden für Heizzwecke angezapft, wenn genug Ökostrom da ist und die KWK-Anlagen abgeschaltet bleiben können. Bei zeitweise lokalem Überfluss von Ökostrom könnten sogar Heizpatronen aktiviert werden, die in Wasserspeichern aus Strom Wärme machen. Dieses medienübergreifende Geschäft wäre ein zentra-les Zukunftsfeld für Kommunalbetriebe.

Mit der KWK verbunden sind die Sicherung und der Ausbau von Nah- und Fernwärmenetzen. Hier wird abzuwägen sein, in welchen Gebieten Groß-KWK und Fernwärme zukunftsträchtig sind, und in welchen eher viele kleine dezen-trale Blockheizkraftwerke zum Einsatz kommen sollten. Schließlich verringert sich der Wärmebedarf infolge energetischer Sanierungen und demografischen Wandels. Insbesondere große Heiztrassen könnten als Fehlinvestitionen enden.

Beim Ausbau der regenerativen Erzeugung stehen Stadtwerke vor der Aufga-be, endlich auch die Photovoltaik in jene Regionen zu bringen, in denen bereits leistungsstarke Verteilnetze vorhanden sind, wo sie nicht erst teuer gebaut werden müssen – das sind die Städte. In Berlin beispielsweise betrug 2010 die Dachfläche mit PV oder Solarthermie gerade einmal 0,3 Prozent. Das Potential für diese Solaranlagen wurde aber von der »Machbarkeitsstudie klimaneutra-les Berlin 2050« auf 15 bis 24 Prozent geschätzt.

In anderen Städten sieht es kaum anders aus. Hindernisse sind manchmal haftungsrechtliche Fragen (der Eigentümer des Daches ist meist nicht Eigentümer der Solaranlage). Zudem ist nicht selten strittig, wem der

»Mehrwert« aus den PV-Modulen in welchen Anteilen zufließen soll: den Mietern, dem Vermieter oder dem Eigentümer der Solaranlage? Auch der Denkmalschutz stellt gelegentlich ein Bein.

Um hier voran zu kommen, wären von Stadtwerken als erstes kommunale Ge-bäude zu bestücken. Aber auch fremde Dächer könnten von den Eigentümern gemietet werden, um sie mit PV auszustatten. Im ländlichen Raum werden solche Contracting-Modelle längst von Projektfirmen realisiert, etwa um Solar-module auf Scheunendächern zu installieren.

Andere Dienstleister nehmen diese Aufgabe auch in Städten bereits wahr, wenn auch in geringem Umfang. Die Berliner Energieagentur beispielsweise plant, baut und betreibt PV-Anlagen für Dritte. An der Agentur ist das Land Berlin immerhin zu einem Viertel beteiligt. Sie mietet von Gebäudeeigentü-mern Dachflächen über einen Zeitraum von 20 Jahren. Den erzeugten Solar-strom speist das Dienstleistungsunternehmen ins allgemeine Stromnetz oder bietet ihn den Nutzern im Gebäude zum Eigenverbrauch an. Der Eigentümer erhält einen festen Mietzins, eventuell auch eine Beteiligung an den EEG-Ein-speiseerlösen. Mieterinnen und Mieter profitieren zudem auch von Vorteilen bei Steuern und Umlagen, die bei Direktlieferungen anfallen.

Solcherart Geschäfte mit Miets- und Gewerbegebäuden waren bislang für die meisten Stadtwerke oder Kommunalbetriebe offensichtlich zu kleinteilig und/

oder zu wenig attraktiv. Vielleicht auch deshalb, weil der Sonnenstrom nur mit erheblichem administrativen Aufwand direkt zu den Mietern geliefert werden kann. Das muss aber nicht so bleiben, näheres dazu ab Seite 33. Contracting kann übrigens auch mit BHKWs stattfinden.

PV-Dachfläche auf einer Schule Hildesheim, Foto: Landkreis Hindesheim/Flickr

Ferner steht nirgends geschrieben, dass nur private Einzelinvestoren, Fonds oder Großunternehmen Windkraft- oder Biogasanlagen bauen dürfen. Gerade hier hätten Stadtwerke (möglicherweise im Verbund mit Bürgerenergiegenos-senschaften) einen entscheidenden Vorteil. Sie sind in der Region verankert, kennen besonders sensible Gebiete und historische Fallstricke. Gut geführte kommunale Unternehmen werden hier hinsichtlich Ortswahl, Umfang und Ausrichtung eher den Dialog suchen, anstatt starr auf Rechtspositionen zu pochen. Das ab Seite 37 beschriebene Beispiel der Stadtwerke Wolfhagen zeigt, wie eine kluge und ernsthafte Bürgerbeteiligung Windkraftprojekte zu Akzeptanz und wirtschaftlichem Erfolg führen kann.

Einen anderen Weg gehen die Stadtwerke München (SWM). Bis 2025 wollen sie so viel Ökostrom in eigenen Anlagen produzieren wie die Hauptstadt Bay-erns verbraucht. Das sind im Jahr rund 7,5 Milliarden Kilowattstunden, die in Anlagen für Wind-, Wasser- und Solarkraft sowie für Biomasse und Geothermie erzeugt werden sollen. Diese Anlagen liegen in Deutschland und im europä-ischen Ausland. Ein Teil wird neu errichtet, andere werden oder sind bereits erworben. Laut SWM wird München damit weltweit die erste Millionenstadt sein, die mit Investitionen von rund neun Milliarden Euro dieses Ziel erreicht.

Allerdings ist das SWM-Engagement vor der Haustür deutlich kleiner als das in der Ferne. Problematisch ist beispielsweise, dass Windparks in Schweden, Großbritannien, Frankreich, Polen oder im brandenburgischen Havelland gekauft wurden, aber nicht im Freistaat selbst errichtet werden. Schließlich hat Bayern – so ist selbst auf der Internetseite der SWM zu lesen – das größte (noch nicht genutzte) Windkraft-Potenzial in ganz Deutschland. Laut SWM sei ein Grund die extrem windkraftfeindliche 10-H-Abstandsregelung der baye-rischen Staatsregierung. Danach muss der Abstand einer Windkraftanlage (WKA) zur nächsten Bebauung mindestens das 10-fache der Höhe der WKA haben. Das reduziert das Potential der für die Windkraft nutzbaren bayeri-schen Landesfläche von 5,2 auf 0,05 Prozent.

Stadtwerke können auch gemeinsam Vorhaben stemmen oder sich an Pro-jekten anderer finanziell beteiligen. Im Verbund lassen sich etwa große Windparks finanzieren, im Extremfall bis hin zu den – freilich umstrittenen – Offshore-Windparks im Meer. Der Stadtwerkeverbund Trianel macht das vor, sowohl im 27-MW-Onshore-Windpark Eisleben und in Badeleben/Gerdshagen, wo sich Turbinen mit insgesamt 18 Megawatt drehen, als auch im Nordsee Windpark Borkum (40 Windenergieanlagen mit 200 MW). Das

Stadtwerke-Netz-werk Thüga, am dem über 100 StadtStadtwerke-Netz-werke beteiligt sind, investiert ebenfalls in Wind. So hat es 400 Millionen Euro in Windkraftanlagen an Land mit insge-samt 207 MW investiert.

Die Thüga, die Stadtwerke Aalen, die Augsburger Lechwerke und andere bündeln zudem dezentrale Erzeugungsanlagen zu virtuellen Kraftwerken. Im Fall Thüga werden in den zusammengeschalteten Pool von etwa 50 mittelgro-ßen kommunalen KWK-Anlagen auch Kunden der Thüga-Partner eingebunden, beispielsweise Biogasanlagen-Betreiber. Gemeinsam steuert eine Zentrale die Anlagen dann so auf den Punkt, dass ein nunmehr virtuelles Kraftwerk am Strommarkt Regelenergie anbieten kann oder sonstige Nachfrageschwankun-gen ausgleicht. Beides ist deutlich ertragreicher, als wenn sich jede einzelne Anlage bemühen würde.

Natürlich gibt es nicht nur Erfolgsstories. So ist die Thüga selbst nicht unum-stritten, weil sich einige Stadtwerke von dem mächtigen Verbund bevormun-det fühlen. Und manch kommunale Investition torpediert gar die Energiewen-de. Das zeigt unter anderem das Trianel-Kohlekraftwerk am Stummhafen in Lünen. Rund 1,4 Milliarden Euro haben hier Stadtwerke und regionale Energie-versorger in den Bau eines 750 MW-Steinkohle-Kraftwerks versenkt. 2013 ging es in Betrieb und wird jährlich 5,7 Millionen Tonnen CO2 in die Atmosphäre blasen. Die Abwärme bleibt ungenutzt und heizt die Lippe. Eine Investition ins Gestern statt in die Zukunft, die übrigens jedes Jahr Millionen an Verlusten schreibt. Am Steinkohlekraftwerk Hamm in Westfalen haben sich 23 andere Stadtwerke beteiligt – mit ähnlich fatalem Ergebnis.

Kein Wunder, dass die »Divestment«-Initiativen der Initiative »Fossil Free Deutschland« in ersten Städten auf fruchtbaren Boden fallen. Für den Aus-stieg aus kohlenstoffintensiven Finanzanlagen ihrer Kommunen haben sich Initiativen beispielsweise in Aachen, Berlin, Freiburg, Karlsruhe, Konstanz und Stuttgart gegründet. Die Stadt Münster prüft bereits den Ausstieg aus ihrer Beteiligung an RWE.

3.3.2. … als Manager der Systemintegration

Stadtwerke sind gut geeignet, den Anstieg der regenerativen und die Anpas-sung der sinkenden fossilen Erzeugung sinnvoll zu kombinieren. Das stellt höhere Anforderungen an das Know-how bei Prognosen, kurzfristigem Strom-handel und Systemsteuerung, insbesondere von KWK und Verbrauch. Für die Integration der fossilen in die erneuerbare Erzeugung könnten Stadtwerke gar

die zentrale Koordinierungstelle im Stromsystem werden, sofern ihnen die Aufgabe dafür übertragen wird – und der Strombörse entzogen.

Das Institut für Zukunftsenergiesysteme (IZES) hat für ein solches Ziel gemein-sam mit Energy Brainpool und dem DLR Stuttgart ein neues Strommarktde-sign ins Spiel gebracht. Das stellt nicht mehr die Strombörse in den Mittel-punkt der Integration von fossiler und regenerativer Erzeugung, sondern die Vertriebe, insbesondere also auch die Stadtwerke. Die Begründung: Dies seien im Gegensatz zur Strombörse jene Orte, wo Integration tatsächlich stattfinden kann. Einige Verbände wie der Bundesverband Erneuerbare Energien sowie Greenpeace unterstützen diesen Ansatz.

Nach dem Modell der »Echtzeitwälzung« soll der EEG-Strom künftig nicht mehr an der Börse verscherbelt werden (siehe Seite 31ff). Vielmehr sollen ihn die Übertragungsnetzbetreiber physikalisch direkt an die Vertriebsunternehmen liefern, im Fachjargon »wälzen«. Das geschieht entsprechend dem schwanken-den Aufkommen in einem sich viertelstündlich ändernschwanken-den Volumen, dessen Höhe 24 Stunden vorher angekündigt wird. Stadtwerke und andere Vertriebe hätten dann die Aufgabe, die schwankende Einspeisung des Ökostroms »zu glätten« und mit anderem Strom aufzufüllen. Und zwar so, dass die Kunden am Ende entsprechend der ebenfalls schwankenden Nachfrage beliefert wer-den können. Die Anpassung kann beispielsweise mittels der eben beschrie-benen Flexibilität über stromgeführte KWK und Spitzenlast-Gaskraftwerke erfolgen oder über den Betrieb von Speichern.

Eine für Stadtwerke besonders zukunftsträchtige Möglichkeit bietet die Beeinflussung der Stromnachfrage. Ansässige Unternehmen mit hohem Stromverbrauch könnten animiert werden, ihre Aggregate insbesondere dann anzuwerfen, wenn Ökostrom im Überfluss fließt. Umgekehrt sollten beispiels-weise Kühlhäuser ihre Anlagen zeitbeispiels-weise abschalten, wenn Grünstrommangel herrscht. Das ist machbar, denn die Temperatur bleibt in gut isolierten Lager-häusern lange stabil. Erste finanzielle Anreize für solch ein Last-Management sind auf Bundesebene bereits gesetzt. Stadtwerke haben den unmittelbaren Draht zu infrage kommenden Unternehmen. Sie können den Firmen mit pass-genauen Geschäftsmodellen den letzten Anstoß geben, in diesen Regelkreis-lauf einzusteigen.

Die Menge des »EEG-Zappel-Stroms«, mit dem die Vertriebe im Modell der Echtzeitwälzung im Schnitt umgehen müssten, läge heute bei etwa 44 Prozent

des Stromverbrauchs ihrer Kunden – so wie in dem ab Seite 33 erläuterten Grünstrommarktmodell. Bei beiden wird deshalb 44 Prozent angesetzt, und nicht der Ökostromanteil von bundesweit 26 Prozent, weil ein Teil des Endver-brauchs aus der Rechnung ausgeschlossen wird. Das ist die weitgehend von der EEG-Umlage befreite stromintensive Industrie.

Die Stadtwerke übernehmen also 44 Prozent EEG-Strom, müssen ihren Kun-den aber ein Stromband anbieten, dass exakt und jederzeit der schwankenKun-den Nachfrage entspricht. Dafür müssen sie auch fossile Energie zukaufen und gelegentlich verkaufen. Diese Markttätigkeit ist für den Vertrieb umso teurer, je kurzfristiger gehandelt werden muss. Es wird für die Stadtwerke deshalb billiger, wenn ihre Prognosen für den tatsächlichen Stromverbrauch in den einzelnen Tagesabschnitten exakter werden. Zudem könnten eigene Biogas-kraftwerke für das Feintuning einspringen und Zukäufe reduzieren. Damit im Netz Spannung und Frequenz zu jedem Zeitpunkt stimmen, würde – wie gegenwärtig – der jeweilige Übertragungsnetzbetreiber sorgen. Die letzten kleinen Fehlmengen oder Überschüsse an Elektrizität gleicht er überregional aus. Das geschieht vor allem mit Vertragskraftwerken.

LINKE für die Energiewende, Foto: Uwe Witt

Die Differenz von heimisch erzeugtem Ökostrom und tatsächlichem Verbrauch könnte ein Vertrieb theoretisch auch mit Grünstromimporten aus dem Ausland decken statt mit konventionellem Strom. Vergleichbares bieten heute schon einige Stadtwerke und Grünstromhändler für 100-Prozent-Ökostromprodukte.

Als Lösung für die gesamte Volkswirtschaft würde so etwas jedoch schnell an die Grenzen von Verfügbarkeit und Übertragungskapazität stoßen. Schließ-lich müssten – wenn die heute knapp 30 Prozent Ökostrom auf 100 Prozent aufgestockt werden sollten – über 70 Prozent des deutschen Strombedarfs importiert werden. Jedenfalls sofern tatsächlich Strom gekauft würde und nicht nur obskure Zertifikate über die Grenze wandern, die hierzulande den Grünstromanteil rechnerisch erhöhen, ihn aber beispielsweise in Norwegen entsprechend drücken.

Ohnehin sollte sich Deutschland mit Elektrizität im Wesentlichen selbst versorgen. Zwar macht ein internationaler Stromverbund zum Ausgleich von Erzeugungs- und Verbrauchsschwankungen Sinn. Erst recht später, in einem weitgehend regenerativen System, weil dies Kosten spart (siehe Abschnitt 4.1).

Importe können auf dem Weg dahin aber nicht den überwiegenden Teil unse-rer Nachfrage decken – das wäre Energiewende auf Kosten andeunse-rer.

Mit dem beschriebenen Instrumenten-Mix im Modell der Echtzeitwälzung könnte die Systemintegration tatsächlich gelingen, von der heute so viel fabuliert wird. Gerade Stadtwerke würden hier zu zentralen Schaltstellen der Wandels werden. Sie haben die Kundennähe, sind meist sowohl im Strom- als auch im Wärmemarkt aktiv, betreiben selbst vielfach hochflexible KWK und zunehmend auch regenerative Erzeugungsanlagen. Außerdem kennen viele den Stromhandel.

Bei diesem Modell müsste sich primär die fossile Erzeugung an die fluktuie-rende erneuerbare anpassen, und nicht umgekehrt – wie es das »EEG 2014«

mit der verpflichtenden Direktvermarktung von Ökostrom tendenziell fordert.

Genau diese Hierarchie der IZES-Idee weckt jedoch Widerstände. Zudem ist nicht sicher, ob kommunale Unternehmen eine solche Verantwortung in naher Zukunft übernehmen wollen.

Trotzdem lohnt es sich, für diesen Plan oder ähnliche Konzepte zu streiten.

Stadtwerke werden aber auch in jedem anderen Regulierungssystem Vortei-le haben, wenn sie sich fit machen, um jene Prozesse zu beherrschen, die im Modell der Echtzeitwälzung beschrieben sind. Etwa bei der Nutzung des

Grünstrommarktmodells. Denn die Aufgabe der Systemintegration bleibt.

Entsprechende Geschäftsfelder wird es zunehmend geben, das ist sicher.

Und es wäre sträflich dumm, würden Kommunalbetriebe ihre strukturellen Vorteile nicht sorgsam pflegen und kräftig ausspielen.

3.3.3. … als Netz- und Speicherbetreiber

Strom- und Wärmemarkt werden sich künftig verbinden. Diese Brücke – etwa über KWK oder »Power to Heat« – ist wichtig, um flexibel auf Schwankun-gen der Einspeisung aus Wind und Sonne reagieren zu können. Im nächsten Jahrzehnt wird wahrscheinlich eine neue Technologie wirtschaftlich verfügbar sein, die Energie nicht nur für Stunden oder Tage zwischenspeichern kann, sondern für Wochen. »Power to Gas« heißt das Konzept und bedeutet, dass Überschüsse von Wind- und Solarstrom in Wasserstoff oder Methan umge-wandelt werden. Das Gasnetz ist hier idealerweise Speicher und Transport-medium zugleich. Erzeugtes Gas kann später rückverstromt werden, etwa in Zeiten tagelanger Windflaute im tageslichtarmen Winter. Kann die Abwärme der Elektrolyse genutzt werden, verbessert sich der bislang noch schlechte Wirkungsgrad dieses Verfahrens.

Es ist schwer vorstellbar, dass die medienübergreifende regionale Ein- und Rückspeisung sowie Speicherung von Strom, Gas und Wärme halbwegs reibungslos und effizient erfolgen kann, wenn unterschiedliche Konzessions-inhaber die Netze betreiben. Schließlich dürfte jeder seine eigenen Verwer-tungsinteressen und Firmenphilosophien haben. Im Zweifel müssten moderne integrierte Konzepte stets gegen den privatwirtschaftlichen Widerstand des jeweiligen Konzessionsinhabers durchgesetzt oder abgekauft werden. Der Regulierungsaufwand wäre enorm. Ein Grund mehr für Netze in kommunaler Verfügung.

Über Stromnetze wird in Zukunft nicht nur Elektrizität, sondern auch Infor-mation verschickt. Die Begriffe Smart Grid und Smart Metering sind dafür in aller Munde. Über intelligente Netze und Stromzähler werden Systemdaten automatisch kommuniziert. Wie viel Strom zieht welcher Verbraucher im Moment an welchem Anschlusspunkt? Wo befinden sich Last- oder Erzeu-gungsspitzen? Kann man sie kappen, um das Netz weniger zu belasten? Oder umgekehrt, bei möglicherweise variablen Stromtarifen: Wo liegt gerade der Preis? Lohnt es sich etwa stromfressende Geräte später anzuwerfen, um Geld zu sparen?

Manche Vision von Smart Energy wird sich als zu teuer herausstellen oder bringt schon heute zu Recht Datenschützer auf den Plan. Sicher ist aber: das Stromnetz wird intelligenter werden und damit auch effizienter und

Manche Vision von Smart Energy wird sich als zu teuer herausstellen oder bringt schon heute zu Recht Datenschützer auf den Plan. Sicher ist aber: das Stromnetz wird intelligenter werden und damit auch effizienter und