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Die Region München hat sich im Gegensatz zu anderen bundesdeutschen Ballungsräumen aufgrund ihrer spezifischen Mischung harter und weicher Standortfaktoren bislang als resistent gegen rezessio-nelle Einbrüche erwiesen. Neue High-tech-Industrien, eine ausgewogene Wirtschaftsstruktur, die breite Forschungs- und Hochschullandschaft, das hohe Qualifikationsniveau der Beschäftigten, der weitrei-chende Ausbau der Verkehrsinfrastruktur sowie das Image von der „Lebensqualität des Südens“ mit attraktiven Landschafts- und Erholungsräumen sind hierfür wesentliche Faktoren – seit Jahrzehnten herrscht nahezu ungebrochenes Wachstum. Die Region München umfaßt heute 186 Städte und Gemeinden und acht Landkreise. Ende 1991 lebten hier 2,34 Mio. Einwohner auf einer Fläche von 5.186 km².

Nach einer schwierigen Phase infolge der weltweiten Konjunkturkrise wird ab Mitte der 90er Jahre für die folgenden 10 – 15 Jahre wieder von weiterem Wachstum ausgegangen. Man rechnet mit insgesamt bis zu 300.000 Einwohnern und 150.000 Arbeitsplätzen zusätzlich für die Region, davon jeweils etwa

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mit der Hälfte allein für die Stadt München (LANDESHAUPTSTADT MÜNCHEN 1995). Das progno-stizierte regionale Bevölkerungswachstum entspricht damit dem der letzten 20 Jahre. Um dies zu ermöglichen, wird an den Ballungsraum München die Forderung nach verstärkter Ausweisung von Siedlungsflächen für Wohnen und Arbeiten mit Folgeinfrastruktur, nach baulicher Verdichtung und Umstrukturierung, insbesondere von einigen „pressure-groups“ gestellt. Die künftige Sicherung des Wohlstands scheint zunächst zwingend an weiteres Siedlungswachstum gebunden zu sein.

Im internationalen Wettbewerb der Ballungsräume um hochqualifizierte Arbeitskräfte ist die jeweilige urbane Lebensqualität entscheidend. Die gegenwärtigen politischen, ökonomischen und demographi-schen Entwicklungen werden diesen Wettbewerb weiter verschärfen: Überalterung und Geburtenrück-gang der deutschen Bevölkerung, gesellschaftlicher Umbruch im Osten, Öffnung der EG-Binnengren-zen, fortschreitende internationale Arbeitsteilung, verstärkter Zuzug ausländischer Bevölkerung bei stei-gender Wohnraumnachfrage, zunehmende Mobilität und Belastung durch den Verkehr sowie zuneh-mende soziale Spannungen vergrößern die Widersprüche in der Stadtgesellschaft und lassen die Lebensqualität sinken.

Ausmaß und Art der Wachstums- und Konzentrationsprozesse in München haben der Stadt bereits eine Vielzahl spürbarer „Schmerzen“ zugefügt. Diese drohen sich aufgrund des anhaltenden gesell-schaftlichen Strukturwandels bei Verfestigung der monozentrischen Siedlungsstruktur der Region München künftig zu verschärfen:

• Angespannte Wohnungssituation

• Zunahme der Wirtschaftsstandortkonkurrenzen

• Soziale Polarisierung

• Umweltbelastung durch den motorisierten Individualverkehr

• Zu wenig Grün

• Ökologische Folgen der „modernen“ städtischen Lebens- und Wirtschaftsweise

Trotz umfangreicher Wohnungsbaumaßnahmen der vergangenen Jahre bleibt die Wohnungsnot ein Dauerthema für die Stadt München. Wohnungsnot ist jedoch kein allgemeines, sondern ein spezifi-sches Problem des unteren sozialen Drittels der städtischen Bevölkerung. Wohnungsnot heißt in erster Linie mangelnde Versorgung mit preiswertem Wohnraum.

Die ab Beginn der 90er Jahre prognostizierte starke Bevölkerungszuwanderung sowie die weiter an-wachsenden individuellen Wohnraumansprüche von Oberschicht und Mittelstand werden die Konkur-renz um preisgünstigen Wohnraum in Zukunft noch verschärfen und die Schere zwischen arm und reich weiter öffnen lassen. Die Tendenzen zur Konzentration der sozial schwächeren Bevölkerungs-gruppen in den unattraktiven Wohnlagen, wie z. B. Großsiedlungen der 60er und 70er Jahre, mit all ihrem bekannten sozialen Sprengstoff, verstärken sich.

München gehört zu den prosperierenden Ballungsräumen in Europa. Im Zuge des derzeit stattfinden-den Strukturwandels sind jedoch bestimmte Standortvorteile zunehmend gefährdet. Fortschreitende internationale Arbeitsteilung, Tertiärisierung, Rationalisierung und Deindustrialisierung gehen bei hohen

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Boden-, Miet- und Pachtpreisen mit Verdrängung von unrentablen Nutzungen, in erster Linie beim pro-duzierenden Gewerbe, einher. Hinzu kommt der Rückgang in der Rüstungsindustrie. Gleichzeitig wird der Ausländeranteil und somit der Anteil der Erwerbsbevölkerung mit einer dem Arbeitsmarkt nicht angepaßten beruflichen Qualifikation infolge der Zuwanderung aus Osteuropa vermutlich erheblich ansteigen.

Auch in München werden die Folgen dieser Entwicklung trotz eines insgesamt steigenden Wohlstands für breite Teile der Bevölkerung negativ spürbar:

• In einer Spaltung des Arbeitsmarkts in einen Sektor für gut ausgebildete, leistungsfähige Arbeitneh-merInnen und einen Sektor der schlecht ausgebildeten, wenig nachgefragten Berufsgruppen;

• in einer Polarisierung der Einkommensentwicklung zwischen hoch und gering Qualifizierten, stark und wenig Nachgefragten, zwischen Deutschen und Ausländern;

• in einer damit einhergehenden wachsenden Armutsbevölkerung, die längst nicht mehr auf „klassi-sche“ soziale Problemgruppen und Randgruppen, wie z. B. Kleinrentner und Obdachlose begrenzt bleibt, sondern bereits „Normalbürger“ betrifft;

• in einer veränderten sozialen Zusammensetzung der Bevölkerung und einer Pluralisierung der Lebensstile und kulturellen Bedürfnisse, die sich einerseits in einer Erhöhung der individuellen Ent-faltungsmöglichkeiten für Teile der Gesellschaft zeigt; andererseits verfestigen sich für einen wach-senden Teil der Bevölkerung soziale Ungleichheit und soziale Notlagen.

Als Fazit läßt sich feststellen, daß sich eine wachsende neue soziale „Unterschicht“ herausbildet, die zwar in sich differenzierter ist, aber verminderte Zugangschancen zum Arbeitsmarkt, zum Wohnungs-markt sowie zum allgemeinen gesellschaftlich-kulturellen Leben hat.

München ist bereits jetzt eine der am schlechtesten mit Freiflächen ausgestatteten Großstädte Deutschlands. Eine wachsende Bevölkerung mit immer höheren Freiraumansprüchen – Stichwort „Frei-zeitgesellschaft“, der gleichzeitig zunehmende Flächenverbrauch sowie Verluste der Erholungseignung vieler Teilflächen ließen die Schere zwischen Angebot und Nachfrage immer weiter öffnen. Neben einer unzureichenden Flächenausstattung sind in vielen Stadtbereichen insbesondere auch qualitative Defizite zu beklagen (NOHL 1995).

In quantitativer Hinsicht ist die Freiraumversorgung im Stadtgebiet sehr unterschiedlich zu bewerten.

Geht man von der Lage, Größe und Erreichbarkeit der Grünflächen aus, dann zeigt sich, daß sich dank der Isar ein breites Band überdurchschnittlich gut versorgter Stadtbezirke beidseitig des Flusses erstreckt.

Legt man für die qualitative Grünversorgung soziale Kriterien wie z. B. den Bedarf von Problemgruppen bzw. Problemgebieten (hohe Einwohnerdichten, hohe Kinder-, Alten-, Ausländeranteile u. a.) und zusätzlich noch Belastungskriterien (z. B. Verlärmung, Zustand u. a.) zugrunde, so ergibt sich bezüglich der Grünflächenversorgung eine Rangfolge für Stadtbezirke.

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Ein Vergleich mit üblichen Grünflächen-Richtwerten erbringt vor allem deutliche Defizite auf der Versor-gungsebene der Nachbarschaften. Es fehlt insbesondere an diesen kleinen Flächen im unmittelbaren Wohnumfeld. Wegen der Ungleichverteilung der Flächen in der Stadt (nicht wegen den absolut vorhan-denen Flächen) gibt es aber auch auf den anderen Versorgungsebenen Grünflächendefizite in Höhe von 20% bis 30%. Mangelnde Erreichbarkeit und ungenügende Lagegunst der Grünflächen sind letzt-lich die Ursachen dafür.

Die Stadtentwicklung der letzten Jahrzehnte ließ die Belastungen der natürlichen Lebensgrundlagen Boden, Wasser, Luft, Pflanzen und Tiere zu bedenklichen Dimensionen anwachsen. Das v. a. innerhalb der letzten zwanzig Jahre deutlich gestiegene Engagement für Umwelt- und Naturschutz zeigte in Teil-bereichen Wirkung. Die meisten Erfolge wurden jedoch durch die allgemeine Belastungszunahme über-kompensiert.

Das Ausmaß der ökologischen Krise war keineswegs zwangsläufige Folge einer wachsenden Bevölke-rungsdichte. Die Ursachen sind vielmehr in der ressourcenvergeudenden Wirtschaftsweise, den Kon-sumansprüchen und Leitbildern der Nachkriegszeit zu suchen, die sich in Siedlungsentwicklung und Städtebau widerspiegelten. Folgen sind ein voranschreitender Verlust urbaner Wohn- und Lebensquali-tät und somit zumindest langfristig eine Verringerung der AttraktiviLebensquali-tät und ökonomischen Leistungs-fähigkeit. Aufgrund zunehmender Exporte der stadtgemachten Umweltbelastungen wird die ökologische Krise der Stadt zusehends zu einem politischen Problem mit regionaler bzw. überregionaler Dimension.

Die wachsenden Umweltbelastungen bergen mehr und mehr auch sozialen Sprengstoff, zumal sie zum Großteil auffallend ungleichmäßig über das Stadtgebiet verteilt sind und sozial schwächere Bevölkerungsgruppen besonders stark treffen.

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Abbildung 1: Stufen des Siedlungswachstums in der Region München1

1 Quelle: Grundlagen für ein Dichtenmodell - München, Planungsgruppe 504, München, März 1994.

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Das Ausmaß zeigt sich bei der Bodenbelastung, der Gewässerbelastung, der Luft- und Klimabelastung, der Arten- und Biotopgefährdung und der Energie- und Abfallproblematik:

• Mit einem Versiegelungsgrad von etwa 56% im Vergleich deutscher Großstädte ist München die Stadt mit der drittgrößten Vorbelastung durch Bodenversiegelung; die Innenstadt ist bereits zu 80-100%, die Innenstadtrandgebiete zu 30-60% versiegelt und durch verringerte Filter- und Pufferfunk-tionen der nicht überbauten Böden infolge vielfältiger mechanischer und chemischer Belastungen (v. a. Schwermetallbelastung durch Straßenverkehr; häufig über den Grenzwerten) gekennzeichnet;

• Bei der Gewässerbelastung ist die Grundwasserneubildung in hoch versiegelten Bereichen stark eingeschränkt. Durch mäßige bis sehr starke Schadstoffbelastung des Grundwassers aufgrund des geringen Flurabstandes und durchlässiger Schotterböden; Belastungsspitzen (z.T. Grenzwertüber-schreitungen) v. a. bei Halogenkohlenwasserstoffen und Chlorid (Straßenverkehr, Streusalz), mit einem starken Export der Grundwasserbelastung in den Norden Münchens, durch eingeschränkte Qualität der Oberflächengewässer; häufige Überschreitung der EG-Grenzwerte für hygienische Belastung; nur mehr bedingte oder nicht mehr gegebene Badeeignung;

• Luft- und Klimabelastung treten in Abhängigkeit von Großwetterlagen und jahreszeitlichem Verlauf durch regelmäßiges Auftreten hoher Schadstoffbelastungen hervor; Spitzenbelastungen v. a. bei Zusammenwirken von Emissionen des Kfz-Verkehrs und von Inversionshäufigkeit bei CO, SO2 und Staub; umfangreiche Schadstoffexporte (v. a. Vorläuferschadstoffe für Ozon), mit verändertem Stra-hlungs- und Wärmehaushalt insbesondere in den dicht bebauten Innenstadtrandbereichen (Auf-heizung hochversiegelter Oberflächen, Wärmeinseln, Hitzestreß), in behindertem Luftaustausch durch ungünstige Bebauungsstruktur (Verbauung von Frischluftschneisen; Überbauung von inner-städtischen klimatischen Ausgleichsflächen);

• Bei der Arten- und Biotopgefährdung zeigt sich die Umweltbelastung durch starken Rückgang der naturnahen Flächen und Artenvorkommen im Stadtgebiet; z. B. 18% Verlust von Magerrasen und nährstoffarmen Brachen zwischen 1985 und 1989; Reduzierung des Streuwiesenbestandes zwi-schen 1890 und 1989 um 99%, in fortschreitender Zersplitterung und Verinselung der naturnahen Restlebensräume, durch fortschreitende qualitative Verluste durch intensive Pflege, Nutzungsdruck, randliche Nährstoffeinträge, gezielte Umgestaltung etc.

• Eine immens gewachsene Abhängigkeit der Stadt von Energieimporten und mangelnde Orientierung der städtebaulichen Entwicklung an Erfordernissen effizienter Energienutzung (verdichtetes Bauen, Ausrichtung und Gestaltung von Baukörpern, dezentrale Energieversorgung und Nutzung rege-nerativer Energie) zeigen die zunehmenden Defizite der Energiebewirtschaftung in der Stadtregion.

Durch wachsende Müllberge, aufgrund einer in der Vergangenheit unzureichenden Orientierung auf Abfallvermeidung und Wiederverwertung bestehen erhebliche Altlasten in der Abfallproblematik.

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