• Keine Ergebnisse gefunden

Dabei wird der gesamte Chlorwasserstoff in diesem Bereich durch das im Überschuß vorhandene Ammoniak verbraucht. Durch Diffusion weiteren Chlorwasserstoffs in Richtung Niederschlag und erneuter Ausfällung entsteht schließlich eine Zone, die an Chlorwasserstoff verarmt ist. Dieser Vorgang ist möglich, da gleichzeitig das Ammoni-umchlorid-Häutchen das weitere Vordringen der Ammoniak-Moleküle hemmt. Der Verbrauch der Gase hat vor allem auf der Seite des langsamer diffundierenden Chlor-wasserstoffs eine Sogwirkung zur Folge, so daß sich das Ammoniumchlorid-Häutchen durch den geringen Unterdruck in diese Richtung bewegt. Schließlich wird eine Zone erreicht, in der die Konzentration an Chlorwasserstoff zur Ausfällung von Ammonium-chlorid wieder ausreicht.

4.2.3 Das Kristallwachstum in Liesegang-Bändern

Ein aktuelles Forschungsgebiet ist die Untersuchung des Kristallwachstums in den ein-zelnen Liesegang-Bändern bestimmter Systeme. In diesem Zusammenhang sind die Arbeiten von Kniep und Busch zum biomimetischen Wachstum und zur Selbstorganisa-tion von Fluorapatit-Aggregaten in Gelatine-Matrices von außerordentlichem Interesse [Kniep; Busch 1996/Oetken 1997]. Im folgenden Experiment wird der Wachstumsver-lauf der Fluorapatit-Aggregate über mehrere Tage aufgezeigt und mit Hilfe eines Com-puterprogramms simuliert.

Versuchsdurchführung:

In einem Becherglas mit 50 mL dest. Wasser und 5,5 g Gelatine wird der pH-Wert mit Salzsäure, c(HCl) = 2 mol/L, zwischen 2,5 und 3,5 eingestellt. Danach wird die Gelati-ne unter Erhitzen gelöst. Das zunächst einseitig verschlosseGelati-ne Zentralrohr wird mit der Gelatine-Lösung gefüllt und 24 Stunden bei Raumtemperatur stehengelassen. Anschlie-ßend werden die L-förmigen Schenkel gemäß Abb. 4.14 über das Zentralrohr miteinan-der verbunden, mit miteinan-der Calciumchlorid- bzw. miteinan-der Dinatriumhydrogenphosphat-/Kaliumfluorid-Lösung gefüllt und mit Stopfen verschlossen (Doppeldiffusionstechnik, [Wilke; Blohm 1988]).

Herstellung der Calciumchlorid-Lösung:

In einem Meßkolben werden 25 mL Tris-Puffer-Lösung mit 42 mL Salzsäure, c(HCl) = 0,1 mol/L, und 1,48 g Calciumchlorid versetzt. Anschließend wird der Kolben mit dest. Wasser auf 100 mL aufgefüllt.

Die Lösung besitzt einen pH-Wert von 7,4.

Herstellung der Dinatriumhydrogenphosphat-/Kaliumfluorid-Lösung:

In einem Meßkolben werden 25 mL Tris-Puffer-Lösung mit 44,7 mL Salzsäure, c(HCl) = 0,1 mol/L, und 1,42 g Dinatriumhydrogenphosphat-Dihydrat sowie 0,16 g Kaliumfluorid versetzt. Anschließend wird der Kolben mit Wasser auf 100 mL aufgefüllt. Die Lösung besitzt einen pH-Wert von 7,8. Mit Salzsäure, c(HCl) = 0,1 mol/L, wird die Lösung auf den pH-Wert von 7,4 eingestellt.

Abb. 4.14: Versuchsaufbau nach [Kniep; Busch 1996]

Beobachtung:

Innerhalb von 8 Tagen bilden sich in der Gelatine zwei weiße Schichten, die durch ei-nen niederschlagsfreien Zwischenraum deutlich voneinander abgesetzt sind. Sie werden getrennt voneinander mehrmals mit destilliertem Wasser gewaschen und zentrifugiert.

Dinatriumhydrogenphosphat-/

Kaliumfluorid-Lösung Calciumchlorid-Lösung

Zentralrohr mit Gelatine

Nach dem Trocknen werden die Niederschläge unter dem Elektronenrastermikroskop betrachtet.

Auswertung und Interpretation:

Die Diffusion der beiden Lösungen in die Gelatine führt zur Bildung von zwei Liese-gangschen Bändern aus weißem Fluorapatit:

5 Ca2+ + 3 PO43- + F- Ca5(PO4)3F.

Kniep und Busch entdeckten, daß das Wachstum der Fluorapatit-Aggregate in dem phosphatseitigem Niederschlag nach dem Prinzip der Selbstähnlichkeit erfolgt (frakta-les Wachstum): Ausgehend von hexagonal-prismatischen Keimkristallen wachsen an den Enden weitere Generationen mit einem maximalen Öffnungswinkel von 45°, wobei sich die Länge der Kristalle mit jeder neuen Generation um den Faktor 0,68 verkürzt.

Daher nehmen die zunächst nadelförmigen Fluorapatit-Kristalle mit zunehmendem Wachstum erst eine Hantel- und später eine Kugelform an.

Die folgenden elektronenrastermikroskopischen Aufnahmen dokumentieren diesen Wachstumsprozeß.

Neben den Aufnahmen sind zweidimensionalen Simulationen der jeweiligen Wachs-tumsphase dargestellt, die mit Hilfe eines einfachen PASCAL-Programms erzeugt wer-den können. Auch hier kommt es nach einigen Wachstumsgenerationen zunächst zu einer hantelförmigen und schließlich zu einer kugeligen, geschlossenen Struktur.

Abb. 4.15: Rasterelektronische Aufnahme eines nadelförmigen Fluorapatit-Keimkristalls und die entsprechende zweidimensionale Simulation

Abb. 4.16: Rasterelektronische Aufnahme eines hantelförmigen Fluorapatit-Aggregates und die entsprechende zweidimensionale Simulation

Abb. 4.17: Geschlossene Struktur eines Fluorapatit-Aggregates und die entsprechende zweidimensionale Simulation

Eine detaillierte Erklärung dieses Phänomens liegt zur Zeit noch nicht vor. Weiterfüh-rende Untersuchungen lassen jedoch die Schlußfolgerung zu, daß ein konzertiertes Zusammenwirken der eingesetzten Gel-Matrix mit dem entstehenden Kristallisat den außergewöhnlichen Wachstumsprozeß, der mit den Abläufen bei der Knochen- und Zahnbildung vergleichbar ist [Kuhn; Fink; Heuer 1996], bedingen [Kniep; Busch 1996].

4.3 Ausblick

Noch heute ist das Interesse an den Liesegangschen Ringen ungebrochen. So erhofft man sich, daß die Art ihrer Entstehung Rückschlüsse auf verschiedene in der Natur vor-kommende selbstorganisierende Vorgänge zuläßt. Insbesondere Geologen versuchen anhand des Liesegang-Phänomens die Bildung von Lagerstätten zu verstehen [Jacob;

Krug; Dietrich 1992], da, was im übrigen schon von Liesegang selbst bemerkt wurde [Liesegang 1913/1915], hier ebenfalls eine Vielfalt gebänderter Strukturen auftritt, von der bislang angenommen wurde, daß der Grund ihrer Erscheinungsform in einer dis-kontinuierlichen Stoffzufuhr liegt. Besonders auffallende Analogien zu den Liesegang-Ringen zeigen die Achate mit ihrem charakteristischen konzentrischen Ringmuster (Abb. 4.18), Goldadern in Quartzgestein und andere geologische Gefüge (z.B. Zebrami-neralisationen, Abb. 4.19).

Abb. 4.18: Gebänderte Struktur im Achat Abb. 4.19: Zebramineralisation [Krug;

Brandstädter; Jacob 1996]

Auch in der Biologie trifft man auf Strukturen, die den Liesegangschen Ringen sehr ähnlich sind. Die Abb. 4.20 zeigt z.B. eine Kolonie von vulgare-Bakterien in Agar. Die Ringbildung in diesem biologischen System kommt dadurch zustande, daß durch die Nahrungsaufnahme ein Konzentrationsgradient aufgebaut wird und somit das benach-barte (konzentrische) Gebiet an Nahrung verarmt. Hier findet keine weitere

Ver-mehrung statt. Erst in einem weiter entfernten Gebiet, in dem das Nahrungsangebot wieder ausreichend ist, wächst die nächste Generation heran [Henisch 1988].

Abb. 4.20: Kolonie von vulgare-Bakterien in Agar [Henisch 1988]

Es ist zu erwarten, daß das Phänomen der Liesegangschen Ringe zum Verständnis wei-terer natürlicher strukturbildender Prozesse beitragen wird.

5. Zeitliche Strukturbildung in elektrochemischen Systemen

5.1 Einführung

Periodische Oszillationserscheinungen an Metallen bei anodischer Belastung wurden erstmals von Schönbein am Eisen in verdünnter Schwefelsäure beobachtet [Schönbein 1842]. Inzwischen ist eine Vielzahl weiterer Systeme mit ähnlichen Verhaltensweisen entdeckt worden. Eine umfassende Übersicht über diese Systeme wird von Hudson und Tsotsis gegeben [Hudson; Tsotsis 1994].

Dagegen sollte man beim bloßen Eintauchen eines Metalls in eine Lösung erwarten, daß die an der Phasengrenze Elektrode/Elektrolyt einsetzenden Reaktionen nach kurzer Zeit zur Einstellung eines elektrochemischen Gleichgewichts und damit zu einem konstanten Potential der Elektrode führen.

Im folgenden werden nun Systeme präsentiert, die ein völlig abweichendes Verhalten zeigen. Man kann bei ihnen spontane Oszillationen des Elektrodenpotentials beobach-ten, die im Gegensatz zu den diskutierten Oszillationen am Eisen (vergl. Kap. 3) ohne anodische oder kathodische Belastung durch eine Spannungsquelle auftreten. Solche spontanen Oszillationen werden auch als Eigenoszillationen bezeichnet. Diese Erschei-nung tritt in sauren Elektrolyten auf, die zusätzlich ein geeignetes Oxidationsmittel be-stimmter Konzentration enthalten. Bis heute sind nur wenige elektrochemische Systeme bekannt, bei denen man Eigenoszillationen beobachten kann. Als erster berichtete im Jahre 1828 Fechner [Fechner 1828], der die Passivität des Eisens in silberhaltiger Sal-petersäure untersuchte, über solche Oszillationen. Er beobachtete rhythmische Potentialschwankungen, die von einem alternierenden Abscheiden bzw. Auflösen von metallischem Silber begleitet werden. Herschel [Herschel 1834] konnte einige Jahre später zeigen, daß sich Eisen in Salpetersäure bestimmter Konzentration ebenfalls peri-odisch auflöst.

Ein weiteres, bereits seit Anfang dieses Jahrhunderts bekanntes und leicht reproduzier-bares System, in dem Eigenoszillationen auftreten, besteht aus einer Eisenelektrode, die in eine dichromationenhaltige, schwefelsaure Lösung taucht. Genauere Untersuchungen hierzu wurden von Karschulin [Karschulin 1934/1936] angestellt. Ein befriedigender

Mechanismus zur Interpretation dieses elektrochemischen Systems ist jedoch bisher noch nicht gefunden worden.

Das Phänomen der Eigenoszillationen ist aber nicht auf das Metall Eisen beschränkt: So wurden inzwischen auch am Quecksilber [Bredig; Weinmayr 1903/Kremann 1913], Nickel [Meunier 1951] und Cobalt [Franck; Meunier 1953] ähnliche Beobachtungen gemacht.

Demgegenüber sind Oszillationserscheinungen am Kupfer bisher ausschließlich bei anodischer Polarisation gefunden worden. Im Jahre 1926 erhielt Hedges durch die anodische Belastung einer Kupferelektrode in salzsaurer Lösung Strom- und Potential-oszillationen [Hedges 1926]. Lal und Thirsk berichteten 1953 über Oszillationen am Kupfer in neutraler Natriumchlorid-Lösung [Lal; Thirsk 1953]. Pearlstein entdeckte 1985 im System Kupfer/schwefelsaure Natriumchlorid-Lösung unter potentiostatischen Bedingungen Oszillationen der Stromwerte [Lee; Nobe; Pearlstein 1985]. Bisher ist man davon ausgegangen, daß für das Auftreten der Oszillationen am Kupfer die An-wesenheit von Chlorid-Ionen immer zwingend notwendig ist [Hedges 1926/Bonhoeffer;

Gerischer 1948/Lal; Thirsk 1953/Cooper; Bartlett 1958/Cooper; Muller; Tobias 1980/Lee; Nobe; Pearlstein 1985/Lee; Nobe 1986/Bassett; Hudson 1987/1988/1989/

1990].

Im folgenden soll zunächst das eigentümliche Potentialverhalten einer Eisenelektrode in Salpetersäure diskutiert werden. Nach der Präsentation weiterer spontan oszillierender Systeme soll der Frage nachgegangen werden, ob Potentialoszillationen am anodisch belasteten Kupfer in reiner schwefelsaurer Lösung möglich sind. Ferner wird unter-sucht, ob am Kupfer ebenfalls Eigenoszillationen erzeugt werden können.

5.2 Spontane Oszillationserscheinungen an Metallen