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Vorschlag einer Modellvorstellung auf der Basis der vorliegenden Ergebnisse und bisheriger Befunde

2 EXPERIMENTELLER TEIL

2.4 Zusammenfassung

2.4.1 Vorschlag einer Modellvorstellung auf der Basis der vorliegenden Ergebnisse und bisheriger Befunde

Auf der Basis der verschiedenen neurophysiologischen, neuropsychologischen und der eigenen Ergebnisse hinsichtlich der Rolle der linken und rechten Hemisphäre und des Zeitpunktes, wann figurative Bedeutung abgerufen wird, wird eine Modellvorstellung zu der Verarbeitung figurativer Sprache vorgeschlagen. Dabei werden verschiedene Überlegungen aus bestehenden Modellvorstellungen integriert und erweitert.

Es wird angenommen, dass die Aktivierungen in der rechten Hemisphäre Ausdruck der holistischen Verarbeitungsprozesse sind und zu dem endgültigen Abruf der figurativen Bedeutung führen, wohingegen die Kooperation zwischen den Hemisphären eine Verknüpfung zwischen der von der linken Hemisphäre vorgenommenen gewöhnlichen Sprachverarbeitung und dem Abruf der figurativen Bedeutung in der rechten Hemisphäre darstellt (s. Abb. 36).

Weiter wird davon ausgegangen, dass die linke und rechte Hemisphäre nicht unabhängig voneinander arbeiten, sondern dass zunächst zu Anfang des figurativen Satzes eine „wörtliche“ Verarbeitung in der linken Hemisphäre stattfindet (Punkt 1 in Abb. 37), wie sie bei einem wörtlich zu verstehenden Satz erfolgt, und Verarbeitungsprozesse in der rechten Hemisphäre erst durch ein Schlüsselwort initiiert

160 werden. Die Initiierung erfolgt über die Verarbeitung des Schlüsselwortes und darauffolgenden Kooperationsprozessen zwischen den Hemisphären (Punkt 2 in Abb.

37). Dies resultiert in dem Abruf der figurativen Bedeutung. Das Schlüsselwort hat somit die Funktion eines Auslösers für spezifische Verarbeitungsprozesse. Die Kooperation wird interpretiert als eine Weiterleitung von Informationen zur Anregung des Abrufs der figurativen Bedeutung und holistischer Verarbeitungsprozesse der Gesamtbedeutung des Satzes. In Abbildung 37 ist ein Beispiel der Verarbeitung eines figurativen Ausdrucks ohne vorausgehenden Kontext dargestellt, wobei der Beginn des Beispielsatzes Mal nicht den vorrangig in der linken Hemisphäre verarbeitet wird und die Verarbeitung des Wortes Teufel den Anstoß für die Kooperation zwischen den Hemisphären und Verarbeitungsprozesse in der rechten Hemisphäre gibt.

Abbildung 36: Modellvorstellung zu der Verarbeitung figurativer Ausdrücke in der linken und rechten Hemisphäre auf der Basis der vorliegenden Ergebnisse und bisheriger Befunde.

Linke Hemisphäre

Wörtliche Analyseprozesse bis

einschließlich Schlüsselwort

Rechte Hemisphäre

Abruf der figurativen Bedeutung Schlüsselwort

initiiert

161

Abbildung 37: Modellvorstellung zu der Verarbeitung figurativer Ausdrücke in der linken und rechten Hemisphäre auf der Basis der vorliegenden Ergebnisse und bisheriger Befunde. Verarbeitung beispielhaft dargestellt für den Satz Mal den Teufel nicht an die Wand.

Dieses Modell erklärt sowohl die Ergebnisse, dass die figurative Sprache nicht mehr adäquat verarbeitet werden kann, wenn eine Störung des Corpus Callosum vorliegt, als auch die Ergebnisse, dass eine rechtshemisphärische Läsion zu Defiziten in der Verarbeitung figurativer Sprache führt. Bei einer Beeinträchtigung des Corpus Callosum erfolgt wahrscheinlich eine wörtliche Analyse in der linken Hemisphäre. Der Anstoß zu der Verarbeitung in der rechten Hemisphäre könnte dann aber gestört sein, wodurch auf die Prozesse, die zu dem Abruf der figurativen Bedeutung führen, nicht mehr zugegriffen werden kann. Bei unilateralen Störungen in der rechten Hemisphäre könnte der eigentliche Abruf der figurativen Bedeutung beeinträchtig sein.

In bisherigen Studien wurde häufig festgestellt, dass Beeinträchtigungen in der linken Hemisphäre keine Defizite in der Verarbeitung figurativer Sprache verursachen.

Einige Studien liefern jedoch Hinweise, dass die linke Hemisphäre in den Verarbeitungsprozess involviert ist. Leichte Störungen in der linken Hemisphäre verhindern möglicherweise nicht, dass das Schlüsselwort adäquat verarbeitet wird und die Prozesse in der rechten Hemisphäre angestoßen werden, so dass eine Verarbeitung der figurativen Bedeutung eines Satzes möglich ist. Massive Störungen in der linken Hemisphäre verhindern jedoch möglicherweise selbst die Verarbeitung des Schlüsselwortes, wodurch die Prozesse in der rechten Hemisphäre nicht angestoßen werden und kein Abruf der figurativen Bedeutung stattfindet. So erklären sich die Ergebnisse einiger weniger Studien, dass auch Störungen in der linken Hemisphäre zu Defiziten in der figurativen Sprache führen. Es erklärt sich gleichzeitig aber auch, dass nicht jede Störung in der linken Hemisphäre zu einem Verarbeitungsdefizit führen muss.

initiiert

Abruf der figurativen Bedeutung Wörtliche

Analyseprozesse, Verarbeitung des Schlüsselwortes

„Er beschwört Unheil herauf“

Mal nicht den Teufel

1 2

Schlüsselwort

linke Hemisphäre rechte Hemisphäre

162

Abbildung 38: Modellvorstellung zu der Verarbeitung figurativer Ausdrücke in der linken und rechten Hemisphäre auf der Basis der vorliegenden Ergebnisse und bisheriger Befunde. Hier ist der Verarbeitungsprozess des Beispiels „Mal nicht den Teufel...“ mit vorangehendem Kontext dargestellt.

Das Modell lässt sich auch auf andere Ausdrücke und andere Situationen übertragen, beispielsweise wenn einem Ausdruck ein Kontext vorausgeht (Abb. 38, Sprecher A). Es ist denkbar, dass ein vorausgehender Kontext den Abruf der figurativen Bedeutung früher möglich macht und nicht notwendigerweise eine wörtliche Analyse bis zu dem hier genannten Schlüsselwort erfolgt. Wenn beispielsweise allein der Satz Mal nicht den Teufel an die Wand gehört wird, so kann vermutet werden, dass die figurative Bedeutung etwa ab dem Wort Teufel abrufbar ist. Geht diesem Satz jedoch der Kontext „Hörst du das Telefon? Jetzt sagen die Lehmanns bestimmt auch noch ab!“

voraus, so ist es denkbar, dass die Prozesse des Abrufs der figurativen Bedeutung schon vor dem Wort Teufel im Satz beginnen, also möglicherweise schon bei der Analyse der Komponenten vor Teufel Verarbeitungsprozesse in der rechten Hemisphäre angestoßen werden. Mit sehr deutlich hinweisendem Kontext oder einer unikalen Komponente zu Beginn eines Satzes ist es sogar denkbar, dass der Abruf der figurativen Bedeutung gleich zu Beginn des Satzes erfolgt. Für das vorgeschlagene Modell wird postuliert, dass je mehr Hinweise auf die figurative Bedeutung einem Satz vorausgehen, desto kürzer erfolgt eine wörtliche Analyse und desto eher kann die figurative Bedeutung abgerufen werden. In diesem Modell also wird nicht davon ausgegangen, dass es ein stabiles Schlüsselwort in solchen Sätzen gibt und dass es immer erst relativ spät im

Integration von Verarbeitungsprozessen;

z.B. von Kontext und figurativer Bedeutung

3

initiiert

Abruf der figurativen Bedeutung Wörtliche

Analyseprozesse, Verarbeitung des Schlüsselwortes

Er beschwört Unheil herauf

A: „Hörst du das Telefon? Jetzt sagen die Lehmanns bestimmt auch noch ab!“

1

2

B: „Mal nicht den Teufel...“

163 Verarbeitungsprozess zu der Kooperation zwischen den Hemisphären und Verarbeitungsprozessen in der rechten Hemisphäre kommt, um die figurative Bedeutung abzurufen. Es wird hingegen angenommen, dass die Verarbeitungsprozesse in der rechten Hemisphäre und damit der Abruf der figurativen Bedeutung in Abhängigkeit des Kontexteinflusses und der Struktur der Ausdrücke früher oder später angestoßen werden können.

In dieser Modellvorstellung integriert sind damit sowohl Aspekte des

„configuration models“ (Cacciari & Tabossi, 1988; Cacciari und Glucksberg, 1991;

Tabossi & Zardon, 1993/1995), als auch der verschiedenen hybriden Modelle.

Kritisch zu betrachten ist, dass sich nicht mit Bestimmtheit sagen lässt, ob es sich bei der interhemisphärischen Kooperation um eine Initiierung der Prozesse in der rechten Hemisphäre handelt, oder ob es sich um eine Integration der Resultate von separaten Prozessen in der linken und rechten Hemisphäre handelt, wie es in einigen Studien vermutet wird (Huber-Okrainec, Blaser & Dennis, 2005; Paul et. al, 2003). Um das herauszufinden, wäre eine zeitlich genauere Analyse hilfreich. Zeigen sich bei einer zeitlich genaueren Analyse zu dem Zeitpunkt eines Schlüsselwortes Kooperationsprozesse, die anschließend Verarbeitungsprozesse in der rechten Hemisphäre generieren, so würde die Annahme, dass über die Kooperation die Prozesse in der rechten Hemisphäre initiiert werden, unterstützt. Zeigen sich jedoch zunächst Verarbeitungsprozesse in der rechten Hemisphäre mit einer anschließenden interhemisphärischen Kooperation, so wäre die Integrationshypothese zu favorisieren.