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11 Vorhersagbarkeit von Börsenkursen

Im Dokument The Theory of Fair Geometric Returns (Seite 95-99)

Bevor es in Kapitel 12 zum empirischen Test des 𝐹-Modells kommt, noch einmal kurz zurück zu Kapitel 9: Wissenschaftlich ganz redlich möchte der Verfasser hier gern konstatieren, dass die Prognoseergebnisse ex Darstellung 22, rechts, so ak-zeptabel – vielleicht: erstaunlich – sie sein mögen, zumindest diejenige Annahme nicht rechtfertigen, das 𝐹-Modell führe im Langfristschnitt voraussichtlich zu we-sentlich (oder überhaupt) besseren Kursvorhersagen als „𝐺 konstant“. In Text-Anhang 3.3 (dritter Absatz) hieß es bereits (Hervorhebung nur hier):

Andererseits ist auch klar, dass es genaue Vorhersagen von Renditen (und damit Preisen) prinzipiell nicht geben kann, da die Zukunft ja unsicher bleibt. Insofern lässt sich eigentlich nur fragen, ob sich die Ermittlung der erwarteten Rendite optimieren lässt. Falls ja, kann dies wiederum kaum mehr sein als eine graduelle Optimierung; alles andere erscheint unwahr-scheinlich. Möglich ist auch, dass im Durchschnitt gar nichts besser funktioniert, als die alte Entwicklung einfach fortzuschreiben.

Darstellung 23 verdeutlicht etwas von letzterem Gedanken. Die Tabelle zeigt eini-ge Kurz- und Mittelfristprognosen anhand der (sogenannten) „Fa(a)ng“-Aktien:

Facebook, Amazon, Apple, Netflix und Google. Ein Mal wird zum Termin Ende August 2017 prognostiziert, ein Mal (zur Kontrolle) zum Termin Ende Jänner 2018.

Die jeweils bessere Kursvorhersage ist farblich hinterlegt: „𝐺 konstant“ grau, 𝐹 -Modell orange. Dabei ist gut erkennbar, dass das 𝐹-Modell nicht systematisch, sondern nur sporadisch zu besseren Kursprognosen führt als „𝐺 konstant“. Im Mit-tel der beiden Tests sind beide Modelle gleichwertig (wie sich leicht abzählen lässt).

Natürlich kommt dies nicht ganz überraschend. Das 𝐹-Modell ist unbekannt, und die Anleger richten ihre Investitionsentscheidungen bisher eben gerade nicht an 𝑆= 1 aus, was die Prognosequalität womöglich anheben würde. Auch kann das Potenzial für Verfeinerungen des Formelwerkes (etwa durch andere Akademiker oder Praktiker) in der vorliegenden Beispielrechnung naturgemäß nicht inbegriffen sein. Solche Verfeinerungen werden vermutlich die Form statistischer Korrektur-faktoren haben. Denkbar ist auch, die Daten und Dynamik der Kontrapunktschar der Fuge zu nutzen, um die erwartete Wachstumsrate von 𝐹 immer weiter zu ver-dichten. Auch dies mag indes schlicht zu 𝐸 𝑆 ≅1 führen.

88 Darstellung 23 Einige US-Technologie-Bluechips. Das 𝑭-Modell (orange) führt nur sporadisch zu besseren

Kursprognosen als „𝑮 konstant“ (grau). Im Mittel des Doppeltests sind beide Prognosemo-delle gleichwertig. (Kurse: www.nasdaq.com.)

Umso erstaunlicher ist, wenn auch letztlich logisch, dass es trotzdem dabei bleibt:

„𝐺 konstant“ kann dann nicht die beste Schätzung für 𝑡+ 1 sein, gilt in 𝑡 nicht si-multan auch 𝐺 = 𝐹. Doch gerade dies ist nun einmal die absolute Ausnahme, so dass im Regelfall eben doch richtig sein muss: 𝐸 𝐺 ≠ 𝐺. Und die natürlichste An-schlussfrage ist dann: Wie, wenn nicht „𝐺 konstant“, lautet die erwartete geometr i-sche Rendite? Die ursprüngliche Motivation der Masterarbeit bleibt also erhalten und, misst man 𝑆= 1 Bedeutung bei, Formelensemble [51] (zur erwarteten Stei-gung von 𝐹) richtig.

Indessen tritt eine neue, fast existenzialistische Frage hinzu: Aus welchem Grund sollte der Mensch ein hochgradig komplexes, nichtlineares System wie (aber nicht nur wie) eine Börse überhaupt präzise prognostizieren können? Welchen Vorteil könnte es evolutorisch bringen, wäre der Mensch hierzu begabt? Womöglich kei-nen. Es könnte gar kontraproduktiv sein, variationshemmend, Vielfalt-reduzierend.

G Prognose $ 176.60 282.14 822.27 1,045.57 225.99 171.91 240.47 374.44 1,025.81 931.91

Differenz

E[P] zu P 2.69% 64.07% -16.15% 6.63% 37.80% 4.82% 37.64% 114.32% 7.39% -2.44%

Prognose $ 177.38 211.86 987.95 1,123.77 145.18 123.21 134.76 154.89 991.31 966.51 Differenz

E[P] zu P 3.15% 23.19% 0.75% 14.60% -11.48% -24.87% -22.87% -11.35% 3.78% 1.18%

Prognose $* 159.08 170.49 956.53 1,016.02 160.88 149.03 168.58 184.03 944.82 929.33 Differenz

E[P] zu P -7.50% -0.86% -2.46% 3.61% -1.90% -9.13% -3.51% 5.34% -1.09% -2.71%

Prognose $* 164.34 172.04 1,060.30 1,080.49 165.64 158.77 177.78 182.05 1,045.85 1,032.14 Differenz

E[P] zu P -4.44% 0.04% 8.13% 10.19% 1.15% -3.19% 1.76% 4.20% 9.49% 8.05%

Prognose $* 174.08 170.15 1,008.74 1,029.51 152.72 148.40 187.03 176.28 963.39 949.01 Differenz Prognose $ 232.12 366.98 947.60 1,204.54 185.36 131.54 179.66 249.66 1,219.54 1,161.14

Differenz

E[P] zu P 24.20% 96.36% -34.69% -16.98% 10.71% -21.44% -33.53% -7.64% 3.16% -1.78%

Prognose $ 179.04 205.98 1,054.66 1,188.49 166.09 143.16 198.26 233.15 1,024.67 999.54 Differenz

E[P] zu P -4.20% 10.22% -27.31% -18.09% -0.80% -14.50% -26.65% -13.74% -13.33% -15.45%

Prognose $* 200.36 213.42 1,120.39 1,193.32 174.31 162.79 216.33 230.38 1,058.07 1,048.48 Differenz

E[P] zu P 7.21% 14.20% -22.78% -17.75% 4.11% -2.77% -19.97% -14.77% -10.50% -11.31%

Prognose $* 195.71 200.99 1,178.24 1,191.26 183.17 175.43 214.32 218.96 1,093.48 1,080.07 Differenz

E[P] zu P 4.72% 7.54% -18.79% -17.89% 9.40% 4.78% -20.71% -18.99% -7.51% -8.64%

Prognose $* 181.23 187.61 1,194.76 1,234.88 173.76 174.88 197.52 204.09 1,073.43 1,059.00 Differenz

E[P] zu P -3.03% 0.38% -17.65% -14.89% 3.78% 4.45% -26.93% -24.50% -9.20% -10.42%

*F-Modell: Bewegungswahrscheinlichkeiten einbezogen

Beispiel-aktien

Symbol FB AMZN AAPL NFLX GOOGL

Kurs Ende

August 2017 $171.97 $980.60 $164.00 $174.71 $955.24

Modelltyp

Jänner 2018 $186.89 $1,450.89 $167.43 $270.30 $1,182.22

NFLX

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Natur und Evolution haben eine solche Fähigkeit im Menschen – in dessen Hirn – bislang jedenfalls nicht angelegt oder gar perfektioniert. Paradoxerweise kann der Mensch aufgrund dieser Limitation auch seine eigene Existenz nicht restlos be-greifen. Das Hirn stellt ja wiederum ein maximal komplexes, nichtlineares System dar (Singer, 2002, 2007, 2014; vergleiche zu mangelnder Prognostizierbarkeit auch Goldstein & Gigerenzer, 2009; Taleb, Goldstein & Spitznagel, 2009; Makri-dakis & Taleb, 2009; vergleiche zu Finanzakteuren und -märkten vor dem Hinter-grund von Hirn und Evolution Lo, 2017).

Ein Beispiel für ein vollkommen zufälliges, chaotisches System ist das Wetter. Es kann bekanntlich maximal ein bis zwei Wochen im Voraus vergleichsweise zuver-lässig vorhergesagt werden. Danach wächst die Unsicherheit des Systems – die Entropie, wenn man so möchte – derart stark an, dass präzise Vorhersagen nicht mehr möglich sind. Das Wetter kann dann alle denkbaren Zustände mit (annä-hernd) gleicher Wahrscheinlichkeit annehmen: Regen, Sonnenschein, Nebel, Sturm, Windstille und so weiter. Der Punkt ist: Analoge Aussagen sind auch auf den Kapitalmarkt anwendbar. Der Preismechanismus an der Börse „soll“ offenbar weitgehend unprognostizierbar sein. Der Markt ist, was kontraintuitiv ist, gerade dann besonders effizient.

Wo Menschen – Anleger – nun komplexe, nichtlineare Systeme nicht sonderlich gut prognostizieren können, weil niemand die Mathematik kennt, die dazu not-wendig wäre, es sie vielleicht nicht geben kann (Singer, 2002, S. 198; 2007;

2014), was können sie ersatzweise tun? Nassim Taleb (geboren 1960; Taleb, 2012, 2015) argumentiert, dass Menschen sich „antifragil“ machen sollten. Das heißt, sie sollten lernen, die unvermeidliche Variabilität und Unordnung der Welt zu akzeptieren und für sich nutzbar zu machen. Der Mensch sollte „Konvexität“ – Wachstum, Reife – suchen, wie der Autor sich ausdrückt. Dazu gehört, Finanzbla-sen nicht prognostizieren zu wollen; diese sind nach Taleb unprognostizierbar, von ihm sogenannte schwarze Schwäne (Taleb, 2007). Natürlich ist Ersteres, die Anti-fragilitätsthese, der glatte Gegenentwurf zur Finanzorthodoxie, wie auch der Ver-fasser einen ähnlichen Gegenansatz vertritt (oder einst, noch einmal anders, Benoît Mandelbrot; vergleiche Einleitung Text-Anhang 4).

Die Orthodoxie setzt Variabilität und Unordnung – Finanzmarktvolatilität – explizit gleich mit Risiko. In Opposition hierzu ist das Risiko riskanter Investments in

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nativansätzen wie der Antifragilitäts- oder der 𝐹-Theorie oder „Kelly-Latané“ aus-schließlich die Gefahr, sein Vermögen oder große Teile davon unwiederbringlich zu verlieren. Im 𝐹-Modell kommt spezifisch die Gefahr hinzu, dass die Märkte durch Trends verzerrt sind, es also – vermeintlich – nur noch bergauf oder bergab geht. Beide Gefahrenklassen, Totalverlust und kollektives Verhalten, sind ebenso orthodoxen Finanzmodellen inhärent. Zusätzlich zum Volatilitätsrisiko. Alternativ-ansätze wiederum goutieren Volatilität.66

66 Ein Beispiel ist das, soweit der Verfasser es rekonstruieren konnte, von David Luenberger (gebo-ren 1937) erdachte sogenannte volatility pumping. Das Konzept nutzt Kursschwankungen explizit zur Renditegenerierung und -maximierung (Luenberger, 1998; 2014, Kap. 18). Der Ansatz verdient mehr Kredit und Anschlussforschung, als er bisher im Schrifttum erhalten hat.

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