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1.1 Lungenkrebs

1.1.1 Ätiologie, Pathogenese und histologische Typen

1.1.1.3 Vorerkrankungen

Chronisch-entzündliche Reizungen der tiefen Atemwege (z. B. chronische Bronchitis) prädisponieren ebenso wie (Tuberkulose-) Kavernen zur malignen Entartung (Böcker et al. 2004, Bühling et al. 2004, Herold et al. 2011, Lee G et al. 2009, Renz-Polster et al.

2008, Riede et al. 2004, Samet et al. 2009). Einer chronisch-rezidivierenden Gewebeschädigung kann eine hyperregeneratorische Hyperplasie folgen, die mit einer erhöhten Mitoseaktivität einhergeht (Riede et al. 2004). Zunächst wird dabei über die Induktion Transkriptionsfaktoren codierender Protoonkogene, wie c-jun und c-fos, die DNA-Synthese gesteigert (Riede et al. 2004). Dazu müssen Wachstumsfaktoren aktiviert, Wachstumsinhibitoren, etwa TGF-β, gehemmt und temporär Zell-Zell- und Zell-Matrix-Verbindungen aufgelöst werden (Riede et al. 2004). Um proliferieren zu können, muss vorübergehend die Gewebedifferenzierung vermindert werden (Riede et al. 2004). Bei einem solchen Narbenbildungsprozess entstehen nicht selten atypische Zellen, er kann in eine maligne Transformation übergehen (Riede et al. 2004).

Für die vorliegende Arbeit sind mehrere pneumonologische Vorerkrankungen von besonderer Bedeutung: Die hierzulande am häufigsten als Lungentuberkulose auftretende Infektionserkrankung wird v. a. von Mycobacterium (M.) tuberculosis, in der Dritten Welt u. a. auch von M. bovis, africanum oder microti hervorgerufen (Hof und Dörries 2005, Herold et al. 2011, Renz-Polster et al. 2008). Pneumonien – akute oder chronische, meist mikrobiell hervorgerufene Entzündungen des Lungengewebes – treten als Lobär-, Broncho-, Pleuro-, interstitielle und selten als Miliarpneumonien auf (Herold et al. 2011, Renz-Polster et al. 2008). Die häufigsten Erreger sind u. a.

Pneumokokken, Haemophilus influenzae, Mycoplasma pneumoniae, Chlamydia pneumoniae, Enterobacteriaceae, Pseudomonas aeruginosa, Staphylococcus aureus und Influenza- oder Adenoviren; selten sind Pilze oder Parasiten Verursacher (Hof und

Dörries 2005, Herold et al. 2011, Renz-Polster et al. 2008). Auch zunächst sterilen Pneumonien, hervorgerufen z. B. durch Aspiration, inhalative Noxen, Lungenstauung oder ionisierende Strahlen, folgt nicht selten eine bakterielle Superinfektion (Herold et al. 2011, Renz-Polster et al. 2008). Asthma bronchiale ist eine häufig auftretende chronisch-inflammatorische Erkrankung der Atemwege (Kroegel 2001, Herold et al.

2011, Renz-Polster et al. 2008). Bei (genetischer) Prädisposition triggern exogene Faktoren, wie Allergene oder Infekte eine bronchiale Entzündung, die, neben einer Epithelzerstörung, über Mukosaödem, Dyskrinie und Bronchospasmus eine variable, (partiell) reversible Atemwegsobstruktion bedingt (Kroegel 2001, Herold et al. 2011, Renz-Polster et al. 2008). Sobald eine unspezifische bronchiale Hyperreaktivität vorliegt, können die erneute Exposition, aber auch bereits Stress, Kälte oder z. B.

chemisch-irritative Substanzen einen Asthmaanfall generieren (Kroegel 2001, Herold et al. 2011, Renz-Polster et al. 2008). Die chronische Bronchitis ist definiert als produktiver Husten für (mindestens) 3 einander folgende Monate in 2 einander folgenden Jahren (Herold et al. 2011, Renz-Polster et al. 2008). Die chronisch-obstruktive Bronchitis (COPD) geht zudem mit einer Atemwegsobstruktion einher, die trotz Applikation von Bronchospasmolytika und Glukokortikoiden nicht vollständig reversibel ist und in ein Emphysem münden kann (Herold et al. 2011, Renz-Polster et al. 2008). Das Lungenemphysem ist definiert als irreversible Erweiterung der Luftwege distal der terminalen Bronchioli aufgrund einer Destruktion der Wandstrukturen ohne sichtbare Fibrosierung (Herold et al. 2011, Renz-Polster et al. 2008).

Bei Schwächung des Immunsystems (auch durch z. B. Rauchen) sind zytotoxische T-Zellen, natürliche Killerzellen und Makrophagen mitunter nicht mehr in der Lage, die permanent in jedem Körper entartenden Zellen adäquat zu eliminieren (Bühling et al.

2004, Riede et al. 2004, vgl. Kap. 1.1.1.1, S. 3-4). Beobachtet wurden auch Assoziationen von Bronchialkarzinomen und SV40-Infektionen, wodurch die Apoptose inhibiert werden kann, sowie EBV- und HPV-Infektionen (Giuliani et al. 2007, Jung et al. 2009, Petersen 2011, Zheng et al. 2009). Eine weitere, in der vorliegenden Arbeit untersuchte Vorerkrankung, die das Immunsystem betrifft, ist die rheumatoide Arthritis.

Diese chronische Polyarthritis ist gekennzeichnet durch eine autoimmunologische Synovialitis, die über Pannusbildung und Freisetzung proteolytischer Enzyme und Matrix-Metalloproteinasen in die finale Gelenkdestruktion mündet (Herold et al. 2011, Renz-Polster et al. 2008). Komplizierend können u. a. Vaskulitis, Amyloidose, Osteoporose und selten auch Glomerulonephritis hinzutreten (Renz-Polster et al. 2008).

Eine unterdurchschnittliche Lungenkrebsinzidenz wurde z. B. bei Personen, die an Myokardinfarkt und arterieller Hypertonie, Diabetes mellitus oder Heuschnupfen leiden, beobachtet und u. a. auf ihre veränderten Lebensgewohnheiten und die regelmäßige Einnahme bestimmter Medikamente zurückgeführt (Bobek et al. 2005, Gorlova et al.

2006, Govindarajan et al. 2007, Hostanska et al. 2007, Karna und Pałka 2002, Lindgren et al. 2005, van der Knaap et al. 2008). Der Myokardinfarkt ist eine ischämisch bedingte Myokardnekrose durch anhaltende Verengung bzw. Verschluss des Lumens einer Koronararterie (Herold et al. 2011, Renz-Polster et al. 2008). Sind der systolische Blutdruck in Ruhe (ohne Einnahme von Antihypertensiva) permanent mindestens 140 mmHg und/oder der diastolische mindestens 90 mmHg, liegt eine durch erhöhtes Herzzeitvolumen, erhöhten Gefäßwiderstand oder beides bedingte arterielle Hypertonie vor (Herold et al. 2011, Renz-Polster et al. 2008). Bis zu 95 % aller Fälle sind primäre Hypertonien (Herold et al. 2011, Renz-Polster et al. 2008). Diabetes mellitus ist eine komplexe chronische Stoffwechselerkrankung, bei der infolge absoluten (Typ I,

< 10 %) oder relativen Insulinmangels bei -resistenz (Typ II, >90 %) sowohl Kohlenhydrat-, als auch Fett- und Proteinstoffwechsel beeinträchtigt sind (Herold et al.

2011, Polster et al. 2008). Weitere Formen sind selten (Herold et al. 2011, Renz-Polster et al. 2008). Unter den Vorerkrankungen, die am Stoffwechsel beteiligte Organe betreffen, sind auch die gastroduodenalen Ulzera für die vorliegende Arbeit von Bedeutung – benigne Geschwüre der Magen- und/oder Duodenalschleimhaut, die mindestens bis in die Muscularis mucosae reichen (Herold et al. 2011, Renz-Polster et al. 2008).

Daneben sind auch Assoziationen von Bronchialkarzinomen und weiteren Vorerkrankungen, wie z. B. denen des Nervensystems, der Sinnes- und Fortpflanzungsorgane sowie traumatisch-degenerativen Krankheiten beschrieben worden, die vor allem dem Hauptrisikofaktor Tabakabusus zugeschrieben werden (Iacobelli et al. 2008, Ostertag und Kramer 2003, Poeck und Hacke 2006, Sépaniak et al. 2006). Andererseits wurde eine inverse Korrelation von Multipler Sklerose und Lungenkrebs (bei Männern) beobachtet (Nielsen et al. 2006). Dabei handelt es sich um eine chronisch-inflammatorische Erkrankung des Zentralnervensystems mit axonalen Schäden und Demyelinisation mit unterschiedlichen Verlaufsformen (Poeck und Hacke 2006). Pathogenetisch spielt die Aktivierung des Immunsystems durch autoreaktive T-Lymphozyten eine Rolle, die Ätiologie ist im Detail aber noch nicht vollständig klar (Poeck und Hacke 2006).

Eine besondere Gruppe sind die proliferativen Vorerkrankungen. Assoziationen mit Bronchialkarzinomen wurden vor allem für Brustkrebs (bei Raucherinnen), aber auch für nichtmelanozytären Hautkrebs beschrieben (Cassidy et al. 2008, Kaufman et al.

2008). Beim Brustkrebs, einer heterogenen Systemerkrankung, die vor allem das weibliche Geschlecht betrifft (100 ♀ : 1 ♂) (Breckwoldt et al. 2008), werden nicht- und invasive, duktale und lobuläre Karzinome sowie spezielle Differenzierungsformen unterschieden (Breckwoldt et al. 2008, Pschyrembel et al. 2010).

Verschiedene Vorerkrankungen vermögen das Lungenkrebsrisiko unterschiedlich stark zu erhöhen oder zu senken. Dabei können Vorerkrankung und Bronchialkarzinom ursächlich verknüpft sein oder über gemeinsame Risikofaktoren. Aber auch therapeutische Maßnahmen gegen die Vorerkrankung können das Lungenkrebsrisiko beeinflussen – synergistisch oder antagonistisch. Mitunter können sogar zwei Therapieoptionen das Lungenkrebsrisiko unterschiedlich stark und in verschiedene Richtungen beeinflussen. Die wichtigsten Aspekte der in dieser Arbeit untersuchten Vorerkrankungen werden darum im deskriptiven Ergebnis- und Diskussionsteil der Arbeit besprochen.