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5. Reibung mit einem viskosen Elastomer

5.1. Vorbetrachtung

das Verhältnis aus Gleitgeschwindigkeit und den betroffenen Rauheits-Skalen festgelegt.

Es macht daher Sinn, das Materialverhalten in Abhängigkeit von der Frequenz der (lo-kalen) Beanspruchung zu betrachten.

Die folgenden Überlegungen sind an Popov [18] angelehnt. Wird (wenigstens lokal) eine harmonische Anregung angenommen, so lässt sich das Materialverhalten durch eine komplexe Funktion

G(ω) =ˆ G(ω) +iG′′(ω) (5.1) im Frequenzbereich beschreiben, die als komplexer Schubmodul bezeichnet wird. Sein Realteil G(ω) ist ein Maß für die gespeicherte elastische Energie und wird daher Spei-chermodul genannt. Der Imaginärteil G′′(ω) ist dagegen mit den dissipativen Effekten verknüpft und wird als Verlustmodul bezeichnet. Der Quotient aus Verlust- und Spei-chermodul tanφ(ω) := G′′(ω)/G(ω) wird Verlusttangens, der Winkel φ Verlustwinkel genannt.51

Das frequenzabhängige Verhalten vieler typische Elastomere lässt sich wie folgt kenn-zeichnen:52Für sehr kleine Frequenzenω →0verhält sich das Material wie ein elastischer Körper mit einem sehr kleinen Schubmodul. Für sehr hohe Frequenzen ω → ∞ verhält sich das Elastomer ebenfalls elastisch. Allerdings ist der Schubmodul in diesem Bereich oftmals etwa drei Größenordnungen größer als zuvor. In beiden Fällen ist der Verlust-tangens nahe Null, und es tritt kaum Dissipation auf. Diese spielt jedoch im mittleren Frequenzbereich eine wesentliche Rolle. Hier kann der Verlusttangens die Größenord-nung von eins erreichen oder sogar überschreiten. Viele typische Elastomere verhalten sich in diesem mittleren Frequenzbereich wie viskose Flüssigkeiten. In diesem Bereich lässt sich das Verhalten echter Elastomere durch das linear viskose Materialmodell aus Abschnitt 3.3 annähern.

Im Folgenden werden diese Überlegungen anhand eines Beispiels konkretisiert, welches ebenfalls aus [18] übernommen wurde. Das einfachste diskrete Modell53, das alle drei ge-nannten Bereiche abbilden kann, besteht aus einer Feder (SteifigkeitG1) in Parallelschal-tung mit einem Maxwell-Element (SteifigkeitG2, Viskositätη), vergleiche Abbildung 5.1.

Es ist das einfachste verallgemeinerte Maxwell-Modell und wird in der Literatur auch als Standardmodell bezeichnet.

Der Vorteil dieses Modells ist, dass die Moduln und der Verlusttangens einfach berech-net werden können:

G(Ω) =G2

Θ + Ω2 1 + Ω2

, G′′(Ω) =G2

1 + Ω2, tanφ(Ω) = Ω

2+ Θ(1 + Ω2). (5.2) Ω :=ωG2/η ist dabei die dimensionslose Frequenz und Θ :=G1/G2 das Verhältnis der Steifigkeiten, vergleiche [18]. Bemerkenswert ist, dass alle drei Größen nicht direkt von der Viskosität abhängen. Diese tritt nur inΩauf. Offensichtlich bewirkt eine Änderung

51Anmerkungen zur Notation: Die Formelzeichen von Speicher- und Verlustmodul werden üblicherweise mit Strichen gekennzeichnet. Im Zusammenhang mit den frequenzabhängigen Moduli haben diese nicht die Bedeutung einer Ableitung. In der Literatur wird für den Verlustwinkel meist das Symbolδ benutzt. Da dieses jedoch hier anderweitig verwendet wird, wird von dieser Schreibweise abgewichen.

52Vergleiche Abbildung 5.1

53Vergleiche Abschnitt 3.6

5.1. Vorbetrachtung der Viskosität lediglich eine Verschiebung entlang der Ω-Achse. Darüber hinaus hängt der Verlusttangens φ überhaupt nur von dem Verhältnis der Steifigkeiten Θ und der dimensionslosen Frequenz Ω ab.

log10(Ω) tanφ,G /G2,G′′ /G2

−4 −2 0 2 4

0 5 10 15 20

tanφ für Θ = 0.001 tanφ für Θ = 0.01 tanφ für Θ = 0.1 10G/G2

10G′′/G2

G1

G2

η

Abbildung 5.1.: Verlauf der frequenzabhängigen Moduli für das Standardmodell mit ver-schiedenen Parametern.54

In Abbildung 5.1 ist der Verlusttangens für drei verschiedene WerteΘ = 1/1000(blaue Strich-Punkt-Linie), Θ = 1/100 (grüne gestrichelte Linie) und Θ = 1/10 (rote Linie) dargestellt. Zusätzlich sind für den zweiten Wert auch der Speichermodul G (magenta Linie mit Raute) und der VerlustmodulG′′(schwarze Linie mit Kreisen) gezeichnet. Diese beiden sind mit dem Faktor 10/G2 skaliert. In der rechten unteren Ecke der Abbildung ist das Modell mit den verwendeten Parametern skizziert.

Die Kurvenverläufe untermauern die obigen Überlegungen. Für sehr kleine und sehr große Frequenzen verhält sich das Modell wie ein elastischer Körper ohne nennenswerte Dissipation. Im mittleren Frequenzbereich haben jedoch viskose Effekte einen maßgebli-chen Einfluss.

Darüber hinaus hängen die rheologischen Eigenschaften von Elastomeren auch stark von der Temperatur ab. Diese Abhängigkeit ist jedoch nicht Gegenstand der vorliegen-den Arbeit. Stattdessen wird hier stets eine (annähernd) konstante Temperatur vor-ausgesetzt. In experimentellen Arbeiten werden meistens temperaturabhängige Verläufe (bei konstanter Frequenz) betrachtet, da diese besser zu vermessen sind.55 Beide Be-trachtungsweisen sind jedoch eng miteinander verknüpft, vergleiche hierzu die Arbeiten

54Die Abbildung 5.1 ist mit geringfügigen Änderungen aus [74] übernommen.

55Vergleiche zum Beispiel Peddini et al. [75], insbesondere dort die Abbildung 19.

von Williams, Landel und Ferry [76] und das von Grosch [77] publizierte Masterkurven-Verfahren.

Im vorliegenden Kapitel wird die Reibung in diesem mittleren Frequenzbereich unter-sucht, in dem die viskosen Eigenschaften das Verhalten maßgeblich beeinflussen. Die (im Frequenzbereich) daran anschließenden Übergangsbereiche und die elastischen Grenzfälle für sehr kleine und sehr große Frequenzen werden dagegen nicht betrachtet. Insofern stellt dieses Kapitel die Ergänzung zu vielen anderen Arbeiten dar, die sich auf die elastisch dominierten Bereiche konzentrieren, zum Beispiel Golden [78].

Annahmen und Voraussetzungen

Die Betrachtung des Reibungsproblems erfolgt unter denselben Voraussetzungen wie in den vorherigen Kapiteln. In diesem Zusammenhang ergeben sich jedoch zusätzliche Im-plikationen, die im Folgenden dargestellt werden.

Im Fokus dieses Kapitels steht die Reibung, die durch die viskosen Eigenschaften von A

Elastomeren verursacht wird. Dass es daneben noch andere Quellen dissipativer Effekte gibt, ist davon unbenommen. Diese sind jedoch nicht Inhalt der vorliegenden Schrift.

Die Randbedingungen sind gegenüber dem vorherigen Kapitel unverändert: Im Kon-takt stimmt die Oberfläche des Halbraums mit der des Indenters überein, außerhalb des Kontakts ist die Oberfläche spannungsfrei. Die gesamte Oberfläche ist frei von Tangenti-alspannungen.

Es wird stets das linear viskose, inkompressible Materialverhalten aus Abschnitt 3.3 zu Grunde gelegt. Alle Ergebnisse sind nur innerhalb des oben motivierten mittleren Frequenzbereichs gültig. Insbesondere gibt es untere und obere Schranken im betrachte-ten Frequenz- bzw. Geschwindigkeitsbereich, an denen dieses Verhalbetrachte-ten zusammenbricht und in einen Übergangsbereich übergeht. Diese Schranken lassen sich nicht innerhalb des linear viskosen Materialmodells bestimmen. Dafür wäre die zusätzliche Betrachtung, z.B.

mit dem oben vorgestellten generalisierten Maxwell-Modell nötig. Auf diese wird jedoch verzichtet, da sie nicht in die Zielrichtung der vorliegenden Arbeit fällt.

F

Fh

Fv

Abbildung 5.2.: Halbraumnäherung: kleine horizontale Wechselwirkungskräfte Das Elastomer wird wie bisher als Halbraum mit ursprünglich ebener Oberfläche be-handelt. Die Halbraum-Annahme ist in mehrerer Hinsicht wesentlich. Zum einen stellt sie sicher, dass genügend Raum vorhanden ist, um das Elastomer zu verdrängen. Insbeson-dere sind die folgenden Betrachtungen nicht auf dünne Elastomer-Schichten anwendbar.

5.1. Vorbetrachtung Diese benötigen eine andere Behandlung, wie sie zum Beispiel von Argatov [79] vorge-nommen wird.

Die zweite Auswirkung der Halbraumnäherung folgt aus der Annahme kleiner Stei-gungen. Da verschwindende Tangentialspannungen vorausgesetzt werden, ist die Wech-selwirkungskraft F zwischen Indenter und Elastomer normal zur Kontaktfläche. Die Be-schränkung auf kleine Oberflächen-Steigungen stellt dabei sicher, dass ihre horizontale Komponente Fh sehr viel kleiner ist als die vertikaleFv. Gleichzeitig lässt sich die verti-kale Komponente durch die Wechselwirkungskraft F selbst annähern. In Abbildung 5.2 ist das skizziert.

Diese letzte Eigenschaft rechtfertigt es, das Reibungsproblem zunächst als Normal-kontakt zu behandeln und die horizontale Komponente der Wechselwirkungskraft erst im Nachgang zu ermitteln. Auf diese Weise erhält man ein sehr einfaches Kontakt- und Reibungsmodell, welches im nächsten Abschnitt ausführlicher erläutert wird.

Kontakt- und Reibungsmodell

Wie bisher wird ein starrer Indenter auf die Oberfläche des viskosen Halbraums aufgesetzt A und dann unter der Wirkung einer konstanten Normalkraft FN > 0 in diesen hinein gedrückt. Zusätzlich wird nun jedoch der Indenter mit einer konstanten Geschwindigkeitv horizontal verschoben. Das ist als Prinzipskizze in Abbildung 5.3 dargestellt. Der Indenter taucht in das Elastomer ein und verdrängt es dabei nach unten. Gleichzeitig wird er horizontal verschoben. Die Umsetzung dieser Vorstellung im Modell wird im Folgenden beschrieben.

Indenter

Elastomer FN

v

Abbildung 5.3.: Schematische Darstellung des Kontakts zwischen einem viskosen Halb-raum und einem starren Indenter der horizontal verschoben wird.56 Ausgangspunkt ist eine gegebene Kontaktkonfiguration, die keine der oben genannten Voraussetzungen verletzt. In Bild a) der Abbildung 5.4 ist ein Schnitt durch eine solche Konfiguration festgehalten. Die Oberflächen von Indenter und Elastomer sind gestrichelt dargestellt und so auch in den Bildern b) und c) als Referenz eingezeichnet.

56Die Abbildung 5.3 ist mit geringfügigen Änderungen aus [74] übernommen.

Aus Gründen der Implementierung ist es vorteilhaft, nicht den Indenter zu verschie-ben, sondern stattdessen den Halbraum in die entgegengesetzte Richtung zu ziehen. Im Folgenden wird daher stets dieser Fall betrachtet. Der Halbraum wird entsprechend der vorgegebenen Geschwindigkeit horizontal verschoben. Dabei entstehen Bereiche, in de-nen sich Indenter und Elastomer überlappen würden. Spannungen an der Oberfläche des Elastomers sorgen dafür, dass dieses entsprechend den Randbedingungen verdrängt wird.

Im Bild b) der Abbildung 5.4 ist der (nach links) verschobene Halbraum eingezeichnet.

Seine Oberfläche zu diesem Zeitpunkt ist mit einer durchgezogenen blauen Linie ge-kennzeichnet. In dem dunkel schattierten Bereich würden sich Indenter und Elastomer überlappen.

An dieser Stelle wird die Annahme kleiner Steigungen ausgenutzt und das Kontaktpro-blem zunächst als Normalkontakt behandelt. Das bedeutet, dass das Elastomer senkrecht nach unten verdrängt wird. Die Berechnung der dafür erforderlichen Kraft erfolgt nach den Ausführungen des Kapitels 4.

a) Elastomer

Indenter

b)

c)

Abbildung 5.4.: Schematische Darstellung der Vorgehensweise im Kontaktmodell.57 Ist diese kleiner als die äußere Normalkraft, so wird der Indenter tiefer in den Halb-raum eingedrückt, bis sich beide das Gleichgewicht halten. Andernfalls wird der Indenter aus dem Elastomer herausgehoben. Auch hierbei erfolgt die Behandlung als reiner Nor-malkontakt. Das ist im Bild c) der Abbildung 5.4 zu sehen. Dort wird der Indenter tiefer in den Halbraum eingedrückt. Die Oberfläche des Indenters zu diesem Zeitpunkt ist als durchgezogene Linie gezeichnet. Der dunkelgraue Bereich ist zusätzlich zu verdrängen.

57Die Abbildung 5.4 ist mit geringfügigen Änderungen aus [74] übernommen.