• Keine Ergebnisse gefunden

Nach zehnjährigem durchgängigen Wirtschaftswachstum hat die Covid-19-Pandemie zu einem massiven Wegbrechen der Steuereinnahmen von Bund, Ländern und Kom-munen bei gleichzeitig erheblichen zusätzlichen Belastungen bereits im letzten Jahr geführt. Hierdurch besteht bei Bund und Ländern die Notwendigkeit, die Ausnahmere-gelungen der Schuldenbremse in Anspruch zu nehmen. Im kommunalen Bereich steigt die Zahl der unausgeglichenen Haushalte massiv. Zutreffend ist insoweit die Feststel-lung der Deutschen Bundesbank, dass die finanzielle Lage vieler Kommunen pande-miebedingt kritisch und kurzfristige Unterstützung durch Bund und Länder erforderlich ist.1 Der von Bund und Ländern im vergangenen Jahr geschaffene kommunale Ret-tungsschirm hat in 2020 die Belastung für die Kommunen zu einem erheblichen Teil abgefedert, was von kommunaler Seite nachdrücklich begrüßt wurde. Dies führt um-gekehrt dazu, dass anders als bei Bund und Land die umfänglichen Haushaltsbelas-tungen erst im laufenden Jahr richtig wirksam werden. Dabei trifft das gesunkene Ein-nahmeniveau auf der kommunalen Ebene auf zusätzliche Belastungen, die u.a. aus der Corona-Pandemie resultieren. Dies führt insbesondere bei denjenigen Kommu-nen, denen es auch in den vergangenen Jahren noch nicht gelungen ist, zu einem Haushaltsausgleich und einem nachdrücklichen Abbau von Altdefiziten zu kommen, zu erheblichen Problemen.

Gerade vor diesem Hintergrund ist es völlig unverständlich, dass das Land zum ersten Mal seit rund 15 Jahren wieder einseitig die kommunale Finanzausstattung ab 2022 kürzt und insoweit seine Haushaltskonsolidierung auf dem Rücken der Kommunen austrägt. Mit den Beschlüssen der Landesregierung zum Landeshaushalt 2022/2023 ist u.a. vorgesehen, die Zuweisungen des Landes für die kommunalen Aufgaben bei der Grundsicherung im SGB II für die Kosten der Unterkunft schrittweise zu kürzen und ab 2024 komplett entfallen zu lassen. Schon die Begründung hierfür ist in keiner Weise nachvollziehbar, wenn behauptet wird, die materielle Grundlage hätte sich auf-gelöst2. Die materielle Grundlage liegt vielmehr – nach wie vor – in der Einsparung des Landes beim Wohngeld durch die Zusammenführung von Arbeitslosen- und Sozial-hilfe. Mag die Höhe auch im Einzelnen nicht mehr ganz genau zu berechnen sein und hat das Land die letzten Verbesserungen zu seinen Gunsten auch nicht mehr an die Kommunen weitergegeben, so steht dennoch außer Frage, dass es durch die Zusam-menführung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe entlastet und die Kommunen belastet wurden. Mit Ausnahme der in finanzieller Hinsicht bekannt kommunalunfreundlichen Länder Saarland und Rheinland-Pfalz sehen alle anderen Flächenländer weiterhin ent-sprechende Zuweisungen vor, die teilweise sogar dynamisiert wurden. Die sukzessive

1 Deutsche Bundesbank Monatsbericht, Juli 2020, Seite 10.

2 Vgl. Mittelfristige Planung (MiPla) 2021 bis 2025 des Landes, S. 11 – veröffentlicht als LT-Drs. 18/9847.

4

Streichung stellt somit schlicht einen Eingriff in die kommunale Finanzausstattung zur Haushaltskonsolidierung des Landes dar. Insoweit ist auch der Behauptung in der MiPla entgegen zu treten, dass trotz des Pandemiegeschehens das bisherige positive Zusammenwirken von Land und Kommunen weiter wirke.3 Vielmehr erinnert das Vor-gehen des Landes deutlich an die permanente Kürzungspolitik zu Lasten der Kommu-nen von 1990 bis 20054. Auch der in der Gesetzesbegründung vorgebrachte Hinweis auf die in den letzten Jahren deutlich gestiegene Bundesbeteiligung5 beim SGB II führt zu keiner anderen Beurteilung. Ziel des Bundes war es, die besonders von hohen So-ziallasten betroffenen Kommunen zu entlasten. Wenn das Land dies zum Anlass nimmt, im Gegenzug seine Mittel zu kürzen und auf Dauer zu streichen, handelt es sich hierbei um die bekannten „klebrigen Finger“, die aus anderen Bundesländern und dem Agieren des Landes in früheren Zeiten hinreichend bekannt sind.

Durch die jetzige sukzessive Streichung unter Berücksichtigung der vollen Wirkung der Kürzung der 142 Millionen Euro im Jahr 2024 und die Eingriffe im kommunalen Finanz-ausgleich hat das Land damit innerhalb der vergangenen 30 Jahre die kommunale Finanzausstattung zu seinen Gunsten um geschätzt 1 Milliarde Euro jährlich gekürzt.6 Die Hinweise auf die hohen übrigen Zahlungen an den kommunalen Bereich außer-halb des Steuerverbundes7 helfen insoweit nicht weiter. Hierbei ist zu bedenken, dass entsprechende Zahlungen jeweils ihren Rechtsgrund darin haben, dass es sich um Kostenerstattungen für übertragene Aufgaben oder sonstige Konnexitätsfälle handelt.

Das Land zahlt entweder dafür, dass es den Kommunen staatliche Aufgaben überträgt oder in kommunale Aufgaben hineinregiert. Als Extrembeispiel kann insoweit die Bei-tragsfreiheit im Kindergarten dienen. Die zusätzlichen Mittel an die Kommunen sind nur erforderlich geworden, weil das Land die Eltern von Kindertagesstättengebühren für die über Dreijährigen entlasten wollte. Die kommunale Finanzausstattung insge-samt wird durch solche Maßnahmen nicht verbessert.

Zur aktuellen Finanzlage der Kommunen insgesamt ist festzuhalten, dass die Liquidi-tätskredite zum zweiten Mal nacheinander gestiegen sind. Insgesamt betragen sie – auf den ersten Blick nur um moderat rd. 100 Mio. Euro erhöhte – 2,4 Mrd. Euro zum 30.6.2021. Dieses statistische Ergebnis täuscht allerdings. Wegen der Umstellung der Zahlungsmodalitäten bei den Gemeindeanteilen an der Einkommen- und der Umsatz-steuer haben die Kommunen bei diesen beiden Steuerbeteiligungen bis zum 30.6.2021 über eine Milliarde Euro mehr als im Vorjahr erhalten. Bis zum Jahresende wird sich dieser Effekt allerdings ausgleichen, weshalb mit einem deutlichen Anstieg

3 Vgl. MiPla 2021 bis 2025, Fn. 2, S. 31.

4 Vgl. hierzu unter 6. b) ii) Kürzungen des kommunalen Finanzausgleichs.

5 LT-Drs. 18/9885 S. 20.

6 Vgl. hierzu unter 6. b) iii) Gesamtwirkung der Kürzungen/Schlusslicht im Bundesvergleich.

7 Vgl. MiPla 2021 bis 2025, Fn. 2, S. 32.

5

der Kassenkredite zum Jahresende auf – nach heutiger Prognose – über 3 Mrd. Euro zu rechnen sein wird. Hier machen sich weggebrochene Steuereinnahmen bei gleich-zeitig weiter steigenden coronabedingten Belastungen bemerkbar.

Zu erinnern ist daran, dass der Niedersächsische Staatsgerichtshof in seinem Urteil vom 7.3.2008 (StGH 2/05) auf die Notwendigkeit der Rückführung der kommunalen Kassenkredite bei sich bessernder Haushaltslage des Landes hingewiesen hat. Ange-sichts des perspektivischen Haushaltsausgleichs des Landes ab 2025 ist insoweit nicht nachvollziehbar, dass nunmehr sukzessive der Landeszuschuss nach dem SGB II gestrichen werden soll. Vielmehr muss darauf geachtet werden, dass es nicht erneut zu einem massiven Aufwuchs der kommunalen Kassenkredite kommt. Dies müsste das Land bei seinen Planungen berücksichtigen. Mit der einseitigen Kürzung ist aber das Gegenteil der Fall.

Schließlich ist daran zu erinnern, dass das Land in den vergangenen 30 Jahren den kommunalen Finanzausgleich massiv gekürzt hat. Lag die Steuerverbundquote 1990 noch bei 17,5 % (bei geringeren Steuerverbundgrundlagen), ist sie aktuell 2 %-Punkte niedriger bei 15,5 %, nachdem sie 2007 einmal angehoben wurde. Aus Sicht der Kom-munen besteht nach wie vor die Notwendigkeit, hier wenigstens auf das Niveau vor dem letzten Eingriff mit 16,09 % zu kommen. Dies gilt umso mehr, als Niedersachsen - nach wie vor - die geringsten Zuweisungen pro Kopf der Bevölkerung im kommunalen Finanzausgleich gewährt.8

Die Landesregierung rechtfertigt die Beibehaltung einer Steuerverbundquote von 15,5 % damit, dass die finanzielle Entwicklung von Land und Kommunen mit den für die „Verteilungssymmetrie“ festgelegten Grundsätzen im Einklang steht.9,10 Im Einzel-nen wird dieses in dem Bericht des Niedersächsischen Finanzministeriums (MF) zur

„Entwicklung der Finanz- und Haushaltslage des Landes Niedersachsen und der nie-dersächsischen Kommunen – Finanzstatus 2021“ vom 6.7.2021 begründet11. Dieser Bericht ist jedoch keine geeignete Grundlage zur Überprüfung, ob eine aufgabenan-gemessene finanzielle Mindestausstattung der kommunalen Gebietskörperschaften gewahrt ist. Er stellt im Kern lediglich auf die Frage ab, welcher Ebene – Land oder Kommunen – es finanziell schlechter geht. So heißt es in dem Bericht wörtlich: „Dabei geht es in erster Linie um die Beurteilung der Frage, ob die Finanzausstattung der Gemeinden im Verhältnis zur Finanzlage des Landes angemessen ist.“12 Ausgeblen-det wird bei dieser Sichtweise die vom Niedersächsischen Staatsgerichtshof gefor-derte Rückführung der kommunalen Kassenkredite wie auch der Aufgabenbezug in

8 Vgl. im Einzelnen S. 45 f. und Fn. 124.

9 MF, Entwicklung der Finanz- und Haushaltslage des Landes Niedersachsen und der niedersächsischen Kom-munen, S. 39.

10 So auch MiPla 2021 bis 2025 – Fn. 2, S. 30.

11 Der Bericht bildet den Finanzstatus 2021 ab. Er wurde am 11./12.7.2021 von der Landesregierung beschlos-sen.

12 Bericht des MF, Fn. 9, S. 7.

6

Art. 58 der Niedersächsischen Verfassung (NV) und die Gewährleistung der finanziel-len Mindestausstattung jeder einzelnen Kommune, wie sie sich aus der Rechtspre-chung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) und des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) ergibt.13 Hinzu kommt, dass der Bericht des MF an keiner Stelle den vorge-sehenen Eingriff in die kommunale Finanzausstattung ab 2022 erwähnt, geschweige denn rechtfertigt. Das Land hat somit für die Verschiebung in den Finanzbeziehungen auch unter seinem Blickwinkel der „Verteilungssymmetrie“ keine Begründung vorge-legt.

Bei der vom Land gewählten Sicht der „Verteilungssymmetrie“ ist darüber hinaus zu beachten, dass sich seit mehreren Jahren eine deutliche Zäsur – mit Unterbrechung durch die Folgen der Corona-Pandemie – ergeben hat. Während bis einschließlich des Jahres 2015 der Finanzierungssaldo des Landes Niedersachsen in den vergangenen 30 Jahren jeweils negativ war und schlechter ausfiel als derjenige der Kommunen14, hat das Land von 2016 bis 2019 nicht nur einen positiven Finanzierungssaldo erwirt-schaftet. Vielmehr lag dieser sogar über demjenigen der kommunalen Gebietskörper-schaften. In 2018 und 2019 lag er – ohne die sog. VW-Milliarde – jeweils weit über 1,4 Mrd. Euro über demjenigen der Kommunen. In den Linien zum Finanzierungssaldo hat sich somit eine ganz erhebliche Verbesserung zu Gunsten des Landes ergeben, ohne dass hieraus weitergehende Konsequenzen gezogen worden wären. Zwar hat sich dieses Bild im Jahr 2020 wieder in sein Gegenteil verkehrt. Während das Land sich aber in seiner Planung auf einem deutlichen Konsolidierungspfad befindet, der zu ei-nem Haushaltsausgleich in 2025 führen soll, werden die Kommunen die Folgen der Pandemie nach weitgehendem Auslaufen des kommunalen Rettungsschirms erstma-lig vollständig in 2021 in ihrer Finanzwirtschaft zu spüren bekommen.