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Von „Waldvölkern“ und „Wüstenvölkern“

Im Dokument für Antisemitismusforschung (Seite 37-73)

Nationalistische Naturinstrumentalisierungen in Kaiserreich und Weimarer Republik1

Nationalistische Vorstellungswelten des Kaiserreiches und der Weimarer Republik gelten inzwischen als vergleichsweise umfassend erforscht.2 Demnach resultierte die Gründung des Deutschen Reiches 1870/71 in einer gesteigerten „Hinwendung zum Mythos“,3 für die identitätspolitische Traditionsbestände entlang der gewandelten 1 Der vorliegende Aufsatz basiert auf der unlängst erschienenen Monografie Johannes

Zech-ner, Der deutsche Wald. Eine Ideengeschichte zwischen Poesie und Ideologie 1800–1945, Darmstadt 2016, S. 127–159.

2 Vgl. etwa Larry Eugene Jones (Hrsg.), The German Right in the Weimar Republic: Studies in the History of German Conservatism, Nationalism, and Antisemitism, New York/Ox-ford 2014; Peter Walkenhorst, Nation – Volk – Rasse. Radikaler Nationalismus im Deut-schen Kaiserreich 1890–1914, Göttingen 2007; Christian Geulen, Wahlverwandte. Ras-sendiskurs und Nationalismus im späten 19. Jahrhundert, Hamburg 2004; Stefan Breuer, Ordnungen der Ungleichheit. Die deutsche Rechte im Widerstreit ihrer Ideen 1871–1945, Darmstadt 2001; Geoff Eley, Reshaping the German Right: Radical Nationalism and P olitical Change After Bismarck [1980]. With a New Introduction, Ann Arbor 1991; Ulrich Heinemannn, Die verdrängte Niederlage. Politische Öffentlichkeit und Kriegsschuldfrage in der Weimarer Republik, Göttingen 1983; Synnöve Clason, Schlagworte der „Konserva-tiven Revolution“. Studien zum polemischen Wortgebrauch des radikalen Konservatismus in Deutschland zwischen 1871 und 1933, Stockholm 1981; Kurt Sontheimer, Antidemo-kratisches Denken in der Weimarer Republik. Die politischen Ideen des deutschen Nati-onalismus 1918–1933, München 1962; sowie Fritz Stern, The Politics of Cultural Despair:

A Study in the Rise of the Germanic Ideology, Berkeley/Los Angeles 1961.

3 Wolfgang Hardtwig, Erinnerung, Wissenschaft, Mythos. Nationale Geschichtsbilder und p o-litische Symbole in der Reichsgründungsära und im Kaiserreich [1981], in: ders., Geschichts-kultur und Wissenschaft, München 1990, S. 224–263, Zitat S. 258; vgl. zudem Theodor Schie-der, Das Deutsche Kaiserreich von 1871 als Nationalstaat, Köln/Opladen 1961, S. 72–87.

Sinnstiftungsbedürfnisse zu aktualisieren waren. Angesichts des verlorenen Krieges und des Endes der Monarchie bewirkte der „Symbolbruch“ 4 von 1918/19 eingehende Identitätsdebatten etwa um Feiertage, Flaggen und Hymnen, in deren Verlauf sich erneut aktualisierende beziehungsweise radikalisierende Adaptionen und Trans-formationen bestehender Denkbilder beobachten lassen. Die folgenden ideenge-schichtlichen Überlegungen widmen sich einem dabei bisher kaum thematisierten Aspekt: der weltanschaulichen Engführung von Natur und Nation in Imaginatio-nen eines deutschen „Waldvolkes“.5 Als Materialgrundlage dient ein Quellenkorpus mit zeitlichem Fokus ab den 1890er-Jahren, das neben Schriften nationalistischer bis völkischer Autoren v. a. Artikel aus einschlägig orientierten Periodika umfasst.

Zur Vorgeschichte deutschen Walddenkens

Am Anfang war – wie so oft in der Geschichte deutschen Nationalbewusstseins – Tacitus.6 In seiner um das Jahr 98 veröffentlichten Schrift Germania kontrastierte 4 Bernd Buchner, Um nationale und republikanische Identität. Die deutsche

Sozialdemo-kratie und der Kampf um die politischen Symbole in der Weimarer Republik, Bonn 2001, S. 11; vgl. zudem Wolfgang Ribbe, Flaggenstreit und Heiliger Hain. Bemerkungen zur n ationalen Symbolik in der Weimarer Republik, in: Dietrich Kurze (Hrsg.), Aus Theorie und Praxis der Geschichtswissenschaft, Berlin/New York 1972, S. 175–188.

5 Vgl. als Ausnahmen mit Fokus auf national-politischen Aspekten Michael Imort, A Sylvan People: Wilhelmine Forestry and the Forest as a Symbol of Germandom, in: Thomas Lekan/

Thomas Zeller (Hrsg.), Germany’s Nature: Cultural Landscapes and Environmental History, New Brunswick/London 2005, S. 55–80; Ulrich Linse, Der deutsche Wald als Kampfplatz po-litischer Ideen, in: Revue d’Allemagne 22 (1990) 3, S. 339–350; sowie Heinz Dieter Kittsteiner, Waldgänger ohne Wald. Bemerkungen zur politischen Metaphorik des Deutschen Waldes, in:

Bernd Weyergraf (Hrsg.), Waldungen. Die Deutschen und ihr Wald, Berlin 1987, S. 113–120;

darüber hinaus als sozialgeschichtlich angelegte Studie Jeffrey K. Wilson, The German Forest:

Nature, Identity, and the Contestation of a National Symbol 1871–1914, Toronto/Buffalo/

London 2012; mit forstlichem Schwerpunkt Michael Imort, Forestopia: The Use of the Forest Landscape in Naturalizing National Socialist Ideologies of “Volk”, Race, and “Lebensraum”

1918–1945, PhD Queen’s Univ. Kingston 2000; zur Realwaldgeschichte vgl. Heinrich Rubner, Forstgeschichte im Zeitalter der industriellen Revolution, Berlin 1967, S. 148–160.

6 Vgl. als Überblicksliteratur Ursula Breymayer/Bernd Ulrich (Hrsg.), Unter Bäumen. Die Deutschen und der Wald, Dresden 2011; Landschaftsverband Westfalen-Lippe (Hrsg.), Mythos Wald, Münster 2009; Albrecht Lehmann/Klaus Schriewer (Hrsg.), Der Wald –

der römische Autor Publius Cornelius Tacitus (ca. 55–120) die germanischen Wälder mit den ihm vertrauten mediterranen Kulturlandschaften, womit die Germanen gegenüber den römischen Stadtbewohnern als kriegerisches Naturvolk erschienen.7 Diese Äußerungen wurden ab etwa 1500 in der selektiven Tacitus-Rezeption durch deutschsprachige Frühhumanisten vielfach zitiert, um in noch proto-nationalen Begrifflichkeiten die ersehnte kollektive Identität im konkreten Naturraum Wald zu verwurzeln.8 Im 18. Jahrhundert unternahm derartige Ver-knüpfungen naturaler und nationaler Kategorien vor allem Friedrich Gottlieb Klopstock (1724–1803), dem die Eichen als Verkörperung germanisch-deutschen Wesens und die Haine als Symbol für Freiheit und Vaterland galten.9

Um 1800 erkoren dann bekannte romantisch geprägte Denker wie Jacob (1785–1863) und Wilhelm Grimm (1786–1859) die „deutsche Eiche“ und den „deut-schen Wald“ zu wichtigen Kollektivsymbolen, die angesichts der bewegten Zeit-umstände zwischen Französischer Revolution und antinapoleonischen Kriegen Kontinuität vermitteln sollten.10 Noch deutlich politischer verstand den Wald der Ein deutscher Mythos? Perspektiven eines Kulturthemas, Berlin/Hamburg 2000; Albrecht Lehmann, Von Menschen und Bäumen. Die Deutschen und ihr Wald, Reinbek 1999; s owie Weyergraf, Waldungen, Berlin 1987.

7 Siehe P.[ublius] Cornelius Tacitus, Germania [ca. 98], in: ders., Agricola – Germania. La-teinisch/Deutsch. Aus dem Lateinischen von Alfons Städele, München/Zürich 1991, S. 78–

135, Belege S. 79, S. 83, S. 88, S. 96, S. 112, S. 123, S. 128; vgl. dazu Marcus Nenninger, Die Römer und der Wald. Untersuchungen zum Umgang mit einem Naturraum am Beispiel der römischen Nordwestprovinzen, Stuttgart 2001.

8 Siehe etwa Conrad Celtis, De situ et moribus Germaniae additiones [ca. 1500], in: Gernot Michael Müller, Die „Germania generalis“ des Conrad Celtis. Studien mit Edition, Über-setzung und Kommentar, Tübingen 2001, S. 90–109; vgl. dazu Paul Joachimsen, Tacitus im deutschen Humanismus, in: Neue Jahrbücher für das klassische Altertum, Geschichte und deutsche Literatur 14 (1911), S. 697–717.

9 Siehe etwa Friedrich Gottlieb Klopstock, Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe. Hamburger Ausgabe Bd. 6.1: Hermann-Dramen, Berlin/New York 1974; vgl. dazu Cäcilia Friedrich, Klopstocks Bardiet „Hermanns Schlacht“ und seine Nachgeschichte, in:

Hans-Georg Werner (Hrsg.), Friedrich Gottlieb Klopstock. Werk und Wirkung, Berlin 1978, S. 237–246.

10 Vgl. zur Romantik Johannes Zechner, From Poetry to Politics: The Romantic Roots of the

“German Forest”, in: William Beinart/Karen Middleton/Simon Pooley (Hrsg.), Wild Things:

Nature and the Social Imagination, Cambridge 2013, S. 185–210; zu den Grimms auch H isako Ono, Waldsymbolik bei den Brüdern Grimm, in: Fabula 48 (2007) 1/2, S. 73–84.

Geschichtsprofessor Ernst Moritz Arndt (1769–1860), dessen 1815/16 erschienene Artikelserie Forsten und Bauern diese zwei Entitäten im Sinne der Klimatheorie zu naturnah-traditionellen Fundamenten des deutschen Volkes erklärte – konträr zu den in anderen seiner Schriften ausgeführten Negativbildern der „waldfernen“

Franzosen, Juden und Slawen.11

Mitte des 19. Jahrhunderts fungierte der „deutsche Wald“ damit bereits als ein Inbegriff organischer Identität und Stabilität, der durch die viel gelesenen volkskundlichen Publikationen des Arndt-Schülers Wilhelm Heinrich Riehl (1823–1897) weitere Popularisierung erfuhr.12 Der Journalist und spätere Profes-sor für Kulturgeschichte kontrastierte in seinem 1851 bis 1869 veröffentlichten Sammelwerk Naturgeschichte des Volkes – vor allem im zweiten Band Land und Leute von 1854 – verschiedene stereotypische Nationalnaturen: einen freiheits-sichernden Wildniswald der Deutschen gegenüber gezähmten Naturen wie dem Feld der Franzosen oder dem Park der Engländer. Neben solchen klimatheoretisch begründeten Aspekten verstand Riehl die Baumnatur, die für ihn Hierarchie und Kontinuität verbürgte, als wirksames Antidot gegen revolutionäre Bestrebungen.

„Saharismus und Silvanismus“. Naturbasierte Rassenklischees

Nach der Reichsgründung 1870/71 gewannen in den deutschen Identitäts debatten Gegenüberstellungen etwa von „Kultur“ und „Zivilisation“, „Geist“ und „Geld“

oder „organisch“ und „mechanisch“ mehr und mehr an Relevanz.13 Zudem ver-schob sich insbesondere ab den 1890er-Jahren der Feindbildfokus des a ggressiven

11 Siehe Ernst Moritz Arndt, Ein Wort über die Pflegung und Erhaltung der Forsten und der Bauern im Sinne einer höheren, d. h. menschlichen Gesetzgebung, in: Wächter 2 (1815) 3/4, S. 346–408; sowie Wächter 3 (1816) 3/4, S. 209–289; vgl. dazu Caroline Delph, Nature and Nationalism in the Writings of Ernst Moritz Arndt, in: Catrin Gersdorf/Sylvia Mayer (Hrsg.), Nature in Literary and Cultural Studies: Transatlantic Conversations on Ecocriti-cism, Amsterdam/New York 2006, S. 331–354.

12 Siehe Wilhelm Heinrich Riehl, Naturgeschichte des Volkes als Grundlage einer deutschen Social-Politik, 4 Bde., Stuttgart/Tübingen 1851–1869; vgl. dazu Konrad Köstlin, Der ethnisierte Wald, in: Lehmann/Schriewer, Der Wald, S. 53–65.

13 Vgl. dazu mit vielen Beispielen Clason, Schlagworte, S. 106–153.

Nationalismus von den Franzosen hin zu Juden und Slawen.14 Bezüglich der J udenfeindschaft ergänzten biologische, ethnische und rassische Paradigmen die älteren kulturellen, religiösen und sozioökonomischen Vor urteilsstrukturen.15 Gemäß solchen Tendenzen zur politischen Dichotomisierung und Ethnisie-rung postulierten Akteure des Untersuchungszeitraumes auch ein spezifisches Waldver ständnis des deutschen Volkes – im aktualisierenden und radikalisierenden Bezug auf entsprechende Argumente Riehls aus der Mitte des 19. Jahr -hunderts.

Ein häufig angeführtes Beispiel war der ehemalige Reichskanzler Otto von Bismarck, der sich in seinen Gedanken und Erinnerungen über die „ruchlose Zerstörung uralter Bäume“16 echauffierte. An diesen von seinem Nachfolger ver-anlassten Baumfällungen am Reichskanzlerpalais zeigte sich für ihn „nicht ein deutscher, sondern ein slavischer Charakterzug“.17 Bei einem Besuch in den pol-nischen Landschaften werde augenscheinlich, dass deren Bewohner im Gegen-satz zu den Deutschen „keine Baumfreunde“18 seien. Allerdings zitierten nicht alle Veröffentlichungen, die Bismarck schon bald nach seinem Tod zum Inbegriff

14 Vgl. dazu Walkenhorst, Nation; und Geulen, Wahlverwandte; sowie Axel Schildt, R adikale Antworten von rechts auf die Kulturkrise der Jahrhundertwende. Zur Herausbildung und Entwicklung der Ideologie einer „Neuen Rechten“ in der Wilhelminischen Gesellschaft des Kaiserreiches, in: Jahrbuch für Antisemitismusforschung 4 (1995), S. 63–87.

15 Vgl. dazu Lisa Konietzni/Christian Kreuz, Antisemitismus in der Weimarer Republik, in: Thorsten Eitz/Isabelle Engelhardt (Hrsg.), Diskursgeschichte der Weimarer Republik Bd. 1, Hildesheim/Zürich/New York 2015, S. 28–113; Werner Bergmann, Völkischer An-tisemitismus im Kaiserreich, in: Uwe Puschner/Walter Schmitz/Justus H.[erbert] Ulbricht (Hrsg.), Handbuch zur „Völkischen Bewegung“ 1871–1918, München u. a. 1996, S. 449–

463; Christoph Cobet, Der Wortschatz des Antisemitismus in der Bismarckzeit, München 1973; sowie Walter Mohrmann, Antisemitismus. Ideologie und Geschichte im Kaiserreich und in der Weimarer Republik, Berlin 1972.

16 Otto von Bismarck, Gesammelte Werke. Neue Friedrichsruher Ausgabe Bd. 4.1: Gedanken und Erinnerungen [1898], Paderborn u. a. 2012, S. 471.

17 Ebenda, S. 471; vgl. als Belege für ein ähnlich antipolnisches und zudem antisemitisch konnotiertes Walddenken A.[lfred] Hugenberg, Der deutsche Wald, in: ders., Streiflichter aus Vergangenheit und Gegenwart, Berlin [1927], S. 47–50, Beleg S. 48; sowie M.[argarete]

Dantone Helbig, Maßgebliches und Unmaßgebliches, in: Grenzboten 61 (1902) 3, S. 217–

224, Beleg S. 220 f.

18 Bismarck, Gedanken, S. 471.

deutscher Baumliebe erklärten, diese Äußerung inklusive der These einer e thnisch bedingten Naturfeindlichkeit.19

Antislawisch motivierte Instrumentalisierungen der Baumnatur unternahm auch der Lehrer Aurelius Polzer (1848–1924), ein führender Vertreter der all-deutschen Bewegung Österreichs. Sein Trutzgesang aus der bedrängten Ostmark enthielt gleich mehrere Passagen, welche die Eiche zum Nationalsymbol im „Volks-tumskampf“ erklärten. Vor allem den Tschechen machte er botanische Säuberun-gen zugunsten ihres eiSäuberun-genen Lieblingsbaumes zum Vorwurf: „Sie wollen unsrer Ostmark Eichen roden, / Nur Linden sollen wurzeln in dem Boden“.20 Ein in einer anderen Anthologie erschienenes Gedicht verglich in antisemitischer Absicht die parasitäre Mistel mit dem „Jude[n], der wuchert am Volk und beraubt es der Kraft“.21 Polzers poetische Agitation mithilfe des vermeintlichen Natur argumentes richtete sich gegen die Gruppen der Slawen und Juden, die das nationalistische Denken der Zeit zunehmend zum dominierenden Feindbild erklärte.

19 Vgl. zum waldbezogenen Bismarck-Kult etwa Richard Linde, Der Alte vom Walde. Ein Bismarck-Gedenkbuch, Bielefeld/Leipzig 1927; sowie Hermann Lange, Vom Alten aus dem Sachsenwalde. Zum 100. Geburtstage Bismarcks, Hamburg 1915; als Rezeptionsspur mit der antislawischen Wendung Marie Jaedicke (Hrsg.), Naturschutz-Brevier. Der Naturschutzgedanke in Dichtungen und Aussprüchen, Neudamm 1927, S. 68; ohne den antislawischen Bezug Kurt Tucholsky, Gesamtausgabe. Texte und Briefe Bd. 13: Texte 1930, Reinbek 2003, S. 510 f. [Alte Bäume 1930].

20 Aurelius Polzer, Im Harnisch. Trutzgesang aus der bedrängten Ostmark, Hamburg 1887, S. 101 [Wir ergeben uns nicht s. a.]; siehe mit vergleichbarem Eichenkult ebenda, S. 50 f.

[Die Ostmarkeiche s. a.], S. 98 [Hurrah Germania! s. a.], S. 112–113 [Es braust im deutschen Eichenhain s. a.] und S. 168 [Spruch Nr. 88 s. a.]; vgl. zur Person K.[arl]-H.[einz] Burmeis-ter, Aurelius Polzer, in: Österreichisches Biographisches Lexikon Bd. 8, Wien 1983, S. 189;

zum Kontext Johann Sonnleitner, Deutscher Wald und Böhmisches Dorf. Die böhmisch-mährischen Landschaften im Nationalitätenkonflikt, in: Stefan Kaszyński/Sławowir Pion-tek (Hrsg.), Die habsburgischen Landschaften in der österreichischen Literatur, Poznań 1995, S. 197–218.

21 Hugo Bonté (Hrsg.), Deutsche Lyrik. Ein Sammelbuch zeitgenössischer Dichtung, Wien 1895, S. 41 [Polzer, Sprüche s. a.]; Röhl gibt in seiner Studie zur Politik Wilhelms II. einen Brief vom 2. Dezember 1919 wieder, in dem der abgesetzte Kaiser die Juden diffamierte als

„Giftpilz am Deutschen Eichbaum“ (zit. nach John C.[harles] G.[erald] Röhl, Kaiser, Hof und Staat. Wilhelm II. und die deutsche Politik, München 1987, S. 22); vgl. zu derartiger Rhetorik Alexander Bein, „Der jüdische Parasit“. Bemerkungen zur Semantik der Juden-frage, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 13 (1965) 2, S. 121–149.

Ein besonders prominenter Akteur deutschen Walddenkens war der Soziologe und Volkswirt Werner Sombart (1863–1941), dessen Schriften oft auch jenseits der Fachwissenschaft gelesen und diskutiert wurden.22 Vor allem in seinem Buch Die Juden und das Wirtschaftsleben versuchte er, die Ursprünge des Kapitalismus auf eine jüdische statt auf eine protestantische Ethik zurückzuführen. Dies geschah in Weiterentwicklung seiner früheren grundsätzlich antikapitalistischen Position, die er in den Jahren vor dem Weltkrieg zunehmend in einen ethnischen Kontrast zwischen Deutschtum und Judentum ausdifferenzierte. Sombarts Ausgangspunkt war ein fundamentaler „Gegensatz von Nomadismus und Agrikulturismus, von Saharismus und Silvanismus“,23 womit er wie vor ihm schon Riehl komplexe k ulturelle und sozioökonomische Entwicklungen kurzerhand naturalisierte.

Die Juden erschienen so unter Aufnahme älterer nomadenstereotypischer und klimatheoretischer Denkmuster als „ein Wandervolk, ein heißes Volk“,24 dem durch die Herkunft aus den weiten Sandebenen die Fähigkeit zur Verwurzelung abgehe.

Aufgrund einer seit beduinischer Zeit angelegten Lebensweise der Unstetig keit be-vorzuge dieses Tätigkeiten in Bereichen wie Geldverleih oder Reklame, während es die Landwirtschaft und das Handwerk meide. Sombart unterschied dichotom „zwi-schen einem blutsmäßigen Waldvolke und einem blutsmäßigen Wüstenvolke“,25 denen er konkret-tiefsinniges versus abstrakt-numerisches Denken zuordnete. Im bäuerlich-ruralen Landschaftsideal zeigt sich auch eine kritische Haltung des Berli-ner Professors gegenüber der jüdisch konnotierten Großstadt, die für ihn eine „un-mittelbare Fortsetzung der Wüste“26 in den Weiten des Asphalts war.

22 Vgl. zu Sombarts „Judenbildern“ Friedrich Lenger, Werner Sombart. Eine Biographie, München 1994, S. 187–218; sowie Paul Mendes-Flohr, Werner Sombart’s „The Jews and Modern Capitalism“: An Analysis of Its Ideological Premises, in: Yearbook of the Leo Baeck Institute 21 (1976) 1, S. 87–107.

23 Werner Sombart, Die Juden und das Wirtschaftsleben, Leipzig 1911, S. 425; vgl. zum ide-engeschichtlichen Gegensatz von Wald und Wüste Rainer Guldin, Politische Landschaf-ten. Zum Verhältnis von Raum und nationaler Identität, Bielefeld 2014, S. 123–147.

24 Sombart, Juden, S. VII; vgl. zum Hintergrund des Nomaden-Stereotyps Felix Wiedemann, Zwischen Völkerflut und Heroismus. Zur Repräsentation der Beduinen in kulturhistori-schen Deutungen des Vorderen Orients um 1900, in: Judith Becker/Bettina Braun (Hrsg.), Die Begegnung mit Fremden und das Geschichtsbewusstsein, Göttingen 2012, S. 207–227.

25 Sombart, Juden, S. 476, Anm. 602.

26 Ebenda, S. 415.

Mit seiner Schrift Die Zukunft der Juden kam Sombart noch einmal auf diese

„Blutsverschiedenheit“ und die Risiken einer „Blutsvermischung“ zurück, um eine weitgehende Auswanderung vor allem aus Osteuropa nach Palästina zu unterstüt-zen.27 Nur die aufkommende jüdische Nationalbewegung ermögliche dem Volk auf ewiger Wanderschaft eine Wiederverwurzelung anstelle einer fortgesetzten Exis-tenz als „Ranken- und Schlingpflanzen [...], die sich um fremde Bäume winden“.28 Schon die wenigen zitierten Beispiele offenbaren den Einfluss waldbezogener – und zu einem geringeren Grade baumbezogener – Argumentationsmuster auf S ombarts politisches Denken, das in seinen nichtakademischen Veröffentlichun-gen einem breiteren Publikum zugänglich wurde.

Eine wichtige Quelle für Sombarts antisemitische Argumentation war Das Gesetz des Nomadenthums und die heutige Judenherrschaft des Wiener Orien-talisten Adolf Wahrmund (1827–1913). Dieser wollte politisch einem „dämoni-schen Ansturm des semiti„dämoni-schen Nomadenthums“29 entgegentreten, unter dem er neben den Juden ebenso die Araber verstand. Aus dem naturfernen „Gesetz der Wüste“ resultiere ein vaterlandsloser und hinterlistiger Volkscharakter, der statt der Bodenverbundenheit von Ackerbauern und Staatsgründern die „Unstätheit des nomadischen Räubers und Razzianten“ hervorbringe.30 Als moderne Verkörpe-rung solch beduinischen Gebarens galt ihm „der jüdische Grundbesitzer, der die Güter in wenigen Jahren aussaugt und dann wieder fortwirft, die Wälder vernich-tet und Alles zu Gelde macht“31.

Derartige landschaftsbasierte antisemitische Zuschreibungen fanden mit Som-barts einflussreichem Buch sowie der 1919 erfolgten Neuauflage von Wahrmunds Kampfschrift weitere Verbreitung. Viele Publikationen kontrastierten d ement spre-27 Werner Sombart, Die Zukunft der Juden, Leipzig 1912, S. 52 bzw. 43.

28 Ebenda, S. 62.

29 Adolf Wahrmund, Das Gesetz des Nomadenthums und die heutige Judenherrschaft, Karls-ruhe/Leipzig 1887, S. X; vgl. als Neuauflage ders., Das Gesetz des Nomadentums und die heutige Judenherrschaft [1887], München Neuausg. 1919; zur Person Elke Kimmel, Adolf Wahrmund, in: Wolfgang Benz (Hrsg.), Handbuch des Antisemitismus. Judenfeindschaft in Geschichte und Gegenwart Bd. 2.2, Berlin 2009, S. 868; zur Schrift Felix Wiedemann,

„Das Gesetz des Nomadentums“, in: Wolfgang Benz (Hrsg.), Handbuch des Antisemitis-mus. Judenfeindschaft in Geschichte und Gegenwart Bd. 6, München 2013, S. 235 f.

30 Wahrmund, Gesetz, S. 8 bzw. 227.

31 Ebenda, S. 147/148.

chend ein nomadisches „Wüstenvolk“ beziehungsweise „Steppenvolk“ mit einem verwurzelten „Waldvolk“ der Deutschen.32 So berief sich etwa der württembergische Forstmann und Naturschützer Otto Feucht (1879–1971) auf den jeweiligen Umgang mit der Baumnatur, um in Der Wald und Wir einen grund legenden „Unterschied zwischen semitischer und germanischer Welteinstellung“33 zu konstatieren. Ähn-lich wie Sombart beschrieb er die Juden als „Nomadenvolk der weiten waldlosen Steppe“, das die „List und Verschlagenheit“ des herumziehenden Viehhandels der schweißtreibenden bodenverwurzelten Landwirtschaft vorziehe.34 Unter explizitem Verweis auf Riehl verstand er den Wald zudem als einen „Jungbrunnen der Krafter-neuerung“, der in seiner ständischen Ungleichheit das „natür liche Vorbild auch für die menschliche Gesellschaft“ darstelle.35

32 Vgl. als Auswahl zeitgenössischer Belege zu „Wüstenvolk“ Alfred Rosenberg, Der Mythos des 20. Jahrhunderts. Eine Wertung der seelisch-geistigen Gestaltenkämpfe unserer Zeit [1930], 5. Aufl., München 1933, S. 213; sowie ders., Wesen, Grundsätze und Ziele der Natio nalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei. Das Programm der Bewegung [1922], M ünchen Neuausg. 1923, S. 25; zu „Waldvolk“ Konrad Guenther, Die Sprache der Natur seit der Vorzeit unseres Volkes, Leipzig 1930, S. 144; Ernst Wachler, Die Krisis der Deut-schen, in: Hammer 617 (1928), S. 113–115, Beleg S. 113; A.[ugust] Meier-Böke, Der Wald-meister, in: Deutscher Wald 3 ([1.] Mai 1927) 15, S. 1 f., Beleg S. 2; Nordung Sigwart Schu-bert, Wald, Seele und Götter, in: Neues Leben 20 (1926) 11, S. 169–172, Beleg S. 172; Raoul Heinrich Francé, Der heilige Baum, in: Türmer 27 (1925) 9, S. 209–212, Beleg S. 210; Willi Ludewig, Vom deutschen Walde, in: Deutscher Wald 1 ([1.] Februar 1925) 7, S. 1; Hans Teichmann, Der heilige Frühling, in: Der Falke 6 (1925) 1, S. 1–7, Beleg S. 6; Wilh.[elm]

Kotzde[-Kottenrodt], Der Fahrtenmensch, in: Deutsche Bauernhochschule 4 (1924) 1, S. 116–117, Beleg S. 116; Eberhard von Riesenthal, Wald und Waydewerk, Hamburg [ca.

1924], S. 2; Adolf Harpf, Deutsche Waldandachten in drei Erlebnisbüchern, Zeitz 1922, S. 27; Eugen Weiß, Fremdbäume im deutschen Wald, in: Kunstwart 26 (1913) 14, S. 96–98, Beleg S. 96; sowie Edmund Neuendorff, Hinaus in die Ferne! Zwei Wanderfahrten deut-scher Jungen durch deutsche Lande, Leipzig/Berlin 1911, S. 26.

33 Otto Feucht, Der Wald und wir [1924], 2. Aufl., Stuttgart 1926, S. 58; vgl. zur Person H.[ans]-U.[lrich] Moosmayer, Otto Feucht, in: Ministerium für Ernährung, Landwirt-schaft und Umwelt Baden-Württemberg (Hrsg.), Biographie bedeutender Forstleute aus Baden-Württemberg, Stuttgart 1980, S. 152–155.

34 Feucht, Wald, S. 58.

35 Ebenda, S. 9 bzw. 23.

„Der Wald als Erzieher“. Ständische Ordnungsvisionen

Ein weiterer ideengeschichtlicher Hintergrund der Engführung von Wald und Volk war die zunehmende Verbreitung (sozial-)darwinistischer Denkmuster, wie sie seit der ersten deutschen Darwin-Übersetzung 1860 mit der Folge zahlreicher populärer Darstellungen der Evolutionslehre zu konstatieren ist.36 Für die Rezep-tion im rechten politischen Spektrum zentral waren in die Natur projizierte Vor-stellungen von Auslese und Hierarchie, die dann zur Beförderung eigener politi-scher und gesellschaftlicher Ziele zurück auf die menschliche Sphäre übertragen wurden.37 Während die wesentlichen Akteure deutschen Walddenkens anfangs vor allem Philologen und Historiker gewesen waren, beteiligten sich nun immer mehr naturwissenschaftlich beziehungsweise forstwirtschaftlich ausgebildete Autoren an der Instrumentalisierung der Baumwelt.38

Für diese Tendenz maßgeblich wurde der preußische Forstbeamte Rudolf Düesberg (1856–1926): In seinem Buch Der Wald als Erzieher ging er vom „Blute als dem Sitz der Rasseneigenschaften“39 aus, um anschließend weit über die m eta-36 Vgl. für diesen Kontext Andreas Daum, Wissenschaftspopularisierung im 19. Jahrhundert.

Bürgerliche Kultur, naturwissenschaftliche Bildung und die deutsche Öffentlichkeit 1848–

1914, München 1998; sowie Alfred Kelly, The Descent of Darwin: The Popularization of Darwinism in Germany 1860–1914, Chapel Hill 1981.

37 Vgl. dazu Uwe Puschner, Sozialdarwinismus als wissenschaftliches Konzept und politi-sches Programm, in: Gangolf Hübinger (Hrsg.), Europäische Wissenschaftskulturen und politische Ordnungen in der Moderne 1890–1970, München 2014, S. 99–121; sowie Peter Emil Becker, Wege ins Dritte Reich Bd. 2: Sozialdarwinismus, Rassismus, Antisemitismus

37 Vgl. dazu Uwe Puschner, Sozialdarwinismus als wissenschaftliches Konzept und politi-sches Programm, in: Gangolf Hübinger (Hrsg.), Europäische Wissenschaftskulturen und politische Ordnungen in der Moderne 1890–1970, München 2014, S. 99–121; sowie Peter Emil Becker, Wege ins Dritte Reich Bd. 2: Sozialdarwinismus, Rassismus, Antisemitismus

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