• Keine Ergebnisse gefunden

Eine „Vielfalt von Lösungswegen“. Handlungsfelder und Handlungsmuster im Kampf gegen die Jugend arbeitslosigkeit

Im Folgenden geht es darum, grundlegende und für die Bundesrepublik charakteristische Optionen des Handelns im Kampf gegen Jugendarbeitslosigkeit aufzuzeigen und in ihren zeithistorischen Kontexten zu verorten. Diese „Handlungsmuster“ wiederum lagen auf unterschiedlichen „Handlungsfeldern“. Trotz mancher Probleme einer eindeutigen Zu-ordnung sollen idealtypisch vier Bereiche unterschieden werden, auf denen Staat und Gesellschaft in der Bundesrepublik der 1970er und 1980er Jahre versucht haben, des Problems der Jugendarbeitslosigkeit Herr zu werden oder es doch zumindest einzugren-zen: das wirtschafts-, arbeitsmarkt- und bildungspolitische sowie das sozialpädagogische Feld230. Dass dabei auch der zeitliche Wandel, insbesondere der Regierungswechsel von 1982, sowie die innenpolitische Zuordnung bestimmter Handlungsmuster zu berücksich-tigen sind, versteht sich von selbst.

Ausgegangen wird zudem von zwei grundlegenden ordnungspolitischen Ansätzen, die jeweils ganz unterschiedliche Konkretisierungen erfahren konnten: auf der einen Seite die Entfaltung zielgerichteter, zumeist staatlicher Aktivitäten und auf der anderen das Ver-trauen in die Selbstheilungskräfte des freien Marktes und die Herstellung wirtschaftslibe-raler Rahmenbedingungen. Bekanntlich hat der letztgenannte Ansatz während des unter-suchten Zeitraums in der Bundesrepublik und stärker noch in einigen anderen Staaten der westlichen Welt wie vor allem in Großbritannien und den Vereinigten Staaten im Zuge eines Aufschwungs neoliberaler Konzepte eine Intensivierung erfahren. Für beide Pole, auch dies wird im Folgenden zu beachten sein, ist die Frage nach der Prägekraft politi-scher Hoffnungen und nach der Verbreitung pragmatipoliti-scher Ernüchterung von erheb-licher Bedeutung.

Die für Deutschland traditionell so wichtige Ausgestaltung der Sozialpolitik und des Sozialstaats wurde auf allen vier unterschiedenen Handlungsfeldern berührt. Nachdem sich Arbeitslosigkeit im Laufe der Geschichte „nicht als Motor der Revolution, sondern als Motor des Sozialstaats und des Aufbaus entsprechender sozialer Sicherungssysteme erwie-sen“ hat231, entwickelte sie sich in jüngster Zeit auch zu einem Motor des sozialstaatlichen Umbaus. Die folgende Analyse wird darauf zu achten haben, inwieweit es in der Auseinan-dersetzung mit Jugendarbeitslosigkeit bereits in den 1970er und 1980er Jahren Anzeichen hierfür gab. Ebenso wichtig aber ist die Frage nach der Beharrungskraft der sozialstaatli-chen Tradition deutscher Prägung.

230 Ein ähnlicher, allerdings etwas engerer und nur ganz knapp ausgeführter Ansatz einer umfassen-den Typologie findet sich in folgender IAB-Publikation: Projektgruppe „Arbeitslosigkeit Jugendlicher“

in der Bundesanstalt für Arbeit, Jugendliche beim Übergang in Ausbildung und Beruf, Nürnberg 1980, S. 129 (Tabelle); wiedergegeben auch in Stooß, Jugendarbeitslosigkeit, S. 44. Ebd. werden drei Kategorien von Maßnahmen gegen Jugendarbeitslosigkeit unterschieden: „arbeitsmarkt- u. beschäfti-gungspolitisch“, „(berufs-)bildungspolitisch“, „sozialpädagogisch“. Nicht berücksichtigt ist dort vor allem das wirtschaftspolitische Feld. – Zum Zitat in der Überschrift s. unten S. 117.

231 Alois Wacker, Arbeitslosigkeit als Thema der Sozialwissenschaften. Geschichte, Fragestellungen und Aspekte der Arbeitslosenforschung, in: Thomas Raithel/Thomas Schlemmer (Hrsg.), Die Rück-kehr der Arbeitslosigkeit. Die Bundesrepublik Deutschland im europäischen Kontext 1973 bis 1989, München 2009, S. 121–135, hier S. 134 f.

Das wirtschaftspolitische Feld

Fundamental für das politische Agieren auf diesem Handlungsfeld ist die Annahme, dass das Phänomen der Jugendarbeitslosigkeit ebenso wie die gesamte Massenarbeitslosigkeit in einem engen Zusammenhang mit der makroökonomischen Entwicklung steht. Seit Mitte der 1970er Jahre wurde dieser Umstand im politischen Diskurs über Jugendarbeits-losigkeit immer wieder betont. Eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik versprach demnach auch eine nachhaltige Verbesserung der Arbeitsmarktlage für Jugendliche.

Vor allem in der Anfangsphase der neuen Jugendarbeitslosigkeit resultierte aus diesen Prämissen auf Regierungsseite eine gewisse Unterschätzung des Problems. Die Hoffnung auf eine baldige Überwindung der konjunkturellen Schwierigkeiten und der noch ver-breitete Glaube an die Wirkungskraft keynesianischer Steuerungsinstrumente ließ auch die Jugendarbeitslosigkeit als ein kurzfristiges Krisenphänomen erscheinen. „Im Zuge des erwarteten Wirtschaftsaufschwungs, für den Bundesregierung und Bundesbank die Grundlage gelegt haben“, so hieß es beispielsweise im Februar 1975 in einem Entwurf aus dem Arbeitsministerium für ein Interview von Bundesminister Walter Arendt (SPD), „wird sich die Arbeitslosigkeit der Jugendlichen rasch wieder abbauen.“232 Wenig später stellte Bildungsminister Helmut Rohde (SPD) im Bundestag ausdrücklich fest, dass die Jugend-arbeitslosigkeit „auch nicht zuletzt Anlaß und Grund für die Konjunkturprogramme [war], die von der Bundesregierung auf den Weg gebracht worden sind“233.

Im Laufe der Zeit schwächte sich der Glaube an die Wirksamkeit einer keynesianisch inspirierten wirtschafts- und finanzpolitischen Globalsteuerung ab234, zumal kostspielige Konjunkturprogramme – allein im Jahr 1977 besaßen Letztere ein Volumen von knapp 30 Milliarden DM235 – nicht mehr finanzierbar waren. Im Zuge dieser Entwicklung rückte auch der Verweis auf eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik vorübergehend in den Hinter-grund der diskursiven Auseinandersetzung mit dem Problem der Jugendarbeitslosigkeit.

Das wirtschaftspolitische Feld erlebte allerdings unter neuen Vorzeichen eine gewisse Renaissance, als 1982 eine von Helmut Kohl geführte CDU/CSU-FDP-Regierung die so-zialliberale Koalition ablöste. Die „Erneuerung der Politik der sozialen Marktwirtschaft“236, das Vertrauen in die Kräfte des Marktes und ein dadurch bewirkter wirtschaftlicher Auf-schwung wurden in der Regierungsrhetorik zu den wichtigsten Garanten für eine Vermin-derung der Arbeitslosigkeit im Allgemeinen und der Jugendarbeitslosigkeit im Beson-deren. So antwortete der Kanzler auf einer Pressekonferenz, die er am 3. Februar 1983 anlässlich einer Vereinbarung mit Wirtschaftsvertretern zur Schaffung von mehr Ausbil-dungsplätzen abhielt, auf die Frage, „welche Hoffnung“ er arbeitslosen Jugendlichen geben könne, „die bereits ausgebildet sind“: „Die Hoffnung, die ich diesen Leuten geben

232 BAK, B 149/103114, Ref. IIa 1, „Beitrag für das Interview des Herrn Ministers zur Jugendarbeits-losigkeit“ [Februar 1975], S. 2.

233 Verh. BT, Bd. 92, 7. WP, 156. Sitzung, 14. 3. 1975, S. 10864.

234 Süß, Der keynesianische Traum, S. 127 f.

235 Eine Übersicht über die Konjunkturprogramme dieser Zeit gibt Claus-Martin Gaul, Konjunktur-programme in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland: Einordnung und Bewertung der Globalsteuerung von 1967 bis 1982 (Info-Brief des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bun-destags), [Berlin] 2009, http://www.bundestag.de/dokumente/analysen/2009/konjunkturprogram-me.pdf [letzter Zugriff: 20. 4. 2012]. Vgl. dort vor allem die tabellarischen Auflistungen S. 11 f. und 14. Die obige Zahlenangabe ist berechnet nach ebd., S. 14. Generell zur Wirtschaftspolitik der 1970er Jahre vgl. die Literaturangaben oben S. 12, Anm. 4.

236 BAK, B 149/139050, „Entwurf für eine Presseerklärung“, 3. 2. 1983, S. 1.

kann, ist, daß es uns gelingt, den notwendigen wirtschaftlichen Aufschwung herbeizufüh-ren.“ 237

Auch in der 1983 besonders drängenden Ausbildungsplatzfrage schob Kohl den Aspekt der marktwirtschaftlichen Mobilisierung, die den Leitgedanken der eben erwähnten Ver-einbarung bildete, ganz nach vorne. Diese Übereinkunft sei „ein Zeichen für wachsendes Selbstvertrauen in die Zukunft unseres Landes“. „Im Blick auf die Nachbarländer in Euro-pa“, sei dies, so fuhr der Kanzler auf der erwähnten Pressekonferenz nicht ohne bundes-deutsche Selbstgerechtigkeit fort, „ein einzigartiger Vorgang“: „Er zeigt sehr stark den Geist einer freien Gesellschaft, die der Überzeugung der Sozialen Marktwirtschaft ent-spricht, daß man ohne staatliche Auflagen, ohne Gesetze und Verordnungen auf dem Wege freier Vereinbarung ein solches Problem lösen kann.“238 Die Spitzenverbände der bundesdeutschen Wirtschaft nahmen den Ball auf und warben, wie etwa eine Plakat aktion des Kuratoriums der Deutschen Wirtschaft für Berufsbildung aus dem Jahr 1984 zeigt239, ihrerseits für eine verstärkte Einstellung von Lehrlingen. Im Abschnitt zur Bildungspolitik wird auf diese zweifellos erfolgreiche Mobilisierung und ihren möglicherweise doch etwas komplexeren Hintergrund zurückzukommen sein.

„Mehr Marktwirtschaft am Arbeitsmarkt!“, so lautete 1985 der Titel einer Broschüre der

„Arbeitsgemeinschaft Selbständiger Unternehmer“240 – diese Parole blieb Mitte und Ende der 1980er Jahre auch für die Proklamationen der Bundesregierung und ihr nahestehen-der Wirtschaftskreise zum Thema Arbeitslosigkeit maßgebend. Seitens nahestehen-der Opposition von SPD und Grünen wurden derartige Verlautbarungen gern mit dem beliebten Vorwurf der Tatenlosigkeit gekontert241. Dies führte insofern zu einem Scheingefecht, als das in den 1970er Jahren entfaltete Instrumentarium der aktiven Arbeitsmarktpolitik, wie gleich noch zu sehen sein wird, auch seitens der neuen Regierung intensiv zum Kampf gegen Jugendarbeitslosigkeit genutzt wurde.

Im Kontext der seit 1982 stärker werdenden wirtschaftsliberalen Tendenzen – von ei-nem „Neoliberalismus“ Thatcher’scher Prägung war die Bundesrepublik freilich noch weit entfernt242 – stehen auch die Bemühungen um eine Deregulierung arbeitsrecht licher Vorschriften. Diese waren in den 1970er Jahren durch die sozialliberale Koalition teilwei-se verschärft worden243 und galten dem wirtschaftsliberalen Credo als Hindernis für die Schaffung neuer Arbeitsplätze. Im parteipolitischen Raum teilte dieses Anliegen vor allem die CDU/CSU, später auch die FDP. Volker Rühe (CDU) hatte bereits 1978 im Bildungs-ausschuss des Bundestags vorgeschlagen, über „Fragen der Ausbildungsordnungen, des

237 BAK, B 149/139050, „Unkorrigiertes Manuskript Pressekonferenz Nr. 15/83“, 3. 2. 1983, S. 10.

238 Ebd., S. 2.

239 Das Plakat stellte die Frage „Haben auch Sie schon einen Lehrling eingestellt?“ Vgl. die Abbil-dung in: Braun/Schäfer/Schneider, Jugendarbeitslosigkeit, S. 230. – Dem 1970 gegründeten Kurato-rium der Deutschen Wirtschaft gehören die wichtigsten Spitzenverbände an.

240 BAK, B 149/83192, „Mehr Marktwirtschaft am Arbeitsmarkt! Ansätze zum Abbau der Arbeitslosig-keit“, 1985.

241 Vgl. z. B. die Bundestagsdebatte am 16. 10. 1986, in: Verh. BT, 10. WP, 238. Sitzung, S. 18360–18377, z. B. aus der Rede der Bundesministerin Süssmuth, S. 18375: „Sie haben eben erklärt, wir appellier-ten nur, wir täappellier-ten nichts, wir überließen alles dem Markt. (Frau Odendahl [SPD]: So ist es!)“. Die Ministerin verwahrte sich im Anschluss gegen den Vorwurf und führte Maßnahmen aktiver Arbeits-marktpolitik an.

242 Vgl. in diesem Zusammenhang auch den Vergleich zwischen der Bundesrepublik und Großbri-tannien in Süß, Massenarbeitslosigkeit, Armut und die Krise der sozialen Sicherung.

243 Insbesondere 1976 im Jugendarbeitsschutzgesetz. Vgl. unten S. 107.

Jugendarbeitsschutzgesetzes und des Schwerbehindertengesetzes“ zu diskutieren, um die betriebliche Ausbildungsbereitschaft zu fördern244. Unmittelbar nach dem Regierungs-wechsel von 1982 kündigte die neue Bundesministerin für Bildung und Wissenschaft Dorothee Wilms (CDU) dann im Bildungsausschuss an, gegen „ausbildungshemmende Maßnahmen“ vorgehen zu wollen: „Die Bundesregierung wird im Rahmen ihrer Verant-wortung durch ihre Berufsbildungspolitik verstärkt dazu beitragen, dass die Ausbildungs-bereitschaft vor allem der kleinen und mittleren Betriebe gestärkt und nicht durch über-zogene und unpraktikable Rechtsvorschriften gehemmt werden [sic].“245 Zwei Jahre später, im Oktober 1984, erfolgte eine Novellierung des zuletzt 1976 neu gefassten Jugend-arbeitsschutzgesetzes, in dem unter anderem die 1976 geschaffenen Reglementierungen der jugendlichen Arbeitszeiten gelockert wurden, um so eine bessere Anpassung an die betrieblichen Erfordernisse zu erreichen246.

Das arbeitsmarktpolitische Feld

Während der Begriff der Beschäftigungspolitik eine breite Semantik besitzt und auch die wirtschaftspolitischen Ansätze zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit umfasst, „werden die speziell am Arbeitsmarkt ansetzenden Maßnahmen als Arbeitsmarktpolitik bezeichnet“247. Arbeitsmarktpolitik in diesem Sinne wird häufig in eine „passive“ und eine „aktive“ Vari-ante unterteilt, wobei erstere auch als „verwaltende“ und letztere als „gestaltende“ Arbeits-marktpolitik definiert werden kann248. Auch die folgenden Ausführungen orientieren sich trotz einzelner Probleme der Trennschärfe an diesem Ansatz.

Zur sogenannten passiven Arbeitsmarktpolitik, die sich im Wesentlichen auf die Kom-pensation von Lohnausfällen infolge von Arbeitslosigkeit richtet, gehört insbesondere die Arbeitslosen- und Kurzarbeiterunterstützung, die seit Beginn der Arbeitsmarktkrise 1974 eine hohe Belastung für den Etat der Nürnberger Bundesanstalt für Arbeit darstellte. Als Instrument der passiven Arbeitsmarktpolitik gelten – trotz einer gewissen „aktiven“ Gestal-tungsintention – üblicherweise auch staatliche Bemühungen, mittels finanzieller Anreize ein früheres Ausscheiden älterer Arbeitnehmer aus dem Erwerbsleben zu erreichen. Auf diesem Wege, so die Hoffnung, sollen Arbeitsplätze für junge Erwerbspersonen frei ge-macht werden. Wie bereits im deutsch-französischen Vergleich zu den Kausalfaktoren für die unterschiedlichen Ausmaße von Jugendarbeitslosigkeit erwähnt, trat 1984 in der Bundesrepublik ein Vorruhestandsgesetz in Kraft, das auch als Maßnahme zum Abbau von Jugendarbeitslosigkeit gedacht war249.

244 PADB, Ausschuss für Bildung und Wissenschaft, 8. WP, Protokoll der 28. Sitzung vom 8. 3. 1978.

245 PADB, Ausschuss für Bildung und Wissenschaft, 9. WP, Protokoll der 35. Sitzung vom 29. 10. 1982, S. 11.

246 BGBl. 1976/I, S. 965–984; BGBl. 1984/I, S. 1277–1280. Zum Jugendarbeitsschutzgesetz von 1984 vgl. Dietrich Bethge, Arbeitsschutz, in: Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland seit 1945, Bd. 7:

1982–1989: Bundesrepublik Deutschland. Finanzielle Konsolidierung und institutionelle Reform, hrsg. von Manfred G. Schmidt, Baden-Baden 2005, S. 197–235, hier S. 226–229.

247 Vgl. Arthur Woll (Hrsg.), Wirtschaftslexikon, 9., völlig überarb. und erw. Aufl., München/Wien 2000, S. 40. Beschäftigungspolitik wird ebd. definiert als „die gesamtwirtschaftlich am Güter-, Geld-, und Arbeitsmarkt ansetzenden Maßnahmen zur Sicherung eines hohen Beschäftigungsstands“.

248 Gabler Wirtschaftslexikon, Online-Ausgabe, Stichwort Arbeitsmarktpolitik, http://wirtschaftslexi-kon.gabler.de/Archiv/974/arbeitsmarktpolitik-v10.html [letzter Zugriff: 22. 3. 2012].

249 Vgl. oben S. 52.

Als Option war ein derartiges Vorgehen schon länger im Gespräch gewesen. Bereits im Dezember 1977 diskutierte der Bildungsausschuss des Bundestags in einer Aussprache mit Bundesbildungsminister Rohde unter diesem Gesichtspunkt über eine Herabsetzung des Rentenalters. Der damalige Ausschussvorsitzende Rolf Meinecke (SPD) stellte dabei eine eindeutige Korrelation zwischen dem Arbeitsmarkt für ältere und jugendliche Beschäftig-te her, hatBeschäftig-te aber offenbar noch gewisse Zweifel an der ethischen Legitimation eines frü-heren Renteneintritts. Er frage sich, so Meinecke, „ob es humaner sei, mit 60 Jahren be-schäftigungslos zu sein – bei einer durchschnittlichen Lebenserwartung von 73 Jahren bei Männern und 77 bei Frauen – oder als Jugendlicher keine Arbeit zu finden. Dies müsse gegeneinander abgewogen werden.“250

Das „Gesetz zur Förderung von Vorruhestandsleistungen“ aus dem Jahr 1984 sah schließlich ein freiwilliges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben nach Vollendung des 58.

Lebensjahres vor, wobei ein Vorruhestandsgeld von mindestens 65% des bisherigen Brut-tolohns gewährt wurde und die Beiträge zur Renten- und Krankenversicherung vom Ar-beitgeber zu übernehmen waren251. Dieser erhielt im Gegenzug von der Bundesanstalt für Arbeit einen 35%igen Zuschuss zu den Vorruhestandskosten, wenn er den freigewor-denen Arbeitsplatz mit einem Jugendlichen oder Arbeitslosen besetzte.

Die Wirkungen des Gesetzes blieben freilich entgegen den Erwartungen sehr beschei-den, auch weil es eine gewisse Konkurrenzsituation zu anderen tarifvertraglichen und be-trieblichen Vorruhestandsregelungen gab. Etwa 160 000 Menschen nahmen das Vorruhe-standsgesetz in Anspruch, rund 88 000 Anträge auf einen Zuschuss der Bundesanstalt wurden bewilligt – und unter den Neueingestellten waren gerade einmal 18 000 Jugend-liche252. 1988 wurde das Vorruhestandsgesetz durch das zum 1. Januar 1989 in Kraft getre-tene Altersteilzeitgesetz ersetzt, das wohl ebenfalls nur schwache arbeitsmarktpolitische Effekte erzielte253. Inwieweit dieses Urteil auch für die in den 1980er Jahren seitens der Gewerkschaften durchgesetzten tariflichen Verkürzungen der Wochenarbeitszeit sowie für die Förderung von Teilzeitarbeit zutrifft – Instrumente, die bereits im Bereich der aktiven Arbeitsmarktpolitik anzusiedeln sind –, war und ist in der Arbeitsmarktforschung umstrit-ten: Untersuchungen, die eher der Seite der Arbeitgeber zuzurechnen sind, kommen hier zu anderen Ergebnissen als gewerkschaftsnahe Studien254.

Das noch von der Großen Koalition von CDU/CSU und SPD verabschiedete Arbeitsför-derungsgesetz (AFG) aus dem Jahr 1969 bildete in der Bundesrepublik gleichsam das Grundgesetz einer aktiven Arbeitsmarktpolitik, die es in begrenztem Umfang freilich auch schon vorher gegeben hatte. Sie wurde aber nun – ähnlich wie in vielen anderen Staaten – zum dominierenden und anfangs mit großen Hoffnungen verbundenen Para-digma255. Dem bisher vorherrschenden Prinzip der „passiven“ Linderung von

Arbeitslo-250 PADB, Ausschuss für Bildung und Wissenschaft, 8. WP, 24. Sitzung, 14. 12. 1977.

251 Vgl. Schmid/Oschmiansky, Arbeitsmarktpolitik und Arbeitslosenversicherung [1982–1989], S. 257 f. – Ebd. auch zum Folgenden.

252 Zahlen nach ebd., S. 258.

253 Ebd., S. 258 f.

254 Vgl. die resümierende Beurteilung bei Markus Promberger, Das Beschäftigungsmotiv in der Ar-beitszeitpolitik, in: Thomas Raithel/Thomas Schlemmer (Hrsg.), Die Rückkehr der Arbeitslosigkeit.

Die Bundesrepublik Deutschland im europäischen Kontext 1973 bis 1989, München 2009, S. 161–

173, hier S. 171.

255 Generell zur Ausbildung und Praxis einer aktiven Arbeitsmarktpolitik in der Bundesrepublik vgl.

Altmann, Aktive Arbeitsmarktpolitik. Die ebd., S. 192–246, zu findende sehr kritische Beurteilung

sigkeit wurde nun das vorausschauende Bemühen des Staates zur Seite gestellt, derartige Krisen künftig zu vermeiden. Wichtiger war Ende der 1960er Jahre allerdings noch die Sorge, dass gerade in technologisch anspruchsvollen Bereichen des Erwerbslebens lang-fristig Arbeitskräftemangel das Wirtschaftswachstum gefährden werde. Das Arbeitsförde-rungsgesetz sollte daher vor allem auch der Qualifizierung von Arbeitskräften dienen. In-stitutionell fand diese Entwicklung Ausdruck in der Umwandlung der 1952 gegründeten Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung256 zur semantisch wei-ter gefassten und auch institutionell stark vergrößerten Bundesanstalt für Arbeit.

Ursprünglich war das Handlungsmuster der aktiven Arbeitsmarktpolitik getragen von einem seit Mitte der 1960er Jahre im Westen Deutschlands auch in anderen politischen und gesellschaftlichen Feldern in den Vordergrund drängenden Glauben an die Plan-barkeit, der durch die erfolgreiche keynesianische Meisterung der Konjunkturkrise von 1966/67 zusätzlichen Auftrieb erhalten hatte257. Die Ernüchterung258 setzte mit der großen Wirtschaftskrise von 1974/75 und dem unaufhaltsamen Anstieg der Massenar-beitslosigkeit ein. Die Kosten der aktiven Arbeitsmarktpolitik, die der Bundesanstalt schon vor Beendigung des ökonomischen „Booms“ Haushaltsprobleme bereitet hatten259 , stiegen nun rasant in die Höhe. Gleichzeitig wandelte sich aber auch die grundlegende Funktion dieser Politik, die ihren präventiven Charakter weitgehend verlor und zu einem Instru-mentarium wurde, das in erster Linie auf die Eindämmung von Arbeitslosigkeit zielte.

Der teilweise geradezu utopische Glaube an die Planbarkeit wich nach und nach einem differenzierten Krisenpragmatismus, was ganz im politischen Trend jener Jahre lag260.

Ähnlich wie bei der Bekämpfung der allgemeinen Arbeitslosigkeit lassen sich auch im speziellen Einsatz gegen die Jugendarbeitslosigkeit zwei Felder einer aktiven Arbeitsmarkt-politik unterscheiden. Zum einen gab es das „reguläre“, durch die Alltagsarbeit der Nürn-berger Bundesanstalt verwaltete Repertoire von Maßnahmen, die auf dem – bis Ende der ihrer Wirkungen, die auch an wirtschaftswissenschaftliche Versuche einer Evaluierung der aktiven Arbeitsmarktpolitik anknüpft (ebd., S. 229–238), erscheint insgesamt stark dem neoliberalen Zeitgeist der 1990er und frühen 2000er Jahre verhaftet. – Allgemein zur Entwicklung aktiver Arbeitsmarktpoli-tik im untersuchten Zeitraum – und mit eher positiven Wertungen hinsichtlich ihrer Leistungen in der Krisenlinderung – vgl. Schmuhl, Arbeitsmarktpolitik und Arbeitsverwaltung, S. 504–532.

256 Die Bundesanstalt stand in der Nachfolge der Weimarer Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung, die 1927 im Zuge der Einführung einer Arbeitslosenversicherung durch das Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung gegründet worden war. Vgl. ebd., S. 143.

257 Aus der umfangreichen Literatur vgl. vor allem einige neuere Aufsätze: Michael Ruck, Ein kurzer Sommer der konkreten Utopie – Zur westdeutschen Planungsgeschichte der langen 60er Jahre, in:

Axel Schildt/Detlef Siegfried (Hrsg.), Dynamische Zeiten. Die 60er Jahre in den beiden deutschen Gesellschaften, Hamburg 2000, S. 362–401; Gabriele Metzler, Am Ende aller Krisen? Politisches Den-ken und Handeln in der Bundesrepublik der sechziger Jahre, in: Historische Zeitschrift 275 (2002), S. 57–103. Zum Planungsglauben und zu seinen Ausprägungen auf dem Feld der Arbeitsmarktpolitik vgl. Georg Altmann, Vollbeschäftigung durch Planung? Das Reformprojekt „Vorausschauende Ar-beitsmarktpolitik“ in den 1960er Jahren, in: Matthias Frese/Julia Paulus/Karl Teppe (Hrsg.), Demo-kratisierung und gesellschaftlicher Aufbruch. Die sechziger Jahre als Wendezeit der Bundesrepublik, Paderborn u. a. 2003, S. 283–297; Schmuhl, Arbeitsmarktpolitik und Arbeitsverwaltung, S. 450–492;

Raithel, Der Glaube an die Planbarkeit.

258 Zum Prozess der Desillusionierung auf dem exemplarischen Feld der Wirtschaftspolitik vgl.

Schanetzky, Die große Ernüchterung.

259 Vgl. Schmuhl, Arbeitsmarktpolitik und Arbeitsverwaltung, S. 483.

260 Bereits Wolfgang Jäger sprach im Hinblick auf die Regierung Schmidt/Genscher von „Pragmatis-mus als Regierungsprogramm“. Ders./Link, Republik im Wandel. 1974–1982, S. 9.

1980er Jahre neunmal novellierten – Arbeitsförderungsgesetz basierten. Zum anderen legten der Bund und in kleinerem Umfang auch die Bundesländer261 diverse Sonderpro-gramme auf.

Eine Übersicht des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales aus dem Jahr 1986 listet sieben Maßnahmenbündel auf, die neben der Berufsberatung bei der Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit im Rahmen des Arbeitsförderungsgesetzes zum Einsatz kamen:

1. „Berufsausbildungsbeihilfen“ für Lehrlinge, die insbesondere auch der Förderung räumlicher Mobilität dienten und beispielsweise die Bezuschussung von Fahrt- und Wohnheimkosten ermöglichten;

2. die „Förderung der Teilnahme an berufsvorbereitenden Maßnahmen“;

3. „Ausbildungszuschüsse“ für Betriebe, die behinderte Jugendliche ausbilden;

4. Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) im Bereich „zusätzliche[r] Arbeiten im öffent-lichen Interesse“, bei denen die Gehaltszahlungen der jeweiligen Träger (Kommunen, Wohlfahrtsverbände etc.) mit 60 bis 80% bezuschusst werden;

5. „Eingliederungsbeihilfen“, die Arbeitgebern bei der Einstellung von jugendlichen Ar-beitslosen zugutekommen und die in der Regel 50% des üblichen Lohnes betragen;

6. „Einarbeitungszuschüsse“, wenn Arbeitgeber Jugendliche einstellen, „die eine volle Leistung am Arbeitsplatz erst nach einer Einarbeitungszeit erbringen können“;

7. die „Förderung der beruflichen Fortbildung und Umschulung“ 262.

Deutlich wird hier, dass die auf Jugendliche gerichtete aktive Arbeitsmarktpolitik eine sehr starke bildungspolitische Dimension besaß, indem sie dem System der betrieblichen beruflichen Bildung über zusätzliche Qualifizierungsmaßnahmen, Mobilitätsbeihilfen

Deutlich wird hier, dass die auf Jugendliche gerichtete aktive Arbeitsmarktpolitik eine sehr starke bildungspolitische Dimension besaß, indem sie dem System der betrieblichen beruflichen Bildung über zusätzliche Qualifizierungsmaßnahmen, Mobilitätsbeihilfen