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Videopropaganda und Radikalisierung

Rosaviola Frohneberg / Guido Steinberg

Videos spielen im jihadistischen Internet seit jeher eine wichtige Rolle. In den letzten Jahren haben sie noch an Bedeutung gewonnen, weil sie im Zuge der Verbreitung des Internets und der neuen sozialen Medien leich-ter zugänglich sind und aufgrund von technischen Neuerungen und ver-besserten Fähigkeiten der Macher immer professioneller hergestellt wer-den. Hinzu kommt, dass sich die Rezeptionsgewohnheiten verändert haben: Viele Internetnutzer ziehen heute Videos herkömmlichen Texten vor, weil die visualisierten Inhalte einfacher zu erfassen sind. Dabei wer-den die Inhalte in wer-den jihadistischen Videos besonders einprägsam präsen-tiert und erscheinen glaubwürdig, sind aber gleichzeitig simplifiziert. Das Internet und neuerdings speziell Videoplattformen wie YouTube wieder-um sind geradezu prädestiniert für die rasche weltweite Verbreitung von Videos.

Insbesondere in der westlichen Diaspora sind die Videos um einiges populärer als die ideologischen Texte der jihadistischen Bewegung. Das liegt zum einen am religiös-ideologischen Bildungsstand der Jihadisten im Westen, der häufig hinter dem der arabischen Jihadisten zurückbleibt.

Zum anderen können die vielfach in arabischer Sprache verfassten Texte aufgrund von Sprachbarrieren nur teilweise und verspätet rezipiert werden. Wer die Diaspora erreichen will, setzt deshalb immer häufiger auf Videos in den Landessprachen der Adressaten. Visuelle Propaganda spielt in sehr vielen Fällen eine wichtige Rolle bei der Radikalisierung. Dies gilt vor allem – aber keineswegs ausschließlich – für die ersten Schritte in Richtung Jihadismus. Häufig beginnt ein solcher Annäherungsprozess mit der »moralischen Entrüstung« der meist jungen Menschen, die beispiels-weise durch Nachrichten über Kriege in der islamischen Welt hervorgeru-fen wird.1

Besonders nachhaltig wirken Berichte über »offensichtliche physische Ungerechtigkeit« wie Morde, willkürliche Gefangennahmen und alle Arten von Misshandlungen, weil sie Menschen sehr stark emotional ansprechen und bei vielen das Bedürfnis wecken, für die Opfer tatkräftig Partei zu ergreifen.2 Gerade die Videos machen solche Nachrichten »offensichtlich«, indem sie einprägsame Bilder übermitteln, die häufig auch besonders glaubwürdig erscheinen. Die Videos betten die vielfältigen Ungerechtig-keiten darüber hinaus in einen Erklärungszusammenhang ein und geben Antworten auf die Frage, warum sie geschehen und wie dagegen vorgegan-gen werden kann.3

1 Marc Sageman, Leaderless Jihad. Terror Networks in the Twenty-First Century, Philadelphia:

University of Pennsylvania Press, 2008, S. 72f.

Und meist lautet die Antwort, dass sie im Kontext eines

2 Ebd.

3 Ebd., S. 75. Zu den weiteren Radikalisierungsphasen vgl. ebd., S. 75ff.

weltweiten Kriegs gegen den Islam stehen, so dass den Muslimen nur der bewaffnete Kampf bleibe.

Phasen

Die jihadistische Videopropaganda hat drei Phasen durchlaufen, die sich teilweise mit den Entwicklungsetappen des jihadistischen Internets decken. Insgesamt haben die Videos mit der verbreiteten Nutzung des Internets enorm an Bedeutung gewonnen. Dabei entstanden die ersten Videos schon in den 1980er Jahren im Afghanistankrieg, auch in Bosnien drehten Jihadisten Propagandafilme. Da sie diese Filme aber noch als Videokassetten vertreiben mussten, waren sie nicht einmal in der Sympa-thisantenszene sonderlich weit verbreitet. Im Internet tauchten einschlä-gige Videos erst um die Jahrtausendwende auf; Thema war meist der Tschetschenienkrieg und die Videos kursierten nahezu ausschließlich in-nerhalb der jihadistischen Szene. Einen ersten Boom erlebte die Video-propaganda ab 2001, als das Interesse an Bildmaterial der al-Qaida sprung-haft zunahm. Das Material, vorwiegend weiterhin auf traditionelle Art ver-teilt, wurde jetzt zumindest teilweise auch im Fernsehen ausgestrahlt. Erst ab 2003/2004 weitete sich die Videoproduktion und die Verbreitung der Filme im Internet aufgrund von technischen Neuerungen, besserer Zu-gänglichkeit der Technik und neuen Schauplätzen massiv aus. Der Auf-stand im Irak war hier der wichtigste Katalysator. Die dritte Phase setzte ungefähr 2008 ein, als die Videos zunehmend über soziale Medien verbrei-tet und in Multimediaproduktionen eingebetverbrei-tet wurden.

Frühphase (bis 2003)

Seit Ende der 1990er Jahre fanden sich die ersten jihadistischen Videos im Internet. Da die Menge der Daten begrenzt war, die auf den Webseiten ein-gestellt werden konnten, waren Videos eine Seltenheit. Die Jihadisten nutzten damals noch traditionelle Verbreitungswege, indem sie Video-kassetten aus den Kampfgebieten im Kaukasus, Kaschmir, den Philippinen und Afghanistan per Kurier oder per Post in die arabische Welt oder die westliche Diaspora schickten. Videos waren damals wie heute auch ein wichtiger Tätigkeitsnachweis, der die Geldgeber in den arabischen Golf-staaten veranlassen sollte, die Finanzierung terroristischer Aktivitäten fortzusetzen.

Der für die jihadistische Bewegung und ihre Propagandisten bedeut-samste Konflikt war seit 1999 der zweite Tschetschenienkrieg. Während der erste Tschetschenienkrieg (1994–1996) vornehmlich zwischen lokalen Separatisten und der russischen Zentralmacht ausgefochten wurde, kämpften ab 1995 immer mehr arabische und türkische Jihadisten auf Seiten der Tschetschenen. Als 1999 der zweite Tschetschenienkrieg aus-brach, kam es zu einer bis dahin beispiellosen Radikalisierung vieler Mus-lime in der arabischen Welt und im Westen. Auslöser waren oft die Bilder aus dem zerstörten Grosny, die in den Mainstreammedien kursierten.

Doch auch die Videos der Jihadisten spielten eine zusehends wichtigere Rolle.4 Insbesondere auf den Webseiten azzam.com und kavkazcenter.com wurde Videomaterial zu einem elementaren Bestandteil der Propaganda.5

Die Tschetschenienpropaganda erreichte auch in Deutschland viele junge Muslime und machte den Nordkaukasus (bis zum Ende des zweiten Tschetschenienkrieges 2006) zu einem Hauptreiseziel junger Jihadisten.

Hier spielte insbesondere die deutsche Version des Videos »Das Tor der Trauer« eine Rolle, die von jungen Mitgliedern des salafistischen »Multi-kulturhauses« in Neu-Ulm produziert und in der jihadistischen Szene in Umlauf gebracht wurde. Thema des Films ist der zweite Tschetschenien-krieg, der als Vernichtungsfeldzug der Russen gegen die tschetschenische Zivilbevölkerung dargestellt und als die blutigste und schrecklichste Episode in einem größeren Krieg zwischen Christen und Juden einerseits und den Muslimen andererseits beschrieben wird. Dabei rufen die Macher zur Unterstützung der Aufständischen auf und zeigen wiederholt Sequen-zen mit Bildern von deren Operationen gegen die russischen Truppen.6

In dieser Frühphase produzierte auch al-Qaida ihre ersten Videos. Die Organisation hatte bereits Ende der 1990er Jahre Videos vom Training in Afghanistan und mit Reden ihres Anführers Bin Laden hergestellt. Diese fanden aber erst nach den Anschlägen des 11. September 2001 breiteres Interesse. Im Zuge dessen begann die Organisation damit, Videos an ara-bische Fernsehsender zu schicken, die sie wiederum in Teilen veröffent-lichten. Bis dahin wurden die meisten dieser Videos im jihadistischen Milieu kopiert und in Kassettenform weitergegeben. Der Satellitensender al-Jazeera aus Doha/Katar wurde damals zum wichtigsten Partner der al-Qaida, weil er ihre Videos sehr viel ausführlicher zeigte als seine Konkur-renz in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Erst auf nachdrückliche Pro-teste der US-Regierung beschnitt al-Jazeera die den Al-Qaida-Originalvideos eingeräumte Sendezeit und konzentrierte sich auf die Kommentierung ausgewählter Teile des Materials.

Die Al-Qaida-Führung begann ab Oktober 2001 in unregelmäßigen Zeit-abständen Audio- und Videobotschaften zu veröffentlichen. Darin machten vor allem Usama Bin Laden und Aiman az-Zawahiri strategische und ideo-logische Vorgaben und versuchten auf diese Weise, Einfluss auf die Aktivi-täten ihrer Anhänger zu nehmen. Mit diesen Videos untermauerten die Al-Qaida-Führer ihren Anspruch auf Führungspositionen in der jihadis-tischen Bewegung und stellten unter Beweis, dass ihre militärisch über-legenen Feinde sie nicht zu fassen bekamen und sie weiterhin aktiv waren.

So stärkten sie die Motivation ihrer Anhänger weltweit und erleichterten es lokal operierenden Gruppierungen, in ihrem Namen Aktivisten zu

4 Vgl. z.B. den Bericht über die Karriere des ehemaligen Guantánamo-Insassen Jabir al-Fifi in al-Hayat vom 22. Dezember 2010 (al-Fifi träumte von Fußball, spielte dann aber mit Bomben und Explosivstoffen). Fifi hatte in seiner Heimatmoschee im saudi-arabischen Taif zahlreiche Videos vom Kampf in Tschetschenien gesehen.

5 Zu diesen Webseiten vgl. in dieser Studie auch den Beitrag »Jihadismus und Internet.

Eine Einführung«, S. 7ff.

6 »Das Tor der Trauer« (Video), o.O., o.D.

rekrutieren. Die Veröffentlichung dieser Videos avancierte zu vielbeachte-ten Medienereignissen. Nachdem sie immer häufiger im Internet publi-ziert wurden, hörte al-Qaida ab 2006 damit auf, die Videos an al-Jazeera zu schicken.

Die irakische Phase (2003–2008)

Im Jahr 2003/2004 expandierte die Videoproduktion der Jihadisten, die Filme wurden nun in erster Linie über das Internet verbreitet. Dafür waren insbesondere zwei Entwicklungen ausschlaggebend: Zum einen begannen die USA mit dem Irak-Krieg 2003 einen lang anhaltenden Konflikt, der die jihadistische Szene weltweit mobilisierte und al-Qaida in Mesopotamien entstehen ließ, die in den folgenden Jahren stärkste und auch in der Inter-netpropaganda aktivste jihadistische Gruppierung. Zum anderen profitier-ten die Jihadisprofitier-ten vor allem ab 2004 von technischen Neuerungen, die eine schnelle Verbreitung der Videopropaganda begünstigten.

Auf den raschen Sieg der USA im Krieg gegen den Irak Saddam Husseins folgte schon im Sommer 2003 ein Aufstand gegen die Besatzungstruppen und gegen den neu entstehenden irakischen Staat, und Jihadisten spielten bei diesem Aufstand eine zentrale Rolle. Von Anfang an war das Interesse an den Ereignissen unter Jihadisten, ihren Unterstützern und Sympathi-santen enorm groß. Dies lag nicht zuletzt daran, dass mit dem Irak ein Kernland der arabischen Welt von Nichtmuslimen besetzt wurde. Nach der einflussreichen Jihad-Theorie der »klassischen Internationalisten« gilt das Gebot, muslimisches Territorium, das von Nichtmuslimen besetzt wird, in einem Heiligen Krieg zu befreien.7 Dementsprechend zogen in den näch-sten Jahren Tausende von jungen Arabern in den Irak, um sich dort auf-ständischen Gruppierungen anzuschließen. Auch unter europäischen Mus-limen wurde der Irak-Krieg zu einem nachhaltig wirksamen Radikalisie-rungsfaktor. Und im jihadistischen Internet fanden die Ereignisse im Irak ebenfalls mehr Beachtung als jeder andere Konflikt nach 2001. Prominente Gruppierungen wie die Globale Islamische Medienfront (GIMF) konzen-trierten ihre Aktivitäten in den nächsten Jahren denn auch auf die Irak-propaganda.8

Obwohl die Jihadisten mit deutlich stärkeren Organisationen wie der Islamischen Armee im Irak konkurrierten, prägten die 2004 neu gegrün-dete al-Qaida in Mesopotamien und die irakisch-kurdische Ansar al-Islam (Ansar as-Sunna) das öffentliche Bild des Aufstands. Ursächlich dafür war eine Strategie, die darauf setzte, durch möglichst brutale und viele Opfer fordernde Attentate auf schiitische Ziele aller Art einen Bürgerkrieg zu ent-fesseln. Diese Strategie ging auf, als schiitische Milizen ab 2005 zurück-schlugen und in der Folge ein Bürgerkrieg ausbrach.

7 Zum klassischen jihadistischen Internationalismus vgl. in dieser Studie den Beitrag

»Jihadismus und Internet. Eine Einführung«, S. 7ff.

8 Zur GIMF im Detail vgl. in dieser Studie den Beitrag »Die Globale Islamische Medien-front (GIMF) und ihre Nachfolger«, S. 23ff.

Ausschlaggebend für diesen Erfolg war auch die Nutzung des Internets durch die irakische al-Qaida. Von 2004 an bemühte sich die Organisation, möglichst alle Facetten ihrer Aktivität zu dokumentieren. Neben Beken-nerschreiben und Anschlagslisten veröffentlichte sie auf diesem Wege zahlreiche Videos, auf denen sie neben kleinen militärischen Operationen und Anschlägen auch weltweit aufsehenerregende Hinrichtungen fest-hielt, die sie über das Internet verbreitete. Zur Verbreitung nutzte sie ver-schiedene Medienstellen, bis sie im Jahr 2006 al-Furqan gründete, die bis heute ihre Öffentlichkeitsarbeit erledigt.9 Da al-Qaida im Irak die zwischen 2003 und 2008 mit Abstand aktivste jihadistische Organisation war, stammte auch die überwiegende Mehrzahl der in dieser Phase produzier-ten jihadistischen Videos von ihr.10

Dass dies überhaupt möglich war, verdankten al-Qaida im Irak und die anderen aufständischen Organisationen vor allem technischen Neuerun-gen, die die Produktion und die Verbreitung von Videopropaganda begün-stigten. Besonders hervorzuheben sind preiswertere digitale Kameras und einfach zu bedienende Videoschnittprogramme für Laptops, die im Irak noch 2003 überaus selten waren.11 Ab dem Jahr 2004 stand zudem auch im Irak Breitbandinternet zur Verfügung, was das Hochladen großer Da-tenmengen (etwa von Videodateien) erleichterte.12

Aufbauend auf der irakischen Erfahrung wurden Videos in den nächsten Jahren immer wichtiger für die jihadistische Propaganda. Dabei gewann der afghanische Kriegsschauplatz ab 2006 wieder zusehends an Bedeu-tung. Da dies mit einer Stärkung der Al-Qaida-Zentrale in Pakistan einher-ging, konnte diese ihre Öffentlichkeitsarbeit intensivieren und produzierte mehr Videos. Die Al-Qaida-Medienstelle as-Sahab scheint in dieser Phase nach al-Furqan die meisten Videos hergestellt zu haben. Weil die Videos von Bin Laden, Zawahiri und weiteren Führungspersönlichkeiten heraus-ragende Bedeutung hatten, fand dieses Material besondere Beachtung.

Im Zuge dieser Entwick-lungen operierte kaum noch eine jihadistische Zelle und Gruppe im Irak, ohne ihre Taten zu filmen und im Erfolgsfall im Netz zu dokumentieren.

Die YouTube-Phase (seit 2008)

Die um sich greifende Nutzung der neuen sozialen Medien und speziell der Videoplattform YouTube sorgte ab etwa 2008 dafür, dass die Videos eine noch weitere Verbreitung fanden. Jihadistische Videos waren infolge-dessen einfacher zu beschaffen als je zuvor. Gleichzeitig wird es immer

9 Al-Qaida im Irak benannte sich im Januar 2006 in »Shura-Rat der Mujahidin« und im Oktober 2006 in »Islamischer Staat Irak« um. Al-Furqan wurde kurz danach als Medien-stelle des Islamischen Staates gegründet. Hinter allen diesen Bezeichnungen verbarg sich al-Qaida im Irak. Im Text wird diese Bezeichnung daher durchgängig verwendet.

10 Cecilie Finsnes, What Is Audio-visual Jihadi Propaganda? An Overview of the Content of FFI’s Jihadi Video Database, Kjeller: Forsvarets forskningsinstitutt (FFI; Norwegian Defence Research Establishment), 26.3.2010, S. 35–37, <www.ffi.no/no/Rapporter/10-00960.pdf>.

11 Ebd., S. 8.

12 Albrecht Hofheinz, »The Internet in the Arab World: Playground for Political Liberali-zation«, in: Internationale Politik und Gesellschaft, (2005) 3, S. 78–96 (82).

schwieriger, eindeutig festzustellen, ob das gezeigte Material authentisch ist. Ein wachsender Anteil jihadistischer Videoproduktionen stammt zu-dem nicht mehr aus Pakistan, zu-dem Irak, Jemen oder Algerien, sondern aus der europäischen Diaspora. Und diese Videos werden nicht von aktiven Jihadisten, sondern von Sympathisanten hergestellt. Da die neuen sozialen Medien ganz generell in erster Linie ein Tummelplatz der Sympathisanten und Unterstützer sind, ist es nicht leicht, die von diesen Videos ausgehen-den Gefahren zu bewerten.

In der Phase von 2003 bis 2008 waren Videos, die neben herkömmlichen Texten (Presseerklärungen, Aufrufe, Briefe, Essays, Zeitschriften, Bücher), Audiobotschaften und Bildern produziert wurden, bereits ein wichtiger Bestandeil der jihadistischen Propaganda. Bis 2008 scheinen Texte jedoch von größerer Bedeutung gewesen zu sein.13 In der YouTube-Phase hinge-gen begannen die Videos allein durch ihre schiere Zahl die anderen Medien mehr und mehr in den Schatten zu stellen. Die jihadistischen Organisationen und ihre Mitglieder trugen diese Entwicklung nur teilweise mit. Viele misstrauen den neuen sozialen Medien und hegen Sicherheitsbedenken. Deshalb setzen sie weiterhin auf die besser zu kontrollierenden Webforen – sofern sie sich aus diesen Foren nicht ebenfalls zurückziehen. Außerdem ist es in der Flut der verfügbaren Videos selbst für Organisationen wie al-Qaida nicht einfach, Aufmerksam-keit für ihre eigenen Produktionen zu finden. Dies zeigte sich beispielswei-se im Juni 2011, als nahezu die gesamte Führungsspitze der Organisation in einem Video auftrat, in der die Al-Qaida-Zentrale erstmals ausdrücklich zum »individuellen Jihad« aufrief. Dennoch fand dieses Video deutlich weniger öffentliches Interesse als ältere Produktionen der Organisation – und dies obwohl es kurz nach dem Tod Bin Ladens veröffentlicht wurde.14

Das Video vom Juni 2011 wies noch eine weitere Neuerung auf: Bei den letzten großen Al-Qaida-Filmen – die in der Regel kurz vor dem Jahrestag der Anschläge des 11. September 2001 erscheinen – handelt es sich um Multimediaproduktionen, bei denen verschiedene Formate wie Computer-animationen von Anschlägen und Anschlagsplanungen, Sequenzen aus Mainstreammedien wie al-Jazeera und BBC, jihadistische Gesänge, Vor-träge von religiösen Autoritäten und von Strategen, Reden von Al-Qaida-Granden und Teile von Märtyrervideos zum Einsatz kommen. Die Qualität dieser Produktionen ist durchweg gut bis sehr gut, was zur Folge hat, dass sie die Zuschauer sehr viel intensiver und unmittelbarer ansprechen, als dies bei den vorhergehenden Produktionen der Fall war.15

Die neuen sozialen Medien dagegen werden ausschließlich von Sympa-thisanten und Unterstützern genutzt, um Material und insbesondere

13 Daniel Kimmage, The Al-Qaeda Media Nexus. The Virtual Network behind the Global Message, Washington, D.C.: Radio Free Europe/Radio Liberty (RFE/RL), März 2008 (RFE/RL Special Report), S. 19 und S. 21, <http://docs.rferl.org/en-US/AQ_Media_Nexus.pdf>.

14 Zu diesem Video vgl. in dieser Studie die Beiträge »Jihadismus und Internet. Eine Ein-führung«, S. 7, und ›»Inspire‹: Das Jihad-Magazin für die Diaspora«, S. 32ff.

15 Die Autoren verdanken den Hinweis auf diesen neuen Charakter der Al-Qaida-Videos Yassin Musharbash, Die Zeit, Berlin.

Videos zu verbreiten. So richtete beispielsweise eine kleine Gruppe von Unterstützern der Deutschen Taliban Mujahidin in Berlin 2009 und 2010 YouTube-Kanäle ein und veröffentlichte dort Videos der Gruppierung.16

In dieser Phase finden sich auch zahlreiche Hinweise auf die radikalisie-rende Wirkung der Videos. Der bekannteste Fall war der von Arid Uka, dessen Weg zur terroristischen Tat von Videos geprägt wurde, auf die er bei Facebook und YouTube gestoßen war.

Die Zahl der deutschsprachigen Videos nahm in dieser Phase enorm zu.

Das ging zum einen auf die steigende Zahl deutscher Rekruten zurück, die sich in die Camps der IJU, DTM, IBU und al-Qaida in Pakistan aufmachten.

Zum anderen entwickelten diese Organisationen auch mehr und mehr In-teresse an Deutschland. Dies spiegelte sich in mehreren Videos deutscher Rekruten wider, die der Bundesrepublik wegen der Präsenz von Bundes-wehrsoldaten in Afghanistan mit Anschlägen drohten. Am bekanntesten wurde das Video des Bonner Jihadisten Bekkay Harrach, das kurz vor der Bundestagswahl im September 2009 erschien und speziell über YouTube rasante Verbreitung fand. Die DTM veröffentlichten fast zeitgleich ein ähn-liches Drohvideo. In den folgenden Jahren erregten vor allem die Videos der deutsch-marokkanischen Chouka-Brüder Yassin (alias Abu Ibrahim al-Almani) und Monir (alias Abu Adam al-Almani) großes Aufsehen. Beide hatten sich 2008 der IBU in Pakistan angeschlossen und bemühten sich darum, durch immer radikalere Aussagen Aufmerksamkeit zu wecken.

17

Kategorien jihadistischer Videos

Doch Arid Uka war kein Einzel-fall: Viele jener Deutschen, die ab 2008 in die Trainingscamps nach Pakis-tan zogen, wurden dazu durch die dort produzierten Videos ermutigt.

Das Spektrum jihadistischer Videos reicht von kurzen Clips, in denen mili-tärische Operationen gezeigt werden, bis hin zu langen Dokumentationen, die einen Überblick über die Geschichte der jihadistischen Bewegung und/

oder eines ihrer Konfliktfelder zu geben versuchen. Der Zweck all dieser Videos ist Propaganda, wobei sie jeweils unterschiedliche Zielgruppen an-sprechen sollen. Bei einigen Videos geht es vor allem darum, staatliche Gegner und deren Öffentlichkeit etwa durch Einschüchterung und Ab-schreckung zu beeinflussen. Andere Filme wenden sich eher an die eige-nen Kämpfer, Unterstützer und Sympathisanten, um deren Moral zu heben, zu deren Radikalisierung und Rekrutierung beizutragen, Geld- und Sachspenden einzuwerben, Anleitungen zu Training und Ausbildung zu geben und religiös-ideologisch-strategisch zu unterweisen.18

16 Vgl. in dieser Studie auch den Beitrag »Die Elif-Media-Informationsgruppe und die Deutschen Taliban Mujahidin«, S.

Dabei lassen sich analytisch fünf Kategorien jihadistischer Videos unterscheiden: Ab-schreckungs- und Drohvideos, Märtyrervideos, ideologisch-strategische Videos, Operationsvideos und Instruktionsvideos. Eine trennscharfe Unter-scheidung der Kategorien ist meist allerdings nicht möglich, weil viele

56ff.

17 Vgl. in dieser Studie den Beitrag »Jihadismus und Internet. Eine Einführung«, S. 7ff.

17 Vgl. in dieser Studie den Beitrag »Jihadismus und Internet. Eine Einführung«, S. 7ff.