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Biometrie und Epidemiologie sind für den Erkenntnisgewinn in der Veterinärmedizin, ebenso wie in allen weiteren Lebenswissenschaften, unabdingbar. Insbesondere heute, im Zeitalter moderner auf empirische Erkenntnisse gestützter wissenschaftlicher Methoden, wie z.B. den sogenannten Hochdurchsatzmethoden, wie der Sequenzierung (von Proteinen, DNA, RNA) und Microarrays, durch die große und oft hochdimensionale Rohdatenmengen produziert werden, kommt der systematischen statistischen Aufbereitung und Analyse dieser Daten, ne-ben der umfassenden und sorgfältigen Planung der Datenerhebung, eine immer größere Be-deutung zu. Erforderlich ist hier oft der Einsatz komplexer statistischer Verfahren, für deren sichere Anwendung ein hoher Grad statistischer Expertise notwendig ist. Die inhaltliche In-terpretation dieser Daten erfordert hingegen wieder das spezifische Wissen des jeweiligen Fachgebietes. Dieser Rückbezug auf die Inhalte der betreffenden Fachdisziplin ermöglicht erst den Erkenntnisgewinn. Demzufolge ist für die Optimierung des Nutzens neuer Technolo-gien eine hohe interdisziplinäre Zusammenarbeit von Statistik/ Informationsverarbeitung und Biologie/ Medizin/ Tiermedizin erforderlich.

Als ein Beispiel für die Notwendigkeit der kooperativen Zusammenarbeit sei hier die Auswer-tung von Sequenzdaten erwähnt. Fachwissenschaftler der Biologie und (Veterinär)medizin bedienen sich für genetische Analysen moderner, automatisierter und computergestützter Ver-fahren, die große Datenmengen produzieren. Für die Auswertung dieser Daten werden von vielen Unternehmen auch Programme direkt zu den Maschinen mitgeliefert. „Diese Pro-gramme besitzen häufig eine grafische Benutzeroberfläche, sind aber nicht quelloffen und liefern qualitativ fragwürdige Ergebnisse.“ (Heitlinger, 2009) Des Weiteren stehen inzwi-schen zahlreiche Freeware-Programme zur Verfügung, welche z.B. die Erstellung sogenann-ter Sequenzalignments und phylogenetischer Bäume ermöglichen. Diese Programme lassen jedoch oft die Einstellung diverser Parameter zu, für die keine konkreten Empfehlungen ge-geben werden. Ohne das notwendige technisch-mathematische Verständnis werden daher mitunter durch diese Programme nicht hinterfragte Ergebnisse produziert und eventuell sogar publiziert. Die Verifizierung tiermedizinischer Forschungshypothesen stützt sich dann auf Ergebnisse, die nicht nachvollziehbar erzeugt wurden. Dieses Problem der Anwendung

ge-wisser Verfahren, die nur dadurch begründet wird, dass diese Verfahren im Rahmen spezifi-scher fachlicher Fragestellungen „üblicherweise“ und bereits „hinreichend oft“ verwendet wurden, ist ein generelles Problem der Lebenswissenschaften, welches die Notwendigkeit der interdisziplinären Zusammenarbeit deutlich macht. Auf die Qualität und die Passgenauigkeit eines statistischen Analyseverfahrens kann nicht durch einen hinreichend häufigen Einsatz geschlossen werden. Hier bedarf es kooperativer Expertise aus unterschiedlichen Fachgebie-ten, so dass es wesentlich ist, dass die Grundlagen des jeweiligen anderen Faches auch be-kannt sind, um eine ausreichende Basis der Kommunikation zu schaffen. Ein Beispiel für eine solche kooperative Zusammenarbeit von Virologie, Bestandsmedizin, Statistik und Bioinfor-matik gibt etwa Klose, 2013.

In allen lebenswissenschaftlichen Studiengängen hat sich eine einführende Lehrveranstaltung, in der grundlegende statistische Maße und Verfahren gelehrt werden, etabliert. Darin geht es - wie auch in der Einführungsveranstaltung „Biometrie und Epidemiologie“ im veterinärmedi-zinischen Studiengang - nicht darum, vollwertige Statistiker auszubilden, sondern die zentra-len, fachbezogenen statistischen Methoden für die Studierenden anwendbar zu machen bzw.

die Grundlagen zu bilden, um im obigen Sinn die Kommunikation im Rahmen empirischer Studien zu ermöglichen. Ziel ist es, die Relevanz statistischer Verfahren für den Erkenntnis-gewinn in der Veterinärmedizin zu vermitteln sowie zum kritischen Hinterfragen und Inter-pretieren statistischer Auswertungen zu befähigen. Im Rahmen einer Studie von F. Weiling wurden ehemaligen Studierenden folgende Fragen gestellt: „Haben Sie in Verbindung mit Ihren Untersuchungen einen Statistiker oder Biometriker konsultiert? Und wenn dies der Fall war, inwieweit waren Sie durch den Unterricht dazu befähigt?“ (Weiling, 1964) Darauf ant-worteten 55,4% der Befragten auf die erste Frage und 91,4% auf die zweite Frage mit ja (von insgesamt 65 Antworten auf Frage eins, bzw. 35 Antworten auf Frage zwei). Viel prägender war jedoch die Antwort eines weiteren Studierenden. Dieser sagte: ,,Der Unterricht war wich-tig, um den (befragten) Statistiker richtig verstehen zu können." (Weiling, 1964). Auch wenn die angehenden Veterinärmediziner möglicherweise nie selbstständig statistische Auswertun-gen vornehmen müssen, so stellt sich im Rahmen einer späteren erfolgreichen interdisziplinä-ren Zusammenarbeit das Problem der Kommunikation miteinander, wenn ihnen nicht ein ge-wisses Maß an grundlegender Statistik gelehrt wurde (Burkholder, 2014).

Das Kernelement der biometrisch/epidemiologischen Lehre besteht in der Vermittlung des Verständnisses für die natürlich vorkommende „Varianz“, da Zufallsschwankungen eine we-sentliche Eigenschaft natürlicher biologischer und damit medizinischer Prozesse sind. „Aus diesem Grund lassen sich medizinisch-biologische Zustände allenfalls schätzen, aber niemals exakt berechnen oder vorhersagen“ (Weiß, 2013). Daneben können sich Versuchsbedingun-gen über die Zeit ändern oder auch Messfehler im Rahmen von Experimenten auftreten (Kin-der, 1982). Selbst sorgfältigste Planung von Versuchen und Experimenten schließt das Auf-treten zufälliger Fehler nicht aus. Für den wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn ist es jedoch relevant, diese zufälligen Schwankungen von wirklichen Veränderungen zu unterscheiden. Da Statistiker durch die Anwendung statistischer Methoden diese zufälligen Schwankungen (bio-logische Variabilität) ins Kalkül ziehen, stellt die Statistik somit ein Kernelement der biolo-gisch-medizinischen Tätigkeit dar (Hilgers et al., 2007).

Die Studierenden im veterinärmedizinischen Studiengang sollen daher in einführenden Lehr-veranstaltungen der „Biometrie und Epidemiologie“ wesentliche Instrumente für den Er-kenntnisgewinn in der Veterinärmedizin kennenlernen, um eigene Forschungsfragen planen und bearbeiten zu können und veröffentlichte veterinärmedizinische Forschungsergebnisse verstehen und bewerten zu können. Zudem rückt das Erlernen eines professionellen Umgangs mit empirischen Informationen für den Transfer von wissenschaftlichen Erkenntnissen in die Praxis immer weiter in den Fokus der Lehre (Evidenz basierte Veterinär-Medizin; (Cockcroft et al., 2003; Dean, 2013; Holmes et al., 2004)). Die EbVM-Ausbildung fordert, dass jede (tier-) ärztliche Entscheidung auf der Grundlage aktuellster wissenschaftlicher Erkenntnisse, den persönlichen Erfahrungen des behandelnden Arztes und den individuellen Bedürfnissen des Patienten erfolgt. „Dazu sind die Kenntnis statistischer Methoden und die Fähigkeit, deren Resultate sinnvoll zu interpretieren, unabdingbar. Insofern ist Statistik für die (Tier-) Medizin unentbehrlich, sowohl um Forschung zu betreiben, als auch, um deren Ergebnisse praktisch anzuwenden.“ (Weiß, 2013)

Irene Sommerfeld-Stur, Genetikerin, die ehemals an der Vetmed Uni Wien Evidenz basierte Veterinärmedizin lehrte, stellt jedoch in diesem Zusammenhang richtig fest, dass Veterinär-mediziner die Auseinandersetzung mit epidemiologischer Methodik scheuen. „Hier läge eine generelle, weit verbreitete Berührungsangst der Praktiker vor, sobald Fachpublikationen etwa Statistiken enthalten. Viele Veterinärmediziner täten sich etwa mit richtigen Interpretationen

von Ergebnissen schwer.“(Kaiserseder, 2009) Um dieser Berührungsangst zu begegnen und eine Brücke zwischen den klinischen Anwendungsbereichen und der statistischen Methodik zu schlagen, bedarf es didaktischer Vermittlungs-Expertise. Durch die Anknüpfung der zu vermittelnden Kompetenzen an reale Problemstellungen, mit denen die Studierenden bei-spielsweise im Rahmen eigener Forschungsarbeiten oder ihrer Promotion konfrontiert wer-den, kann der Vermittlungsprozess verbessert werden.

Sowohl für den Bereich der Forschung als auch für den Beruf des praktischen Tierarztes ist folglich das produktive Zusammenwirken der Disziplinen Veterinärmedizin, Statistik und Didaktik unabdingbar.

3.2 Biometrie und Epidemiologie: Entwicklung einer spezifischen Fachdidaktik