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Verstärkung des Strukturwandels im Handel durch den Online-Handel

4. Entwicklung des Online-Handels bis 2025

4.5 Verstärkung des Strukturwandels im Handel durch den Online-Handel

Auch bei abgeschwächtem Wachstum des Online-Handels wird der stationäre Handel insgesamt Umsatzeinbußen erleiden. Je nach Branche werden diese mehr oder weniger stark ausfallen. Prognosen für den umsatzstärksten Einzel-handelsbereich, Lebensmittel bzw. erweitert Fast Moving Consumer Goods, sind mit besonders hohen Unsicherheiten verbunden (s.o.). Käme es hier zu einer stark zunehmenden Online-Nachfrage, so hätte das relativ große Auswirkungen auf den Einzelhandel insgesamt sowie auf die Innenstadt- und Nahversorgungsstandorte – und zwar in Form von Standortschließungen. In der zuvor dargestellten Betrachtung wird jedoch eher eine moderate Entwicklung für den Bereich FMCG angenommen. Wie weiter unten dargestellt, bestätigt sich diese Sicht auch im Rahmen der Delphi-Befragung.

In den bisherigen Prognosen werden schwerpunktmäßig die Umsatzentwicklungen betrachtet. Ausschlaggebend ist jedoch die Profitabilität eines Betriebes. Es ist zu erwarten, dass der NonFood-Handel jährliche Umsatzeinbußen erleiden wird. Diese sind nur dann mit Blick auf die Wertschöpfungsposition zu kompensieren, wenn Kosteneinsparun-gen erzielt werden können. Daher empfiehlt es sich, zusätzlich die AuswirkunKosteneinsparun-gen auf die Profitabilität der Betriebe zu analysieren.

Einerseits muss der Einzelhandel für folgende Kostengrößen mit Kostensteigerungen rechnen (vgl. Stumpf 2014: 12–

39):

 Personalkosten,

 Raum- und Raumnebenkosten (u.a. Energie für Wärme, Licht, Kühlung),

 sonstige Betriebskosten (z.B. Werbekosten, IT-Kosten usw.).

Andererseits wird der intensive Wettbewerb den Preis drücken. Die durch mobiles Internet verbesserte Preistransparenz wirkt in der gleichen Richtung. Die Differenz zwischen Einkaufs- und Verkaufspreis (Nettospanne) dürfte sich daher eher verringern. Der mögliche Gewinn – und somit die Profitabilität des Unternehmens – wird so aufgrund steigender Kosten und niedrigerer erzielbarer Preise schmelzen.

Basierend auf der oben genannten Prognose wurden die Auswirkungen auf ein typisches mittelständisches Geschäft im Bereich Fashion und Accessoires berechnet (vgl. nachfolgende Abbildung). Dabei gehen wir von folgenden Annahmen aus (vgl. dazu Gutknecht 2010: 351 ff.):

 Der stationäre Umsatz wird durch den steigenden Marktanteil des Online-Handels wie im Szenario vermindert.

 Die Personal- und Betriebskosten steigen jährlich um 2 Prozent.

 Die Personalkapazitäten lassen sich flexibel an den verminderten Umsatz anpassen (optimistisch).

 Raumkosten und sonstige Betriebskosten steigen um 1 Prozent p.a.

 Aufwendungen für Werbung bleiben konstant (optimistisch).

Selbst bei konstanter Nettospanne reduziert sich das Betriebsergebnis (EBIT) vor Steuern deutlich (etwa Halbierung nach drei Geschäftsjahren bei Fortsetzung der o.g. Umsatz- und Kostenentwicklung). Sinkt zusätzlich die Nettospanne (Verminderung um 1 Prozent im gesamten Betrachtungszeitraum), so wird das Betriebsergebnis noch stärker belastet.

Damit reduzieren sich auch die Spielräume für Investitionen in Online-Auftritt und Digitalisierung.

Die Betriebe sind dieser Entwicklung jedoch nicht völlig ausgeliefert. Sie haben Möglichkeiten, um auf den skizzierten Umsatzdruck zu reagieren. Diese bestehen beispielsweise in verbessertem Marketing, Kostenreduktionen (etwa im Personalbereich), verbesserter Warenbeschaffung und dadurch Margengewinnen oder im Erschließen von Umsatz-chancen im Online-Bereich – etwa im Rahmen von Multichannel-Strategien. Allerdings erfordert gerade Letzteres wie weiter oben ausgeführt hohe Investitionen, die viele Betriebe angesichts des Margendrucks nicht (mehr) leisten können.

Ferner besteht für stationäre Betriebe die Möglichkeit, mehr Ware auf weniger Fläche zu verkaufen, und zwar durch die Teildigitalisierung von Sortimenten. Es ist aber noch nicht absehbar, ob dies in größerem Umfang von Konsumenten akzeptiert wird. Allerdings deutet sich in Pilotprojekten an, dass solche Virtualisierungsansätze Chancen bieten. Die Auswirkung wäre eine veränderte Nachfrage nach gegebenenfalls vergleichsweise kleineren Handelsflächen.

Die fortschreitenden Möglichkeiten der Medientechnik und beschleunigter Logistik erlauben es, physische Ware und Verkaufsfläche durch virtuelle Darstellung von Sortimenten teilweise zu ersetzen. In Pilotprojekten wurde bereits die Akzeptanz seitens der Kunden bei Autohäusern, Bekleidung und Fahrrädern nachgewiesen (vgl. Spreer 2014: 202–

243). Bei solchen Sortimentsvirtualisierungen werden nur Produkttypen im Verkaufsraum dargestellt. Ihre Varianten können dann bestellt und nach Hause geliefert werden. Diese sich andeutende Entwicklung impliziert eine Substitution von Fläche durch Information (vgl. Kap. 3.2.4) und eröffnet Ökonomisierungsvorteile für den Einzelhandel. Der Ver-kaufsraum würde von der Lagerfläche stärker getrennt bzw. mit dieser neu kombiniert. Bei breiterer Kundenakzeptanz – bisher ist das noch nicht in größerem Umfang sichtbar – könnte sich die Nachfrage nach Einzelhandelsfläche abschwä-chen; es könnten aber auch Chancen für kleinflächige und beratungsintensivere Handelsformate entstehen.

Klammert man solche Ökonomisierungsmöglichkeiten aus, so wird die zuvor beschriebene Marktentwicklung für eine große Zahl von Betrieben und Standorten in Form eines deutlichen Drucks auf die Profitabilität spürbar. Sie führt zum breiteren Ausscheiden von Unternehmen bzw. Standorten aus dem Wettbewerb – vorausgesetzt, es gelingen keine extremen Kostenanpassungen.

Für die Fashion-Branche kann exemplarisch die Auswirkung auf das Betriebsergebnis eines typischen mittelständischen Fachgeschäfts zur Illustration herangezogen werden. Bei Umsatzverlusten durch Nachfrageabwanderung zum Online-Handel wie oben dargestellt würde das positive Betriebsergebnis bei gleichzeitigem Anstieg der Betriebskosten schon in kurzer Zeit deutlich abschmelzen:

Abbildung 16: Betriebsergebnis-Auswirkungen für ein stationäres Geschäft (idealtypisch) bei Online-Wachstum

Quelle: Berechnungen elaboratum

Diese Entwicklung ist als beispielhaft zu verstehen. Professionell geführte Betriebe können sich erfahrungsgemäß von solchen Branchenentwicklungen zumindest teilweise abkoppeln. Im Ganzen werden jedoch viele Betriebe davon betrof-fen sein, und zwar je nach ihrer Konzeptstärke.

In besonderer Weise betrifft die beschriebene Marktveränderung voraussichtlich die personalintensiven Betriebsformen wie Fachgeschäfte und Warenhäuser. Demgegenüber sind Discounter und Fachmärkte sowie Filialsysteme wider-standskräftiger. Allerdings könnten flächenintensive Betriebe von einer Substitution von Fläche durch Information negativ betroffen sein (z.B. im Bereich Consumer Electronic): Wettbewerber könnten dann durch bestellbare Sortimente (sogenannte virtuelle Sortimentserweiterung) wirtschaftlicher arbeiten als Geschäfte mit Großflächen und den mit diesen verbundenen vergleichsweise hohen Mietkosten.

-30.000 € -20.000 € -10.000 € 0 € 10.000 € 20.000 € 30.000 € 40.000 € 50.000 € 60.000 €

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EB IT in Euro

EBIT bei konst. Nettospanne

EBIT bei Verlust von 1% Punkt Nettospanne im ges. Zeitraum

Darüber hinaus ist zu erwarten, dass Filialisten, Vertikale (d.h. Anbieter, die Herstellung und Handel integrieren) und reine Hersteller aufgrund ihrer größeren Margenspielräume Marktanteilsgewinne erzielen. Das beschriebene Online-Wachstum wird in starkem Maße innerstädtische Einzelbetriebe treffen. Die bereits beobachtbare Uniformierung von Innenstädten wird verstärkt. Durch Mietanpassungen (Kostenentlastungen) sowie umsatzabhängige Miethöhe könnte dem teilweise entgegengewirkt werden.

Eine Kostenentlastung könnte die breitere Einführung umsatzbezogener Mieten eröffnen. Wenn die Fixkosten steigen und die Umsätze gleichzeitig sinken, werden Betriebe aufgeben müssen. Einen relevanten Anteil an den Fixkosten haben die Mieten, die zwischen Mieter und Vermieter (Immobilieneigentümer) vertraglich vereinbart werden. Bei um-satzbezogenen Mietverträgen teilt sich der Immobilieneigentümer einen Teil des Risikos (aber auch der Umsatzchan-cen) mit dem Einzelhändler. Daraus ergibt sich für den Handel die Chance, auch bei sinkenden Umsätzen das Geschäft nicht aufgeben zu müssen, da mit sinkenden Umsätzen auch ein Teil der Fixkosten sinkt. Die Immobilieneigentümer müssen zwischen dem Renditerisiko und dem Leerstandsrisiko abwägen. Allerdings existieren im Markt auch umsatz-bezogene Mietkonzepte, die auf ein Abschöpfen jeglicher Ertragskraft des Handels abzielen. Hier trägt der Immobilien-eigentümer kein Risiko, erzielt aber zusätzliche Mieterträge bei positiver Umsatzentwicklung. Aus Handels-(und Stadt-) Sicht wünschenswert ist der erstgenannte Ansatz einer partiellen Entlastung des Handels, wodurch besonders auch regionale, mittelständische Betriebe unterstützt werden können. Nicht unerwähnt sei aber, dass Multichannel-Konzepte hier durchaus Schwierigkeiten der Umsetzung solcher Konzepte mit sich bringen können. Als ein weiterer Ansatz könnten frequenzbezogene Mietmodelle – bei angemessener Ausgestaltung – eine Entlastung für den stationären Handel bedeuten.

Besonders in schrumpfenden Regionen mit weniger widerstandskräftigen Betriebsformen (Warenhaus, Fachgeschäfte usw.) kann es zu „Dominoeffekten“ und „Kipp-Punkten“ kommen, wenn mehrere Betriebe dem Profitabilitätsdruck nicht standhalten. Es folgen dann eine deutliche Entwertung und Entleerung der Innenstädte. Demgegenüber sind in wach-senden Regionen mit starken Anbietern, die sogar von Multichannel-Effekten profitieren, eine steigende Nachfrage nach Handelsflächen und eine Aufwertung von Innenstädten möglich.

Eine schwächere Entwicklung des Online-Handels als oben dargestellt vermindert die betriebswirtschaftlichen Auswir-kungen, besonders dann, wenn der stationäre Handel seinerseits Wachstumsimpulse setzen kann – was gegenwärtig kaum absehbar ist.

Demgegenüber würde die Annahme eines dynamischeren Online-Wachstumsszenarios als in unserer Prognose den stationären Handel massiv in seiner betriebswirtschaftlichen Überlebensfähigkeit treffen.

Zusammenfassung Kapitel 4

 Der Online-Handel wächst weiter. Nach Daten des Handelsverbands Deutschland (HDE) liegt der Gesamtumsatz 2015 bei 41,7 Mrd. Euro, ein Plus von 12 Prozent gegenüber dem Vorjahr. In einigen Kategorien (z.B. Unterhal-tungselektronik, Bücher) wurde die Wachstumsdynamik geringer, in anderen Warengruppen (z.B. Heimwerkerbe-darf, Autozubehör) beginnt das Wachstum gerade erst (vgl. HDE 2016).

 Weitgehend offen ist die Frage, wie sich der Online-Einkauf von Lebensmitteln entwickeln wird. Die Erwartungen zum zukünftigen Online-Geschäft reichen von „in den nächsten Jahren nur eine sehr geringe Bedeutung“ bis hin zu der Annahme, dass – je nach Bevölkerungsgruppe – 30 bis über 60 Prozent ihre Lebensmittel online erwerben werden (vgl. EY 2014: 10; KPMG/EHI 2012a: 45).

 Prognosen zur weiteren Entwicklung des Online-Handels sind schwierig. Je nach Branche werden die Entwicklun-gen sehr unterschiedlich verlaufen. Unklar ist auch, inwieweit sich technische und gesellschaftliche VeränderunEntwicklun-gen auf die Entwicklung auswirken.

5. Exkurs: Zeitliche Dynamik räumlicher Veränderungen am Beispiel einer mittelgroßen