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VERGLEICH UND BEWERTUNG DER KONZEPTE

QUALITÄTSINDIKATOREN IM KINDERSCHUTZ – STAND DER DISKUSSION IN DEUTSCHLAND

VERGLEICH UND BEWERTUNG DER KONZEPTE

Im Vergleich der dargestellten Konzepte zeigen sich, ne-ben eindeutig bestehenden Unterschieden, auch einige bemerkenswerte Übereinstimmungen, von denen auf-grund mangelnder Herleitungen der Standards allerdings unklar bleiben muss, ob sie sich mehr zufällig eingestellt

haben oder auf ähnlichen Quellen bzw. Erfahrungen be-ruhen.

ÜBEREINSTIMMUNGEN

• In allen drei Konzepten wird eine durchgängige und leichte Erreichbarkeit als Qualitätsmerkmal des Kin-derschutzsystems angesehen.

• In allen drei Konzepten wird eine aktive Rolle der Fachaufsicht empfohlen, weiterhin wird durchgängig vorgeschlagen, Fehlschläge im Kinderschutz als Lern-chance zu nutzen. Gleiches gilt für eine qualifi zierte Nutzung kollegialer Beratung, die als Grundlage für Qualität in der Fallarbeit eingeschätzt wird.

• Ausreichende Ressourcen und eine gute Vernetzung werden, wenn auch mit unterschiedlichem Detaillie-rungsgrad, ebenfalls überstimmend als unverzicht-bare Voraussetzungen für Qualität im Kinderschutz beurteilt.

• Alle drei Konzepte nennen schließlich die Beteiligung von Eltern und Kindern als Qualitätsstandard – aller-dings sind hier die Akzentuierungen und verwandten Begriffe so unterschiedlich, dass es sich vermutlich eher um einen Bereich von Dissens als von Konsens handelt.

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UNTERSCHIEDE

Im Verhältnis zu den Konzepten von AFET bzw. dem Ins-titut für Soziale Arbeit blendet der Entwurf des Amtes für Soziale Arbeit Bremen solche Schutzansprüche von Kin-dern gegenüber Eltern aus, die nur durch eine Schutzin-tervention gelöst werden können.23 Stattdessen wird eine Form der Beziehungsgestaltung zu den Sorgeberechtig-ten als Standard festgelegt, deren zentrale Charakterisie-rungen als »dialogisch«, »zugewandt«, »solidarisch« oder

»allparteilich« in den anderen beiden Konzepten fehlen.

An dieser Stelle lässt sich fragen, ob mit dem Wort

»Standard« (das nur in einem der Konzepte defi niert wird) möglicherweise unterschiedliche Dinge gemeint sein könnten – von »Minimalstandard« über »guter Re-gelfall« bis »maximal positiv formulierter Maßstab«.

Andere Punkte, an denen Unterschiede zwischen den drei Vorschlägen für Qualitätsstandards im deut-schen Kinderschutz relativ klar hervortreten, betreffen beispielsweise die Anforderungen an Instrumente und Einschätzungshilfen im Kinderschutz24, die Anforderun-gen an Schutzkonzepte sowie angebotene Hilfen25 und schließlich die Bedeutung von Frühen Hilfen.

Die Unterschiede zwischen den vorgeschlagenen Qualitätsstandards liefern geradezu ein sehr gutes Argu-ment dafür, warum es nur beschränkt sinnvoll ist, für den Kinderschutz allein über Konsensgruppen und ohne Be-zug zu empirischen Indikatoren den Grad der Zielerrei-chung von Standards festzulegen. Selbst wenn ein solcher Konsens gelänge, ist er ohne empirischen Korrekturme-chanismus doch in hohem Maße ideologieanfällig und

die resultierenden Standards wären entsprechend nicht sehr belastbar. Allerdings können gerade sichtbar wer-dende Unterschiede in Überzeugungen, was denn einen

»guten« Kinderschutz ausmacht, ein sehr lohnender An-satzpunkt für empirische Forschung sein. So wäre es reiz-voll zu prüfen, ob die für Bremen formulierten Standards dort zu veränderten Wahrnehmungen behördlichen Handelns bei Eltern in Kinderschutzfällen geführt haben und zu positiveren oder problematischeren Ergebnissen von Hilfen für Kinder.26

Ein zweiter wesentlicher Grund, warum empirische Ergebniskriterien benötigt werden, ergibt sich aus dem Umstand, dass in den von Fachkräften und Experten wahrgenommenen Wirklichkeitsausschnitten unter Um-ständen wesentliche und zielrelevante Probleme unsicht-bar bleiben. Empirische Studien am Deutschen Jugend-institut e. V. (DJI) in den letzten Jahren haben Folgendes aufgezeigt:

• In einer ersten Stichprobe waren die ambulanten Schutzkonzepte bezüglich des substanziellen Anteils der Fälle nicht ausreichend, um weitere bedeutsame Ereignisse an Misshandlung oder Vernachlässigung zu verhindern.27

• In einer anderen Stichprobe wurden in Anrufungen des Familiengerichts bei einem bedenklichen Anteil der Fälle nicht einmal alle Tatbestandsmerkmale des

§ 1666 BGB explizit behandelt.28

• In einer dritten Stichprobe erhielten nennenswerte Anteile der (nach Gefährdungsereignissen in Pfl e-gefamilien platzierten) psychisch belasteten Kinder

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23 Das heißt nicht, dass solche Situationen oder Formen konfl iktreicher Intervention ausgeschlossen werden, sie werden nur nicht erwähnt.

24 Im AFET-Konzept wird nur gefordert, dass der diagnostische Zugang alle »wesentlichen« Quellen für sozialpädago-gische Diagnostik berücksichtigen müsse (Fakten, Selbstdeutungen der Betroffenen und Hilfegeschichte) und die Erarbeitung bzw. Überprüfung unter Einbezug der Fachkräfte erfolgen. Weitere Qualitätsmerkmale werden nicht genannt. Im Konzept des Instituts für Soziale Arbeit (ISA) wird gefordert, nur evaluierte diagnostische Verfahren sollten eingesetzt werden. Im Konzept des Amts für Soziale Dienste Bremen wird von »fachlich anerkannten« und »praktika-blen« Verfahren gesprochen, wobei die im Konzept genannten Beispiele für Verfahren zeigen, dass eine Evaluation, also Befunde zur Aussagekraft und Zuverlässigkeit, nicht als notwendige Voraussetzung für fachliche Anerkennung angesehen werden.

25 Im AFET-Konzept wird gefordert, dass Hilfen dem festgestellten Bedarf entsprechen bzw. zum Abbau vorhandener Risiken geeignet sein müssen; wie diese Entsprechung oder Eignung jedoch festgestellt werden soll, bleibt offen.

Im Konzept des Institutes für Soziale Arbeit wird gefordert, dass spezifi sche Angebote für die verschiedenen Gefähr-dungsformen bereitgehalten werden sollen. Wirkungsnachweise werden nicht gefordert. Im Konzept des Amtes für Soziale Dienste Bremen ist von Hilfen zur Erziehung relativ wenig die Rede. Allerdings wird gefordert, dass Hilfen auf der Grundlage multiperspektivischer Problemkonstruktionen mit individuellen und fl exiblen Hilfezielen sowie unter Einbezug der Hilfeprozess- und Ergebnisforschung formuliert werden müssten. Diese legen nahe, dass nicht so sehr Eltern und Kindern individualistisch Veränderungen abfordert werden sollten, sondern dass vielmehr an den Lebens-umständen gearbeitet werden sollte (S. 46).

keine angemessene therapeutische Versorgung und es bildeten sich somit hohe Raten chronifi zierender psychischer Störungen heraus.29

Würden solche Befunde als Hinweise auf spezifi sche Qua-litätsprobleme im Kinderschutzsystem akzeptiert, wären darauf bezogen qualitätsfördernde, spezifi sche Standards sinnvoll. Dies können die analysierten Vorschläge, die nicht auf empirische Qualitätsindikatoren zurückgreifen konnten, jedoch nicht leisten.

26 Zu den Ergebnissen eines in mancherlei Hinsicht ähnlichen Modellversuchs in Kanada vgl. Cameron u.a. 2011.

27 Strobel u.a. 2008.

28 Kindler u.a. 2008.

29 Kindler u.a. 2011, S. 209ff.

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MÖGLICHE QUALITÄTSINDIKATOREN