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Vanadiumoxide mit Bixbyitstruktur

5.8 Nicht-st¨ochiometrische Vanadiumoxide

5.8.1 Vanadiumoxide mit Bixbyitstruktur

V2O3 mit Bixbyitstruktur nimmt bereitwillig kleine Mengen an Sauerstoff auf, so dass f¨ur die Darstellung des st¨ochiometrischen Sesquioxids eine sorgf¨altige Regulierung der Synthese-Parameter erforderlich ist.[11] Um diesen experimentellen Befund zu quantifizieren und eine Prognose des Sauerstoffpartialdrucks zu erhalten, der zur Stabilisierung von st¨ochiometri-schem Vanadiumsesquioxid ben¨otigt wird, werden im Folgenden die Ergebnisse periodischer quantenchemischer Rechnungen zur Thermodynamik des Sauerstoffeinbaus herangezogen.

Dazu wurden zun¨achst Strukturrelaxationen sowie Frequenzrechnungen mit dem PW91-Funktional unter Verwendung der Cai-VDZP-Basiss¨atze durchgef¨uhrt. Wie in den letzten Abschnitten wurden aufgrund des damit verbundenen geringeren Rechenaufwands ausschließ-lich ferromagnetische Spinanordnungen ber¨ucksichtigt. Die in diesem Kontext diskutierten thermodynamischen Gr¨oßen beziehen sich auf die formale Reaktionsgleichung

V2O3+x

2O2(g)V2O3+x . (5.2)

Die aus Strukturrelaxation verschiedener nicht-st¨ochiometrischer Vanadiumoxide mit Bixbyit-struktur erhaltenen Gesamtenergien werden gem¨aß Gl. (5.2) als Funktion vonx betrachtet und zur Bestimmung des unter experimentellen Bedingungen relevanten Intervalls von x verwendet. Zur Reduktion der ben¨otigten Rechenzeit wurde zun¨achst die maximal m¨ogliche Anzahl an Symmetrieoperationen beibehalten.

Die einfachsten nicht-st¨ochiometrischen Strukturen V2O3+x sind solche, in denen entweder ein Atom von seiner kristallographischen Lage entfernt oder ein zus¨atzliches Atom auf einer unbesetzten Gitterposition eingesetzt worden ist. Gem¨aß dieser Prozedur wurden zun¨achst einige Sauerstoff-defizit¨are Phasen untersucht, die entweder durch Entfernen eines O-Atoms von der allgemeinen Punktlage (48e) oder durch Hinzuf¨ugen zus¨atzlicher V-Atome in die 8b und 16cPositionen der RaumgruppeIa¯3 erzeugt worden sind. Phasen mit Sauerstoff¨uberschuss wurden konstruiert, indem entweder Vanadium-Fehlstellen erzeugt (Entfernung von V-Atomen aus der 8aoder 24d Position) oder indem zus¨atzliche O-Atome auf unbesetzten speziellen Lagen (8b and 16c) eingef¨ugt wurden. Um kleine Werte f¨ur x zu erhalten, wie sie unter experimentellen Bedingungen auftreten, wurde stets nur ein Atom zur gleichen Zeit in die primitive Bixbyit-Elementarzelle (V16O24) eingebaut bzw. aus dieser entfernt, was zu einer Erniedrigung der Symmetrie des Systems f¨uhrte. Auf diese Weise wurden Defektstrukturen mit den Zusammensetzungen V17O24 (x=−0,176), V16O23 (x=−0,125), V16O25 (x= 0,125), V15O24(x= 0,200) und V16O26 (x= 0,250) erhalten.

Die Reaktionsenergien in Bezug auf die perfekte, st¨ochiometrische Phase sind in Tab. 5.5 gege-ben. Es l¨asst sich direkt ablesen, dass Phasen mit Sauerstoffdefizit (x<0) in O2-Atmosph¨are energetisch instabil bez¨uglich st¨ochiometrischem V2O3 sind und daher wahrscheinlich keine Rolle spielen. Andererseits ist st¨ochiometrisches V2O3 mit Bixbyitstruktur weniger stabil als die entsprechenden Vanadiumoxide mitx>0, was darauf hindeutet, dass V3+ verh¨altnism¨aßig leicht oxidiert wird.

Die Reaktionsenergien f¨urx>0 erlauben aufgrund der unterschiedlichen Werte f¨ur den Sau-erstoff¨uberschussx keine unmittelbare Schlussfolgerung, ob die Hinzunahme von Sauerstoff oder die Entfernung von Vanadium bevorzugt ist. Die Verwendung passender Superzellen, um identische V:O-Verh¨altnisse f¨ur die unterschiedlichen Defekte (VV und Oi) einzustellen, ist aufgrund des damit verbundenen Anstiegs der Rechenzeit nicht m¨oglich. Stattdessen kann wie zuvor bei den Vanadiumoxidnitriden ein Vergleich der Dichten erfolgen, die direkt aus den Strukturrelaxation erhalten werden k¨onnen. Die berechnete Dichte der st¨ochiometrischen

67 5 Metastabile Vanadiumoxide und -oxidnitride

x ∆RE ρ

+V(8b) −0,176 94 4,97

+V(16c) −0,176 91 4,98

−O(48e) −0,125 89 4,75

+O(8b) +0,125 -11 4,91

+O(16c) +0,125 -32 4,90

−V(8a) +0,200 -63 4,70

−V(24d) +0,200 -63 4,71 +2 O(16c) +0,250 -68 4,93

Tabelle 5.5:

Reaktionsenergien (T= 0 K, Nullpunktsenergie sowie thermische Beitr¨age nicht ber¨ucksichtigt)

RE (kJ·mol−1) und Dichten ρ (g·cm−3) der nicht-st¨ochiometrischen Vanadiumsesquioxide V2O3+x, berechnet gem¨aß Gl. (5.2).

Die linke Spalte beschreibt die Hinzunah-me (+) oder Entfernung () von Atomen in/aus die/den angegebenen Punktlagen der primitiven Bixbyit-Elementarzelle.

Bixbyitphase betr¨agt ρ= 4,87 g·cm3, was eine gute N¨aherung zum experimentellen Ver-gleichswert (ρ= 4,79 g·cm−3) darstellt. F¨ur die nicht-st¨ochiometrischen Phasen liegen keine Referenzwerte vor, allerdings kann der bei der Untersuchung der Oxidnitride beobachtete Trend herangezogen werden, wonach eine Steigerung des Anionen¨uberschusses eine Zunahme der Dichte bewirkt. Trotz der Unterschiede bez¨uglich der Ionenradien sowie der Massen von Stickstoff und Sauerstoff, die einen direkten Vergleich beeintr¨achtigen, ist daher f¨ur x>0 ein Anstieg von ρ im Vergleich zu st¨ochiometrischem V2O3 zu erwarten. In der Tat l¨asst sich Tab. 5.5 entnehmen, dass auch hier die Dichte des Vanadium-defizit¨aren Systems mit x= 0,200 abnimmt, w¨ahrend sie f¨ur Systeme mit Sauerstoff¨uberschuss (x= 0,125 und x= 0,250) zunimmt. Aus diesem Grund werden im Folgenden die Strukturen vernachl¨assigt, bei denen Vanadiumatome entfernt worden sind.

Gem¨aß Gl. (5.2) werden die 16c-Punktlagen nach und nach mit Sauerstoff besetzt und f¨ur die generierten Strukturen der allgemeinen Zusammensetzung V2O3+x mit x im Intervall [0,1]

strukturelle und thermodynamische Eigenschaften ermittelt. Unter der Annahme, dass jedes zus¨atzlich eingef¨ugte Sauerstoff-Atom als O2-Ion vorliegt, wird die Anzahl an ungepaarten Elektronen schrittweise reduziert, so dass mit Zunahme vonx ein gr¨oßer werdender Anteil an V3+-Ionen (s0d2) oxidiert wird und sich formal in V4+-Ionen (s0d1) umwandelt. F¨ur x= 1 wird Vanadiumdioxid auf der Produktseite erhalten mit einer verzerrten Kristallstruktur vom Fluorittyp. Da diese VO2-Phase ein unrealistisches, energiereiches Polymorph darstellt, ist zu erwarten, dass es w¨ahrend der Geometrieoptimierung zu großen Auslenkungen der Atomkoordinaten kommt.

F¨ur jedes Modell sind zwei Strukturrelaxationen durchgef¨uhrt worden, wobei die atomaren Positionen ohne Symmetriebeschr¨ankungen optimiert worden sind und gleichzeitig entweder kubische Zelldeformationen erzwungen wurden (nur ein Gitterparameterakubisch variabel) oder alle Gitterparameter (a, b, c, α, β, γ) unabh¨angig voneinander variiert werden konnten. Auf diese Weise wurde die Abh¨angigkeit des kubischen Gitterparameters vom Sauerstoff¨uberschuss x ermittelt. Diese Ergebnisse sind in Abb. 5.5 (Ordinate links, Punktauftragung) dargestellt.

F¨ur kleine Werte von x erf¨ahrt der kubische Gitterparameter eine beinahe lineare Zunahme, die von relativ geringen Abweichungen zwischen den Strukturparametern aus beschr¨ankten und beschr¨ankungsfreien Geometrieoptimierungen begleitet wird (Abb. 5.5, Ordinate rechts, Balkendiagramm). Relaxationen, die st¨arkere Auslenkungen vom kubischen Startpunkt mit sich bringen, tauchen erst f¨ur Wertex>0,7 auf. Das Abflachen der Kurve bei x= 0,5 h¨angt mit dem Auftreten einer Vanadiumoxidphase vom Bixbyittyp mit der Summenformel V4O7

zusammen. Allerdings ist dieses spezielle Vanadiumoxid nicht mit der bekannten Magn´eli-Phase gleicher Zusammensetzung zu verwechseln, welche bei Strukturrelaxation mit dem PW91-Funktional und den Cai-VDZP-Basiss¨atzen ungef¨ahr 124 kJ·mol1 stabiler ist. Es

5.8 Nicht-st¨ochiometrische Vanadiumoxide 68

0 2 4 6 8 10

MAPF[%]

0,0 0,2 0,4 0,6 0,8 1,0

9,35 9,40 9,45 9,50 9,55 9,60

x akubischh ˚ A

i

Abbildung 5.5:Abh¨angigkeit der berechneten Gitterparameter vom Parameter f¨ur den Sauerstoff¨uber-schussx. Der Gitterparameterakubisch (Ordinate links, Kreise) wurde aus Struktur-relaxationen erhalten, in denen lediglich kubische Zelldeformationen erlaubt waren.

Der mittlere absolute prozentuale Fehler (MAPF) der Gitterparametera,b,c, die aus den entsprechenden beschr¨ankungsfreien Geometrieoptimierungen stammen, in Bezug aufakubisch nimmt mitx 1 zu (Ordinate rechts, graue Balken).

ist anzunehmen, dass eine Aktivierungsbarriere von nicht geringer H¨ohe vorliegt, welche die Umwandlung von V4O7 mit vom Bixbyittyp abgeleiteter Struktur in die Magn´eli-Phase behindert.

Unter Verwendung der vollst¨andig relaxierten Strukturen wurden Frequenzrechnungen am Γ-Punkt durchgef¨uhrt, um Schwingungs- und Entropiebeitr¨age zur Gibbs-Energie G pro Formeleinheit unter Standardbedingungen (T= 298 K) zu erhalten.

RG(x) =GV2O3+x −GV2O3−x

2GO2 (5.3)

Dabei wurden Nullpunktsenergie und thermische Beitr¨age zur elektronischen Energie ¨uber die quasiharmonische N¨aherung berechnet.[337, 338] Frequenzrechnungen wurden sowohl f¨ur Phasen mit erzwungenem kubischem Gitter als auch f¨ur unbeschr¨ankt optimierte Strukturen durchgef¨uhrt. Sowohl die Reaktionsenergie ∆RE (T= 0 K) als auch die Gibbs-Energie ∆RG (T= 298 K) sind in Abb. 5.6 als Funktion des Sauerstoff¨uberschussesx dargestellt.

Verglichen mit den elektronischen Reaktionsenergien verringert die Ber¨ucksichtigung von Nullpunktsenergie, Schwingungsbeitr¨agen und Entropie die Stabilisierung von Phasen mit x>0 nur geringf¨ugig. Erkennbare Unterschiede zwischen ∆RE und ∆RG zeigen sich erst bei gr¨oßeren Werte vonx, die aber im Experiment keine Rolle spielen. F¨ur x>0,8 treten zudem deutliche Abweichungen zwischen den Gibbs-Energien der kubisch beschr¨ankten so-wie der unbeschr¨ankten Strukturen auf, was eine Folge der zuvor diskutierten st¨arkeren Strukturrelaxationen in dieser Region ist. Bemerkenswert ist die Abnahme der Gibbs-Energie um einen nahezu konstanten Betrag (≈30 kJ·mol1) f¨ur jedes Sauerstoffatom, das zur primitiven Elementarzelle hinzugef¨ugt wird (∆x= 0,125, f¨urx-Werte im Interval [0,0; 0,5]).

Die kleinen ¨Anderungen der Relativenergien, die durch die Ber¨ucksichtigung von Tempe-ratureffekten hervorgerufen werden, sind nicht ausreichend, um V2O3 mit Bixbyitstruktur gegen¨uber den entsprechenden nicht-st¨ochiometrischen, sauerstoffreichen Vanadiumoxiden bei Standardbedingungen zu stabilisieren.

69 5 Metastabile Vanadiumoxide und -oxidnitride

0,0 0,2 0,4 0,6 0,8 1,0

−300

−250

−200

−150

−100

−50 0

x

REh kJ·mol1i

kubisches Gitter triklines Gitter

−300

−250

−200

−150

−100

−50 0

RGh kJ·mol1i

Abbildung 5.6:Abh¨angigkeit der berechneten Reaktionsenergien ∆RE (weisse Symbole) und Gibbs-Energien ∆RG (graue Symbole) vom Sauerstoff¨uberschussx. In den zugrundeliegen-den Geometrieoptimierungen wurde entweder ein kubisches Gitter erzwungen (Kreise) oder aber es waren alle Zelldeformationen erlaubt (Dreiecke).