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2.3 Besonderheiten der Untertitelung für HörgeschädigteHörgeschädigte

2.3.4 Untertitel für Hörgeschädigte

De Linde und Kay (1999) stellen zwei Elemente heraus, aus denen sich der Soundtrack eines Films zusammensetzt: zum einen die gesprochene Rede mit ihrem Inhalt, zum anderen akustische Informationen parasprachlicher oder nicht-sprachlicher Art, die ebenfalls zur Semiotik des Films beitragen. Die Untertitelung von fremdsprachlichen Filmen für Hörende konzentriert sich nur auf erstere, da letztere erhalten bleiben und dem hörenden Publikum weiterhin zugänglich sind. Hörgeschädigten sind diese Informationen nur eingeschränkt oder gar nicht zugänglich, deshalb müssen auch sie in Untertiteln, die speziell auf diese Gruppe zugeschnitten sind, transkribiert werden.

Welche Informationen dies im Einzelnen sind, soll im Folgenden näher spezifiziert werden.

Parasprachliche Informationen

Zu den parasprachlichen Informationen zählen zunächst die Betonung und Intonation der Sprecher. So kann eine hervorhebende Betonung beispielsweise durch Großbuch-staben, ein Zögern durch drei Punkte ausgedrückt werden. Auch der Tonfall, der z.B. Ironie oder Wut ausdrücken kann, muss deutlich gemacht werden. Akzente und Dialekte fallen ebenfalls in diese Kategorie. Ein schriftliches Nachahmen der Sprach-besonderheiten sollte hier vermieden werden, da es den Leseprozess erschweren und lächerlich wirken könnte. Eine neutrale Information vor dem eigentlichen Redebeitrag, wie z.B.Amerikanischer Akzent, ist hier vorzuziehen. Ein schwieriges Thema in diesem Zusammenhang stellen Witze dar, die auf Wortspielen beruhen. De Linde und Kay (1999) schlagen vor, sich in der Transkription für die weniger offensichtliche der zwei

implizierten Bedeutungen zu entscheiden. Sie führen ein Beispiel aus dem FilmPulp Fiction an:

Three tomatoes are walking down the street.

Papa, mama and baby tomato.

Baby tomato starts lagging behind.

Papa tomato gets really angry...

goes back and squishes him. Says “Ketchup”.

By substituting the words ‘catch up’ for ‘Ketchup’ the subtitler can highlight orthographically the play on words. (de Linde und Kay, 1999:14)

Nicht-sprachliche Informationen

Why is the young woman on the screen panic stricken? Hearing viewers who are aware of the murderer’s footsteps on the stairs know the answer, of course, but the hard of hearing must be given this information in writing if they are to follow the plot. (Ivarsson und Carroll, 1998:130f.)

Dies ist ein Beispiel für Nebengeräusche, die für das Verständnis der Handlung unabdingbar sind. Dies trifft allerdings nicht auf alle Geräusche zu: „e.g. a shot of a clapping audience invariably needs no APPLAUSE subtitle“ (de Linde und Kay, 1999:14).

Musik kann für die Atmosphäre eines Films ebenfalls eine wichtige Rolle spielen.

Labels wieDramatische Musik können daher durchaus unterstützend wirken. Für die Handlung bedeutsame Liedtexte sollten ebenfalls untertitelt werden. Häufig wird das Zeichen # vorangestellt, um deutlich zu machen, dass es sich um einen Liedtext handelt.

Weitere Erfordernisse

Ein weiterer wichtiger Aspekt, auf den Hörgeschädigte angewiesen sind, wenn sie der Handlung folgen wollen, ist eine eindeutige Zuordnung der Untertitel zum jeweiligen Sprecher. Dies wird insbesondere dann unerlässlich, wenn der Sprecher nicht im Bild ist oder mehrere Sprecher auf einmal im Bild sind und die Rede häufig wechselt.

Zur Erleichterung der Sprecherzuordnung werden den Sprechern daher im deutschen Fernsehen Farben zugeordnet8 und eventuell der Untertitel innerhalb der beiden für Untertitel zur Verfügung stehenden Zeilen unter den jeweiligen Sprecher gerückt, sofern er im Bild ist. Da nur eine begrenzte Auswahl an Farben zur Verfügung steht, können außerdem Namenlabels verwendet werden.

8Zur Sprecheridentifikation werden für die Hauptpersonen die Farben gelb, cyan, magenta und grün eingesetzt, Nebenrollen erhalten weiße Untertitel.

Schließlich muss dem im vorhergehenden Kapitel ausgeführten Umstand Rech-nung getragen werden, dass viele Hörgeschädigte über eine eingeschränkte Lesekom-petenz verfügen. Daher sollten die Satzstrukturen einfach gehalten werden und es muss mehr Lesezeit eingeräumt werden. Diese Prämisse steht im Widerspruch mit der häufig von Hörgeschädigten geäußerten Forderung, die Untertitel möglichst wortwört-lich zu gestalten. Sie fühlen sich von den häufig stark verkürzten und vereinfachten Untertiteln bevormundet, haben das Gefühl, ihnen würde etwas vorenthalten oder fühlen sich für dumm gehalten. Sie bemängeln außerdem, dass viel von der Spannung, dem sprachlichen Stil und dem Humor verloren geht. Dementsprechend haben auch die Teilnehmer der durchgeführten Eyetracking-Studie sowie 70 % der Befragten des Online-Fragebogens für eine 1:1-Untertitelung gestimmt (! Anlage C).

Wenn man allerdings bedenkt, dass selbst Hörende mit durchschnittlicher Lese-kompetenz schon Probleme hätten, ohne Rückgriff auf lautsprachliche Informationen (bei einem untertitelten Film etwa, dessen Originalsprache sie nicht verstehen) einem 1:1 untertitelten Film zu folgen und die Untertitelung für Hörgeschädigte außerdem noch sehr viel mehr Informationen para- und nicht-sprachlicher Art enthält, so ist fraglich, inwieweit überhaupt noch eine Verarbeitung dieser rasanten Informationsflut stattfinden kann (vgl. Neves, 2005). Des Weiteren ist zu bedenken, dass ein großer Anteil der Hörgeschädigten aus Altersschwerhörigen besteht, die zusätzlich mit einer altersbedingten Beeinträchtigung ihres Sehvermögens zu kämpfen haben.

Dass Schwerhörige und Spätertaubte, die über eine gute Lesekompetenz ver-fügen, sich schnellere und weniger vereinfachte Untertitel wünschen, ist nur zu verständlich. Das würde allerdings den Teil der Hörgeschädigten mit einer geringeren Lesekompetenz nahezu gänzlich vom Medium Film und Fernsehen ausschließen, was schwer zu vertreten ist. Es ist in diesem Zusammenhang immer wieder der Gedanke mehrerer Untertitelversionen derselben Sendung aufgeworfen worden, die am hei-mischen Fernsehgerät wahlweise abgerufen werden können, um allen Zuschauern gerecht zu werden. Dies wäre zweifelsohne die optimale Lösung, ist finanziell jedoch leider nicht tragbar.

2.4 Zusammenfassung

Es lässt sich zusammenfassend festhalten, dass die Untertitelung für Hörgeschädigte gemäß modernen translationswissenschaftlichen Ansätzen als eine Form der Überset-zung aufgefasst werden kann. Berücksichtigt man das kulturelle Selbstverständnis vieler Gehörloser, so ist eine Untertitelung für Gehörlose auch ein Kulturtransfer. Es liegen der Untertitelung im Allgemeinen bestimmte Regeln zugrunde, die sich auf

räumliche und zeitliche Gegebenheiten sowie auf ihren Inhalt beziehen. Für die Unter-titel für Hörgeschädigte gelten zusätzliche Regeln, die den verschiedenen besonderen Bedürfnissen der Zielgruppe gerecht zu werden versuchen. Allerdings konnte der Zweck der Untertitelung, nämlich Hörgeschädigten tatsächlich einen uneingeschränkt barrierefreien Zugang zu audiovisuellen Medien zu verschaffen, bisher nicht erreicht werden. Dies liegt zum einen an der unzureichenden Anzahl untertitelter Sendungen, zum anderen aber auch an inhaltlichen und technischen Mängeln, die von Hörge-schädigten immer wieder beklagt werden. Hier sind namentlich starke Kürzungen und Vereinfachungen zu nennen. Die Rückkopplungen der Hörgeschädigten hierzu müssen als Protest gegen die Übermittlung im Sinne der Skopostheorie aufgefasst werden. Es soll daher nach Möglichkeiten gesucht werden, diesem Missstand Abhilfe zu schaffen und den Untertiteln zu einer höheren Funktionsgerechtheit zu verhel-fen. Das im Rahmen dieser Arbeit durchgeführte und im Folgenden beschriebene Eyetracking-Experiment will einen Beitrag dazu leisten.