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Untersuchung der Bindungsselektivität der Rezeptorpinzette 55

2.7 M OLEKULARE P INZETTEN ALS R EZEPTORMODELLE

2.7.5 Untersuchung der Bindungsselektivität der Rezeptorpinzette 55

Die Bindungskonstanten der Komplexe zwischen der Rezeptorpinzette 55 und verschiedenen Gästen in d4-Methanol wurden durch 1H-NMR-Titrationen bestimmt (Tab. 11). Als Gäste wurden strukturell ähnliche Verbindungen mit systematischen Veränderungen gewählt, um die Bindungsselektivität der Pinzette zu untersuchen.

(R/S)-Noradrenalin⋅HCl L-Tryptophanmethylester⋅HCl 1797 M-1

(± 27%)

241 M-1 (± 87%)

(R/S)-Adrenalin⋅HCl L-Tyrosinmethylester⋅HCl 255 M-1

(± 29%)

166 M-1 (± 54%)

Dopamin⋅HCl (R)-Propranolol⋅HCl

335 M-1 (± 53%)

127 M-1 (± 46%)

Phenethylamin⋅HCl γ-Aminobuttersäure (GABA)

< 1 M-1 < 1 M-1

2-Hydroxyethylamin⋅HCl Glycin

< 1 M-1 < 1 M-1

Catechol

< 1 M-1

OH OH

NH3 OH

Cl

NH3 H3COOC

HN

Cl

OH OH

NH2 OH H3C Cl

OH

NH3 H3COOC

Cl

OH OH

NH3 Cl

O

NH2 OH

Cl

NH3 Cl

COO

NH3

NH3 OH

Cl NH3

OOC

OH OH

Tab. 11: Bindungskonstanten Ka [M-1] der Komplexe zwischen Pinzette 55 und verschiedenen Gästen in d4-MeOH.

Die zum Teil relativ hohen Fehler der Titrationen sind vor allem auf die sehr intensiven Signale der Tetrabutylammonium-Gegenionen zurückzuführen, die die Auswertung der Proben mit überschüssigem Wirt erschweren oder oft ganz verhindern. In allen Fällen stimmen aber die Meßwerte mit der errechneten Kurve gut überein und die hohen Fehler sind hauptsächlich durch das Fehlen der Messwerte mit überschüssigem Wirt bedingt. Die erhaltenen Bindungskonstanten können deshalb trotz dieser Fehler als verläßlich angesehen werden. Zusätzliche Fehlerquellen sind die Wägefehler aufgrund der starken Hygroskopizität des Rezeptors und die zum Teil relativ geringen Shifts der Signale.

Die Einführung einer N-Methylgruppe bei Adrenalin führt zu einer Schwächung der Bindung um den Faktor 7 (Ka = 255 M-1). Der Substituent stört die Wechselwirkung zwischen den Phosphonaten und dem Aminoalkohol. Dieses Ergebnis wird durch Molecular-Modeling-Untersuchungen bestätigt (siehe Abb. 56): Die Methylgruppe zeigt in Richtung eines Phosphonats und führt dazu, daß sich dieses Phosphonat vom Gast wegbewegt und nicht mehr an der Bindung beteiligt ist.

Der Einfluß der verschiedenen OH-Gruppen von Noradrenalin auf die Bindung wird deutlich, wenn man diese sukzessive entfernt. Das Fehlen des aliphatischen Alkohols bei Dopamin verursacht eine Bindungsschwächung um den Faktor 5 (Ka = 335 M-1). Die neue Bisphosphonat-Anordnung der Pinzette 55 zeigt also eine ähnliche Selektivität für Aminoalkohole gegenüber Aminen wie die Xylylenbisphosphonate 1. Bei zusätzlicher Eliminierung der aromatischen OHs im Fall von Phenethylamin kann keine Bindung mehr beobachtet werden. Diese Ergebnisse zeigen sehr klar, daß alle OH-Gruppen des Noradrenalins an der Bindung beteiligt sind und sich ihr Fehlen negativ auswirkt.

Schneidet man Noradrenalin virtuell in zwei Hälften, 2-Hydroxyethylamin und Catechol, und titriert diese beiden Verbindungen, so ist auch in diesen Fällen keine Bindung zu beobachten.

Für eine Komplexbildung ist also das Vorhandensein von Aminoalkohol und Catecholring erforderlich. Anders als bei dem in Kapitel 2.3 vorgestellten makrozyklischen Rezeptor 26 ist hier die Phosphonat-Aminoalkohol-Wechselwirkung nicht das alleinige Kriterium für eine Bindung, sondern zusätzliche nicht-kovalente Wechselwirkungen zwischen dem Catecholring und dem Wirt sind notwendig.

Die aromatischen Aminosäureester Tryptophan- und Tyrosinmethylester werden von der Pinzette ca. eine Größenordnung schlechter gebunden (Ka ≈ 200 M-1) als Noradrenalin.

Molecular-Modeling-Untersuchungen zeigen, daß der Indolring des Tryptophans für eine Einlagerung in die Wirtspalte zu groß ist. Des Weiteren behindern die α-Methylester der

Aminosäuren die Bindung des Amins durch die Phosphonate. Dies führt dazu, daß im Fall der Aminosäureester wohl ein anderer Bindungsmodus vorliegt, bei dem das Amin gebunden wird und sich der Rest außerhalb der Wirtspalte befindet (Abb. 56).

Abb. 56: Komplexe zwischen der Pinzette 55 und Adrenalin (links) sowie Tyrosinmethylester (rechts) nach MonteCarlo-Simulationen. Der aromatische Ring des Tyrosins steht senkrecht hinter der rechten P-CH3-Bindung des Wirtes.

Ebenfalls eine Zehnerpotenz schlechter als Noradrenalin wird der β-Blocker Propranolol gebunden (Ka = 127 M-1). Zum einen stört der N-Isopropylsubstituent wie schon bei Adrenalin gesehen die Phosphonat-Aminoalkohol-Wechselwirkung. Zum anderen ist Propranolol aufgrund des sperrigen Naphthylrests und einer zusätzlichen –CH2-O- Einheit in der Alkylkette viel zu groß für eine Einlagerung in die Pinzette. Ähnlich wie bei den Amino-säureestern liegt wohl auch hier eine andere Komplexgeometrie vor.

Andere Ammonium-basierte Neurotransmitter,107 wie Glycin oder GABA (γ-Aminobutter-säure), werden in Methanol durch die Pinzette nicht gebunden. Serotonin, Histamin, Acetylcholin und Glutaminsäure zeigen in Testexperimenten bei Wirtzugabe Shifts, die Durchführung von NMR-Titrationen zur Bestimmung der Assoziationskonstanten war aufgrund mangelnder Rezeptormenge leider nicht möglich.

Zur Auswertung der hier vorgestellten Titrationen konnten aufgrund von überlagerten Signalen und den bereits oben beschriebenen generellen Problemen bei der Durchführung der Titrationen meist nur ein oder zwei Signale verfolgt und ausgewertet werden. Hierbei handelt es sich je nach Gast um unterschiedliche aliphatische oder aromatische Signale. Deshalb können die bei den Titrationen beobachteten Shifts ∆δsat (siehe Anhang), die einen

Rückschluß auf die Stärke der verschiedenen Wechselwirkungen und die unterschiedlichen Bindungsmodi geben könnten, hier nicht zur Interpretation herangezogen werden. Es lässt sich jedoch feststellen, daß in allen Fällen die ∆δsat-Werte der aromatischen Protonen nicht größer als 0.08 ppm sind. Bei einer Einlagerung der Gäste zwischen die Biphenylarme der Pinzette sollten eigentlich größere Shifts auftreten.

Nichtsdestotrotz weisen die gefundenen Bindungsselektivitäten auf eine Beteiligung der Phosphonate und Amidprotonen an der Gastbindung hin, und dazu muß der Gastaromat mindestens teilweise eingelagert werden. Im Gegensatz zu anderen Pinzetten, bei denen größere NMR-Shifts beobachtet wurden, besitzt 55 keine großen anellierten Ringsysteme, wie Pyrene oder Anthracene (siehe Abb. 48), sondern rotierbare Biphenyle als Pinzettenarme. Bei genauerer Betrachtung der Komplexstruktur nach Moleküldynamik-Rechnung (Abb. 50 rechts) fällt auf, daß bei Raumtemperatur die Aromaten von Wirt und Gast keineswegs immer parallel, sondern zeitweise auch orthogonal zueinander stehen. Anders als durch die Komplexstruktur nach MonteCarlo-Simulation (Abb. 50 Mitte) „vorgetäuscht“ wird, kann der Gast bei Raumtemperatur eingelagert sein, ohne sich dabei ausschließlich im Anisotropie-kegel der Biphenyle zu befinden.

VT-NMR-Experimente zeigen bei Temperaturerniedrigung zunächst eine Linienverbreiterung der aromatischen Gastprotonen und bei noch tieferen Temperaturen eine Shiftzunahme der aromatischen Gastprotonen in ortho-Stellung zum Alkylsubstituenten und der mittleren Biphenylprotonen. Durch die verminderte Beweglichkeit des Komplexes bei niedrigen Temperaturen gewinnen die aromatischen Wechselwirkungen an Bedeutung und bewirken die beobachteten Shifts. Die Experimente unterstützen also die oben diskutierte Komplexstruktur nach Moleküldynamik-Rechnung.

Endgültig klären läßt sich die Frage nach der Komplexstruktur nur durch eine Kristallstruktur oder andere strukturelle Untersuchungen, die im Rahmen dieser Arbeit nicht angefertigt wurden.

Zusammenfassend ist festzustellen, daß die neu entwickelte, synthetisierte und untersuchte Pinzette 55 eine beeindruckende Bindungsselektivität für Noradrenalin in polarer Lösung zeigt. Kleine Veränderungen der Gaststruktur führen wie bei Adrenalin oder Dopamin zu einer deutlichen Schwächung der Bindung. Sobald zwei potentielle Erkennungsstellen entfernt werden, findet gar keine Komplexbildung mehr statt. Andere Verbindungsklassen wie Aminosäure(ester) oder Antagonisten werden wesentlich schlechter und wahrscheinlich

anders gebunden. Eine solche Selektivität ist in der Literatur bisher noch nicht beschrieben worden. Die Bedeutung der Rigidität und Präorganisation der synthetisch relativ schnell zugänglichen Pinzette 55 wird durch den Vergleich mit den strukturvariierten Pinzetten 56 und 57 hervorgehoben. Die hier vorgestellten Ergebnisse bestätigen das neue Konzept der Molekularen Adrenalinrezeptor-Pinzetten eindrucksvoll und machen es für zukünftige Projekte und Untersuchungen äußerst interessant.

Durch ihre amphiphile Struktur sollte sich die Pinzette 55 ebenso wie der makrozyklische Rezeptor 26 zur Einlagerung in eine Lipidmonoschicht an der Luft/Wasser-Grenzschicht eignen. Die diesbezüglich im Rahmen dieser Arbeit durchgeführten Untersuchungen werden im folgenden Kapitel beschrieben.