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Untanzbar“ 48 – Cultural Appropriation

Im Jahr 1988 inszenierte Emir Kusturica im Film Time Of The Gypsies das Leben jugoslawischer Rom_nja als Märchen zwischen Magie und Armut.

Kusturicas Filme, auch Underground (1995) und Schwarze Katze, weißer Kater (1998), waren in West­ und Mitteleuropa sehr erfolgreich. Sie formten bzw.

konstruierten dort nachhaltig das Bild von Rom_nja und traten die erste Welle des Balkanhype in den 1990er Jahren los. Das lag auch an der Filmmusik von Goran Bregović mit „Adaptionen“ der Musik von Rom_nja. Slaviša Marković erläutert die Verknüpfung von „Balkan“ und „Roma“ in dieser Filmmusik: „Die Brass­Musik ist sehr populär, und meistens sind Roma die Musiker. Die Popu­

larisierung fing in den 1990er Jahren mit Filmen wie denen von Emir Kusturica an. In Kriegszeiten [Jugoslawienkrieg der 1990er Jahre] haben Leute mit der Idee des ‚Culture Recycling‘ angefangen Musik zu spielen, um die jugoslawische Idee zu beleben. Roma­Musik war ideal dafür, weil sich damit niemand ethnisch oder national ausgeschlossen fühlt. Sie hat sich dann noch mit anderer Musik vermischt. Roma­Musik ist beliebt, weil es eine Mischung aus Ethno und Jazz ist.

Der Text ist meistens Blues, melodisch aber auf verschiedene Weise bearbeitet.

Manchmal ist das sogar Tanzmusik.49

Goran Bregović adaptierte für den Soundtrack zweier Kusturica­Filme Musik von Rom_nja, die ihn dafür als Dieb und Räuber kritisieren. Seine Aneignungs­

strategien (appropriation) sind folgende: Entweder covert er Roma­Traditionals, für die er alleinige Autorschaft reklamiert (wie bei Ederlezi/Erdelezi),50 deklariert Lieder von Roma­Musiker_innen als Traditionals und damit als Gemeineigen­

tum, die jede_r verkaufen könne, oder er arbeitet mit Rom_nja­Musiker_innen zusammen, die er nicht als Mitautor_innen erwähnt. Esma Redžepovas Hit Čhaje Šukarije kommt als Instrumentalversion in Underground vor, er bezeichnet

das Stück in den Credits als „Gypsy folklore“. Darüber ist Esma Redžepova massiv erbost. Boban Marković, der mit Bregović an der Musik für Under-ground zusammengearbeitet hat, beklagt ebenfalls fehlende Credits für seine kompositorischen und musikalischen Leistungen, die Bregović als die seinen ausgibt. Ganz offensichtlich hat sich Bregović das Stück Djeli Mara vom serbi­

schen Chansonnier Šaban Bajramović angeeignet und unter dem Titel Mesečina verkauft. Bajramović hat Bregović vergeben und weiter mit ihm zusammen­

gearbeitet: Vielleicht habe es ja einen Vertrag gegeben, sagt er, und er könne sich an diesen nur nicht erinnern. Offensichtlich ist: Solche „Kooperationen“ laufen nicht auf Augenhöhe ab für Musiker_innen, die sich kein Management leisten können, das ihre Interessen von Anfang an wahren würde.

Dragan Ristić,Musiker bei der serbischen Folk­Rockabilly­Band Kal und Roma­Aktivist, fasst die Situation im Jahr 2015 zusammen – auch im Hinblick auf den Balkanhype der 2000er Jahre und das Sampeln in elektronischen Adap­

tionen: „Schlaue ‚Nicht­Roma‘ schmücken sich mit unserer Kultur und unseren musikalischen Traditionen und verdienen einen Haufen Geld damit, und die

47 Mónika Miczura, zit. n. Prune Antoine.

48 Steffen Greiner: Citizens of Planet Paprika.

Shantel, Kusturica und die Haltbarkeit linker

„ZigeunerInnenromantik“, in: Hinterland, Heft der Flüchtlingsräte, 13/2010, S. 56–59. Im Original steht

„Antiziganismus“, den Begriff möchte ich aber nicht in meinem Text verwenden.

49 Das sagt der Berliner Theatermacher Slaviša Marković auf die Frage: „In den letzten Jahren ist Balkan-Musik recht populär geworden, die verbindet man auch mit Roma. Hat sie denn einen Bezug dazu?“ In: Emil Strittmann: „Wir sind nur Teil des Gesellschaftszirkus“, in: neuköllner.net, 20. Februar 2014, http://www.neukoellner.net/kunst-kitsch/wir-sind-nur-teil-des-gesellschaftszirkus/.

50 Das Stück taucht zuerst 1988 als ‚Đurđevdan Je A Ja Nisam S Onom Koju Volim‘ auf dem Album Ćiribiribela von Bregovićs Band Bjelo Dugme auf. Zum Vergleich: Der Roma-Musiker Muharem Serbezovksi bezeichnete das Stück in seinen Credits als „Ciganska Narodna“, als Roma-Volkslied, als er es kurz danach, 1989, als ‚Đurđevdan (Sa E Roma Daje)’

veröffentlichte. Das Lied wurde in Šuto Orizari, wo

‚Time Of The Gypsies‘ gedreht wurde, bis in die 1980er Jahre mündlich überliefert und bearbeitet, mehrere Rom_nja aus Šuto Orizari reklamieren Autorschaft für dieses Lied. Vgl. Carol Silverman: Romani Routes.

S. 277.

145 Roma selbst gehen leer aus, denn sie wissen nicht, wie sie sich richtig vermark­

ten sollen. [...] Wir selbst haben sehr gute Musiker, aber jemand anderes nutzt aktuell das Potential unserer Musik und verdient damit Geld. Bitte versteh mich nicht falsch. Ich bin weder ein Nationalist noch missgönne ich irgend jemandem seinen Erfolg, aber die Hörer sollen wissen, wer die wirklichen Originatoren einer Musiktradition sind, und diesen Originatoren soll auch der Respekt und Erfolg zustehen. [...] Den Roma­Musikern fehlt es leider oft an Bildung und dem richtigen Wissen, sich selbst und ihre Kultur zu promoten und sich im Musik­Business richtig zu positionieren.“51 Auf ihrem Album Romology und be sonders im Track Gadzo DJ reflektieren Kal dieses Missverhältnis in ironischer Weise.

Manche halten Bregović zugute, dass er die Roma­Musik in einer Weise arrangiert habe, dass sie für ein westliches Publikum funktioniere, und dass er damit die Öffentlichkeit für Roma­Musik erweitert habe. Trotzdem hat er dabei auf Kosten anderer ökonomisch profitiert. Außerdem begründet er seine Aneignung von Roma­Musik mit einem umfangreichen Arsenal antiromaisti­

scher Stereotype, beginnend mit der Schuldumkehr: „They have no problem with stealing music.“52 Rom_nja hätten sich ja auch musikalische Elemente von anderswo angeeignet, daher könne er das auch bei ihnen tun. Er unterstellt ihnen weiterhin eine kindliche, archaische, statische und romantische Weltsicht;

sie liebten den Spaß, hätten Goldzähne, würden archaisch Modernität verwei­

gern und seien frei; ihre Armut würde sie nicht stören, weil sie sich an ihrer Musik erfreuten, sie seien „anders“. Bregović wertet damit die gesamte urbane intellektuelle Roma­Musikszene Jugoslawiens antiromaistisch ab, nachdem er sich zu seinem ökonomischen Vorteil an ihrem kreativen Output bedient hat.53

Es existiert das Argument, cultural appropriation54 schaffe Zonen des kultu­

rellen Kontakts und der Hybridität, in denen interkultureller Dialog zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen stattfinden könne. Problematisch ist aber nicht der (wünschenswerte) Austausch musikalischer Praxen – den hat es immer gegeben – sondern unausgewogene Machtverhältnisse. Jenseits der Ebene des Sound müssen laut Silverman politische, ökonomische und soziale Ungleichhei­

ten mit betrachtet werden.55 Die Gründe für diese Ungleichheit erforschte Petra Gelbart,Romni, Musikerin bei Via Romen (mit Alexander Kolpakov) und Musikethnologin, in ihrer Dissertation.56 Diese Ungleichheiten ermöglichen erst, dass Personen aus einer dominanten Kultur (z. B. Goran Bregović) sich kultureller Elemente aus einer systematisch diskriminierten oder unterdrückten Kultur bedienen können. Die mit größeren strukturellen und ökonomischen Ressourcen ausgestatteten Personen der Dominanzkultur können die angeeig­

neten Techniken weitreichender vermarkten und verdienen damit mehr Geld.

Goran Bregović hat trotz der Kritik, die ihm zuteil wurde, seine Praxis nicht geändert. Er beschäftigte folgend nur weniger Rom_nja als Musiker_innen auf seinen Touren zwischen 2009 und 2011.57

Cultural appropriation erzeugt zwar möglicherweise Sympathie für eine Kultur, aber das Publikum muss weder seine Stereotype noch seine eigenen Sehfehler hinterfragen. Es ist „kultureller Austausch light“. Die gleichen Rom_nja, die auf der Bühne bewundert werden, möchte das Publikum möglicherweise nicht als Nachbar_innen haben. Auf den virulenten europaweiten Antiromaismus wird nicht aufmerksam gemacht – geschweige denn wird ihm kritisch begegnet. Das Publikum kann sich während des Konsums von Goran Bregovićs Musik in der Illusion wähnen, tolerant, interessiert, irgendwie politisch oder gar anti­rassistisch zu sein, und gleichzeitig rein gar nichts über real existierende Rom_nja wissen.

51 Robert Lippuner: „Alle Songs sind meine Kinder!“

Interview mit Dragan Ristić. In: Gypsy Music Network, 23. Juni 2015, S. 1, http://www.gypsy-music.net/de-de/interviews/27-interview-mit-dragan-ristic-von-kal.

52 Bregović, zit. n. Manuel Gogos: Kulturpartisanen – oder die Balkanizer. Wie ein Lebensgefühl zum Exportschlager wurde. Radio-Feature des WDR 3, 30.

Mai 2009, 30:00 min.

53 Carol Silverman: Romani Routes. S. 278.

Entgegen meinem mir selbst gegebenem Versprechen, keine Stereotype über Rom_nja und Sint_ezze herbeizuzitieren, habe ich das an dieser Stelle ausnahmsweise getan, weil m. E. durch den Kontext ihre Absurdität und Funktionsweise offensichtlich wird.

54 Wörtlich übersetzt bedeutet der Begriff ‚cultural appropriation‘ ‚kulturelle Aneigung‘, meint jedoch kulturelle Aneigung innerhalb ungleicher Machtverhältnisse. Siehe dazu z. B. Maisha Z. Johnson:

What’s Wrong with Cultural Appropriation? These 9 Answers Reveal Its Harm, in: Everyday Feminism, Magazin, 14. Juni 2015, http://everydayfeminism.

com/2015/06/cultural-appropriation-wrong/.

55 Carol Silverman: Romani Routes. S. 279 ff.

56 Petra Gelbart: Learning Music, Race and Nation in the Czech Republic, musikethnologische Dissertation, Harvard 2010.

57 Carol Silverman: Romani Routes. S. 329, Fußnote 25.

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Das liegt daran, dass cultural appropriation innerhalb eines Machtgefälles eben leider gar nicht die Anliegen, Geschichte(n) und Traumata der Marginali­

sierten transportiert sondern nur die üblichen antiromaistischen Stereotype ihrer

„Vermittler“ wie z. B. die o.g. von Bregović. Besonders zynisch geschieht dies bei der Exotisierung und Sexualisierung von Frauen. Versklavte Roma­Frauen in Rumänien waren den Vergewaltigungen ihrer Besitzer hilflos ausgeliefert. Um sich ihre Verbrechen moralisch zurechtzubiegen, konstruierten sich die Herr­

schenden das Bild von der freizügigen Romni, die aufreizend sowie enthemmt sei und sie teilentblößt verführt habe. Diese Unterstellungen stehen nicht nur im Widerspruch zum Verhalten realer Romnja, sie sind sogar „undenkbar für eine

traditionelle Romni.“58 Das stereotype Bild fand massiv Verwendung in Literatur, Musik, Oper, Malerei und Fotografie der Mehrheitsgesellschaft in ganz Europa.

Die exotisierte und sexualisierte Konstruktion der Romni passte schon da mals und auch heute in die Marketingstrategie des „sex (and exoticism) sells“.

Die Sängerin und Nicht­Romni Shakira z. B. hat sie im Video zu ihrem Song Gypsy erfolgreich angewendet. So werden die Stereotype und Mythen auch heute weiterverbreitet. Unter ihrem Ballast ist kaum Platz für die Wahrnehmung realer Romnja und Sintezze: Die Jazzmusikerin Dotschy Reinhardt wurde nach einem Konzert damit konfrontiert, sie sei keine richtige Sintezza, weil diese im Gegensatz zu ihr „lange Kleider, Stirnbänder, große Ohrringe, bauchfreie Kleidung“ trügen und „verwegen, wild, sexy, geheimnisvoll“ seien. Dotschy Reinhardt sagt über Shakira und implizit über solche Anwürfe: „Mich stört, dass eine Nicht­Gypsy der Welt erklären möchte, wie eine Sintezza ist. Eine Sinti­

oder eine Romnifrau weiß sich immer auch zurückzuhalten. Es ist nicht diese schamlose Art. Sinti sind ein sehr sensibles Volk, auch kein lautes Volk, wie man das immer darstellen möchte, diese wilde Verwegenheit, dieses Feurige, das ist angedichtet.“59 Wenn sich Shakira also mit den o.g. Markern ein heißblütiges und ungezähmtes Image bastelt, dann schreibt sie die antiromaistischen und sexistischen Diffamierungen von Romnja fort, die ihrem Kostüm inhärent sind.

Personen der Dominanzkultur profitieren nicht nur finanziell sondern bekom­

men auch die Credits für kulturelle Praxen, die sie sich zwar angeeignet aber nicht entwickelt haben. Der Sinti-Swing­Musiker Joscho Stephan beschreibt dies in einer ironischen Ansage für das Stück Minor Swing auf einem Konzert seiner Band:

„Wer kennt den Film ‚Chocolat‘ mit Johnny Depp? [Ah! ...]

Ja. Das ist die Reaktion, die wir kennen. Johnny Depp spielt einen

Gypsy-Swing-Gitarristen in diesem Film. Ein Stück von Django Reinhardt spielt er dort auf der Gitarre, den ‚Minor Swing‘. Ich habe jahrelang versucht das aufzuklären. [...] Vor dem Konzert oder in der Pause kommen öfters Leute auf uns zu und fragen: Könnt ihr das Stück von Johnny Depp? Es hat immer die halbe Pause gebraucht, zu erklären, dass das eigentlich eine Django-Rein-hardt-Nummer ist.

Die Leute waren ein bisschen beleidigt, man will ja auch in dem Glauben bleiben, dass Johnny Depp das Stück selbst komponiert hat. Und dann haben wir den Spieß rumgedreht und haben gesagt: Es ist besser, wenn wir das als Johnny-Depp-Komposition ankündigen.

Aber jetzt legen wir noch einen drauf. Gleich spielen wir die Nummer von Johnny Depp für euch. Aber wenn wir nochmal in der Gegend sind [...] da

hat der Volker versprochen, er übt gerade zu Hause vier Solo-Bass-Konzerte von Brad Pitt. [Gelächter] [...]

Jedenfalls zum Abschluss für euch von Johnny Depp der ‚Minor Swing‘.“60

58 Esther Quicker: Von Mitmenschen. S. 8–10.

59 Dotschy Reinhardt in einem Beitrag des Bayrischen Rundfunk, in: Youtube-Kanal von Lallaru Tschawu, ab 1:58 min, https://www.youtube.

com/watch?v=qNDhalHz4zU, siehe auch ihr Buch Everybodys Gypsy.

60 Das ‚Joscho Stephan Trio‘ mit Günter Stephan und Volker Kamp spielen im Jazzkeller ‚Armer Konrad‘

in Weinstadt als Zugabe ‚Sweet Georgia Brown‘

und ‚Minor Swing‘, in: Youtube-Kanal von wforkel, Upload vom 20. November 2012, Ansage „Johnny Depp“ ab min 6:00, https://www.youtube.com/

watch?v=psfCLq0kpX8.

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