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Ungleicher Zugang zu Land

Im Dokument MASTERARBEIT / MASTER S THESIS (Seite 108-113)

3. Die Ernährung des Menschen als sozial-ökologischer Untersuchungsgegenstand

3.3 Welthunger

3.3.1 Ungleicher Zugang zu Land

Die Annahme, In-vitro-Fleisch könne ein Bestandteil im Kampf gegen das Welthungerproblem sein, basiert auf zwei Überlegungen: Einmal auf der Tatsache, dass die konventionelle Fleischproduktion sehr flächenintensiv ist und die Kulturproduktion durch den Wegfall der Viehherden und der räumlichen Verdichtung der Produktion in Bioreaktoren deutlich weniger Fläche64 in Anspruch nehmen würde. Durch eine Reduktion der Tierbestände im Zuge der Etablierung von In-vitro-meat-Production-Systems (IMPS) würden, wenn dementsprechend genutzt, Flächen für den Anbau von Kulturpflanzen frei, was den gesamten Ernteertrag steigern und damit zur Ernährung der Weltbevölkerung beitragen würde. Zum Zweiten könnten ärmere Bevölkerungsgruppen mit Kulturfleisch, und damit mit wertvollen tierlichen Proteinen beliefert und auf diese Weise ihre Mangelernährung ausgeglichen werden (Edelman et al., 2005; Bhat/Bhat, 2011b). Auf diesen zweiten Punkt wird später noch zurück zu kommen sein.

64 Wie bereits festgestellt wurde benötigt die In-vitro-Produktion im Vergleich um bis zu 99% weniger Land als die konventionelle Tierzucht und (außer für Geflügelfleisch) auch 80-90% weniger Wasser (Tuomisto et al., 2014)

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Zunächst soll dargelegt werden, welche Rolle agrarwirtschaftlich nutzbares Land für das Hungerproblem spielt.

Boden ist eine begrenzte und zentrale Ressource. Nur etwa 30% der Erdoberfläche, das sind 13,4 Milliarden Hektar bestehen überhaupt aus Land, der Rest ist Wasser. Ein nicht unerheblicher Teil muss aufgrund seiner physio-geographischen Voraussetzungen (Wüsten, Ödland, Eisschilde) davon subtrahiert werden, da er nicht für die Nutzung durch den Menschen in Frage kommt. 37% der weltweiten Landfläche, ca. 5 Milliarden Hektar sind landwirtschaftliche Nutzfläche. 1,45 Milliarden Hektar Ackerland stehen davon effektiv für die Produktion von Nahrungsmitteln, Futtermitteln, Bioenergie und der stofflichen Nutzung zur Verfügung (Jering et al., 2013: 12). Der Anteil der verschiedenen Produktionssektoren an der gesamten Ackerfläche fällt dabei sehr ungleichmäßig aus. In der folgenden Graphik wird dies dargestellt.

Abb. 11: Gebrauchsverteilung der globalen Ackerfläche. (Eigene Darstellung nach Raschka et al., 2012: 21)

Ein überproportional großer Anteil, nämlich 1.030 Millionen Hektar (71%) am weltweit nutzbaren Ackerland beansprucht die Produktion von Futtermitteln für Nutztiere. Im Vergleich dazu werden nur knapp 206 Millionen Hektar (18%) für pflanzliche Nahrungsmittel die dem menschlichen Verzehr direkt zur Verfügung stehen, genutzt (Raschka et al., 2012: 21).

Obwohl nicht alles, was für den Futtermittelanbau an Fläche verbraucht wird, ebenso für den Anbau von Nahrungsmitteln genutzt werden könnte, ist das Missverhältnis offensichtlich. Die Fläche für den Anbau von Futter für Tiere und von Lebensmitteln für den Menschen stehen

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aufgrund ihrer Begrenztheit schon jetzt miteinander in Konkurrenz (Wilkinson, 2011; FAO, 2009a). Das Metaproblem ist also die Aufteilung von Land in Futtermittel- und Lebensmittelanbaufläche. Die für die menschliche Nutzung verfügbare landwirtschaftliche Fläche steht aber darüber hinaus unter dem Nutzungsdruck verschiedentlich gelagerter Interessen.

Drei Viertel der hungernden Menschen weltweit lebt in ländlichen Gebieten. Die Landwirtschaft ist dort die dominierende Einnahmequelle. Obwohl viele dieser Menschen selbst Nahrungsmittel produzieren sind sie oft nicht selbst im Besitz von Land. Sie sind entweder Landlose, die als Tagelöhner zu niedrigen Löhnen arbeiten (20%), Nomad*innen und Indigene, die von ihrem Land vertrieben wurden (10%) oder Kleinbäuerinnen und -bauern mit durchschnittlich gerade einmal anderthalb bis zwei Hektar bebaubarer Fläche (50%). „Die ungleiche Verteilung von Landbesitz sowie unsichere Landbesitzverhältnisse gelten daher als zentrale Ursachen für ländliche Armut, Hunger und Mangelernährung in Entwicklungs- und Schwellenländern“ (Dusseldorp/Sauter, 2011: 13). Die restlichen 20% der Hungernden sind der Anteil einer verarmten Bevölkerung in Städten (UN Millennium Project, 2005: 4).

Der Zugang zu oder Besitz von Land ist von Exklusion bestimmt. Ein Problem ist dabei Landraub. Private Investor*innen aus ‚Industrie‘- und ‚Schwellenländern‘ oder aber staatliche Akteur*innen sichern sich mittels sogenannter Auslandsdirektinvestitionen und langfristiger Pacht- oder Kaufverträge große Agrarflächen in ‚Entwicklungsländern‘. Oft werden diese eigentlich gemeinschaftlich und nach Gewohnheitsrecht bewirtschafteten Böden und Ressourcen dadurch kommerzialisiert. Infolgedessen dominiert dort der Anbau von Nahrungsmitteln oder Energiepflanzen für den Export, die der Ernährungs- und Energiesicherung der Investor*innenländer dienen (Merlet/Jamart 2009: 9). Laut einer Schätzung des Weltbank-Landökonomen Klaus Deininger sind weltweit zwischen 10-30% des Ackerlandes von Landgrabbing betroffen (Heinrich-Böll-Stiftung, 2015: 26). Durch diesen, auch von nationalen Regierungen abgesicherten Landraub ausländischer Privatinvestor*innen oder transnationaler Konzerne gingen in Kauf- und Pachtverträgen schätzungsweise bereits 42,2 Millionen Hektar weltweit (Stand 2016) hauptsächlich in Südamerika, West- und Zentralafrika und Südostasien in ausländische Hände (Nolte et al., 2016). Auf den riesigen Agrarflächen werden Ölpflanzen (Soja, Raps, Ölpalme, etc.) für die Produktion von Lebensmitteln und sogenannter Biokraftstoffe65 angebaut, die dann auf den Märkten weltweit verkauft werden.

65 Für Biokraftstoffe werden große Flächen an Land verbraucht, für die Indigene vertrieben werden. Brasilianische und indonesische Biokraftstoffplantagen wurden durch Abholzung von Regenwäldern und Anpflanzung in empfindlichen Böden und Ökosystemen angelegt (Paul/Wahlberg, 2008). Dadurch werden laufend natürliche Ökosysteme, Grasländer und Savannen vernichtet und durch die Abholzung große Mengen an gespeichertem Kohlenstoffdioxid frei gesetzt. Biodiesel aus Pflanzenölen wie Palmöl, Raps und Soja setzt dabei unterm Strich

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Soziale, ökonomische, ökologische und genderspezifische Konsequenzen für die Bevölkerung werden bei der Landnahme ignoriert. Es fehlt an Transparenz, demokratischer und kommunaler Partizipation sowie an freier vorheriger Konsensbildung (International Land Coalition, 2011).

In der Tirana Declaration der International Land Coalition, die sich für die Stärkung der Landbevölkerungen auf der Welt einsetzt, wurde die Problematik wie folgt beschrieben:

[…] land and other natural resources are increasingly scarce and under threat due to a number of factors[66], including population growth, migration, changes in consumption patterns, climate change, land degradation, corruption and other forms of poor governance. Moreover, this is taking place in a context in which the control of land is increasingly concentrated in the hands of a few, while at the same time, a growing number of rural and urban poor are left with small and fragmented lands. This fosters conflict and food insecurity, and exacerbates poverty. (International Land Coalition, 2011)

Zugang zu landwirtschaftlich nutzbarem Land ist demnach mit Existenz- und Ernährungssicherheit verbunden, eine Exklusion davon umgekehrt mit Armut und Hunger.

Beide Phänomene bedingen sich und Armut gilt als zentrale Einflussgröße auf Unter- und Mangelernährung (IFPRI et al., 2010: 11), weil sie dem Erwerb ausreichender Mengen an Nahrungsmitteln entgegensteht, bei Kleinbauern und -bäuerinnen etwa durch das Unvermögen einer Beschaffung von Betriebsmitteln, um die landwirtschaftliche Produktion zu verbessern. Darüber hinaus geht Armut auch mit einem unzureichenden Zugang zum Gesundheitssystem einher. Wenn Menschen Krankheiten nicht behandeln lassen können, fallen sie wiederum oft in der Erwerbsarbeit oder der subsistenzlandwirtschaftlichen Tätigkeit aus (Teufelskreis von Armut und Hunger) (Dusseldorp/Sauter, 2011: 13), was letztlich auch das Wirtschaftswachstum des ganzen Landes behindert (Berners-Lee, 2018: 2).

Aufgrund bestehender sozialer Ungleichheiten sind Frauen häufig überproportional betroffen von Armut und damit von Hunger (UN Millenium Project, 2005: 5; FAO, 2011c: 27). Im Schnitt besitzen Männer dreimal so viel Land wie Frauen, sie repräsentieren weniger als 5% der Landbesitzer*innen in Nordafrika und Westasien und durchschnittlich 15% in Subsahara-Afrika (IFAD, 2011), obwohl sie durchschnittlich 43% der landwirtschaftlich Tätigen ausmachen (UNWOMEN, o.J.). Die geschlechtsspezifische Kluft kann über alle Regionen hinweg

mehr Kohlenstoffdioxid frei als fossiler Diesel, wenn die indirekten Landnutzungsänderungen mitberücksichtigt werden (Rettet den Regenwald e.V., 2019).

66 Weitere Faktoren für den Landdruck liegen im Tourismus, dem steigenden Urbanisierungsgrad, dem Anbau von Biotreibstoffen und Lebensmitteln, der steigenden Nachfrage nach mineralischen Ressourcen, aber auch dem Anspruch auf Erhalt von Wäldern als ökologische Senken im Kontext von CO2-Emissionszertifikate (Merlet/Jamart, 2009: 6-7).

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nachgewiesen werden und bezieht sich neben dem ungleichen Zugang zu Land in der Landwirtschaft auch auf kleinere Viehbestände (Frauen besitzen nur selten Zugtiere wie Rinder und Ochsen) und technische Ausstattung (FAO, 2011c: 5; 37). Hinzu kommt, dass Frauen aufgrund von institutioneller Diskriminierung durch öffentliche und private Kreditinstitute seltener und in geringerer Höhe Kredite gewährt werden, als Männern (Fletschner, 2009; FAO, 2011c). Sie haben seltener Zugang zu verbesserten Saatguten und Düngemitteln und in jenen Fällen, in denen sie erwerbstätig in landwirtschaftlichen Betrieben arbeiten, öfter saisonal, in Teilzeit und für einen niedrigeren Lohn angestellt sind (Gender-(Pay)-Gap) (FAO, 2011c: 8; 18). Im Fall der Landnahme stehen Frauen als erste ohne rechtliche Ansprüche und ohne eigenen Besitz da. Sozial-ökologische Krisenphänomene wie der ungleiche Zugang zu Ressourcen verschiedenster Art haben also eine vergeschlechtlichte Dimension und sind nicht losgelöst davon zu verstehen oder veränderbar (Schultz et al., 2006:

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Frauen stemmen außerdem, während sie für einen großen Teil der landwirtschaftlichen Produktion verantwortlich sind, zusätzlich den größten Teil der Haushaltswirtschaft (UN Millenium Project, 2005). Sie sind diejenigen, die für die Zubereitung der Lebensmittel und die Sorge-Arbeit verantwortlich sind (FAO, 2011c: 14). Die Doppelbelastung durch landwirtschaftliche Tätigkeit und Haushaltsarbeit lässt mitunter nur eine ungenügende Betreuung der Kinder zu (Ilahi, 2000). „Die Regulation von Arbeit als einem weiteren zentralen gesellschaftlichen Naturverhältnis neben der Ernährung, misslingt.“ (Gottschlich, 2017: 7). Da Kinder von ihren Müttern abhängig sind, wirkt sich Armut bei Frauen automatisch auch auf die nächste Generation aus. Aufgrund ihres besonderen Bedarfs an Nahrung für ihr Körperwachstum und für die Herausbildung einer körperlichen Immunabwehr gehören Kinder daher zu den vulnerabelsten Gruppen der Hungernden (UNICEF, o.J.). Die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung wirkt (neben anderen Faktoren) in Kombination mit geschlechtsspezifisch ungleichen Besitzverhältnissen an Boden und produktionssteigernden Inputs damit als Treiber für Unterernährung bei Frauen und bei Kindern.

Nicht nur intranational sondern auch auf internationaler Ebene ist der Zugang zu Land sehr ungleich. Die globale Ackerfläche steht, wie Vergleichswerte zeigen, nicht jedem*r Konsument*in zu gleichen Teilen zu, wie im Folgenden anhand einer Berechnung des Flächenfußabdrucks deutlich wird. Dieser kann Aufschluss darüber geben, wie sehr sich Nationen und damit rein rechnerisch durchschnittlich ein*e Bürger*in eines bestimmten Staates an der globalen Fläche ‚bedient‘.

Als virtueller Flächenfußabdruck wird dementsprechend jene Fläche bezeichnet, „die innerhalb und außerhalb eines Staates für die inländische Produktion land- und forstwirtschaftlicher Produkte und der Fläche, die im Ausland für importierte Waren (wie z. B. Nahrungsmittel, Kleidung, Zellstoff, etc.) beansprucht wird, abzüglich der Fläche, die für Exporte benötigt wird.“

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(Jering et al., 2013: 23). Das Konzept des Handels mit virtuellen Inputs geht, wie bereits erwähnt, auf den britischen Geografen John Anthony Allan zurück und wird für die Berechnung der eingesetzten Ressourcen (beispielsweise Land oder Wasser) entlang der ganzen Produktionskette eingesetzt. Dazu werden regionale Exporte und Importe mit regionalen Ertragsdaten gewichtet und zu Flächenäquivalenten umgewandelt.

Europa ist nach dieser Berechnungsmethode jener Kontinent weltweit, „der am stärksten von importiertem Land abhängig“ ist. (Jering et al., 2013: 23). Über 50% der benötigten Fläche, die für die in Europa konsumierten Agrar- und Forstgüter anfällt, liegt außerhalb der europäischen Kontinentalgrenzen. Der totale Landfußabdruck (inklusive der genutzten Fläche auf dem eigenen Territorium) aller in der EU konsumierten Güter und Dienstleistungen beträgt 640 Millionen Hektar, also anderthalb Mal so viel wie die Fläche der 27 EU-Mitgliedsstaaten (424 Millionen Hektar) zusammen. Damit ist die EU nach den USA (900 Millionen Hektar) die Region mit dem zweitgrößten totalen Flächenfußabdruck, obwohl nur 7% der Weltbevölkerung dort leben (Jering et al., 2013: 23).

Jede*r Europäer*in bedient sich demnach für ihren*seinen ganzen Konsum67 im Durchschnitt an 1,3 Hektar Land pro Kopf im Jahr, während beispielsweise in Ländern wie China und Indien weniger als 0,4 Hektar pro Kopf beansprucht werden (Lugschitz, et al., 2011).

Allein für ihre Sojaimporte (die zu 95% an Nutztiere verfüttert werden, allen voran Schweinen und Hühnern, aber auch Rindern: Friends of the Earth Germany, 2019: 9) belegt die EU 15 Millionen Hektar Land außerhalb Europas, 13 Millionen Hektar davon in Südamerika, 2 Millionen in Nordamerika. Die Nachfrage der EU nach Soja, eine der weltweit wichtigsten Nutzpflanzen ist maßgeblich für den sogenannten Umwandlungsdruck in diesen Ländern verantwortlich, der die gezielte Veränderung natürlicher Lebensräume zum Zwecke ihrer Kommodifizierung beschreibt (Jering et al., 2013: 23).

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