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Der ungekündigte Bund Gottes mit Israel

Im Dokument Dialogue as a Trans-disciplinary Concept (Seite 138-141)

„Nicht verworfen“heißt positiv: Der Bund Gottes mit Israel bleibt gegeben. Das ist das Entscheidende. Mag die Kirche Israel auch noch so sehr verworfen haben, mag Israel selber sich gegen Gott„tausendfach“versündigt haben,GottesBerufung Israels als sein Volk ist unwiderrufen. Was umgekehrt heißt: Es gibt in der Geschichte ein bleibendesNebeneinander von Kirche und Israel im Gegenüber zu Gott.Buber bringt jetzt die theologische Schlüsselkategorie ins Spiel, mit der dieses bleibende Gegen-über von Kirche und Israel beschrieben werden kann: wechselseitige Anerkennung des jeweils eigenen„Gottesgeheimnisses.“Das theologische Zentrum Bubers zum Verhältnis Kirche–Israel ist jetzt und damit endgültig benannt:

Ich sagte schon: Das Juden und Christen Verbindende bei alledem ist ihr gemeinsames Wissen um eine Einzigkeit, und von da aus können wir auch diesem in Tiefstem Trennenden gegenübertreten; jedes echte Heiligtum kann das Geheimnis eines anderen echten Heilig-tums anerkennen. Das Geheimnis des anderen ist innen in ihm und kann nicht von außen her wahrgenommen werden. Kein Mensch außerhalb von Israel weiß um das Geheimnis Israels.

Und kein Mensch außerhalb der Christenheit weiß um das Geheimnis der Christenheit. Aber nichtwissend können sie einander im Geheimnis anerkennen.Wie es möglich ist, dass es die Geheimnisse nebeneinander gibt, das ist Gottes Geheimnis. Wie es möglich ist, dass es eine Welt gibt als Haus, in dem diese Geheimnisse wohnen, ist Gottes Sache, denn die Welt ist ein Haus Gottes. Nicht indem wir uns jeder um seine Glaubenswirklichkeit drücken, nicht indem wir trotz der Verschiedenheit ein Miteinander erschleichen wollen,wohl aber indem wir unter Anerkennung der Grundverschiedenheit in rücksichtslosem Vertrauen einander mitteilen, was wir wissen von der Einheit dieses Hauses, von dem wir hoffen, dass wir uns einst ohne Scheidewände umgeben fühlen werden von seiner Einheit, dienen wir getrennt und doch miteinander, bis wir einst vereint werden in dem einen gemeinsamen Dienst, bis wir alle werden, wie es in dem jüdischen Gebet am Fest des Neuen Jahres heißt:‚ein einziger Bund, um Seinen Willen zu tun.‘⁴²

Die hier gewonnene Grundfigur der wechselseitigen Anerkennung des je ver-schiedenen Gottesgeheimnisses wird somit für Buber gesteuert von einer theo-logischen Axiomatik: Gottes Berufung Israels als sein Volk ist unwiderrufen; der Bund Gottes mit Israel ist ungekündigt. Das hebt ein Schlüsseldokument noch einmal heraus, das schon sprachlich-stilistisch zu den eindrücklichsten

Zeug- Buber,„Kirche, Staat, Volk, Judentum,“159.

 Ebd.

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nissen Buberscher Prosa gehört:„Dom und Friedhof“(1934), ein Text, den Buber schon 1933 in das Gespräch mit Karl Ludwig Schmidt eingebracht hatte.

Ich lebe nicht fern von der Stadt Worms, an die mich auch eine Tradition meiner Ahnen bindet; und ich fahre von Zeit zu Zeit hinüber.Wenn ich hinüber fahre, gehe ich immer zuerst zum Dom. Das ist eine sichtbar gewordene Harmonie der Glieder, eine Ganzheit, in der kein Teil aus der Vollkommenheit wankt. Ich umwandle schauend den Dom mit einer vollkom-menen Freude.

Dann geh ich zum jüdischen Friedhof hinüber. Der besteht aus schiefen, zerspellten, formlosen, richtungslosen Steinen. Ich stelle mich darein, blicke von diesem Friedhofsgewirr zu der herrlichen Harmonie empor, und mir ist, als sähe ich von Israel zur Kirche auf. Da unten hat man nicht ein Quentchen Gestalt; man hat nur die Steine und die Asche unter den Steinen. Man hat die Asche, wenn sie sich auch noch so verflüchtigt hat. Man hat die Leiblichkeit der Menschen, die dazu geworden sind. Man hat sie. Ich habe sie. Ich habe sie nicht als Leiblichkeit im Raum dieses Planeten, aber als Leiblichkeit meiner eigenen Erin-nerung bis in die Tiefe der Geschichte, bis an den Sinai hinein.

Ich habe da gestanden, war verbunden mit der Asche und quer durch sie mit den Urvätern.

Das ist Erinnerung an das Geschehen mit Gott, die allen Juden gegeben ist. Davon kann mich die Vollkommenheit des christlichen Gottesraums nicht abbringen, nichts kann mich ab-bringen von der Gotteszeit Israels.

Ich habe da gestanden und habe alles selber erfahren, mir ist all der Tod widerfahren: all die Asche, die Zerspelltheit, all der lautlose Jammer ist mein; aber der Bund ist mir nicht auf-gekündigt worden.

Ich liege am Boden, hingestürzt wie diese Steine. Aber gekündigt ist mir nicht.

Der Dom ist, wie er ist. Und der Friedhof ist, wie er ist. Aber gekündigt ist uns nicht worden.⁴³ Der Text ist sowohl in seiner narrativen Dramaturgie wie in seiner inhaltlichen Substanz nicht nur ein Schlüsseltext Buberscher Schreib- und Wortkunst, sondern auch ein Schlüsseltext Buberscher Theologie und Spiritualität. Er ist kurz, aber höchst kunstvoll gestaltet. Dabei darf die kontrastive Gegenüberstellung von

„Dom“und„Friedhof“nicht als„Kleinmachen“oder als falsche Schwäche des Judentums missverstanden werden. Im Gegenteil. Gerade weil Buber die jüdische Seite mit dem Bild vom„Friedhofsgewirr“so„bescheiden“hält, kann er seine dialektische Pointe umso wirkungsvoller ins Spiel bringen: Das, was menschlich-geschichtlich gesehen klein, gering, ja„aschig“aussieht, ist von Gott her groß.

Und das, was äußerlich so„vollkommen“dasteht, muss sich vor Gott bescheiden.

Das am Ende des Textes dreimal wiederholte „mir nicht gekündigt“ bringt in Selbstbescheidung und Selbstbewusstsein Israels bleibende Erwählung durch Gott zum Ausdruck, aber auch die eigene Bindung an Israel.

„Mir“ nicht gekündigt: diese Personalisierung ist entscheidend. Der Bund Gottes mit Israel ist auch für jeden Einzelnen verpflichtend. Er kann durch keine

 Buber,„Dom und Friedhof“, in: Buber,Schriften zum Christentum, 175.

Martin Buber und das Christentum 133

menschlichen Machenschaften gegen Israel einerseits und keine Versündigung Israels gegen Gott andererseits aufgehoben werden. Keine Macht der Welt und kein Missbrauch durch die Religionen vermögen Gottes Bindung an Israel zu annul-lieren: das ist Bubers bleibende sachliche und persönliche Überzeugung, die auch durch die Erfahrung der Schoah nicht erschüttert wird. Gekündigt werden könnte der Gottes-Bund nur von Gott selbst.

Umgekehrt aber lebt für Buber auch die christliche Kirche Seite an Seite mit Israel als eine in ihrer Andersheit gottgewollte Größe. Die Kirche hat ihr eigenes unverwechselbares Gottesgeheimnis. Buber bringt dies auf die prägnante Formel, mit der er nicht zufällig seinen Beitrag im Gespräch mit Karl Ludwig Schmidt enden lässt:„Der Christ braucht nicht durchs Judentum, der Jude nicht durchs Christentum zu gehen, um zu Gott zu kommen.“⁴⁴ Beide, Juden wie Christen, wissen somit um ihr jeweiliges Gottesgeheimnis, ohne es miteinander teilen zu können. Warum aber das so ist, warum es dieses Nebeneinander der „Geheim-nisse“gibt in der einen Welt als dem„Haus Gottes“: das zu wissen, bleibt Men-schen entzogen. Den Grund kennt Gott allein. Eine Einsicht, die Juden und Christen wechselseitig bescheiden machen könnte. Buber argumentiert auch hier wieder theozentrisch und zieht daraus Konsequenzen für die Verpflichtung von Juden und Christen auf Frieden und praktische Zusammenarbeit. Beide wissen sich hineingehalten in das Geheimnis Gottes, jetzt noch mit einer„Scheidewand“

versehen, aber doch ausgestattet mit dem Wissen um die Einheit des Hauses Gottes und mit der Hoffnung, dass sie einst vereint sein werden in dem einen

„gemeinsamen Dienst.“

Das alles hat mit einem schiedlich-friedlichen Nebeneinander von Juden und Christen nichts zu tun. So wäre Buber gründlich missverstanden. Denn sein Text lässt nicht Unverbindlichkeit, sondernVerpflichtung für Juden und Christen er-kennen, um die jeweils erkannte Wahrheit Gottes noch zu ringen. Ausdrücklich betont Buber, dass man sich als Jude oder Christ um seine je eigene „Glaubens-wirklichkeit,“d.h. um sein im Gewissen verpflichtendes Glaubenszeugnis, nicht

„drücken“könne. Das je eigene Glaubenszeugnis wäre in „rückhaltlosem Ver-trauen“einander „mitzuteilen.“ Das ist das Gegenteil von schulterklopfendem Einverstandensein mit der Andersheit des je Anderen,was nur ein Alibi lieferte für Passivität und Gleichgültigkeit. Verpflichtung auf Dialogizität verbindet sich bei Buber vielmehr mit dem Festhalten an einer theologischen Axiomatik.

Was folgt daraus? Religionsgespräche haben für Buber nicht das Ziel,„gleiche Glaubensinhalte“zu identifizieren mit dem Ziel, die Differenzen zwischen den Religionen zu überspielen oder zu bagatellisieren. Stattdessen stellt Buber seine

 Buber,„Kirche, Staat, Volk, Judentum,“168.

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Arbeit in den Dienst einer Wiederbelebung der„gemeinsamen Urwahrheit“, auf die Juden und Christen gleichermaßen verwiesen sind: das Geheimnis Israels als erwähltem Bundesvolk. Dieses Geheimnis aber hat man nicht ohne tiefe Ver-trautheit mit der Ur-Kunde: der Hebräischen Bibel.

Bibelverdeutschung: Bubers Vermächtnis an

Im Dokument Dialogue as a Trans-disciplinary Concept (Seite 138-141)