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Meine Definition des Träumens als Seelentätigkeit unter Schlaf-bedingungen gründet sich zwar auf Freuds Traumtheorie, steht jedoch in vieler Hinsicht in scharfem Gegensatz zu ihr. Meiner Ansicht nach können Träume Ausdruck sowohl der niedrig-sten und irrationalniedrig-sten als auch der höchsten und wertvollsten Funktionen unserer Seele sein. Freud nimmt an, Träume seien stets unausweichlich Ausdruck des irrationalen Teils unserer Persönlichkeit. Ich werde im weiteren Verlauf dieses Buchs noch zu zeigen versuchen, daß diese drei eorien -Träume seien ausschließlich irrationale Erzeugnisse, sie seien ausschließlich rationale Erzeugnisse oder sie seien beides – schon in ferner Vergangenheit in der Geschichte der Traumdeutung zu finden sind. Angesichts der Tatsache, daß Freuds Traumdeutung der Anfang und der bekannteste und bedeutsamste Beitrag der mo-dernen Wissenscha zur Traumdeutung ist, will ich mit einer Beschreibung und Diskussion von Freuds Traumdeutung begin-nen, bevor ich mich dann der Geschichte dieser drei eorien vor Freud zuwende.

Freuds Traumdeutung beruht auf dem gleichen Prinzip, das seiner gesamten psychologischen eorie zugrunde liegt: auf der Auffassung, daß wir Strebungen, Gefühle und Wünsche haben können, die die Beweggründe unserer Handlungen sind und deren wir uns trotzdem nicht bewußt sind. Er hat derartige Strebungen als »unbewußt« bezeichnet, womit er sagen wollte, daß wir uns ihrer nicht nur nicht bewußt sind, sondern daß ein mächtiger »Zensor« uns davor bewahrt, ihrer gewahr zu wer-den. Aus vielerlei Gründen, deren wichtigster die Angst ist, die Billigung unserer Eltern und Freunde zu verlieren, verdrängen wir Strebungen, die Schuldgefühle in uns erzeugen und uns Angst vor Strafe einjagen würden, wenn wir uns ihrer bewußt würden. Die Verdrängung solcher Strebungen aus unserem Bewußtsein bedeutet jedoch nicht, daß sie zu existieren auö-ren. Tatsächlich leben sie so nachhaltig weiter, daß sie sich auf die verschiedenste Weise Ausdruck verschaffen, freilich so, daß wir uns nicht bewußt sind, daß sie sich sozusagen durch eine Hintertür wieder Eintritt verschaffen. Unser bewußtes System glaubt, solche unerwünschten Gefühle und Wünsche losgewor-den zu sein, und ist entsetzt über die Möglichkeit, sie könnten in uns vorhanden sein. Wenn sie trotzdem wieder auauchen und sich bemerkbar machen, verhüllen und entstellen wir sie daher in einem solchen Maß, daß unser bewußtes Denken sie nicht als das erkennt, was sie in Wirklichkeit sind.

Auf diese Weise hat Freud das neurotische Symptom erklärt.

Er nahm an, daß machtvolle Strebungen, die vom »Zensor« dar-an gehindert werden, uns bewußt zu werden, sich in Symptomen äußern, jedoch in einer verhüllten Form, so daß wir nur das durch das Symptom verursachte Leiden merken, nicht aber die

Befriedigung dieser irrationalen Strebungen. So hat Freud als erster das neurotische Symptom als etwas erkannt, das durch Kräe in unserem Inneren hervorgerufen wird und das einen bestimmten Sinn hat, zu dem man freilich erst den Schlüssel finden muß.

Ein Beispiel möge dies veranschaulichen. Eine Frau klagt über den Zwang, sich jedesmal, wenn sie etwas angefaßt hat, die Hände waschen zu müssen. Natürlich ist das für sie zu einem höchst lästigen Symptom geworden, da es sie bei jeder Tätigkeit stört und sie sehr unglücklich macht. Sie hat keine Ahnung, wes-halb sie das tun muß. Sie kann nur dazu sagen, daß sie eine un-erträgliche Angst empfindet, wenn sie es zu unterlassen versucht.

Allein die Tatsache, daß sie einem Impuls gehorchen muß, der von ihr Besitz ergriffen hat, ohne daß sie wüßte warum, macht ihr Elend noch viel größer. Bei der Analyse ihrer Phantasien und freien Assoziationen stellt sich heraus, daß sie gegen ein inten-sives Gefühl der Feindseligkeit anzukämpfen hat. Ihr Symptom zeigte sich zuerst, als ihr Mann eine Liebesaffäre mit einer ande-ren Frau anfing und sie kurz angebunden auf grausame Weise verließ. Sie war von ihrem Mann immer abhängig gewesen und hatte nie gewagt, an ihm Kritik zu üben oder ihm zu widerspre-chen. Sogar als er ihr seine Absicht eröffnete, sie zu verlassen, sagte sie kaum ein Wort dazu und machte ihm keine Vorwürfe.

Sie äußerte keine Klagen und machte ihm keine Szene. Aber damals fing das Symptom an, von ihr Besitz zu ergreifen. Die weitere Analyse zeigte, daß die Patientin einen grausamen und herrschsüchtigen Vater gehabt hatte, vor dem sie sich fürchtete und dem gegenüber sie nie gewagt hatte, ihren Ärger zu zeigen oder ihm Vorwürfe zu machen. Bei der Analyse stellte sich dann

auch heraus, daß ihre Sanheit und Unterwürfigkeit kein Zeichen dafür waren, daß sie nicht doch innerlich wütend war. Ganz im Gegenteil hatte sich unter ihrem manifesten Verhalten ihre Wut angesammelt. Die Wut äußerte sich aber nur in Phantasien, wie zum Beispiel, daß sie ihren Vater tot, ermordet oder als Krüppel sah. Ihr Verlangen nach Rache und ihr Haß wurden immer stär-ker, und trotzdem zwangen sie ihre Angst und die Forderungen ihres Gewissens, solche Wünsche fast völlig zu verdrängen. Das Verhalten ihres Mannes ließ ihre aufgespeicherte Wut wieder aufflammen und gab ihr neue Nahrung. Aber auch jetzt konnte sie ihr keinen Ausdruck verleihen, ja sie konnte sie nicht einmal fühlen. Wäre ihr ihre Feindseligkeit bewußt gewesen, dann hätte sie das Bedürfnis gehabt, ihren Mann umzubringen oder ihn doch wenigstens zu verletzen, und sie hätte dann vermutlich keine neurotischen Symptome entwickelt. So aber arbeitete ihre Feindseligkeit in ihr, ohne daß sie sich dessen bewußt war.

Das Symptom dieser Frau war eine Reaktion auf diese Feindseligkeit. In ihrem Unbewußten wurde das Berühren von Gegenständen für sie zu einem Akt der Vernichtung, und sie mußte sich die Hände waschen, um sich von der destruktiven Handlung, die sie begangen hatte, zu reinigen. Es war, als hätte sie Blut an den Händen und müsse es immer wieder abwaschen. Der Waschzwang war die Reaktion auf einen feindseligen Impuls, ein Versuch, das Verbrechen, das sie begangen hatte, wieder unge-schehen zu machen; jedoch war ihr nur ihr Bedürfnis, sich die Hände zu waschen, bewußt, während die Gründe dafür ihr nicht bewußt waren. Das scheinbar sinnlose Symptom war als sinn-volles Verhalten zu verstehen, nachdem man einmal zu dem un-bewußten Sektor ihrer Persönlichkeit vorgestoßen war, in dem

ihr scheinbar sinnloses Verhalten wurzelte. Das Händewaschen war für sie ein Kompromiß, der es ihr ermöglichte – wenn auch unbewußt – ihre Wut auszuleben und sich dennoch mit Hilfe der Waschzeremonie von der Schuld zu reinigen.

Die Entdeckung, wie solche unbewußten Prozesse zu verste-hen waren, führte Freud zu einer Entdeckung, die Licht auch auf unser normales Verhalten wir. Sie ermöglichte es ihm, eine Fehlleistung wie zum Beispiel das Sich-Versprechen zu erklären, was vielen, die sich damit beschäigt hatten, Kopfzerbrechen verursacht hatte und wofür man bisher noch keine Erklärung gefunden hatte. Wir alle kennen die Erscheinung, daß wir uns plötzlich nicht mehr an einen Namen erinnern können, den wir sehr wohl kennen. Dieses Vergessen kann eine Reihe von Ursachen haben, aber Freud entdeckte, daß es o damit zu erklä-ren ist, daß etwas in uns sich nicht an den betreffenden Namen erinnern möchte, weil er mit Angst, Zorn oder einem ähnlichen Gefühl in Zusammenhang steht, daß wir den Namen vergessen haben, weil wir das Unangenehme, das für uns damit verbun-den ist, von uns wegschieben möchten. Wie Friedrich Nietzsche (1960, Band 2, S. 625) sagt: »›Das habe ich getan‹, sagt mein Gedächtnis. ›Das kann ich nicht getan haben‹ – sagt mein Stolz und bleibt unerbittlich. Endlich – gibt das Gedächtnis nach.«

Das Motiv zu einer solchen Fehlleistung ist nicht unbedingt ein Angst- oder Selbstgefühl. Wenn man jemandem begegnet und anstatt »Guten Tag« aus Versehen »Adieu« zu ihm sagt, dann drückt man damit sein wahres Gefühl aus: Man wünscht, man wäre den Betreffenden, dem man gerade begegnet, sofort wieder los oder man hätte ihn am liebsten gar nicht erst getroffen. Die Konvention macht es uns unmöglich, diesem Gefühl Ausdruck

zu geben, und trotzdem hat sich unsere Abneigung gegen diesen Menschen sozusagen hinter unserem Rücken durchgesetzt. Sie hat uns eben die Worte in den Mund gelegt, die unsere wahren Gefühle ausdrücken, während wir bewußt die Absicht hatten, unserer Freude über die Begegnung Ausdruck zu verleihen.

Auch in den Träumen sieht Freud den Ausdruck unbewuß-ter Strebungen. Er nimmt an, daß auch der Traum – genau wie das neurotische Symptom oder die Fehlleistung – unbewußte Strebungen zum Ausdruck bringt, deren Gewahrwerden wir uns nicht gestatten und die wir daher aus unserem Bewußtsein fern-halten, solange wir unsere Gedanken voll unter Kontrolle haben.

Diese verdrängten Gedanken und Gefühle werden im Schlaf le-bendig und finden in dem, was wir als Träume bezeichnen, eine Ausdrucksmöglichkeit.

Aus dieser allgemeinen Auffassung über das Träumen ergeben sich folgende Annahmen:

Die unser Traumleben motivierenden Kräe sind unsere ir-rationalen Wünsche. Im Schlaf werden Impulse lebendig, deren Existenz wir im Wachen nicht anzuerkennen wünschen oder wa-gen. Irrationaler Haß, Ehrgeiz, Eifersucht, Neid und insbesondere inzestuöse oder perverse sexuelle Wünsche, die wir aus unserem Bewußtsein ausschließen, finden in unseren Träumen Ausdruck.

Freud nimmt an, daß wir alle solche irrationalen Wünsche in uns tragen, die wir aufgrund der Forderungen der Gesellscha

verdrängt haben, die wir aber doch nicht ganz losgeworden sind.

Während des Schlafs läßt die Kontrolle durch unser Bewußtsein nach, und diese Wünsche werden lebendig und verschaffen sich in unseren Träumen Gehör.

Freud geht aber noch einen Schritt weiter. Er bringt diese Traumtheorie mit der Funktion des Schlafs in Verbindung.

Der Schlaf ist eine physiologische Notwendigkeit, und unser Organismus sucht ihn auf bestmögliche Weise sicherzustellen.

Wenn wir nun aber in unserm Schlaf die intensiven, irrationalen Wünsche fühlen würden, so würden wir durch sie gestört und würden aufwachen. Daher würden diese Wünsche mit der bio-logischen Notwendigkeit weiterzuschlafen in Konflikt geraten.

Was tun wir also, um uns unseren Schlaf zu erhalten? Wir stellen uns vor, die Wünsche wären erfüllt und haben so ein Gefühl der Befriedigung anstelle eines Gefühls störender Versagung.

Freud gelangt so zu der Annahme, daß das Wesen der Träume die halluzinatorische Erfüllung irrationaler Wünsche sei; ihre Funktion ist die Erhaltung des Schlafs. Diese Erklärung ist leich-ter verständlich in Fällen, in denen der Wunsch nicht irrarional ist und in denen der Traum daher nicht entstellt wird, wie dies nach Freud beim durchschnittlichen Traum der Fall ist. Nehmen wir einmal an, jemand habe vor dem Schlafengehen eine sehr stark gesalzene Speise gegessen und habe während der Nacht heigen Durst. Er träumt dann vielleicht, er sei auf der Suche nach Wasser, finde eine Quelle und trinke große Mengen kühlen, erfrischenden Wassers. Anstatt aufzuwachen, um seinen Durst zu löschen, erlangt der Schläfer dadurch, daß er in seiner Phantasie Wasser trinkt, eine halluzinatorische Befriedigung, die ihm die Möglichkeit gibt weiterzuschlafen. Uns allen ist eine ähnliche halluzinatorische Befriedigung bekannt, wenn wir, durch den Wecker aufgeschreckt, im gleichen Augenblick träumen, wir hörten Kirchenglocken läuten, es sei Sonntag und wir brauchten nicht so früh aufzustehen. Auch in diesem Fall hat der Traum die

Funktion, unseren Schlaf zu behüten. Freud nimmt an, daß diese einfachen Wunscherfüllungen, die an und für sich nicht irratio-nal sind, bei Erwachsenen relativ selten, aber bei Kindern häufi-ger vorkommen, und daß unsere Träume im allgemeinen nicht die Erfüllung solcher rationaler, sondern vielmehr irrationaler Wünsche sind, die wir tagsüber verdrängen.

Weiterhin nimmt Freud an, daß diese irrationalen Wünsche, die wir im Traum als erfüllt erleben, in unserer Kindheit ver-wurzelt sind, daß sie in uns lebten, als wir noch Kinder waren, daß sie eine unterirdische Existenz weiterführen und in unseren Träumen zu neuem Leben erwachen. Diese Auffassung beruht auf Freuds allgemeiner Überzeugung von der Irrationalität des Kindes.

Nach Freud hat das Kind viele asoziale Impulse. Da es weder die körperliche Stärke noch das nötige Wissen besitzt, um diese Impulse auszuagieren, ist es harmlos, und niemand braucht sich vor seinen bösen Absichten in acht zu nehmen. Richtet man je-doch seine Aufmerksamkeit auf die Qualität dieser Strebungen und nicht auf deren praktische Folgen, dann ist das Kleinkind ein asoziales und amoralisches Wesen. Dies gilt vor allem für seine sexuellen Impulse. Nach Freud gehören alle jene sexu-ellen Strebungen, die – wenn sie beim Erwachsenen aureten – als Perversionen bezeichnet werden, zur normalen sexuel-len Entwicklung des Kindes. Beim Säugling konzentriert sich die sexuelle Energie (die Libido) um die Mundregion, später steht sie mit der Stuhlentleerung in Zusammenhang, bis sie sich schließlich auf die Genitalien konzentriert. Das Kleinkind empfindet starke sadistische und masochistische Strebungen.

Es ist ein Exhibitionist und auch ein kleiner Voyeur. Es ist noch

nicht fähig, jemanden zu lieben, sondern ist narzißtisch und liebt ausschließlich sich selbst. Es ist höchst eifersüchtig und voll destruktiver Impulse gegen seine Rivalen. Das Sexualleben der kleinen Jungen und Mädchen wird von inzestuösen Strebungen beherrscht. Sie haben eine starke sexuelle Bindung an den an-dersgeschlechtlichen Elternteil und sind eifersüchtig auf den gleichgeschlechtlichen und hassen ihn. Nur die Angst vor den Vergeltungsmaßnahmen des verhaßten Rivalen veranlaßt das Kind, diese inzestuösen Wünsche zu unterdrücken. Indem der kleine Junge sich mit den Geboten und Verboten seines Vaters identifiziert, überwindet er seinen Haß gegen diesen und ersetzt ihn durch den Wunsch, ihm zu gleichen. Die Entwicklung des Gewissens ist das Ergebnis des »Ödipuskomplexes«.

Das Bild, das Freud vom Kind entwir, zeigt eine bemerkens-werte Ähnlichkeit mit dem Bild, das sich Augustinus von ihm machte. Einer der Hauptbeweise des Augustinus für die dem Menschen innewohnende Sündhaigkeit ist sein Hinweis auf die Bösartigkeit des kleinen Kindes. Er schließt daraus, daß die Bosheit dem Menschen angeboren sein müsse, da ja das Kind böse sei, bevor es Gelegenheit gehabt habe, von anderen Schlechtes zu lernen und durch schlechte Beispiele verdorben zu werden.

Freud wie auch Augustinus heben nicht die Eigenschaen im Kind hervor, die dieses Bild zumindest ausgleichen würden:

seine Spontaneität, seine Reaktionsfähigkeit, sein feinfühliges Urteil über andere Menschen, seine Fähigkeit, die Einstellung anderer zu erkennen ohne Rücksicht darauf, was diese sagen, sein unermüdliches Bemühen, die Umwelt zu begreifen – kurz alle jene Eigenschaen, die wir an Kindern bewundern und die sie uns liebenswert machen, so daß wir kindliche Eigenschaen

beim Erwachsenen zu dessen kostbarstem Besitz rechnen. Freud hat aus zahlreichen Gründen allen Nachdruck auf die schlechten Seiten des Kindes gelegt. Einer davon ist, daß das Viktorianische Zeitalter die Illusion oder Fiktion vom »unschuldigen« Kind aufgebracht hatte. Man nahm damals an, daß es keine sexuellen Strebungen oder andere »schlechte« Impulse besäße. Als Freud sich gegen diese bequeme Fiktion wandte, warf man ihm vor, er besudele die Unschuld des Kindes und greife einen der höchsten Werte der viktorianischen Familie an. Daß Freud bei diesem Streit ins andere Extrem verfiel und ein einseitiges Bild von der Schlechtigkeit des Kindes entwarf, ist verständlich. Ein weiterer Grund für Freuds Beurteilung des Kindes ist darin zu suchen, daß er es als Aufgabe der Gesellscha begrei, den Menschen zu anlassen, seine unmoralischen und asozialen Strebungen zu ver-drängen und dadurch gesellschalich wertvolle Charakterzüge zu entwickeln. Diese Umwandlung von Bösem in Gutes geschieht nach Freud durch Mechanismen, die er »Reaktionsbildung« und

»Sublimierung« nennt. Die Verdrängung eines bösen Impulses -- etwa eines sadistischen – führt zur Ausbildung eines entge-gengesetzten Impulses, etwa des Wohlwollens, dessen Funktion dynamisch gesprochen darin besteht, den verdrängten Sadismus daran zu hindern, sich in Gedanken, Handlungen oder Gefühlen zu äußern. Bei der Sublimierung wird nach Freud ein böser Impuls von seinen ursprünglich asozialen Zielen abgelenkt und für höhere, kulturell wertvolle Ziele verwandt. Ein Beispiel für die Sublimierung ist ein Mensch, der seinen Impuls, andere zu verletzen, zur wertvollen Kunst der Chirurgie sublimiert hat.

Freud vertritt die Ansicht, daß wohlwollende, liebevolle und konstruktive Impulse im Menschen nicht primär sind, und

be-hauptet, sie seien sekundär aus der Notwendigkeit entstanden, seine ursprünglich bösen Strebungen zu verdrängen. Er versteht die Kultur als Resultat solcher Verdrängungen. Im Gegensatz zu Rousseau steht Freud auf dem Standpunkt, daß der Mensch in seinem ursprünglichen Zustand von bösen Impulsen be-herrscht ist. Je weiter sich die Gesellscha entwickelt und ihn zwingt, diese Impulse zu unterdrücken, um so mehr lernt er, Reaktionsbildungen und Sublimierungen auszubauen. Je hö-her die kulturelle Entwicklung ist, in um so stärkerem Maße wird verdrängt. Da jedoch die Fähigkeit des Menschen zu Reaktionsbildungen und Sublimierungen beschränkt ist, bleibt diese zunehmende Verdrängung o unwirksam; die ursprüng-lichen Strebungen leben wieder auf, und da sie nicht offen aus-agiert werden können, führen sie zu neurotischen Symptomen.

So nimmt Freud an, daß der Mensch vor einer unvermeidlichen Alternative steht: Je höher die kulturelle Entwicklung, um so mehr Verdrängung und um so mehr Neurosen.

Diese Auffassung führt notwendigerweise zu der Annahme, daß das Kind im wesentlichen so lange unmoralisch bleibe, wie es nicht den Forderungen der Gesellscha unterworfen sei, daß aber selbst diese Kontrolle durch die Gesellscha niemals den Hauptteil dieser bösen Impulse beseitige und daß diese ein un-terirdisches Leben weiterführten.

Noch ein anderer Grund veranlaßte Freud, die Irrationalität des Kindes zu betonen. Bei der Analyse seiner eigenen Träume fiel ihm auf, daß selbst bei einem normalen, seelisch gesunden Erwachsenen irrationale Strebungen wie Haß, Eifersucht und Ehrgeiz zu finden sind. Ende der neunziger Jahre und zu Anfang unseres Jahrhunderts hatte man das Gefühl, daß zwischen

dem Kranken und dem Gesunden eine scharfe Trennungslinie bestehe. Es war unvorstellbar, daß ein normaler, achtbarer Bürger die vielen »verrückten« Impulse in sich haben sollte oder konn-te, die in seinen Träumen auauchten. Wie konnte man das Vorhandensein dieser Impulse in den Träumen erklären, ohne die Vorstellung von diesem gesunden, »normalen« Erwachsenen zu zerstören? Freud fand für diese Schwierigkeit eine Lösung, in-dem er annahm, daß sich in diesen irrationalen Strebungen das Kind im Erwachsenen bemerkbar machte, das in diesem noch weiterlebte und sich in seinen Träumen äußerte. Seine theore-tische Konstruktion lautete, daß gewisse verdrängte kindliche Impulse im Unbewußten ein unterirdisches Dasein weiterfüh-ren und im Traum wieder zum Vorschein kommen, wenn auch in einer durch das Bedürfnis des Erwachsenen, sich ihrer selbst im Schlaf nicht voll bewußt zu werden, entstellten und verhüll-ten Form. Ich zitiere nun einen von Freuds Träumen, den er in

dem Kranken und dem Gesunden eine scharfe Trennungslinie bestehe. Es war unvorstellbar, daß ein normaler, achtbarer Bürger die vielen »verrückten« Impulse in sich haben sollte oder konn-te, die in seinen Träumen auauchten. Wie konnte man das Vorhandensein dieser Impulse in den Träumen erklären, ohne die Vorstellung von diesem gesunden, »normalen« Erwachsenen zu zerstören? Freud fand für diese Schwierigkeit eine Lösung, in-dem er annahm, daß sich in diesen irrationalen Strebungen das Kind im Erwachsenen bemerkbar machte, das in diesem noch weiterlebte und sich in seinen Träumen äußerte. Seine theore-tische Konstruktion lautete, daß gewisse verdrängte kindliche Impulse im Unbewußten ein unterirdisches Dasein weiterfüh-ren und im Traum wieder zum Vorschein kommen, wenn auch in einer durch das Bedürfnis des Erwachsenen, sich ihrer selbst im Schlaf nicht voll bewußt zu werden, entstellten und verhüll-ten Form. Ich zitiere nun einen von Freuds Träumen, den er in