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Da alle Arten von Kristallbaufehlern von einem Spannungsfeld umgeben sind und dies auch für gelöste Fremdatome gilt, wird ersichtlich, dass Fremdatome und andere Kristallbaufehler mitein-ander interagieren.

In vielen Fällen diffundieren Fremdatome zu den Kristallbaufehlern. Dies führt zum Abbau von Spannungen im Material und kann somit die Gesamtenergie reduzieren.

Ein lange untersuchtes Beispiel ist Kohlenstoff in Eisen. Kohlenstoff diffundiert in die Umgebung von Versetzungen [86]. Wird das Material einer mechanischen Spannung ausgesetzt, wird in diesem Fall eine hohe Spannung benötigt, um das Eisen zu verformen. Haben sich jedoch die Versetzungen vom Kohlenstoff entfernt, kann das Eisen mit geringerer Spannung weiter verformt werden. Wird das Eisen geglüht, so dass der Kohlenstoff wieder zu den Versetzungen diffundieren kann, kehrt die erhöhte Festigkeit zurück. Dies bedeutet, dass Versetzungen durch Kohlenstoff immobilisiert werden. Neuere Untersuchungen von Chen et. al. [37] zeigen, dass Kohlenstoff in Eisen sich auch an Korngrenzen akkumuliert. Hier zeigt sich sogar, dass nicht nur Korngrenzen stabilisiert werden, sondern auch, dass die Gesamtfläche der Korngrenzen durch das Vorhandensein von Kohlenstoff vergrößert werden kann.

Ein weiteres Beispiel ist Bismut in Kupfer [87]. Bei erhöhten Temperaturen (1223 K) diffundiert Bismut an die Korngrenzen. An diesen bilden sich nun facettierte Hohlräume, deren Oberflächen mit Bismut bedeckt sind. Dieses Beispiel zeigt, dass die Stabilisierung bzw. die Energiereduzierung des gesamten Material soweit gehen kann, dass neue Kristallbaufehler erzeugt werden können.

Die thermodynamische Beschreibung der Interaktion von gelösten Fremdatomen im Material mit Kristallbaufehlern erfolgt im Rahmen des Defactant-Konzepts und soll im Folgenden kurz vorge-stellt werden. Anschließend wird auf die atomaren Vorgänge bei der Interaktion von Versetzungen mit Fremdatomen eingegangen.

Das Defactant-Konzept

Um die Entstehung von Defekten in einen thermodynamischen Kontext zu erklären, kann die Helmholtz-Freie-Energie betrachtet werden. Diese setzt sich aus der inneren EnergieU und dem Entropieanteil T S zusammen. Dabei werden zwei Entropieanteile unterschieden, einen Vibrati-onsanteil Svib und einen der die Konfigurationsentropie Sconf [45]. Die Helmholtz-Freie-Energie ergibt sich danach zu:

F =U−T(Sconf +Svib) (2.31)

Wird ein Defekt gebildet, so steigt die innere Energie um die Defektenergie γ an. Des Weiteren steigt auch die Konfigurationsentropie [45]. Für Leerstellen sind diese beiden Beiträge in der glei-chen Größenordnung, dies bedeutet, dass im Gleichgewicht Leerstellen vorhanden sein müssen, deren Gleichgewichtskonzentration konstant ist [45] (siehe auch Kapitel 2.1).

Für andere Defekte (Bspw. Versetzungen oder Korngrenzen) ist die Änderung in der Konfigurati-onsentropie klein gegenüber der Defektenergie, daher sind diese Defekte nicht thermodynamisch stabil.

Sind im Material Fremdatome gelöst, ändert sich diese Betrachtung. Gelöste Fremdatome ändern die innere Energie, indem das Material verspannt wird und die lokale Elektronendichte beeinflusst wird [19, 88–90].

Ein Kristallbaufehler beeinflusst auch diese Anteile der inneren Energie [45, 91–93], was nahelegt, dass Fremdatome mit Defekten interagieren müssen.

Dieses Zusammenspiel wird im Defactant-Konzept beschrieben [27–30].

Dabei stellt das Defactant-Konzept eine Weiterentwicklung der Theorie zur Beschreibung der

In-teraktion von gelösten Stoffen mit Oberflächen dar, welche von Gibbs [94] beschrieben wurde.

Werden bspw. Lipide5 in Wasser gelöst, bildet sich an der Oberfläche Schaum, d. h. die Oberflä-che wird vergrößert und mehr Lipide finden eine energetisch günstige Position. Gibbs hat diese Systeme wie folgt beschrieben [94]:

dγ =−ΓAA (2.32) Wenn sich gelöste Stoffe Aan einer Oberfläche aanlagern und dabei eine Stoffmenge ΓA, Excess genannt, annehmen, reduziert sich die Oberflächenenergie γ je nach der angebotenen Stoffkon-zentration oder allgemeiner mit dem chemischen Potential µA, unter der Voraussetzung, dass die Anzahl der Wirtsatome nB unverändert bleibt.

Zur Verallgemeinerung auf Kristallbaufehler müssen die beteiligten Parameter so definiert werden, dass diese durch messbare Größen und mit Hilfe von bekannten Parametern dargestellt werden können.

Daher wird für Versetzungen der ExcessΓDA (engl.:Dislocation) durch die Anzahl der Fremdato-menA pro Längeneinheitl ermittelt; für Leerstellen wird der Excess ΓVA (engl.:Vacancy) durch die Anzahl der Fremdatome auf die Anzahl der Leerstellen ermittelt:

ΓDA = ∂nA Die Oberflächenenergie wird ersetzt durch die LinienenergieγD bei Versetzungen bzw. durch die BildungsenergieFv bei Leerstellen, somit kann die Gleichung 2.33 wie folgt für Versetzungen bzw.

für Leerstellen dargestellt werden: Um quantitative Aussagen z. B. über die Linienenergie einer Versetzung in Abhängigkeit der Konzentration von gelösten Fremdatomen zu erhalten, muss die Abhängigkeit des Excess vom chemischen Potential bekannt sein. Daher setzen hier Untersuchungen an [40, 95–97].

Qualitativ lässt sich die Defektenergie als Funktion des chemischen Potentials wie folgt erklären (vgl. Abbildung 11): Bei kleinen chemischen Potentialen, d. h. bei kleinen Konzentrationen befin-den sich nur wenige Fremdatome an befin-den Defekten. Daher wird die Defektenergie kaum verändert.

Wird das chemische Potential der Fremdatome erhöht, lagern sich Fremdatome an den Defekten an. Je nach Abhängigkeit des Excesses vom chemischen Potential ergibt sich ein Gleichgewichtsex-cess ΓsatA (Verlauf 1 in Abbildung 11) oder der Excess nimmt mit chemischen Potential weiter zu (Verlauf 2 in Abbildung 11). Dies hat nach Gleichung 2.33 zur Folge, dass die Defektenergie ab-nimmt.

Wird das chemische Potential weiter erhöht, kommt es, falls die Defektenergie Verlauf 1 oder 2 in Abbildung 11 folgt, dazu dass die Defektbildungsenergie auf Null absinkt. Dies bedeutet, dass neue Defekte entstehen können, welche wiederum Fremdatome aufnehmen und somit das chemische Potential wieder herabsetzen. Es werden beim Erreichen vonγ = 0 nicht beliebig neue Defekte entstehen, sondern nur so viele, sodass das chemische Potential wieder entsprechende Werte unterschreitet und somit wieder gilt γ > 0. So gesehen beschreibt dieser Vorgang eine

5Lipide sind Moleküle, welche aus einen hydrophilen und einen hydrophoben Anteil bestehen und daher ihre energetisch günstigste Position finden, wenn sich ein Teil im Wasser und der andere Teil außerhalb befindet.

Phasenumwandlung von defektfreiem Material hin zu defektreichem Material, bei der, wie bei einer Phasenumwandlung 1. Ordnung, das chemische Potential bei Erhöhung der Konzentration konstant bleibt. Gibt es jedoch einen konkurrierenden Phasenübergang, bspw. die Bildung einer Hydridphase im Fall von Metall-Wasserstoffsystemen, bleibt das chemische Potential aufgrund der Phasenumwandlung konstant und die Defektenergie bleibt konstant, es ergibt sich Verlauf 3 in Abbildung 11.

Abb. 11 Schematische Abhängigkeit der De-fektenergieγ vom chemischen PotentialµA. Bei kleinen chemischen Potentialen segregieren nur wenige Atome an Defekten, der Excess Γ ist klein. Daher wird γ kaum beeinflusst. WirdµA erhöht ergibt sich je nach der Abhängigkeit Γ aufµAeine Sättigung des ExcessesΓsatA (Verlauf 1) oder Γ nimmt mit µA zu (Verlauf 2). Wird γ = 0erreicht bilden sich neue Defekte, solange freie Fremdatome vorhanden sind und somitµA genügend groß ist. Gibt es einen konkurrieren-den Phasenübergang bleibtµA und somitγ bei Erhöhung der Konzentration konstant, es ergibt sich Verlauf 3. Abbildung übernommen aus [27].

Zusammengefasst wird die Gesamtenergie eines Material mit Kristallbaufehlern reduziert, wenn Fremdatome sich an diesen anlagern und somit die Defektenergie reduzieren. Der Grund dafür setzt sich zusammen aus dem Abbau von mechanischen Spannungen im Material [18, 40, 44] und der Reduzierung der lokalen Elektronendichte [98–101], wenn Fremdatome an einen Kristallbau-fehler diffundieren.