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Technik und Positionierung

Im Dokument Die multiple Identität der Technik (Seite 175-183)

Widerständigkeit der Dinge

4.5. Konzept einer narrativen Identität der Technik

4.5.2. Technik und Positionierung

an-derem stellen Narrationen denmodus operandidar, durch welchen technische Identitä-ten erst konstituiert werden. Durch die Möglichkeit ihrer Analyse mit Hilfe narrativer Verfahren eröffnen sie somit einen empirischen Zugang sowohl zu den konstituieren-den Herstellungsmechanismen technischer Ikonstituieren-dentität (hier vor allem die Ikonstituieren-dentitätszu- Identitätszu-weisung durch Positionierung) als auch zu der Analyse ihres sozialen Sinns sowie ihrer symbolischen Struktur selbst.

Aktivi-tätsgrade, die von Technik übernommen werden können – im Hinblick auf technische Artefakte die Rede von Positionierungsaktivitäten(statt Positionierungspraktiken) sein.

Positionierung durch menschliche Akteure

In ihren Studien zur Membrantechnologie sowie eines Projekts, das mit der Entwick-lung eines neuen Enzyms betraut war, haben sowohl Van Lente und Rip (1998a; 1998b) als auch Deuten und Rip (2000) gezeigt, dass Positionierungvon Menschen und durch Menschen (Mensch Mensch) keineswegs auf das Feld der psychologischen Identitätsfor-schung beschränkt ist, sondern Positionierungen in den unterschiedlichsten Kontexten und so auch im Zuge technischer Entwicklungen eine entscheidende Rolle spielen. Da-bei stehen den betroffenen Akteuren innerhalb des technologischen Felds die gleichen Positionierungs-Mechanismen zur Verfügung, die zuvor insbesondere in Anlehnung an Lucius-Hoene und Deppermann (2004 a+b) sowie Langenhove und Harré (1999) bereits herausgearbeitet wurden, nämlich: Selbst- und Fremdpositionierung, Positionierungen erster, zweiter und dritter Ordnung (performativeundaccountive positioning), direkte und indirekte Positionierung, persönliche und moralische Positionierung sowie in Ergän-zung zu den genannten Autoren vor allem auch nonverbale Positionierung. Diese Idee, dass »positioning is not necessarily through conversation and immediate interaction, but also through statements and (public) acts« (Van Lente/Rip 1998b: 220) stellt eine Erweiterung des ursprünglichen Konzeptes dar. Anzumerken ist hierbei, dass Positio-nierung nicht nur dann stattfindet, wenn die Akteure aktiv etwas verbal oder nonverbal tun, sondern auch dann, wenn sie nichts tun, eine Handlung vermeiden o.ä. (vgl. Van Lente/Rip 1998a: 242). Dieser Punkt hält insbesondere für die weiterführenden Überle-gungen zur Positionierung durch Technik interessante Anknüpfungspunkte bereit, die an späterer Stelle näher ausgeführt werden. Entscheidend ist, dass Positionierung in den genannten Konzepten nicht primär zur Analyse der Herausbildung von Identitä-ten herangezogen wird, sondern zur Klärung der Stabilisierungsmechanismen inner-halb eines technologischen Feldes. So positionieren sich in der Studie von Deuten und Rip die beteiligten Akteure in Bezug auf neue Technologien und deren Entwicklung beispielsweise als ›innovator‹oder als ›hero‹(vgl. Deuten/Rip 2000: 88) und erhalten ent-sprechende, ebenfalls technikbezogene Gegenpositionierungen anderer Akteure. Auf der Basis dieser wechselseitigen Positionierungen entstehen eine gemeinsame Agenda (vgl. Van Lente/Rip 1998a+b) sowie narrative Infrastrukturen (vgl. Deuten/Rip 2000), die für den Verlauf des Innovationsprozesses handlungsleitend sind.

Innerhalb eines technologischen Feldes positionieren sich aber nicht nur die betei-ligten Akteure gegenseitig, sondern es werden gleichermaßen die im Mittelpunkt der Aktivitäten stehendenTechnologien durch menschliche Akteure positioniert(Mensch Technik).

Hierbei kann es sich einerseits um Positionierungen der aktuellen Technologien han-deln, andererseits können sich die Positionierungsaktivitäten aber auch auf zukünftige Technologien beziehen. In beiden Fällen nehmen die Akteure Stellung im Hinblick auf die Technologie und weisen ihr zugleich eine bestimmte Position im Geschehen zu – im Falle des Enzyms ›Gemmase‹ beispielsweise ebenfalls die Position als ›Held‹, der das zuvor ebenso positionierte Projektteam in dieser Funktion ablöst und fortan das Pro-jektgeschehen bestimmt (vgl. Deuten/Rip 2000: 88). Auf diese Weise werden die

techno-logischen Artefakte in das Agenda-Buildung sowie die narrativen Infrastrukturen aktiv eingebunden und erhalten ihre Rolle als ›narratives Personal‹ im Verlauf der Geschich-te – entweder als aktueller oder aber künftiger AkGeschich-teur, wie in dem genannGeschich-ten Beispiel als »gemmase-to-be« (Deuten/Rip 2000: 88). Gleichzeitig fungieren die positionierten Artefakte als Referenz- und Knotenpunkte für weitere (zustimmende oder ablehnende) Positionierungen der beteiligten Akteure und werden somit Teil eines Netzes von Ver-bindungen und Abhängigkeiten (vgl. Van Lente/Rip 1998a: 235). Um das Wohlwollen so-wie die Unterstützung relevanter Akteure aufrecht zu erhalten, kann es darüber hinaus erforderlich sein, die Positionierungen an sich ändernde Gegebenheiten anzupassen und die Technologie entsprechend zu re-positionieren (vgl. Deuten/Rip 2000: 79). Auch im Fall der Positionierung technologischer Artefakte durch menschliche Akteure stehen grundsätzlich alle zuvor genannten Positionierungsaktivitäten zur Verfügung: Ebenso ergibt sich hier eine Differenz zwischen der Positionierung in der Erzählsituation sowie der erzählten Situation (beispielsweise in Geschichten über die betreffende Technolo-gie und ihre damalige Positionierung). Darüber hinaus können die Akteure zum einen ihre Haltung gegenüber der Technologie zum Ausdruck bringen (Selbstpositionierung), aber auch dem Artefakt selbst eine bestimmte Position (beispielswiese eben als ›Held‹) zuweisen (Fremdpositionierung). Die Positionierung kann dabei etwas über die ›per-sönlichen‹ Eigenschaften der Technologie (persönliche Positionierung) aussagen (bei-spielsweise, wenn Apple sein MacBook Air als »leistungsstarkes« Gerät mit »unglaub-licher Leistung« positioniert, das »bereit für alles« ist29), oder aber über die ›morali-sche‹ Funktion der Technologie (moralische Positionierung), beispielsweise als ›lebens-rettende‹ Technologie (vgl. Opitz 2007). Die Positionierungsaktivitäten gegenüber der Technologie können sowohl verbal (beispielsweise mündlich im Rahmen von Vorträgen sowie schriftlich innerhalb eines Projektplans) oder aber nonverbal (beispielsweise, in-dem der Technologie im Rahmen einer Versuchsanordnung eine bestimmte Position zugewiesen wird) erfolgen. Neben diesen Positionierungen erster Ordnung antworten die Akteure ihrerseits auch auf Positionierungsaktivitäten seitens der Technik. Entwe-der, indem sie diese annehmen (zum Beispiel, indem weitere Entwicklungsanstren-gungen aufgegeben werden, sobald die Technik sich als widerständig erweist und den Entwickler als ›gescheitert‹ positioniert; perlokutiver Effekt), ihrerseits die Technik neu positionieren (dies wäre unter anderem der Fall, wenn im o.g. Beispiel der Entwickler die Entwicklungsarbeit fortsetzt und der Technik im Zuge dessen eine neue Position zuweist;counter positioning, Positionierung zweiter Ordnung) oder in Gesprächen mit anderen die Technik neu positioniert (zu denken ist hierbei beispielsweise an Gesprä-che unter Kollegen über die Technik;accountive positioning).

Positionierungsaktivitäten nicht-menschlicher Akteure

Es stellt sich nun die nicht ganz einfache Frage, ob sich die bisherigen Überlegungen zur Positionierung auch auf Technik ausweiten lassen. Während Positionierungen erster Ordnung häufig unintendiert und unbewusst vorgenommen werden, ist zumindest bei Gegenpositionierungen davon auszugehen, dass die Akteure sich bewusst und auf der Basis strategischer Überlegungen positionieren. Legt man dieses Kriterium zugrunde, 29 URL: www.apple.com/de/macbook-air/, Zugriff: 06.02.17

hätten sich die weiteren Überlegungen bereits an der Stelle erübrigt, denn man wird mit Recht wohl kaum davon ausgehen können, dass Technik sich und andere absicht-lich und auch noch mit Kalkül in einer bestimmten Weise positioniert. Allerdings wur-de auch erwähnt, dass man sich und anwur-dere auch durch Nicht-hanwur-deln positionieren kann. Dies birgt einen interessanten Gedanken, der das Positionierungskonzept in die Nähe zu Paul Watzlawicks mittlerweile schon proklamatischen Aussagen »Man kann sich nichtnichtverhalten [Hervorheb. im Orig.]« (Watzlawick 1996: 51) rückt: »Wenn man also akzeptiert, daß alles Verhalten in einer zwischenpersönlichen Situation Mit-teilungscharakter hat, d.h. Kommunikation ist, so folgt daraus, daß man, wie immer man es auch versuchen mag, nichtnicht[Hervorheb. im Orig.] kommunizieren kann«

(Watzlawick 1996: 51). Daraus folgernd, dass man nicht nur durch aktives Handeln, son-dern ebenso durch das Vermeiden von Handlungen sich und andere positioniert, ist es naheliegend, dass man nicht nur durch geplante, beabsichtigte Handlungen oder deren Unterlassung eine Positionierung durchführt, sondern auch dadurch, dass man sich einfach überhaupt (nicht) verhält. Es besteht nämlich durchaus die Möglichkeit, dassEgozwar keine bestimmte Positionierung beabsichtigt, dasAlter Egodies jedoch als eine bestimmte Form der Positionierung versteht und entsprechend darauf mit ei-ner zustimmenden oder aber eiei-ner Gegen-Positionierung reagiert. Getreu Luhmanns Kommunikationsverständnis, dass Kommunikation dann stattfindet, wenn das Gegen-über etwas als Kommunikation versteht, wobei dieses »Verstehen mehr oder weniger weitgehende Mißverständnisse als normal ein[schließt]« (Luhmann 1987: 196), ließe sich sagen, dass Positionierung dann stattfindet, wenn sie als solche von anderen Akteuren aufgenommen wird. So mag es beispielsweise keineswegs als bestimmte Form der Po-sitionierung beabsichtigt sein, wenn eine Person A eine Person B bittet, das Fenster zu schließen.30Person B mag dies aber durchaus so auffassen, als sei ihr nun die Position eines ›ausführenden Organs‹ zugewiesen worden und reagiert ihrerseits nun mit der entsprechenden Gegen-Positionierung ›Was fällt Ihnen ein, mich zu kommandieren?

Ich bin nicht Ihr Lakei‹.31Hieraus ließe sich dann in Anlehnung an Watzlawick folgern:

›Man kann nicht nicht positionieren‹. Dieser Aspekt hat nicht nur für menschliche Posi-tionierungen weitreichende Konsequenzen, sondern insbesondere auch für die Auswei-tung der Überlegungen zur Positionierung auf nicht-menschliche Akteure, denn wenn davon auszugehen ist, dass Positionierungen keineswegs einer strategischen Logik fol-gen müssen, um als solche verstanden und sozial wirksam zu werden, dann kommen auch nicht-menschliche Akteure als potentielle Urheber von Positionierungen in Be-tracht.

Allerdings – und hierauf soll an dieser Stelle nachdrücklich hingewiesen werden – soll die Analogiebildung zwischen den Positionierungspraktiken menschlicher sowie den Positionierungsaktivitäten nicht-menschlicher Akteure nicht überstrapaziert wer-den. Um mögliche Einwände vorweg zu nehmen, sei deshalb an dieser Stelle betont, 30 Das anschließene Beispiel folgt frei einem Beispiel von Lucius-Hoene und Deppermann (2004b:

170).

31 An dieser Stelle wird die Nähe des Positionierungskonzeptes zu anderen – vor allem kommunika-tionsbezogenen – psychologischen Konzepten wie beispielsweise den unterschiedlichen Ebenen einer Nachricht (hier allen voran der Beziehungs- sowie der Selbstoffenbarungsebene), wie sie Schulz von Thun (1995) herausgearbeitet hat, deutlich.

dass von Positionierungsaktivitäten durch technische Artefakte in gleichem Ausmaß wie bei menschlichen Akteuren keine Rede sein kann (schon gar nicht im Sinne stra-tegischer Positionierung). Jedoch – und auch dieser Aspekt soll an dieser Stelle in aus-reichendem Maße Berücksichtigung finden – ähneln einige technische Aktivitäten in verblüffender Weise den zuvor genannten Positionierungspraktiken menschlicher Ak-teure, vor allem aber erfüllen sie eine ähnliche (soziale) Funktion. Es stellt sich nun die Frage, wienicht-menschliche Artefakte menschliche Akteure (Technik Mensch) positionie-ren bzw. counter-positioniepositionie-ren. Zur Veranschaulichung sei das Beispiel der Positions-bestimmung via A-GPS (›Assisted Global Positioning System‹) herangezogen. Hierbei handelt es sich um eine Positionsbestimmungstechnologie auf Basis eines ›Global Po-sitioning Systems‹ (GPS), die zusätzlich Ortungsinformationen aus dem Mobilfunknetz (beispielsweise UMTS, WLAN oder GSM) erhält, wodurch sich Ortungen schneller und präziser durchführen lassen sollen. Vor diesem Hintergrund beschreibt die Siemens AG (Corporate Communications) als einer der ersten Anbieter für standardisierte A-GPS-Systeme in einer Pressemitteilung vom 13.05.2005 auf ihrer Homepage die neue Technologie wie folgt:

In addition, in areas with many tall buildings, the satellites’ signals are often so weak that GPS does not work reliably. With A-GPS, the mobile device receives information about the satellites’ orbit, frequencies and functionality over the wireless network. As a result, it can detect and analyze even weak satellite signals at lightning speed.32

Positioniert wird die A-GPS in diesem kurzen Statement als eine Technologie, die in der Lage ist, insbesondere auch in Gebieten mit hoher Bebauung schwache Signale schnell zu empfangen und somit die aktuelle Position zu orten (first order positioning).

Im praktischen Einsatz wiederum zeigt sich, welche Position die A-GPS-Technologie selbst einnimmt: Funktioniert sie in der gewünschten Weise und erfüllt somit die an sie herangetragenen Erwartungen, lässt sich von einer Positionierung ähnlich dem be-reits dargestelltenperformative positioning(die zugewiesene Positionierung wird ange-nommen und die gewünschte Aktivität von der Technologie ausgeführt) sprechen. Er-füllt die A-GPS-Technologie diese Erwartungen jedoch nicht und erweist sich im zuvor genannten Sinne als widerständig, entspräche dies einer Positionierung zweiter Ord-nung, auf die die beteiligten Akteure (hier die Siemens AG) wiederum reagieren kön-nen (indem entweder die Positionierungen der Technologie oder aber die Technologie selbst angepasst werden). Im Falle von A-GPS zeigt sich, dass die Technologie die in sie gesetzten Erwartungen offensichtlich nicht zu erfüllen vermochte und somit die ihr zugewiesene Positionierung als besonders präzise und schnelle Ortungstechnolo-gie zurückwies. So ergab eine von dem Konkurrenzunternehmen TruePosition Inc. in Zusammenarbeit mit dem Marktforschungsunternehmen ABI Research durchgeführte Untersuchung, dass A-GPS »performs poorly or completely fails to perform in dense urban areas (urban canyons) and indoor environments« (Bonte/Burdon 2011: 4). Damit wurde die von Siemens lancierte Positionierung als Technologie, die insbesondere »in

32 Siemens-Pressemitteilung vom 13.05.2005 [URL: www.siemens.com/corp/apps/search/en/index.

php, Zugriff: 19.08.11].

areas with many tall buildings« (s.o.) funktioniert, von der Technologie selbst zurück-gewiesen und die Siemens AG indirekt selbst als Akteur positioniert, der sich ›geirrt‹

hat.33

Technik positioniert menschliche Akteure aber nicht nur, indem sie gewünschte Aktivitäten vermissen lässt (was einerPositionierung durch Nicht-handelnentspräche, vgl.

Van Lente/Rip 1998a: 242), sondern auch, indem sie pro-aktiv Aktivitäten zeigt und sich eigenmächtig in den Handlungsstrom einklinkt. Ein Beispiel hierfür stellt die soge-nannte Sicherheitstechnik dar, die zunehmend in moderne Fahrzeuge integriert wird.

Das Spektrum reicht hier von visuellen und akustischen Rückmeldungen, sofern ein Fahrzeuginsasse nicht angeschnallt ist über Nachtsichtassistenten, welche die Fahr-bahn mit Infrarotlicht ausleuchten und auf diese Weise beispielsweise Fußgänger bes-ser erkennen können bis hin zu Aufmerksamkeitsassisten (attention assist), die auf Ba-sis eines Sensors, der das Lenkverhalten erfasst sowie weiterer Paramter analysieren, ob sich im Fahrverhalten des Fahrzeuglenkers Müdigkeitserscheinungen zeigen und diesen gegebenenfalls durch akustische Signale sowie Warnhinweise im Display auf-fordern, die Fahrt zu unterbrechen und eine Pause einzulegen. Besonders eindrucks-voll gestaltet sich ein Abstandsregelsystem der Handelsmarke Mercedes-Benz (Daim-ler AG), welches einen Abstandsregeltempomat, einen Bremsassistenten sowie eine Si-cherheitsbremse integriert und im Falle einer als hochkritisch eingestuften Fahrsitua-tion, bei der keine Reaktion des Fahrers erfolgt, eine automatische Vollbremsung ver-anlasst.34Gemeinsam ist diesen Sicherheitssystemen, dass ihnen zum einen offenbar mehr Kompetenz in Sachen Gefahrenerkennung und -vermeidung zugeschrieben wird als dem Fahrer des Automobils und zum anderen, dass sie darüber hinaus im Zweifels-fall zum Teil sogar die ›Handlungs‹hoheit über das Geschehen haben. Der menschliche Akteur erhält dadurch den Status einer Person, die einen ›Fehler‹ macht, nicht alles 33 Kritiker mögen im Hinblick auf das genannte Beispiel A-GPS einwenden, dass die herangezogene Studie von einem Konkurrenzunternehmen durchgeführt wurde, welches das Interesse verfolgt, die Vorteile der eigenen, nicht aber die der Konkurrenzprodukte (in diesem Fall A-GPS) hervorzu-heben. Dieser Einwand ist durchaus ernst zu nehmen und verweist auf ein später noch zu erörtern-des Problem, nämlich das erörtern-des methodischen Zugangs. Um sicher zu gehen, dass tatsächlich auch die (Positionierungs-)aktivitäten der Technik, nicht aber die strategischen Statements beteiligter Akteure erfasst werden, wäre es in der Tat sinnvoll, die Technik ›in Aktion‹ – beispielsweise im Zuge einer Feldstudie – zu erfassen. Da dies jedoch, wie bereits erwähnt, in den meisten Fällen die zeit-lichen, finanziellen und personellen Ressourcen der Forscher sprengen würde, ist die Forschung zum Teil auf wissenschaftliche Darstellungen über die Aktivitäten einzelner Technologien ange-wiesen. Um dennoch eine methodische Distanz zu wahren, ist ein quellenkritischer Umgang mit dem herangezogenen Datenmaterial unerlässlich. Im Rahmen der nachfolgend durchgeführten Fallstudie zur AR-Technologie steht eine ausreichende Anzahl unterschiedlicher Dokumente mit heterogener Urheberschaft zur Verfügung, die es ermöglicht, die dargestellten, der Technik zuge-schriebenen Aktivitäten mit ausreichender Distanz zu beurteilen. Für Einzelbeispiele wie in die-sem Fall der A-GPS-Technologie, ist dies deutlich schwieriger. Anzumerken ist jedoch, dass das her-angezogene Einzelbeispiel hier der Verdeutlichung eines grundsätzlichen Prinzips – nämlich dem der Positionierung durch Technik – nicht aber der tatsächlichen Beurteilung der A-GPS-Technolgie dient, weshalb es – mit Verweis auf die Notwendigkeit eines quellenkritischen Umgangs mit den herangezogenen Daten – als legitim erscheint.

34 URL: www.mercedes-benz.de/content/germany/mpc/mpc_germany_website/de/home_mpc/pas-sengercars/home/new_cars/models/s-class/w222/facts_/comfort/safety.html; Zugriff: 06.02.17

ausreichend unter Kontrolle hat, nicht länger autonom handeln darf und durch das technische System ›geschützt‹ werden muss.35

Man muss allerdings noch nicht eimal auf moderne Hochtechnologien verweisen, um die Positionierungsaktivitäten technischer Artefakte herauszustellen. Auch das im Zusammenhang mit der Kontroverse um die ›beste‹ Fahrradbereifung sowie Reifengrö-ße von Pinch und Bijker herangezogene Beispiel des Fahrradrennens zeigt, wie mensch-liche Akteure durch technische Artefakte positioniert werden. In diesem Fall positio-nierte ein luftbereiftes Niedrigrad durch den Gewinn des Fahrradrennens sowohl die Fahrer der Hochräder als auch andere relevante Akteure, die in Fahrrädern mit Luftbe-reifung und Niedrigrad allenfalls Fortbewegungsmittel für ältere Personen sowie Frau-en sahFrau-en, als ›Verlierer‹ bzw. ›sich IrrFrau-ende‹, währFrau-end es gleichzeitig die Fahrer dieser Fahrräder sowie die Akteure, die an luftbereifte Niedrigräder glaubten, als ›Gewinner‹

bzw. ›Recht habende‹ positionierte. Das gleiche gilt selbstverständlich auch für moder-ne Renmoder-nen, beispielsweise in der Formel 1. Auch hier positionieren sich nicht nur die Rennfahrer gegenseitig als Gewinner und Verlierer, sondern sie werden auch durch die von ihnen benutzten Fahrzeuge, ohne die kein Rennfahrer ein Rennen gewinnen würde, positioniert. Gleichzeitig erfolgt, wie das Beispiel eines Autorennens verdeutlicht, auch eine Positionierung der anderen technischen Artefakte (Technik Technik).So werden nämich die übrigen an einem Rennen beteiligten Fahrräder oder Rennwagen ebenfalls positioniert, nämlich als ›besser‹ oder ›schlechter‹. Der Fall, dass auch technische Artefakte sich ge-genseitig positionieren, betrifft nicht nur Rennen, sondern darüber hinaus auch andere Konkurrenzsituationen, in denen unterschiedliche Technologien beispielsweise um die Durchsetzung am Markt wetteifern, wie dies in Innovationsprozessen der Fall ist. Hier werden die wetteifernden Technologien im Laufe des Innovationsprozesses entweder als ›besser oder aber als ›überholt positioniert – Letzteres vor allem in Fällen, in de-nen sich die innovative, neue Technologie wider Erwarten als schlechter gegenüber den bereits bestehenden Produkten erweist. Noch deutlicher wird die wechselseitige Posi-tionierung der technischen Artefakte am Beispiel der sogenannten ›RoboCups‹. Hierbei handelt es sich um Fußballturniere zwischen Robotern, die regelmäßig in verschiede-nen Ligen ausgetragen werden.

Nun liegt die Vermutung nahe, dass die Positionierung menschlicher Akteure durch technische Artefakte allenfalls non-verbal, d.h. durch die beschreibbare Aktivität, die die Technik in einer bestimmten Situation an den Tag legt, erfolgt. Moderne Technik greift aber immer mehr auch auf integrierte Sprachsysteme zurück, wie das Beispiel des Schachprogramms ›Fritz‹ der Firma ChessBase GmbH zeigt. Hier erfolgt die Positionie-rung der Akteure durch das System nicht mehr länger non-verbal und implizit, sondern verbal und explizit durch die Stimme des Kabarettisten Matthias Deutschmann. Ver-gleichbar sind Stimmen für Navigationsgeräte, die einen beispielsweise mit der deut-schen Stimme von Bruce Willis als ›Schweinebacke‹ positionieren (vgl. Schwartz 2010).

35 Kritiker mögen einwenden, dass sich keineswegs jeder bevormundet fühlt, sofern das automati-sche Bremssystem aktiviert wird. Das ist sicherlich richtig, trifft gleichermaßen jedoch auch auf die Positionierung menschlicher Akteure durch menschliche Akteure zu. Auch hier hängt es von der Psychodynamik des einzelnen sowie des kommunikativen Systems ab, ob sich jemand durch die Aufforderung, das Fenster zu schließen, als ›Befehlsempfänger‹ positioniert fühlt.

Die Beispiele verdeutlichen, dass die Positionierung durch Technik auf vielfältige Wei-se möglich ist: Sei es dadurch, dass Technik aktiv etwas ›tut‹ (z.B. ein Sicherheitssys-tem, das in das Fahrverhalten eingreift) oder aber etwas unterlässt (z.B. die A-GPS-Technologie, die schwache Signale in urbanen Gebieten ebennichtempfängt und somit keine präzise Ortung gewährleistet), sei es, dass sie auf eine Positionierung seitens menschlicher Akteure reagiert und diese counter-positioniert (vgl. Widerständigkeit der Technik) oder aber von sich aus neue Optionen anbietet (vgl. unerwartete Optionen der Technik). Im praktischen Umgang mit der Technik erfahren nicht nur menschliche Akteure eine bestimmte Positionierung, sondern auch die Technik selbst, was beson-ders deutlich wird, wenn sie dem Nutzer überraschend neue Nutzungsmöglichkeiten eröffnet und dadurch eine neue Position einnimmt. Dabei findet sich die Idee, dass Technik dem Nutzer bestimmte Verhaltens- und Verwendungsweisen vorgibt bzw. an-dere wiederum ausschließt, ähnlich auch bei anan-deren Autoren, so bereits bei Linde (1972; 1982), der die von der Technik ausgehenden Sachzwänge sowie die technikin-härenten Anweisungen betont oder bei Degele, die etwas lakonisch konstatiert: »Ei-ne Uhr kann man zum Wecken wie auch zum Zeit messen benutzen, nicht aber zum Zähneputzen« (Degele 2002: 120). Die Technik weist hierbei beispielsweise aufgrund ihres Designs sowie ihres Technisierungsschemas den Technikverwendern nicht nur im wörtlichen Sinne räumliche und zeitliche Positionen zu, die eingenommen wer-den müssen, um die Technik im gewünschten Sinne zu verwenwer-den36, sondern unter Umständen auch soziale Positionen wie die des ›Gewinners‹ oder ›Verlierers‹ oder gar des ›Unmündigen‹, der nicht länger durchgängig autonom agieren kann. Diese Posi-tionszuweisungen durch die Technik können von dem Verwender entweder akzeptiert (performative Positionierung durch Technik) oder aber abgelehnt bzw. modifiziert und somitcounter-positioniert werden (vgl. hierzu auch Linde 1972; 1982). Es ist darauf hin-zuweisen, dass hinter den Positionierungsaktivitäten technischer Artefakte natürlich immer menschliche Akteure wie beispielsweise Entwickler und Hersteller stehen, die durch die Wahl eines bestimmten Designs, Materials und Technisierungsschemas die von der Technik an den Tag gelegten Aktivitäten quasi in diese ›eingebaut‹ haben. Aller-dings – und auch dies sei betont – zeigen technische Artefakte dennoch nicht immer die ursprüngliche intendierte Wirkung, sondern ›agieren‹ mit einer gewissen Eigenmäch-tigkeit (so dürften beispielsweise die wenigsten Automobilingenieure intendieren, dass ihr Auto langsamer ist als die Konkurrenzfahrzeuge, die bei der Formel 1 teilnehmen).

Noch entscheidender ist jedoch, dass die ursprüngliche Beteiligung menschlicher Ak-teure in der gegenwärtigen Situation, in der diese AkAk-teure nicht mehr anwesend sind, keine Rolle mehr spielt. Nun nämlich tritt die Technik stattdessen den gegenwärtigen Nutzern quasi als ›Eigen-Wesen‹ gegenüber und übt kraft ihrer Eigenaktivität bzw. der

36 Ein insbesondere Skifahrern bekanntes Beispiel stellen in den Ski-Pass integrierte RFID-Chips dar.

Damit diese an der Absperrung zum Skilift ausgelesen werden und anschließend den Zugang frei-geben können, müssen sie in einem bestimmten Abstand und Winkel zu dem entsprechenden Lesegerät positioniert werden, was wiederum den Inhaber des Skipasses zu teilweise akrobatisch anmutenden Bewegungen zwingt, insbesondere dann, wenn der Skipass körpernah in einer Ta-sche der Bekleidung getragen wird und somit nicht nur der Skipass selbst, sondern der den Skipass tragende Körper entsprechend vor dem Lesegerät positioniert werden muss.

Wahrnehmung ihrer Eigenaktivität eine den menschlichen Akteuren vergleichbare so-ziale Funktion aus. Mit diesem Verständnis soll keineswegs einer Symmetrisierung von Mensch und Technik im Sinne Latours Vorschub geleistet werden, sondern die Überle-gungen folgen stattdessen auch in diesem Fall dem bereits dargestellten pragmatischen Verständnis technischer Aktivität im Sinne Rammerts und Schulz-Schaeffers.

Im Dokument Die multiple Identität der Technik (Seite 175-183)