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T HEORETISCHE UND EMPIRISCHE G RUNDLAGE DER P ROGNOSE

II. SEKUNDÄRANALYTISCHER TEIL

9. EINE PROGNOSE DER GESELLSCHAFTLICHEN ENTWICKLUNG BIS INS

9.1. T HEORETISCHE UND EMPIRISCHE G RUNDLAGE DER P ROGNOSE

In einem 1999 veröffentlichten IAB-Kurzbericht präsentieren Dostal und Reinberg die wichtigsten Ergebnisse der im gleichen Jahr erschienenen Erwerbsstrukturprognose (vgl.

Weidig/Hofer/Wolff 1999), die auf der Datenbasis von 1995 erstellt wurde. Basierend auf den vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Zusammenarbeit mit der Prognos AG erstellten Tätigkeitsprojektionen (vgl. Weidig/Hofer/Wolff 1999) wird in die-ser „methodisch neu strukturierten Pilotstudie der voraussichtliche Arbeitskräftebedarf nach Qualifikationsebenen bis zum Jahr 2010“ (Dostal/Reinberg 1999, S. 1) prognostiziert.

Um das Bild der zukünftigen Arbeitslandschaft zu vervollständigen, werden die Verände-rungen der deutschen Wiedervereinigung mitberücksichtigt, die in der Vorgängerstudie aus dem Jahre 1989 noch nicht absehbar waren. Obwohl sich die Rahmenbedingungen wegen der deutschen Einigung Anfang der 90er Jahre deutlich verändert haben, werden die Er-gebnisse der 1989 vorgelegten Vorgängerstudie von der aktuellen IAB/Prognos-Projektion aus dem Jahre 1999 im wesentlichen bestätigt und bereits im Titel des Artikels von Dostal und Reinberg (1999) benannt: Es zeichnet sich ein „ungebrochener Trend in die Wissens-gesellschaft“(vgl. Dostal/ Reinberg 1999, S. 1)8 ab.

Diesen Trend machen Dostal und Reinberg basierend auf der IAB/Prognos-Projektion an-hand der Veränderungen der Beschäftigtenanteile in einzelnen Branchen sowie in drei Tä-tigkeitsbereichen fest.

Ähnlich wie in den bereits von Fourastié (1954), Machlup (1962) und Porat (1976) entwi-ckelten Konzepten wird die Tätigkeitsstruktur auch in dieser Prognose in drei Bereiche unterteilt, die jedoch inhaltlich anders benannt und definiert werden. In der vorliegenden Prognose wird die Tätigkeitsstruktur nicht wie in der Drei-Sektoren-Theorie in einen pri-mären, sekundären und tertiären Sektor, sondern in folgende Tätigkeitsgruppen gegliedert:

?? Produktionsorientierte Tätigkeiten

?? Primäre Dienstleistungen

?? Sekundäre Dienstleistungen

8 Bei diesem im Folgenden häufig verwendeten Ausdruck wird nicht mehr auf die Zitatquelle verwiesen.

9. Eine Prognose der gesellschaftlichen Entwicklung bis ins Jahr 2010 63

Produktionsorientierte Tätigkeiten umfassen die Bereiche Gewinnen und Herstellen, Ma-schinen einrichten und einstellen, sowie Reparieren9. Es sind Berufe, deren Tätigkeits-schwerpunkt auf der Produktion, Wartung und Bereitstellung von landwirtschaftlichen und industriellen Produkten und Waren liegt.

Zu den in primären Dienstleistungsberufen zu leistenden Tätigkeiten zählen Handels- und Bürotätigkeiten sowie allgemeine Dienste wie Reinigen, Bewirten, Lagern und Transpor-tieren. In Anlehnung an Bell, der diese Art von Dienstleistungen dem tertiären und quart-ären Dienstleistungssektor zugeordnet hat, könnte man sie auch als „manuelle Dienstleistungen“ oder „Handarbeit“ bezeichnen. Wie der Name schon sagt, werden manuelle Dienstleistungen vorwiegend von Hand ausgeführt und unterliegen in den meisten Fällen dem sogenannten uno-actu-Prinzip, bei dem die Produktion und der Konsum der Dienstleistung zeitgleich erfolgt, so dass sie nicht übertragbar ist.

Sekundäre Dienstleistungsberufe umfassen Tätigkeiten, die in den Bereichen Forschen, Entwickeln, Organisieren, Managen, Betreuen, Pflegen, Beraten, Lehren und Publizieren anzusiedeln sind. Da diese Leistungen in der Regel physisch nicht greifbar sind und somit immaterielle Güter darstellen, vorwiegend geistig erbracht werden und in der Regel einen Hochschulabschluss oder ein vergleichbar hohes Qualifikationsniveau erfordern, können sie – in Abgrenzung zur Handarbeit – als „Kopf-“ oder „Wissensarbeit“ bezeichnet wer-den.

Exkurs: Wissensarbeit und Wissensberufe

Die meisten der unter die Kopfarbeit fallenden Dienstleistungen genießen aufgrund ihrer Wissensbasierung ein relativ hohes gesellschaftliches Ansehen und haben der Literatur und Prognosen zufolge in den letzten Jahren eine enorme Expansion erfahren, auch wenn sich eine einheitliche Bezeichnung noch nicht durchgesetzt hat. Diese Berufe, die es hier zu definieren gilt, werden oft mit Wissensberufen, Professionen, professionellen, akademi-schen oder freien Berufen gleichgesetzt. Zwar sind nicht alle Wissensberufe Professionen, da sich letztere „nicht auf die besondere Form des Wissens reduzieren“ (Kurtz 2003, S. 6) lassen, die eine Kombination aus Wissen und Handeln darstellt. Aber alle Professionen lassen sich als Wissensberufe bezeichnen und „stellen geradezu das Modell für das Ver-hältnis von Wissen und Handeln der heutigen Wissensberufe dar“ (ebd., S. 6). Professio-nen werden durch die besondere Form des erforderlichen professionellen Handelns von

9 Vgl. Tabelle 14: „Berufsbereiche nach dazugehörigen Tätigkeitsbereichen“ im Anhang dieser Arbeit.

anderen Berufsgruppen abgegrenzt. In der jüngsten Vergangenheit haben sie sich von einer kleinen, ehemals privilegierten Gruppe mit elitärem Charakter zu einer großen Gruppe mit vielfältigen Tätigkeitsfeldern und Beschäftigungsbedingungen entwickelt. Gleichzeitig hat die Konkurrenz innerhalb der einzelnen Professionen und zwischen ihnen zugenommen, so dass ihre noch bis vor Kurzem exklusive Stellung an Bedeutung verliert. Veränderungen der Erwerbsformen führen zu einer tendenziellen Zunahme unabhängiger Beschäftigung im Verhältnis zu den Selbständigen Professionen. Professionelle Berufe unterliegen ge-genwärtig einschneidenden Veränderungen ihrer Berufsausübung, wobei vor allem die Verbreitung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien, die Internationalisie-rung professioneller Dienste, die zunehmende Konkurrenz am Arbeitsmarkt, anspruchvol-lere Erwartungen der Klienten und nicht zuletzt die Veränderung rechtlicher und politi-scher Regelungen bedeutsam ist. Dadurch gibt es eine gewisse Tendenz, vormals beste-hende rigide Zugangsbeschränkungen zu den teilweise hochgradig regulierten Märkten für professionelle Dienstleistungen abzubauen und Aufgabenfelder für andere professionelle Anbieter zu öffnen.

Professionelle Arbeit zeichnet sich dadurch aus, dass Klientenprobleme nicht kausaladä-quat abgeleitet und keine „’einzig richtigen’ Problemlösungen“ bereitgestellt werden kön-nen, sondern dass Probleme „eher sinnadäquat [...] bearbeitet und Problemdeutungen an-geboten“ (Kurtz 2002, S. 58; Hervorhebungen im Original) werden, was auch auf die meis-ten wissensbasiermeis-ten Tätigkeimeis-ten zutrifft. Demzufolge ist professionelle Arbeit aufgrund ihrer Interaktionsabhängigkeit besonders komplex und kann, genauso wie Wissensarbeit, nicht einfach technologisch gelöst werden.

Wissensarbeiten bzw. -berufe umfassen Tätigkeiten, die sich dadurch auszeichnen, „dass das erforderliche Wissen nicht einmal erworben und dann angewendet wird“ (Kurtz 2003, S. 9), sondern erfordern vielmehr, „dass das relevante Wissen (1) kontinuierlich revidiert, (2) permanent als verbesserungsfähig angesehen, (3) prinzipiell nicht als Wahrheit, son-dern als Ressource betrachtet wird und (4) untrennbar mit Nichtwissen gekoppelt ist, so dass mit Wissensarbeit spezifische Risiken verbunden sind“ (Willke 1998, S. 21). Diese vier Voraussetzungen gelten auch für die unter den sekundären Dienstleistungen zusam-mengefassten Berufe, und werden im Folgenden als Wissensberufe angesehen und be-zeichnet.

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