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Eine Begründung für die Wahl einer Theorie als Denkmittel zur Bearbeitung einer vermeintlichen wissenschaftlichen Lücke kann aus vielerlei Richtungen erfolgen. Gleiches gilt für die Methoden-wahl. Plausibilität mit Blick auf die Eignung zur Zielerreichung ist hier das einzige Kriterium, auch wenn wissenschaftliche Moden oder Zwänge durch die institutionelle Anbindung manchmal ei-nen größeren Einfluss zu haben scheiei-nen als methodologische o-der metatheoretische Überlegungen.

Diese Arbeit folgt der Leitfrage: "Was ist eine erfolgreiche Auto-kratie?“ Sie hat das Ziel, einen normativen Autokratiebegriff zu entwickeln. Aus einer methodologischen und metatheoretischen Perspektive werden damit bereits wichtige Leitplanken für die Theorie- und Methodenwahl gesetzt.

Was ist damit gemeint? Vier Dinge: (1.) Zuvorderst eine episte-mologische Re-Fokussierung weg von "Wie-Fragen", hin zu

"Was-Fragen". (2.) Daraus folgend muss eine Theorie über eine ausreichende Abstraktionsfähigkeit verfügen, um die elementa-ren Funktionen des Politischen überhaupt erst in den Blick neh-men zu können. (3.) Dieses Postulat führt über zu dem Subjekt-Objekt-Dilemma gesellschaftlicher Beobachtungen. (4.) Und letztendlich muss Funktionalität mit Normativität in Einklang ge-bracht werden können.

1. Ontologische Leere

Ich teile die Beobachtung, dass sozialwissenschaftliche For-schung nur noch selten das Phänomen als solches in den Blick

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nimmt, sondern stattdessen ohne Umschweife direkt seine Me-chanismen verstehen will. Wir stellen uns die Frage nach der Sta-bilität von Autokratie und aggregieren heuristische Häufungen zu definitorischen Merkmalen, um diese dann wieder in den Da-ten zu suchen.

Interessanterweise ziehen auch vernehmbare Kritiker dieser For-schungsansätze keine radikaleren Konsequenzen. So hat Brian Epstein den Blick für die Frage nach der Ontologie des Sozialen neu geschärft: social sciences is largely overlooking a fundamen-tal question, the ‘what is it’ question (Epstein 2015b, S. Min 2:40 ff). Aber auch er hinterfragt nicht die soziologische Gestalt we-sentlicher Bausteine seines eigenen Lösungsweges, wie bspw. In-tentionen (Vgl. Epstein 2015a, S. 236ff). Trotz seines Beitrages für eine Neusensibilisierung der Gesellschaftswissenschaften führt sein induktiver Weg am Ende immer noch durch zu viel "open terrain" und nicht adressierte Fragen (Epstein 2015a, S. 277).

Notwendig ist deshalb ein Theoriegerüst, welches als "Superthe-orie"1 (Luhmann 2012b, S. 18–19) Anspruch auf fachspezifische2 sowie interdisziplinäre3 Universalität erhebt und damit die Onto-logie sozialer Phänomene zu beschreiben erlaubt. In diesem

1Fairerweise muss hier hinzugefügt werden, dass Luhmann den Begriff der Supertheorie nicht als wertendes Eigenlob meint, sondern im Sinne einer funktionalen Beschreibung. Oft genug wird in systemtheoretischer Sekundärliteratur anderes suggeriert oder gar polemisch unterstellt.

2Mit fachspezifische Universalität ist gemeint, dass die „soziologische Systemtheorie nicht auf einen bestimmten Bereich oder Aspekt

sozialwissenschaftlichen Denkens und Forschens beschränkt ist, sondern den Anspruch erhebt, grundsätzlich auf alle sozialwissenschaftlichen Fragen anwendbar zu sein." Dabei aber unterschiedliche Interpretationen und Wahrheitsvorstellungen durchaus zulässt, Willke 2006, S. 1–2.

3Durch die interdisziplinäre Universalität der „Allgemeinen

Systemtheorie“ (General Systems Theorie) ist eine interdisziplinäre integrierte Wissenschaft entstanden, die es erlaubt vergleichbare und deshalb mit

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Sinne fragte Niklas Luhmann die Sozialwissenschaften, "Was ist der Fall? und Was steckt dahinter? ‘" und appellierte daran, die methodologische Einheit der Disziplin nicht zu vergessen (Luh-mann 1993b, S. 246).

2. Funktionen des Politischen

Will man autoritäre Systeme sui generis und nicht ex negativo de-finieren sowie ein conceptual stretching vermeiden, ist ein "neut-raler Blick“ (Albrecht und Frankenberger 2010, S. 38) unerlässliche Voraussetzung für die Frage nach erfolgreicher Autokratie. Denn möchte man die autokratische Qualitätsmessung durch einen idealtypischen Autokratiebegriff fassen, verlangt dies eine Rück-besinnung auf die elementaren Funktionen des politischen Sys-tems. Niklas Luhmanns Systemtheorie bringt die notwendige Abstraktionsfähigkeit mit, die es erlaubt, Phänomene normativ zu entkleiden und sie analytisch auf ihren Wesenskern zu reduzieren, um nur ihre Funktionsweisen offenzulegen.

In dieser funktionalen Differenzierung liegt der Reiz dieser Theo-rie, die damit ein epistemologisches Reflektieren über die Onto-logie des Phänomens Autokratie erlaubt. Aber auch methodolo-gisch erfolgt durch die Sammlung quantitativer Daten und qua-litativer Sachverhaltsbeschreibungen eine "komplexere Empirie als das, was viele Beteiligte unter ‚empirischer Sozialfor-schung‘ verstehen" (Stichweh 2010, S. 24–25).

kumulativem Effekt kombinierbare Systemkonzepte über Disziplingrenzen hinweg zu bearbeiten", Willke 2006, S. 3.

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3. Beobachtung in der Gesellschaft

Dabei ist eine solch komplexe Empirie, verstanden als gesell-schaftliche Beobachtungen, sicherlich ein methodologisches Grundproblem der Sozialwissenschaften allgemein. Verfangen sich "Welt"-Beobachtungen, die dieses Subjekt/Objekt-Dilemma ignorieren, doch schnell in einem Forschungs-Bias: "the inno-cence of empirical collapse, when we can not longer pretend that

‘the object out there’ discloses how it wants to be observed, when we know that it is our eye that makes the object appear in a particular way" (Andersen 2010, S. 102). Zur Dekonstruktion die-ses Problems bietet die Systemtheorie den Beobachter zweiter Ordnung an (Vgl. u. a. Luhmann 1993a, S. passim). Es ist gleich-zeitig auch ein "Ansatz, um aus dem logischen Dilemma von In-duktion und DeIn-duktion herauszukommen", die sich als Suchpro-zesse für die Systemtheorie als unzulänglich erwiesen haben (Willke 2006, S. 126). Das Schließen von Teilen auf das Ganze scheitert an der charakterisierenden Beschreibung des sich erge-benden neuen Aggregatzustandes, genauso wie die Rückwirkun-gen dieser SystemeiRückwirkun-genschaften auf seine einzelnen Teile. Die Deduktion bleibt letztlich eine Antwort auf die Frage schuldig, woher sie die Gesamtheit, von der sie auf die sich bildenden Ele-mente schließt, herleitet (Willke 2006, S. 126). Die Systemtheorie führt durch die Differenzperspektive und den Beobachter zweiter Ordnung nicht nur einen Paradigmenwechsel ein, sondern be-rücksichtigt auch die Allgegenwärtigkeit von Komplexität, die so-ziale Beziehungen in modernen Gesellschaften durch einen steti-gen Prozess der Ausdifferenzierung in ihre Funktionssysteme zu meistern haben (Willke 2006, S. 2f). Dieser gesellschaftliche

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zess legt das Augenmerk auf ein weiteres methodologisches Er-fordernis gesellschaftlicher Beobachtungen, nämlich den Um-gang mit Stabilität in der Gesellschaft. Durch die "Verzeitlichung des Elementbegriffs und damit der ‚ Temporalisierung von Kom-plexität‘"(Stichweh 2010, S. 26), ermöglicht die Systemtheorie eine evolutionäre und prozessuale Betrachtung des politischen Systems im Sinne eines dynamischen Stabilitätsbegriffes, statt ei-ner unnatürlichen, konstanten Betrachtung gesellschaftlicher Sta-bilität.

Mit anderen Worten ermöglicht die Systemtheorie durch ihren Abstraktionsgrad ein epistemologisches Reflektieren ohne empi-rieblind zu sein. Die Differenzperspektive sowie die Beobachtung zweiter Ordnung überwindet nicht nur das Subjekt-Objekt-Di-lemma, sondern auch die Induktion-Deduktion-Problematik beim Schließen auf aggregierte Ganzheiten. Durch ihre univer-selle Reichweite kann sie es evolutorische Prozesse, also Tempo-ralisierungen in den Blick zu nehmen und erzeugt damit einen dynamischen, statt einen konstanten Stabilitätsbegriff.

4. Normativität und systemtheoretisches Denken

Es bleibt noch die Frage nach einem scheinbaren Widerspruch.

Wie kann eine normative Begriffsbeschreibung mit der funktio-nal-strukturalistischen Systemtheorie in Einklang gebracht wer-den, beziehungsweise aus ihr heraus entwickelt werden? Vom Grundsatz her ist dieser Ansatz nicht neu, schwimmt er doch im Kielwasser jüngerer Versuche, die Systemtheorien mit normativen Ansätzen zu verbinden. Zu nennen ist hier die "kritischen

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temtheorie", die das auf "sozialen Pluralismus spezialisierte Be-obachtungsinstrumentarium der Systemtheorie" nutzen will, um dieses in der gegenwärtigen "Gesellschaft ohne Kopf und ohne Zentrum für die Einnahme normativ-kritischer Positionen" zu ver-wenden (Amstutz und Fischer-Lescano 2013, S. 8).

Aber auch wenn Luhmanns Perspektive die normative Konzep-tion einer kritischen Theorie nicht zulassen würde, wäre zumin-dest eine "Soziologie der Kritik" möglich. Fragt die Systemtheorie doch konsequent nach empirischer Genese und praktischen Problemlösungsfunktionen kritischer Theorien. Damit eröffnet sie den Blick, um "normative Konzepte auf ihre empirische Plausibi-lität hin zu befragen" (Wagner 2012, S. 429ff). Ähnlich sieht es Michael Hein, der der Systemtheorie eine Brückenfunktion zwi-schen normativ und empirisch orientierter Politikwissenschaft zu-weist, die einen "Ausgangspunkt für normative Überlegungen schafft, die wiederum empirische Forschungsprogramme anlei-ten können" (Hein 2011, S. 73). Einigkeit besteht darin, dass die Beobachtungsposition der zweiten Ebene der Systemtheorie eine neue Perspektive auf normative Konzepte ermöglicht, da sie de-ren Kontingenz in den Blick nimmt, von der aus sie sich normativ verhält (Vgl. Hellmann et al. 2003, S. 12). Auf einen ganz anderen Aspekt weist Helmut Willke hin. Er sieht in der für die Systembil-dung notwendigen Begrenzung der Freiheitsgrade der jeweiligen Elemente auf allen Systemebenen ein "normatives Grundmuster, sozusagen das Grundgesetz des jeweiligen Systems" (Willke 2006, S. 142).

Es ist wichtig, noch einmal zu betonen, dass es in keinem Fall das Ziel dieser Arbeit ist, einen methodologischen Debattenbeitrag zur normativen Erweiterung der Systemtheorie leisten zu wollen.

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Sie soll ausschließlich als Mittel zum Zweck genutzt werden, eine normative Begriffsableitung eines autokratischen Systems zu ver-suchen. Dieser Weg erscheint mir mit Hilfe der Systemtheorie gangbar zu sein.

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III. Heranführung an das Luhmannsche Root