Synthese und spektroskopische Untersuchungen
Der Kalium- (7a) und Thallium-Komplex (11a) ist durch Metallierung der Diaryltriazene Tph
2N
3H (1a) (Tph = 2-TripC
6H
4mit Trip = 2,4,6-
iPr
3C
6H
2) mit metallischem Kalium oder Thalliumethanolat in n-Heptan als Lösungsmittel bei 20 °C (Schema II.9) zugänglich. Nach Kristallisation wurden die Verbindungen [M(N
3Tph
2)] (M = K {7a}, Tl {11a}) in guten Ausbeuten von etwa 80% isoliert. Die dabei erhaltenen tiefgelben (7a) bzw orangefarbenen (11a) Feststoffe sind feuchtigkeitsempfindlich und weisen eine mäßige bis gute Löslichkeit in aliphatischen oder aromatischen Kohlenwasser-stoffen auf. Sie zeigen eine beachtliche thermische Stabilität und zersetzen sich erst bei höheren Temperaturen (326–332°C {7a}, 289–293°C {11a}) unter N
2-Entwicklung. In den IR-Spektren treten starke
as(N
3)-Absorptionsbanden im Bereich von 1228 bis 1279 cm
–1auf und weisen damit auf einen chelatisierenden Bindungsmodus der Triazenido-Liganden hin. Die Diskussion der NMR-Spektren erfolgte bereits in Abschnitt II.2.3.
N N H N
N N N Tl + TlOEt
<Heptan>
HOEt
Ausbeute: 77%
1a 11a
Schema II.9. Synthese des Komplexes 11a
Festkörperstrukturen
Für eine Strukturanalyse geeignete Kristalle der Komplexe 7a und 11a wurden im NMR-Röhrchen
durch Kristallisation aus C
6D
6erhalten. Beide Verbindungen kristallisieren solvensfrei mit
isomorphen Zellen in der Raumgruppe P 1 . Angaben zur Datensammlung und Strukturverfeinerung
finden sich in Tab. II.9. Abb. II.13 zeigt die Molekülstrukturen, wichtige Bindungsparameter sind in
Tab. II.10 zusammengestellt.
Tabelle II.9. Ausgewählte kristallographische Daten für Verbindungen 7a und 11a
Verbindung
7a 11°Formel C
42H
54KN
3C
42H
54TlN
3Molare Masse 639,98 805,25
Farbe, Habitus tiefgelb, Block orangefarben, Prisma
Kristallgröße (mm) 0,75 0,75 0,35 0,50 0,45 0,20 Kristallsystem, Raumgruppe triklin, P
1triklin, P
1a (Å)
9,4209(14) 9,4318(14)
b (Å)
14,406(3) 14,4350(16)
c (Å)
14,624(3) 14,8042(15)
(°) 101,089(16) 101,603(8)
(°) 104,113(13) 104,350(10)
(°) 91,023(14) 90,816(11)
V (Å3
) 1884,5(6) 1908,4(4)
Z 2 2
Berechnete Dichte (g/cm
3) 1,128 1,401
(mm
–1) 0,173 4,263
2 -Meßbereich (°) 3–55 4–56
Gesammelte Reflexe 9154 9757
Zur Verfeinerung benutzte Reflexe/R
int8625/0,019 9211/0,024
Reflexe mit I>2 (I) (N
o) 7499 8042
Anzahl Parameter (N
p)/Anzahl Restraints 441/3 440/0
R1 (I>2 (I))b
0,052 0,033
wR2 (alle Daten)c
0,146 0,078
GOF
d1,028 1,243
Max. und min. Differenzelektronendichte (e/Å
3) 0,52/–0,60 1,00/–1,03
a
Meßtemperatur jeweils –100°C mit MoK -Strahlung (0,71073 Å);
b-dsiehe Exp. Teil S. 100.
59
Abb. II.13. Molekülstrukturen der Komplexe 7a und 11a.35,37Die Größe der
2-gebundenen Triazenido-Liganden führt zur Bildung von Monomeren, in denen die
Metallkationen bei Vernachlässigung zusätzlicher Metall-Aren-Kontakte die auffällig niedrige
Koordinationszahl 2 aufweisen. Im Anbetracht einer Länge von 1,301(4) bis 1,3086(17) Å sind die
N–N Abstände im Triazenido-Gerüst mit der Bildung delokalisierter Bindungen vereinbar. Die
Koordination dieser Liganden ist dabei mit einer nur geringen Variation der K–N- (gemittelt
2,716(1) Å) oder Tl–N-Bindungslänge (gemittelt 2,593(3) Å) von weniger als 0,03 Å nahezu
symmetrisch. Die K–N-Abstände sind deutlich kürzer als entsprechende Abstände in den polymeren
Komplexen [{KN
3Tol
2(dme)}
2] (Tol = 4-MeC
6H
4; gemittelt 2,886 Å)
13und [{KN
3(4-NO
2C
6H
4)
2}
2] (gemittelt 2,944 Å)
15mit 7- bzw. 8-fach-koordinierten Metallatom. Auch in der
Thalliumverbindung 11a wird erwartungsgemäß ein beträchtlich kürzerer Tl–N-Abstand als in den
dimeren Komplexen [{TlN
3Ph
2}
2] (2,615 bis 3,031 Å, Mittelwert 2,78 Å)
12iund [{TlN
3(4-NO
2C
6H
4)
2}
2] (2,934 bis 3,031 Å, Mittelwert 2,92 Å)
12kbeobachtet. Diese besitzen unter
Vernachlässigung zusätzlicher Tl···O-, Tl···Tl- und Tl···Aren-Kontakte höhere
Koordinationszahlen von 3 bis 4. Deutlich kürzere Tl–N-Bindungslängen wurden bei monomeren,
niedrig koordinierten Thallium(I)-Amiden [CN(Tl) = 1 (+ zusätzliche Tl···Aren-Kontakte), 2,348
bis 2,379 Å],
77-Diketiminaten [CN(Tl) = 2, 2,403 bis 2,471 Å],
78,79und Amidinaten [CN(Tl) = 2
(+ zusätzliche Tl···Aren-Kontakte), 2,445 Å] gefunden.
80Die längeren Abstände in 11a sind
höchstwahrscheinlich eine Folge des im Vergleich zu den verwandten Amidinaten und
-Diketiminaten geringeren Donor-Charakters der Triazenide; eine derartige Erklärung wurde bereits
in Abschnitt II.1 diskutiert. Sie könnten zumindest teilweise auch von zusätzlichen Metal
···-Aren-Wechselwirkungen herrühren.
Tabelle II.10. Ausgewählte Bindungslängen (Å), Bindungswinkel (°) und Torsionswinkel (°) der
Verbindungen 7a und 11a.
a–d7a 11a 7a 11a
M–N1 2,7093(14) 2,578(3) N1–N2 1,3016(18) 1,301(4)
M–N3 2,7232(14) {2,716} 2,607(3) {2,593} N2–N3 1,3086(17) 1,301(4) M···N2 3,2467(13) 3,115(3)
M···C21 3,3166(16) 3,299(3) M···C41 3,3583(16) 3,373(3)
M···C22 3,3472(16) 3,371(3) M···C42 3,4435(17) 3,454(3)
M···C23 3,3636(17) 3,493(3) M···C43 3,4759(18) 3,564(3)
M···C24 3,3689(17) 3,569(3) M···C44 3,4482(18) 3,614(3)
M···C25 3,3074(18) 3,477(4) M···C45 3,3359(18) 3,519(3)
M···C26 3,2948(17) {3,333} 3,351(3) {3,427} M···C46 3,3060(17) {3,395} 3,412(3) {3,489}
n/ m 6/ 5 5/ 5 X6···M···X6' 159,7 154,0
M···X6/M···Xn 3,027 3,131/3,114 N2–N1–C11–C16 3,7(2) 2,2(5) M···X6'/M···Xm 3,095/3,088 3,198/3,185 N2–N3–C31–C36 –4,4(2) –4,9(5)
a
Mittelwerte stehen in geschweiften Klammern.
bX6/X6' = Centroide der C21 C26/C41 C46-Ringe.
c n
/
m= zugeordnete Haptizitäten für die Arenringe C21 C26/C41 C46 (siehe Abschnitt II.2.2, Seite 43 bis 45).
dXn/Xm = Centroide entsprechend der zugeordneten Haptizitäten.
Der interessanteste Aspekt in den Festkörperstrukturen von 7a und 11a ist neben dem monomeren Charakter der Komplexe die Anwesenheit zusätzlicher Metalle··· -Aren-Kontakte zu den flankierenden Arenringen; sie tragen zur sterischen und elektronischen Absättigung der Metall-kationen wesentlich bei. In 7a wechselwirken das Metallion und die Trip-Ringe der Biphenyl-substituenten über einen
6/
5-Koordinationsmodus mit K···C-Abständen im Bereich von 3,2948(17) bis 3,3689(17) Å (C21 C26) und von 3,3060(17) bis 3,4482(18) Å (C41, C42, C44 C46). Die Neigung von Kalium-Kationen zur Wechselwirkung mit aromatischen Ringen ist mittlerweile an zahlreichen Beispielen beschrieben worden
75der hier mit 3,06 Å beobachtete mittlere K···Centroid-Abstand zu den -gebundenen Trip-Aren-Ringen fällt in den auch aus anderen Beispielen bekannten Bereich und ist insofern nicht außergewöhnlich.
81Wie schon zuvor festgestellt, basiert die Ermittlung der Haptizität bei den hier diskutierten
Metall··· -Aren-Wechselwirkungen auf der Auswertung der M···Centroid-Abstände und dem
Winkel zwischen dem M···Centroid-Vektor und der Flächennormalen der Arenringe (siehe
Abschnitt II.2.2). Um einen besseren Vergleich zu ermöglichen, zeigt Tabelle II.10 nicht nur die
61 M···Centroid- (X
n/X
m) Abstände — X
n/X
mstehen für die entsprechend der Haptizitäten
n/
mzugeordneten Centroide — sondern auch die Abstände zu den Zentren (X6/X6') der koordinierten Arenringe. In 11a sind somit die Thallium··· -Aren-Wechselwirkungen als
5/
5zu klassifizieren.
Die als bindend anzusehenen Tl···C-Abstände liegen im Bereich von 3,299(3) bis 3,493(3) Å (C21 C23, C24, C25, C26) und von 3,373(3) bis 3,564(3) Å (C41 C43, C44, C45, C46) mit entsprechenden Tl···Centroid-Entfernungen (Tl···X6/X6') von 3,13 Å und 3,20 Å. Letztere fallen in den Bereich typischer Tl···Centroid-Abstände von 2,85 bis 3,18 Å
82, wie sie auch für andere strukturell charakterisierte Tl··· -Aren-Komplexe
83beobachtet wurden. Die kürzesten Tl···Aren-Abstände treten in Verbindungen mit schwach koordinierenden Anionen und elektronenreichen Aromaten wie etwa [Tl(
6-MesH)
2][B(OTeF
5)
4]
83bauf.
In 7a und 11a führt die coplanare Anordnung der C
6H
4-Ringe mit der NNN-Ebene, ablesbar an den Torsionswinkeln N2–N1–C11–C16 von 3,7(2)° (7a) und 2,2(5)° (11a) sowie N2–N3–C31–C36 von –4,4(2)° (7a) und –4,9(5)° (11a) und die orthogonale Ausrichtung der Trip-Substituenten zu einer ungewöhnlichen Koordination der Metallkationen. Sie ist als T-formig zu beschreiben, wenn die Zentren der beiden Arenringe und N2 als Schwerpunkt des Triazenido-Liganden als Pseudoliganden herangezogen werden. Zum Schluß bleibt festzustellen, daß die Abwesenheit kürzerer intermolekularer M···C- (7a K···C >5,3 Å, 11a Tl···C >5,1 Å) oder Tl···Tl-Kontakte (>9,0 Å) den streng monomeren Charakter beider Verbindungen im festen Zustand belegt.
DFT-Rechnungen
Um ein besseres Verständnis der Bindungssituation in den Metalltriazeniden 7a und 11a zu
gewinnen, in denen einerseits verhältnismäßig schwache K–N-Bindungen und starke K···
ArenWechselwirkungen und andererseits verhältnismäßig starke Tl–NBindungen und schwache Tl···
-Aren-Wechselwirkungen vorliegen, wurden Dichtefunktionalstheorie- (DFT-) Rechnungen
durchge-führt.
52Dabei wurde berücksichtigt, daß diese Methoden unter Umständen schlechte Ergebnisse bei
der Beschreibung schwacher Wechselwirkungen, wie etwa der van-der-Waals- und
Dipol-Dipol-Kräfte oder der Wasserstoffbrücken-Bindungen liefern. Deshalb wurden neben
Standard-funktionalen wie B3LYP vom Becke-Typ oder MPW1PW91 vom Perdew-Typ auch Truhlars
MPW1B95-Funktional benutzt. Letzteres ist speziell für Systeme mit einem hohen Anteil
nicht-kovalenter Bindungen entwickelt und angepasst worden.
84Die zunehmende Rechenleistung
moderner PCs erlaubt es, nicht nur einfache Modellsysteme sondern, zumindest auf DFT-Niveau,
auch experimentell zugängliche Verbindungen wie die biphenyl-substituierten Kalium- und
Thalliumtriazenide MN
3Tph
2zu untersuchen.
In Tabelle II.11 sind ausgewählte experimentelle und DFT-berechnete Bindungsparameter der Komplexe 7a und 11a zusammengestellt. Im Allgemeinen werden die experimentell bestimmten M–N- und N–N-Bindungslängen durch die Rechnungen mit relativen Unterschieden von 0,8% bzw.
1,0% zufriedenstellend wiedergegeben. Bei Verwendung des Funktionals B3LYP trifft dies jedoch nicht für die M···C-Abstände zu, welche mit +5,5% (7a) and +8,5% (11a) beträchtlich überschätzt werden. Etwas bessere, aber immer noch unakzeptable Resultate liefert das Funktional MPW1PW91 mit Werten von +4,0% (7a) und +8,5% (11a). Die Verwendung von Truhlars MPW1B95-Funktional führt zu deutlich besseren Ergebnissen, die Tl···C-Kontakte werden nun um nur +1,5% zu groß und die K···C-Abstände um 2,3% zu klein erhalten. Die mit einem relativen Fehler von 0,9% besten Ergebnisse werden bei den K···C-Abständen mit diffusen Funktionen für die leichteren Atome N, C und H erzielt.
85Ein weiterer Einblick in die Bindungsverhältnisse von 7a und 11a wird durch NBO- („natural bond orbital“) und NPA- („natural population analysis“) Analysen
86ermöglicht. Bei 7a verdeutlichen die hohe NPA-Ladung von +0,889 am Kaliumatom und die niedrigen Wiberg-Bindungsordnungen
87von 0,037 und 0,029 für die K–N1/N3- bzw, K–N2-Bindung den überwiegend ionischen Charakter.
Für 11a wird anhand einer geringeren NPA-Ladung von +0,698 am Thalliumatom ein höherer
kovalenter Charakter der entsprechenden Tl–N-Bindung und eine etwas höhere
Wiberg-Bindungs-ordnung von 0,085 bzw. 0,074 vorhergesagt. Die M···C-Wechselwirkungen folgen mit allerdings
insgesamt deutlich geringeren Wiberg-Bindungsordnungen von 0,003 bis 0,006 für K···C und von
0,009 bis 0,018 für Tl···C einem ähnlichen Trend. Die nichtsdestotrotz kürzeren K···C-Abstände
kommen durch stärkere Coulomb-Beiträge zustande, wie an den verschiedenen NPA-Ladungen an
K und Tl einerseits und an den -gebundenen Trip-Arenringen andererseits — die gemittelten und
summierten Ladungen betragen im C
6H
2iPr
3-Ring, –0,013 bei 7a und +0,040 bei 11a sowie im
C
6H
2-Fragment, –0,116 7a und –0,089 11a — abzulesen ist. Eine sorgfältige Analyse möglicher
Donor-Akzeptor-Wechselwirkungen zwischen gefüllten und leeren NBOs durch die „second-order
perturbation theory“ zeigt keine signifikante Ladungsdelokalisation zwischen dem freien
Elektronenpaar am Thalliumatom (99,3% s-Charakter) und geeigneten ligandzentrierten
Akzeptor-Orbitalen.
63
Tabelle II.11.Ausgewählte experimentelle und DFT-berechnete Bindungslängen (Å), -winkel (°) und Torsionswinkel (°) der Komplexe 7a und 11a.
aa