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Symposium »Re-Vision – die Kultur(en) der Gesellschaft« anl ässlich des

Im Dokument Angelegentlich drei (Seite 89-93)

60. Geburtstages von Wolfgang K aschuba

Das Thema, das irgendwer aus der zahlreichen Schar Ihrer klugen Schülerin-nen und Schüler über diese Konferenz gestellt hat – »Re-Vision – die Kultur(en) der Gesellschaft« ist offenkundig von niemandem gewählt, dem an einem stil-len und besinnlichen Festakt gelegen ist (wobei man sich Freunde eines stilstil-len und besinnlichen Festaktes in der Kaschuba-Schule eigentlich auch kaum vor-stellen kann). Denn die Begriffe sind ja, vorsichtig gesagt, in der Diskussion, direkter gesagt: inzwischen heftig umstritten und garantieren schon als Begrif-fe muntere Debatten. Zwei Beispiele für etwas, was eigentlich nicht erläutert werden muß: Ich entsinne mich zum einen an den Antrittsbesuch bei einem hiesigen Politiker, einem aus dem Senat, um den Kreis der Verdächtigen einzu-schränken. Ich versuchte, wie sich das so schickt, anläßlich des Antrittsbe-suchs meine und keineswegs nur meine Visionen für die Humboldt-Universität zu entwickeln. Der aus dem Westen Deutschlands nach Berlin gekommene Po-litiker wirkte ziemlich mißgelaunt, als ich von diesen Visionen sprach, hörte wenig geduldig zu und zitierte dann in seiner ersten Reaktion Helmut Schmidt

»Wer Visionen hat, sollte lieber gleich zum Arzt gehen«. Also keine Visionen?

Sondern nur Revisionen? Keine Visionen für die weitere Entwicklung der Dis-ziplin »Europäische Ethnologie«, sondern nur Revisionen einstmals, beispiels-weise in Berliner Antrittsvorlesungen vertretener Visionen? Das kann ich mir nicht vorstellen, das ist sicher auch nicht gemeint, wenn es im Titel heißt: »Re-visionen«. Und ein zweites, diesmal nicht autobiographisches Beispiel: Gele-gentlich taucht in den Feuilletons noch jenes Zitat auf, das am Beginn des voll-kommen vergessenen Theaterstücks »Schlageter« des Gott sei Dank ebenfalls vergessenen nationalsozialistischen Dichters Hanns Johst steht: »Wenn ich Kultur höre … entsichere ich meinen Browning«. Es ist vielleicht ein wenig frech, vielleicht ein wenig zugespitzt, aber sei es drum: Mich erinnern nicht wenige Stellungnahmen insbesondere von Finanzpolitikern auch aus dieser de-mokratischen Gesellschaft an den nämlichen Satz und bringen mich zum Schluß, daß die Hauptstichworte »Revision« und »Kultur(en)« im Titel dieses Symposiums auch in dieser Stadt der Politik gelegentlich abgetrotzt werden müssen und die Ausnahmen, also Politiker, die über Revisionen und dann gar ihre eigenen sprechen, ebenso rar sind wie Politiker, die ein mehr als

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sches Verhältnis zur Kultur haben. Und dann ist die vornehmste Aufgabe der Universität, diese Stichworte wieder ins Bewußtsein zu holen, denen, die sie unter den Teppich kehren und schon nicht mehr hören wollen, zur Not um die Ohren zu schlagen, bis sie hören, sind wir doch schließlich an der deutschen Universität kein Betrieb, der nach ökonomischen Gesichtspunkten Studierende stopft wie man früher die Gänse gestopft hat vor dem Festessen.

Nun ist mir natürlich durchaus deutlich, daß der Titel »Re-Vision – die Kultur(en) der Gesellschaft« sich auf einen Text, eine Forschungsrichtung des verehrten Jubilars Kaschuba bezieht, einen Text, den die besorgten Veranstalter dem Präsidenten dieser Universität auch gleich mit der Einladung zugestellt haben – Präsidenten deutscher Universitäten lesen kaum, vor lauter Manage-ment kommen sie kaum mehr zum Lesen und vielleicht auch gar nicht mehr zum Denken. »Vom Verschwinden des Sozialen im gesellschaftlichen Dis-kurs«: Sie merken, in Berlin-Mitte wird noch gelesen. Und wird beispielsweise aufmerksam registriert, wie Wolfgang Kaschuba sich 1994 in seiner angespiel-ten Berliner Antrittsvorlesung Hans-Ulrich Wehler anschloß, dessen Fanfaren-stöße gegen den »Rattenfänger« Derrida (ich zitiere wörtlich) freilich erst vier Jahre später publiziert worden sind. Dieser im besten Sinne modenkritische, aufklärerische Impuls, lieber Herr Kaschuba, der nun gewiß nicht nur Ihre Antrittsvorlesung auszeichnet, steht unserer Universität gut an, steht ihr ange-sichts ihrer in Passagen fi nsteren Geschichte gut an, steht ihr als der großen Reformuniversität im aufgeklärten Preußen gut an, steht ihr in einer moder-nen, globalisierten Mediengesellschaft, in der alle Katzen grau scheimoder-nen, gut an. Und entsprechend dankbar ist Ihre Universität, lieber Herr Kaschuba, Ih-nen für die Aufklärung, die Sie seit 1992 als Professor für europäische Ethno-logie in unseren Mauern und weit darüber hinaus inauguriert haben.

Und dann, lieber Herr Kaschuba, und auch das ist zu rühmen, habe ich Sie kennengelernt nicht nur als Aufklärer, als ebenso phantasievollen wie ener-gischen Streiter für die Interessen Ihres Faches, nein, ich habe Sie auch als phantasievollen Vertreter Ihres Faches kennengelernt: Umbruchsgesellschaf-ten im Maxim-Gorki-Theater, natürlich auch die Metropolen, in Zukunft jüdi-sche Räume in Berlin und Budapest, aber auch schon länger Yerevan, Baku und

89 Tbilissi – ich erinnere mich noch gut aus Tübinger Studenten- und

Assisten-tentagen an Hermann Bausinger: Wir sind uns am Neckar in den achtziger Jahren nie persönlich begegnet, aber Ihr längerer Weg von der empirischen Kulturwissenschaft am Ludwig-Uhland-Institut zur europäischen Ethnologie in Berlin ist selbst für den Historiker des antiken Christentums wahrnehmbar und er freut sich vielleicht gerade deswegen über Ihre kritische Distanz zu den diversen Wenderhetoriken, gleich ob cultural, linguistic oder was auch immer für ein turn. Ich warte, um nicht zu bedeutungsschwanger zu wirken, übrigens immer noch auf den sourcical turn, lateinisch: ad fontes. War länger nicht zu hören, kommt mindestens in den historischen Wissenschaften immer mal wie-der gut. Und besonwie-ders erfreulich ist es natürlich, schon europäisch zu sein, wenn andere noch Nationalgeschichte treiben, lange vor den Moden, lange vor dem turn – das, lieber Herr Kaschuba, kann man auch bei Ihnen lernen.

Präsidiale Grußworte zu Geburtstagen von geschätzten Kollegen sollten in einem getragenen Grundton daherkommen. Aus dieser Rolle bin ich mit meinen durchaus frechen Bemerkungen heute gefallen, aber die, die aus der Rolle fallen, bieten den Ethnologen doch wahrscheinlich mindestens ein so in-teressantes Studienobjekt wie die vielen, die brav ihre Rolle spielen. Und bei aller Inszenierung von Rollenbruch und Rollenwechsel – ganz in der mir zuge-billigten Rolle, lieber Herr Kaschuba, möchte ich diesem interessanten Sympo-sium einen guten Verlauf wünschen und öffentlich bemerken, wie sehr ich bedauere, daß mich andere, mehr oder weniger wichtige Veranstaltungen vom Besuch abhalten, und Ihnen nachträglich ganz herzlich zum Geburtstag gratu-lieren und alles erdenklich Gute für die nächsten Jahre der Forschung und Leh-re hier bei uns wünschen.

91 22. Januar 2010

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