Sven Sachenbacher
Zum 30. Jubiläum der deutschen Einheit wird vielerorts über den inneren Zustand des vereinigten Landes diskutiert. In der Rückschau und der Diskussion über Erfolge sowie Misserfolge des Vereinigungsprozesses sorgt das Thema Treuhand meist für heftige Kontroversen. Die 1990 gegründete Treuhandanstalt sollte die volkseigenen Betriebe der DDR nach den Grundsätzen der sozialen Marktwirtschaft privatisieren. Häufig waren Massenentlassungen und Branchenabwicklungen die Folge der eingeleiteten Transfor-mation. Der negative Ruf einer Betriebsschließerin, die keine Rücksicht auf die sozialen und ökonomischen Interessen der betroffenen Menschen nahm, haftet der Treuhand vor allem im Osten Deutschlands bis heute an. Der Historiker Dr. Marcus Böick von der Ruhr-Universität Bochum, der sich intensiv mit diesem Thema beschäftigt hat, stellte am 15. September 2020 in der Gedenkstätte Deutsche Teilung Marienborn die Ergeb- nisse seiner Forschungstätigkeit vor. Er sprach dabei unter anderem über die unter-schiedlichen Erwartungen sowie Erfahrungen der Menschen mit der Treuhandanstalt, die letztendlich heute zu sehr differierenden Bewertungen führen.
Im Zusammenhang mit der Veranstaltung am 15. September sprach Sven Sachen-bacher mit Dr. Marcus Böick.
Sven Sachenbacher (S.S.): Herr Böick, Sie sind Jahrgang 1983, zur Tätigkeit der Treu- hand haben Sie wahrscheinlich keine bzw. nur wenige eigene biografische Berührungs-punkte. Was hat Sie zur intensiven Beschäftigung mit diesem Thema geführt? Warum Treuhandforschung an der Ruhr-Universität Bochum?
Marcus Böick (M.B.): In der Tat habe ich die Zeit nach 1990 noch nicht wirklich be- wusst erlebt als Grundschüler. Aber aus heutiger Perspektive hat die verbreitete Un-sicherheit der Erwachsenen, der Eltern, Großeltern und Lehrer, die Kinder in diesen Umbruchszeiten mitgeprägt. Themen wie hartnäckige Arbeitslosigkeit, fehlende Zu-kunftsperspektiven und beständige Abwanderung waren ständig präsent. Allerdings
war dies letztlich für mein eigenes Forschungsinteresse nicht direkt ausschlaggebend. handanstalt gestolpert und war dann doch sehr überrascht, dass hierzu seit der Jahr-tausendwende kaum noch wissenschaftliche Literatur veröffentlicht wurde. Relativ naiv habe ich dann begonnen, mich nach 2007/2008 – es war gerade die Zeit der
sonst positiv auf die Gestaltung des Vereinigungsprozesses blicken, die Tätigkeit der diese rasche Privatisierungspolitik durchaus befürworteten und unterstützen, wurde da wenig zur Kenntnis genommen. Am Ende waren es die westdeutschen Manager der Treuhandanstalt, die Entlassungen oder Schließungen vor Ort zu verkünden hatten.
Forscher wie Wolfgang Seibel haben in der Treuhand eine Art „Blitzableiter“ gesehen, viele Treuhand-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter selbst sahen sich als einen „Sünden-bock“ für Bonn. Und tatsächlich zog die Organisation einen Großteil des ostdeutschen Unmuts über die Enttäuschung auf sich, dass die im Wahlkampf 1990 vielfach verspro-chenen „blühenden Landschaften“ sich nun doch nicht gezeigt haben.
Interessanterweise haben sich diese überwiegend negativen Einstellungen zu Treu-hand und Wirtschaftsumbau bis in die Gegenwart gehalten, wie wir 2017 in einer Studie für das Bundeswirtschaftsministerium gezeigt haben. Da haben wir, auf der Grundlage von Interviews und Umfragen, herausgearbeitet, dass die Treuhand wie eine erinne-rungskulturelle „Bad Bank“ funktioniert, bei der viele mittlere und ältere Ostdeutsche
ihre Enttäuschungen gewissermaßen eingelagert haben. Auf der anderen Seite fiel uns schienen auf einmal möglich, die zuvor Jahrzehnte undenkbar waren. Niemand war so recht darauf vorbereitet – weder im Osten noch im Westen. Eine ganz interessante
Dann kam die Volkskammerwahl im März, das Votum für eine schnelle Einheit nach westdeutschem Strickmuster. Hektisch wurde nun auch die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion verhandelt. Die Bundesregierung machte jedoch der neuen DDR- Regierung um Lothar De Maizieré klar: Ihr bekommt die D-Mark, aber dafür übernehmt
und kulturelle Aufgaben, veraltete Produkte und Technologien und kaum Möglichkeiten, selbstständig zu wirtschaften. Hinzu kamen massive Umweltprobleme.
Und diese „Dinosaurier der Planwirtschaft“, wie Rohwedder so mal genannt hat, traf nun der Schock der Marktwirtschaft – buchstäblich über Nacht. Die Bonner Politik wollte, dem markfreundlichen wie staatsskeptischen Zeitgeist folgend, diese Aufga-be nun nicht durch ein Ministerium, einer Behörde oder einer Holding übertragen. Es mit erheblichen Risiken und Kosten. Diese Aufgabe schien ihnen über die Maßen gi-gantisch wie außergewöhnlich. Daher drückten sie aufs Tempo. Rohwedder und seine Spitzenleute suchten nun hastig Personal, schufen neue Strukturen und wollten die Treuhand wie ein Unternehmen führen. Doch auch dies war keineswegs einfach. Viele Dinge waren unklar und nicht geregelt, es wurde enorm improvisiert. Für viele Treuhand-Manager war das dann im Nachhinein die „goldene Zeit“ der kurzen Wege und mutigen Entscheidungen. Die Ostwirtschaft litt derweil dramatisch unter dem dreifachen Schock von Planwirtschaft, Schocktherapie und Privatisierungen.
Von daher: die Rede vom „Geburtsfehler“ unterstellt im Grunde einen koordinierten M.B.: Das erklärt sich aus ihrer besonderen Rolle als „Bad Bank“, also als langfristig tra-dierten Symbol einer vermeintlichen Unterwerfung der arglosen Ost-Bevölkerung durch
westdeutsche Eliten. Es passt ja auch in dieser Interpretation gut ins Bild: Erst waren da und sich etwa einer Initiative der Linken nach einem neuerlichen Bundestagsuntersu-chungsausschuss angeschlossen hat. Für die Linke als „Ostpartei“ ist das politisch nicht fragen: Für wen und nach welchen Maßstäben denn? Ist der Erhalt eines Industrie-standortes mit tausend Beschäftigten im Besitz eines ortsfremden Eigentümers ein Erfolg, auch wenn dort zuvor zehntausend Menschen tätig waren? Aus der Sicht der Treuhand ja, natürlich. Auch die Politik wird das begrüßen. Dies werden aber die neun-tausend Menschen, die dort nicht mehr arbeiten können, sicher ganz anders sehen.
Für die ist das dann kein Erfolg, sondern eine dramatische Entwertung. Und an die-sem kleinen Beispiel lässt sich ganz gut zeigen, dass diese Frage kaum pauschal zu beantworten ist. Ja, es gab Erfolgsgeschichten, vor allem im Kleinen. Aber es gab die sich nun seit 2017 auch zunehmend auf die vom Bundesarchiv erschlossenen Treuhand-Akten stützen können. Dieser gigantische wie komplizierte Bestand – es sind Generationen oder mit Menschen aus anderen kulturellen Kontexten.