4 Diskussion
4.8 Gemeinsame Auswertung
4.8.1 Substanzen
Substanz RV CV/RV T2 ≤50% in
Kategorie A
Änderung
Streuung R‐R IC50(hERG)
E‐4031 3 nM 10 nM ‐ 3 nM 10 nM 7,7 nM
Dofetilid 1 nM 3 nM 3 nM 10 nM 10 nM 3 nM
Ibutilid 10 nM 10 nM 10 nM 30 nM 30 nM 10 nM
Chinidin 300 nM ‐ ‐ 1 µM 1 µM 500 nM
Sertindol 10 nM ‐ ‐ 100 nM 300 nM 14 nM
Cisaprid 30 nM* ‐ ‐ 30 nM 30 nM 9,4 nM
Procainamid 100 µM 100 µM ‐ 100 µM 100 µM 139 µM
Thioridazin 3 µM 3 µM 3µM 30 µM 3 µM 30 nM
Ampicillin ‐ ‐ ‐ ‐ ‐ ‐
Verapamil 10 nM* ‐ ‐ ‐ ‐ 200 nM
Amiodaron** 250 min* ‐ ‐ ‐ 1 µM / 250 min 1 µM
Tabelle 11: Zusammengefasste Auswertung aller getesteten Substanzen, CV=
Kontraktionsgeschwindigkeit, RV= Relaxationsgeschwindigkeit, CV/RV= Verhältnis CV zu RV, T2=
Relaxationszeit, *= Kraft ebenfalls signifikant reduziert, **= Konzentration 1 µM.
Zur Auswertung der überprüften Substanzen wurden insgesamt drei verschiedene Verfahren angewendet. Um die repolarisationshemmende Wirkung auf die Kontraktionen zu beschreiben, wurden die Parameter RV und T2 ausgewertet, zusätzlich das Verhältnis CV/RV (Kapitel 3.14.1). Um den Übergang von einem regulären Kontraktionsmuster in ein irreguläres zu beschreiben, wurden die EHTs nach irregulären Ereignissen („≤50% in Kategorie A“, Kapitel 3.14.2) und nach der Regelmäßigkeit der Kontraktionen ausgewertet („Änderung Streuung R‐R“, Kapitel 3.14.3).
Diskussion ‐ Gemeinsame Auswertung
Unter den getesteten Substanzen waren mit E‐4031, Dofetilid und Ibutilid drei spezifische Inhibitoren des hERG‐Kanals, deren IC50(hERG) im nanomolaren Bereich liegen (Redfern et al.
2003). Bei allen drei Substanzen führten Konzentrationen zu einer verminderten RV, die exakt mit denen im hERG‐Assay ermittelten übereinstimmten (Ibutilid, Dofetilid), oder die sogar darunter lagen (E‐4031). Die Betrachtung des Verhältnis CV/RV, welches bei zwei der drei Substanzen erhöht war, bedeutete hier keinen zusätzlichen Nutzen, da bei allen drei Substanzen die RV isoliert vermindert war, also ohne gleichzeitig verminderte Kraftentwicklung. Der Übergang von einem regulären in ein irreguläres Kontraktionsmuster fand bei allen drei Substanzen in einer Konzentration statt, welche etwas über der lag, die zur isoliert verminderten RV führte und damit etwas über dem Bereich der IC50(hERG). Damit entsprach die Auswertung nach Parametern der Erwartung, den Übergangsbereich zwischen normaler Kontraktion und komplett unregelmäßiger Kontraktion zu charakterisieren.
Die nächste Gruppe an getesteten Substanzen umfasste Chinidin, Sertindol, Cisaprid und Procainamid. Jede dieser vier Substanzen hat eine Affinität zum hERG‐Kanal und verursacht nachweislich in vivo Arrhythmien vom Torsades de pointe Typ (Tabelle 2, www.qtdrugs.org).
Gleichzeitig haben sie ihre pharmakologische Hauptwirkung abseits vom hERG‐Kanal, zum Teil sind die Substanzen sehr unspezifisch. Auch bei dieser Gruppe lagen die Konzentrationen, die zu einer isolierten Verminderung der RV führten, im Bereich der IC50(hERG), bzw. etwas darüber. Cisaprid bildete hier die Ausnahme, da es gleichzeitig zu einer verminderten Kraft führte, so dass die Aussagekraft der verminderten RV eingeschränkt war. Auch die beiden zusätzlich ausgewerteten Parameter CV/RV und T2 brachten keinen weiteren Erkenntnisgewinn. Allerdings führten alle vier Substanzen, und damit auch Cisaprid, zu einem Übergang vom regulären zum irregulären Kontraktionsmuster, und dass in Konzentrationen, welche etwas über denen lagen, die zur verminderten RV führten. Hier bildete Sertindol die Ausnahme, da die benötigten Konzentrationen sich deutlich voneinander unterschieden.
Setzt man den in der Publikation von Redfern und Kollegen angegebenen Wert für die IC50(hERG) voraus, fiel bei Thioridazin die Diskrepanz zwischen den Konzentrationen, die im hERG‐Assay ermittelt wurden, und denen, die im EHT‐Modell zu Veränderungen führten, noch deutlicher auf. Eine verminderte RV, ein erhöhtes Verhältnis CV/RV und eine
Diskussion ‐ Gemeinsame Auswertung
verlängerte T2 waren bei Konzentrationen zu messen, die der 100‐fachen IC50(hERG) entsprachen. Um die Regelmäßigkeit der Kontraktionen zu beeinflussen waren 100 bis 1000‐fache Konzentrationen notwendig. Es gibt bei Thioridazin allerdings auch eine deutlich Diskrepanz zwischen IC50(hERG) und der Konzentration, bei der in vivo Arrhythmien vom Torsades de pointe Typ auftreten (Redfern et al. 2003). Diese Konzentration liegt mit etwa 10 µM in dem Bereich, in dem es zur Veränderung der Parameter im EHT‐Model kommt. Es ist also möglich, dass diese Diskrepanz in den Eigenschaften der Substanz begründet liegt.
Denkbar ist eine Modulation verschiedener Rezeptoren und Ionenkanälen, in deren Zusammenspiel der repolarisationshemmende Effekt auf die Kardiomyozyten abgeschwächt wird, oder eine Interaktion von Thioridazin mit dem hERG‐Kanal an anderer Stelle als der porenformenden α‐Untereinheit, welche im hERG‐Assay heterolog exprimiert wird.
Möglicherweise ist es also als Vorteil des EHT‐Models anzusehen, dass hier Konzentrationen zu Veränderungen führten, die nicht den Daten des hERG‐Assays entsprachen, sondern den in vivo Daten. Eine wesentlich simplere Erklärung wäre die Tatsache, dass der bei Redfern und Kollegen angegebene Wert für die IC50(hERG) nicht korrekt ist (Redfern et al. 2003), sondern der Wert eher im Bereich von 1 µM liegt, wie er in anderen Publikationen angegeben wird (Drolet et al. 1999; Tie et al. 2000; Pacher & Kecskemeti 2004).
Weitere Einsicht in den Wert der am EHT‐Model generierten Daten lieferte die Analyse von Amiodaron. Unter dem Einfluss von Amiodaron kam es einerseits zur Verminderung der RV, andererseits aber auch zur Verminderung der Kraft. Weiterhin nahm die Streuung der R‐R Intervalle zwar zu, aber ein komplett unregelmäßiges Kontraktionsmuster oder irreguläre Ereignisse traten nicht auf. Tatsächlich spiegeln diese diversen Ergebnisse den Charakter von Amiodaron wider. Als Klasse III Antiarrhythmikum zählt es zu den Kaliumkanalblockern, hat aber gleichzeitig eine Wirkung auf zahlreiche andere Strukturen („Klasse I bis IV Antiarrhythmikum). Klinisch betrachtet ist Amiodaron eines der wenigen Antiarrhythmika, das häufig eingesetzt wird, da es mit geringer proarrhythmischer Wirkung einhergeht, obwohl es eine deutliche Affinität zum hERG‐Kanal hat.
Verapamil führte eine weitere Grenze des EHT‐Models vor. Und zwar war es nicht möglich, diese Substanz in einem Bereich zu messen, der nahe der IC50(hERG) liegt. Die potentere Wirkung auf L‐Typ Calciumkanäle unterdrückte die Kontraktionen der EHTs. Die gemessenen
Diskussion ‐ Gemeinsame Auswertung
Konzentrationen zeigten die Auswirkungen einer primär negativ inotropen Intervention auf das System, vor allem die mit der Kraft verminderte RV legte die Verknüpfung dieser beiden Parameter offen und validierte damit die Betrachtung der isoliert verminderten RV.
Zu Bedenken ist, dass alle getesteten Substanzen, mit Ausnahme von E‐4031, Ibutilid und Dofetilid, andere pharmakologische Ziele als den hERG‐Kanal mit höherer Affinität beeinflussen. Chinidin zum Beispiel beeinflusst nicht nur den hERG‐Kanal, sondern auch Natrium‐Kanäle, Calcium‐Kanäle und Acetylcholinrezeptoren. So konnte nie ausgeschlossen werden, dass nicht andere pharmakologische Wirkungen die gemessenen Parameter veränderten, sei es entweder direkt oder indirekt über Kraft oder Frequenz. Auch wenn die indirekten Effekte über die Kontrolle von Frequenz und Kraft ausgeschlossen werden sollen, so hatten auch solche Effekte einen Einfluss auf die Parameter, die statistisch nicht signifikant waren. Gerade durch das eher heterogene Auftreten von verschiedenen EHTs aus verschiedenen Chargen, wurden kleinere Veränderungen von der Statistik nicht erfasst.