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Stundenplan: Wenn die evangelischen und katholischen Erstklässler an der

Ketteler-Francke-Schule in Kirdorf ab August zweimal in der Woche zum Reli-Unterricht marschieren, werden sich erstmals auch muslimische Schüler zum bekenntnisorientierten Islamunterricht einfinden.

Die Kirdorfer Grundschule ist eine der 27 Grundschulen in Hessen, an denen auf der Grundlage von Artikel 7 des deutschen Grund-gesetzes ein solches Angebot offeriert wird.

„Ich finde, dies ist ein guter Beitrag zur Inte-gration unserer muslimischen Schüler. Sie haben nach unserem Grundgesetz das Recht, in ihrem Glauben unterrichtet zu werden. Und alle Kollegen, die hier unterrichten, sehen das positiv. Damit normalisiert sich die Situation für die Familien muslimischen Glaubens an unserer Schule weiter.“ So beurteilt Brigitte Happel, seit 2007 Schulleiterin der Ketteler-Francke-Schule, die Lage kurz vor Einführung des neuen Schulfachs Islamischer Religions-unterricht. Brigitte Happel ist es wichtig, „dass die Bürger begreifen: Dies ist kein Projekt, sondern ein ordentlich nach dem Gesetz ein-geführtes Unterrichtsfach, das auch nach einem staatlich erarbeiteten Lehrplan unter-richtet wird.“

15 Eltern muslimischen Glaubens aus den vier kommenden ersten Klassen der Kirdorfer Grundschule haben ihre Kinder bereits zum neuen Reli-Unterricht angemeldet. 440 An-meldungen hat das hessische Kultusministe-rium insgesamt an den 27 beteiligten Grund-schulen registriert. An 24 Schulen wird der Unterricht für Schulanfänger der islamischen Religionsgemeinschaft Ditib angeboten, an zwei Schulen für Mitglieder der Ahmadiyya-Gemeinde. Die in Hessen lebenden Schiiten nehmen vorerst nicht teil. In Bad Homburg ist die Ditib Ansprechpartner. Für die Schüler

die-ser Glaubensrichtung an der Ketteler-Francke-Schule ist der Unterricht verpflichtend. Sie können aber ebenso wie vom evangelischen und katholischen Unterricht abgemeldet wer-den. Ahmadiyya-Schüler und solche anderer muslimischer Glaubensrichtungen können teilnehmen, müssen aber nicht.

Der Unterricht wird von staatlichen Lehrkräf-ten unter staatlicher Kontrolle nach staatlichen Curricula auf Deutsch und verfassungskon-form erteilt werden. Darauf haben sich meh-rere muslimische Glaubensrichtungen, die in Deutschland vertreten sind, in einem langen Prozess verständigen müssen. „Es war schwer, sich auf einen gemeinsamen Lehrplan zu eini-gen“, berichtet Brigitte Happel von den Vorar-beiten, über die die Schulleiter der beteiligten Grundschulen Ende Mai bei einer Tagung un-terrichtet wurden. Die Grundschulrektoren er-hielten auf dieser Tagung Informationen über die Ausbildung der Lehrkräfte, die das Fach künftig unterrichten, und über die genauen In-halte, die den Schülern vermittelt werden sol-len. 15 muslimische Frauen und vier Männer, die bereits im hessischen Schuldienst sind, werden unterrichten. Sie absolvieren derzeit eine Zusatzausbildung an der Universität Gie-ßen. In Bad Homburg wird nach Auskunft der Schulleiterin eine junge muslimische Kolle-gin, die schon ihr Referendariat an der Schule gemacht hat und seit einigen Jahren zum Leh-rerkollegium gehört, nun islamischen Religi-onsunterricht erteilen. Die Inhalte sind festge-legt: „Mensch und Identität“, „Gott, Glaube und Handeln“, „Koran und Sunna“, „Moham-med und andere Propheten“, „Religionen und interreligiöse Befähigung“ sowie „Verantwor-tung des Menschen in der Welt“. Es handelt sich ausdrücklich nicht um einen reinen Ko-ranunterricht.

„Unsere muslimische Kollegin freut sich da-rauf, Glaubensinhalte und ethische Verantwor-tung an die Schüler vermitteln zu können“, sagt Brigitte Happel. Wie diese dann auch im Schulalltag öffentlich eingebracht werden

können – so wie christliche Werte, Feste und Lieder, von denen die Schulgemeinschaft doch irgendwie geprägt sei – darüber wird laut Hap-pel noch nachgedacht.

Die 1910 eingeweihte Ketteler-Francke-Schule hatte im Anfangsjahr 509 katholische und 58 evangelische Schüler. Auch damals war der Integrationsgedanke der religiösen Minderheit eine Herausforderung. Es gab an-fangs noch getrennte Eingänge für katholische und evangelische Schüler und konfessionsge-trennte Toiletten auf dem Schulhof. Brigitte Happel ist zuversichtlich. „Wir haben guten Kontakt zu unseren muslimischen Eltern. Sie sind offen und ihre Deutschkenntnisse haben sich merklich verbessert. Ich bin mit der Ent-wicklung unserer muslimischen Kinder zufrie-den.“ Natürlich gebe es noch Defizite. Vier Schüler besuchten derzeit einen Sprachförder-kurs der Schule; man wünsche sich noch mehr Beteiligung der Kinder in Vereinen. Auch von den deutschen Schulfamilien wünscht sich die Schulleiterin noch mehr Offenheit: „Eine

Ein-ladung eines muslimischen Kindes zum Kin-dergeburtstag in einer deutschen Familie ist oft ein Türöffner für eine positive Einstellung muslimischer Familien zum deutschen Ge-meinwesen.“

Islamischer Religionsunterricht soll in Hessen nun sukzessive für alle vier Grundschulklassen eingeführt werden. Die Lehrkräfte für weiter-führende Schulen werden an der Frankfurter Universität ausgebildet. Ein Lehrstuhl ist be-reits ausgeschrieben. Nach dem Christentum ist der Islam inzwischen in Deutschland die zweitgrößte Glaubensgemeinschaft. Fünf Pro-zent der Menschen in Deutschland sind Mus-lime (vier Millionen). Knapp die Hälfte davon sind deutsche Staatsangehörige. Für die evan-gelische Theologin Margot Käßmann ist es wichtig, dass die rund 700 000 muslimischen Schüler Unterricht in ihrer Religion erhalten, nicht als Mission, sondern um den eigenen Glauben kritisch zu reflektieren. Nur ein ge-bildeter Glaube könne den Versuchungen des Fundamentalismus widerstehen.

In unmittelbarer Nachbarschaft zur Gedächtniskirche an der Weberstraße: Einst musste die Ketteler-Francke-Schule die evangelische Minderheit in den Schulalltag integrieren. Nun soll mit Einführung des Islamischen Religionsunterrichts ein wichtiger Schritt zur Integration der

muslimischen Schüler erfolgen. Foto: a.ber

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