• Keine Ergebnisse gefunden

Studienkreis-Informationen

Im Dokument Rundfunk und Geschichte (Seite 79-103)

Jahrestagung des Studienkreises Rundfunk und Geschichte e.V. 2014

HEIMATGEFÜHLE.

Lokale Medien in einer globalen Welt Workshop-Tagung des Dept. Medien- und Kommunikationswissenschaften der MLU in Kooperation mit dem Studienkreis Rundfunk und Geschichte e.V.

3. bis 4. Juli 2014, Mitteldeutsches Multime-diazentrum, Halle (Saale)

Medien sind der Kern des unaufhaltsamen Prozesses der Globalisierung. Sie führen Menschen, Ideen und Produkte weltweit zu-sammen, eröffnen neue Horizonte und neue Abgründe für politische, soziale, wirtschaftli-che und kulturelle Auf- und Umbrüwirtschaftli-che.

Sie stimulieren aber zugleich die natürliche Gegenbewegung: eine neuerliche und viel-leicht neuartige Hinwendung zum Lokalen, eine Rückbesinnung auf den Wert von räumli-cher und körperliräumli-cher Nähe. Das Konzept der Heimat erfährt dabei eine Renaissance und Neudeinition, und die Bedeutung kommu-naler Traditionen und lokal verankerter Kom-munikation wird überdacht. In den Medien entsteht aber auch Raum für neue Kommu-nikationsformen, die gesellschaftliche, politi-sche und kulturelle Partizipation neu denken lassen. Zugleich geraten alte Geschäftsmo-delle in den Medien ins Wanken und müssen durch innovative Modelle ersetzt werden, die u.a. im Lokalen verankert sein können.

Was müssen Lokalmedien können? Wie he-terogen sind die verwendeten Heimatkonzep-te? Wie mobil, wie global, wie ubiquitär kann das Lokale sein? Ist die mediale Heimat vor der Haustür für alle da oder werden manche ausgeschlossen? Funktioniert Partizipation im lokalen Kontext anders und sogar besser als im globalen? Macht Heimat der Metropole im Wertekanon Konkurrenz? Welche Art von kulturellem Kapital stellen Heimat und Lokal-bezug dar?

An zwei Tagen werden jeweils morgens Vor-träge die Geschichte der Lokalmedien in

Deutschland und darüber hinaus erörtern so-wie verschiedene Konzepte von Heimat und Lokalität aus der Stadtplanung, der Soziolo-gie, der Psychologie und weiteren Disziplinen beleuchten.

An den Nachmittagen präsentieren Teilneh-mer in kommunikativen Settings (Speelab &

World Café) Best Practice-Beispiele lokaler Medien aus allen Bereichen — von netzba-sierten Medien über Radio und Fernsehen bis zu Printprodukten und hybriden Konigurati-onen —, und diskutieren darüber in kleinen Gruppen austauschorientiert, praxisnah und fachübergreifend. Gefragt wird, inwiefern lo-kale Medien heute Best Practice sind.

Die Tagung richtet sich an Medienakteure, Wissenschaftler und gesellschaftlich, kulturell und medial interessierte Bürger. Ziel ist es, ei-nen Einblick in das Spektrum lokaler Medien in Deutschland zu gewähren und Diskussio-nen zu Best Practice-Modellen, zu sozialpoli-tischen und zu anthropologischen Funktionen des Lokalen zu initiieren.

Dazu stellen exemplarisch lokale Medienex-perten ihre Konzepte vor und vergleichen die gängigen Formate Lokal-TV, Lokal-Radio, sowie Regional-/Lokalzeitung mit sublokalen und Special Interest-Formaten. Hinzu kom-men künstlerische Perspektiven auf das Ver-hältnis von Medien, Heimat, Globalität und Lokalität. Im Fokus steht neben quantitati-ven Erfolgskriterien die Frage, inwieweit sich lokale Medien aktiv an der Konstitution von Heimat beteiligen bzw. auf bestimmte Eigen-heiten der Region resp. ein speziisches Hei-matgefühl referieren, um als lokales Medium erfolgreich zu sein.

Die Jahrestagung beginnt am Donnerstag, dem 3. Juli., um 10 Uhr und endet am Freitag, dem 4. Juli, um 18 Uhr.

Das detaillierte Programm inden Sie nach Erscheinen des Heftes auf unserer Webseite:

rundfunkundgeschichte.de.

Archive der Öffentlich-Rechtlichen für die Wissenschaft einheitlich zugänglich

In den letzten Jahren häufte sich die Kritik von Forschern hinsichtlich der Zugänglichkeit von Archiven der öffentlich-rechtlichen Rundfunk-anstalten, auch in unserer Zeitschrift (vgl. In-terviews mit Michael Crone in Heft 3/4-2012 und Leif Kramp in 3/4-2013).

Nun haben die ARD-Intendant/innen Anfang April (endlich!) einen einheitlichen Zugang zu öffentlich-rechtlichen Archiven für For-scher und Wissenschaftler beschlossen, und das auch noch in Abstimmung mit ZDF und Deutschlandradio!

In einer Pressemitteilung heißt es:

„Der Zugang von Wissenschaft und For-schung zu den Archiven von ARD, ZDF, Deutschlandradio und zum Deutschen Rund-funkarchiv ist erstmalig einheitlich geregelt.

Die Intendantinnen und Intendanten haben mit der Verabschiedung einheitlicher Rege-lungen auf der ARD-Sitzung in München Klar-heit im Zugang zu den Archiven geschaffen.

Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in Deutschland sind sich des kulturhistori-schen Wertes ihrer Archive bewusst und sie unterstützen deshalb die Arbeit von Wissen-schaft und Forschung. Die Bedeutung der audiovisuellen Medien als wissenschaftliches Quellenmaterial nimmt zu und zahlreiche Ka-pitel der Zeitgeschichte könnten ohne deren Analyse nicht mehr geschrieben werden.

Neben Bewegtbildern und Tondokumenten stehen deshalb künftig auch ergänzende Schriften oder Sammlungen für die wissen-schaftliche Auswertung und Aufarbeitung zur Verfügung. Die Kontextinformationen dieser Begleitmaterialien (wie z. B. Sachzeugen, Techniksammlungen, etc.) sind in vielen Fäl-len für das Verständnis der Video-, Bild- und Tondokumente unverzichtbar.“

Damit die Regelungen über den Zugang für Wissenschaft und Forschung zum Archivgut der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und des Deutschen Rundfunkarchivs für die Wissenschaftler leicht zugänglich sind, sollen

sie auf den Webseiten der einzelnen Rund-funkanstalten zum Download angeboten sowie auf www.ard.de und auf www.unter-nehmen.zdf.de veröffentlicht werden. Infor-mationen zu den detaillierten Nutzungsbedin-gungen und zu den Materialkosten sollen dort ebenfalls zu inden sein. Um den schnelleren Zugang zu fördern, werde zudem eine Liste von Ansprechpartnern in den Rundfunkan-stalten angeboten, die ebenfalls zum Down-load bereit stehe und kontinuierlich aktuali-siert werde.

Die Frage, wie schnell und umfangreich das die einzelnen Rundfunkanstalten umsetzen, kann derzeit noch nicht beantwortet werden.

Für die ARD steht der erste Zugang bereits fest: http://www.ard.de/home/intern/Einheit-licher_Zugang_zu_Archiven_fuer_Forscher_

und_Wissenschaftler/900322/index.html.

Wie der Beschlussvorlage für die ARD-Sit-zung zu entnehmen war, sind NutARD-Sit-zungen des Archivguts durch „Dritte“ nicht „Gegen-stand dieser Regelungen“. Das betrifft auch Bildungseinrichtungen und Museen. Die ARD-Sprecherin Anna Engelke antwortete auf unsere diesbezügliche Frage: „Warum ist nicht auch eine Lösung für Bildungseinrich-tungen gefunden worden?“: „Die Zielgruppe für die nunmehr geschaffene Regelung ist Wissenschaft und Forschung. Der Zugang für Bildungseinrichtungen ist unverändert zur bisherigen Regelung und unterliegt aufgrund der unterschiedlichsten Anforderungen der Einzelfallprüfung.“

Da bleiben erhebliche Zweifel, da ja auch Mu-seen für wissenschaftliche Zwecke genutzt werden. Der von uns befragte Programmdi-rektor Fernsehen der Deutschen Kinemathek in Berlin, Peter Paul Kubitz, sieht für seine Einrichtung zwar aufgrund eines speziellen Kooperationsvertrages kein Problem, beklagt aber die „Einengung“ auf nur den direkten Zugriff bei den Rundfunkanstalten als „miss-lich“. Denn für viele andere Kulturträger gibt es solche speziellen Regelungen nicht.

Die Beschlüsse sehen für Audio- und Vi-deokopien Kostenerstattungen vor. Die Ge-bührensätze sind für ARD/DR und ZDF

un-79 Forum

terschiedlich. ARD/DR verlangen 30 Euro pro Technikerstunde, das ZDF „ggf. Selbst-kosten“. Unsere Nachfragen zu diesen Ver-klausulierungen ergab für die ARD: „Techni-kerstunde bedeutet die Arbeitsstunde eines Technikers, nicht die Zeitdauer eines über-spielten Materialstücks. Es macht einen Un-terschied, ob 20 Beiträge mit jeweils 2 Minu-ten Länge zu überspielen sind oder ob nur ein Materialstück mit 45 min. Dauer überspielt werden soll.“ (ARD-Sprecherin Anna Engel-ke).

Für das ZDF teilte der dortige Ansprechpart-ner Veit Scheller mit: „Nachdem das ZDF sein hauseigenes Kopierwerk aus Effektivi-tätsgründen schon in den 1990er Jahren ge-schlossen hat, bezieht das ZDF technische Kopierleistungen von externen Anbietern. Die in der Anlage genannten ‚Selbstkosten‘ sind die dem ZDF entstehenden Kosten, insbe-sondere die von den externen Anbietern dem ZDF in Rechnung gestellten Kosten, die nach Art und Länge des zu überspielenden Mate-rials variieren, ohne weitere Aufschläge durch das ZDF, nebst ggf. anfallenden Material- und Versandkosten.“

Konkretes muss wohl immer noch im Einzel-fall erfragt werden. RuG wird sich weiterhin dafür interessieren, wie die Beschlüsse um-gesetzt werden.

Margarete Keilacker, Wermsdorf

Twitter-Feeds und Haushaltsabgabe: Der öffentliche Rundfunk im Um- und Aufbruch Jahrestagung der SGKM

11. bis 12. April 2014 in Zürich

Die Medienlandschaft in der Schweiz wie in anderen westlichen Ländern beindet sich im Wandel. Traditionelle Medienunternehmen sehen sich mit neuen Anbietern, Plattformen, Produkten und Rezeptionsmodi konfrontiert.

Die Werbung wandert ins Internet ab – und zwar in Bereiche, die mit Journalismus wenig zu tun haben, wie Suchmaschinen und sozi-ale Netzwerke.

Die Jahrestagung der Schweizerischen Ge-sellschaft für Kommunikations- und Medien-wissenschaft (SGKM) stand im Zeichen dieser Veränderungen. Unter dem Motto „Abbruch, Umbruch und Aufbruch“ fand sie vom 11. bis 12. April 2014 an der Universität Zürich statt.

Wie immer wurde versucht, neben der Wis-senschaft auch der Praxis eine Plattform zu bieten.

Obwohl die Krise der Tageszeitungen auf der Tagung oft im Vordergrund stand, widme-te sich eine ganze Reihe von Beiträgen den Umbrüchen bei den elektronischen Medien – insbesondere beim öffentlichen Rundfunk.

Bereits in der Eröffnungsrede betonte Slavko Splichal, Professor an der Universität Ljublja-na, die nach wie vor zentrale Rolle des öf-fentlichen Rundfunks bei der Herstellung von Öffentlichkeit. Die Idee des „Public Service“

könne auch dem kommerziell organisierten (Zeitungs-)Journalismus in Zeiten der Krise normative und praktische Lösungsansätze bieten.

Die drei Koreferenten Des Freedman (Gold-smiths, Uni London), Stefania Milan (Uni Til-burg) und Manuel Puppis (Uni Fribourg) teil-ten diese Auffassung zwar, wiesen jedoch auf Mängel bei der praktischen Umsetzung des öffentlichen Auftrags hin. Ausserdem mach-ten sie darauf aufmerksam, dass jüngere Ge-nerationen ein auf Social Media fokussiertes Verständnis von Öffentlichkeit haben.

Das veränderte Mediennutzungsverhalten der jüngeren Generation war auch Thema im Praxis-Workshop „Digital Natives und Hard News“. Konrad Weber, Multimedia-Journa-list für den Online-Nachrichtenbereich im Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) be-schrieb die Versuche seiner Redaktion, über Social Media und neue Arten des „Story Tel-ling“ junge Menschen auch unabhängig von Großereignissen zu erreichen. Nötig sei dafür ein offenerer Journalismus und eine multime-diale Zusammenarbeit. Im Panel der SGKM-Fachgruppe Publikums-, Rezeptions- und Wirkungsforschung präsentierte Andrea Piga von der SRF-Markt- und Publikumsforschung Daten, die zeigen, dass die Inhalte des SRF zunehmend mobil genutzt werden – gerade von jüngeren Generationen.

Um neue Kanäle und neue Formen der Pu-blikumspartizipation beim öffentlichen Rund-funk ging es auch in einem Beitrag von For-schenden der Universität Fribourg: Bruno Asdourian, Florence Van Hove und Dominique Bourgeois analysierten am Beispiel der Twit-ter-Aktivitäten um die Abendnachrichten von Radio Télévision Suisse (RTS) verschiedene Interaktions- und Partizipationsmuster – ins-besondere am Konzept der „injonction com-munautaire“ von Galibert (2010). Daniel Klug von der Universität Basel untersuchte hinge-gen die Teilnahme von Laien-Schaupielenden an sogenannten „Scripted Reality“-Formaten im deutschen Privatfernsehen. Problematisch

sei, dass das Publikum oft nicht unterschei-den könne, ob die gezeigten Alltagssituatio-nen in solchen Sendungen „echt“ oder „ge-spielt“ sind.

Dass sich aufgrund der Konvergenz auch bei der Finanzierung des öffentlichen Rundfunks ein Wandel abzeichnet, wurde aus dem Vor-trag von Manuel Puppis (Uni Fribourg), Mat-thias Künzler (Freie Uni Berlin/HTW Chur), Corinne Schweizer und Samuel Studer (beide Uni Zürich) ersichtlich. Auf Basis einer ver-gleichenden Studie mit 18 westlichen Län-dern boten sie einen Überblick darüber, wo die traditionelle Gebühreninanzierung bereits durch eine Haushaltsabgabe oder eine Me-diensteuer ersetzt wurde (z.B. in Deutsch-land) und wo dies aktuell diskutiert wird (z.B.

in der Schweiz). Die Forschenden präsentier-ten ausserdem Formen staatlicher Unterstüt-zung für den privaten Rundfunk.

Diskutiert wurde auf der SGKM-Tagung auch die Frage, was der öffentliche Rundfunk on-line tun soll. Dass die Konkurrenz mit dem gebühreninanzierten Rundfunk bei der Pres-se für grosPres-sen Unmut sorgt, wird in der Be-richterstattung über den digitalen Aufbruch der Schweizerischen Radio- und Fernsehge-sellschaft (SRG) deutlich. Corinne Schweizer (Uni Zürich) konnte anhand einer Inhaltsana-lyse von Zeitungsartikeln zeigen, dass die Be-richterstattung in der Deutsch- wie der West-schweiz mehrheitlich negativ ausfällt.

Eine weitere Inhaltsanalyse von Cloé Corsini (Uni Zürich) belegte hingegen, dass sich die Verlage zumindest in Bezug auf die Textbei-träge des öffentlichen Rundfunks keine Sor-gen machen müssen: So liege die publizis-tische Qualität der Onlinebeiträge des SRF weit unter derjenigen beim „Tages-Anzeiger“

und der „Neuen Zürcher Zeitung“.

Mit der Umsetzung des Unterhaltungsauf-trags beim öffentlichen Rundfunk befassten sich Massimo Scaglioni von der Università della Svizzera italiana und Luca Barra von der Università Cattolica del Sacro Cuore Milano.

Am Beispiel von US-Serien zeigten sie, wie Radiotelevisione Svizzera (RSI) versucht, sich gegenüber den aus Italien einstrahlenden Pri-vatsendern abzugrenzen und somit eine Art

„Gegenöffentlichkeit“ (McLuhan) zu schaffen.

Nachholbedarf sieht Viktor Vogt (Uni Zürich) beim Integrationsauftrag: Im Vergleich mit dem schwedischen öffentlichen Rundfunk (Sveriges Radio und Sveriges Television)

bietet SRF nicht nur weniger Programme für Migrantinnen und Migranten an, in der Orga-nisation arbeiten auch weniger Personen mit ausländischen Wurzeln. Eine zeitgemässe In-tegrationsstrategie sei wünschenswert, auch wenn die SRG zurzeit mit scheinbar wichtige-ren Herausforderungen konfrontiert sei.

Die an der Jahrestagung der SGKM in Zürich präsentierten Beiträge zum privaten und öf-fentlichen Rundfunk zeigten, dass auch bei den elektronischen Medien zurzeit vieles im Umbruch ist. Insbesondere beim öffentli-chen Rundfunk gilt es zu klären, wie man auf das veränderte Mediennutzungsverhalten jüngerer Generationen reagiert und wie der Informations-, Unterhaltungs- und Integrati-onsauftrag im digitalen Zeitalter noch besser umgesetzt werden kann.

Corinne Schweizer, Zürich

„Besucher, Zuschauer, Surfer, Gamer“

Workshop zum Auftakt des Forschungsver-bundes GAMe: Geschichtsaneignungen in der Mediengesellschaft

9. bis 11. April 2014 in Magdeburg

Die populären Massenmedien prägen un-sere individuellen und kollektiv geteilten Geschichtsbilder. Dennoch darf die Erfor-schung der Rezeption und Aneignung von Medien, die Geschichte populär darstellen, im deutschsprachigen Raum als randständi-ges Forschungsgebiet bezeichnet werden. In der Regel stehen die Medien und deren Nar-rative selbst im Zentrum des Interesses, die Marke Guido Knopp ist seit zwei Jahrzehnten zu einem Reizwort nicht nur der Geschichts-wissenschaft avanciert. Der Magdeburger Workshop verfolgte deshalb das Ziel, die Nutzer medialer Geschichtsrepräsentationen konsequent ins Zentrum der Diskussionen zu stellen und bildete damit den Auftakt des von Prof. Dr. Rainer Gries geleiteten und durch die DFG geförderten Forschungsverbundes GAMe: Geschichtsaneignungen in der Me-diengesellschaft an den Universitäten Mag-deburg, Wien, Leipzig, Marburg und Jena in Kooperation mit dem Fernsehsender 3sat.

Rainer Gries betonte in seiner Einführung die soziale und politische Dringlichkeit der Frage, wie die vielfältigen Angebote media-ler Zeitgeschichtsrepräsentationen von ihren Nutzern angeeignet werden – eine interdiszi-plinäre Herausforderung für Historiker/innen, Sozial-, Kommunikations- und Medienwis-senschaftler/innen und Psycholog/innen

glei-81 Forum

chermaßen. Der Blick auf erste Ergebnisse dieses Forschungsfeldes gebiete es, die An-eignungsprozesse der Zeitgeschichte in den Medien konzertiert zu erforschen und damit zu verstehen, in welchem komplexen Verhält-nis mediale historische Offerten, ihre Nutzer und kollektiv verhandelte Geschichtsbilder stehen.

In einer sehr instruktiven Keynote gab Udo Göttlich (Friedrichshafen) in einem ersten Schritt einen Überblick über die Entwicklung kommunikationswissenschaftlicher Paradig-men zur theoretischen Modellierung medialer Aneignungsprozesse. Davon ausgehend ver-trat er die für den Workshop hoch relevante These, dass die „Realität der Fiktion“ in der heutigen, komplex ausdifferenzierten Me-diengesellschaft die Dichotomie von Fakt und Fiktion insbesondere mit Blick auf individuelle Aneignungsprozesse in Frage stelle.

Sabine Moller (Berlin) eröffnete mit ihrem Vor-trag über individuelle Wahrnehmungen der Spielilme „Good Bye, Lenin!“ und „Forrest Gump“ durch amerikanische und deutsche Rezipienten das erste Panel. Moller führte die Aneignung zeitgeschichtlicher Spielilme als individuellen Prozess vor, in dem die Biogra-phie des Rezipienten, gegenwärtige Diskurse und kollektive Geschichtsbilder eine zentrale Rolle spielen. Mit den Auswirkungen televisu-eller Narrative auf die Genese kollektiv geteil-ter Vorstellungen des Holocaust befasste sich im Anschluss Juliane Finger (Hamburg). Sie konnte überwiegend kurzfristige emotionale Reaktionen auf die Sendungen nachweisen, denen einige wenige mediale Schlüsselerleb-nisse mit langfristiger Wirkung gegenüber-stünden.

Anhand verschiedener historischer Spielilme ohne zeitgeschichtlichen Fokus analysierte Andreas Sommer (Weingarten) deren Einluss auf die Geschichtsbilder junger Erwachse-ner. Sommer konnte eine starke Tendenz zur Übernahme ilmischer Bilderwelten in indivi-duelle Geschichtsbilder der Rezipienten fest-stellen. Björn Bergold (Magdeburg) näherte sich zum Abschluss des Panels zunächst dem Begriff des Authentischen, wobei er eine konstruktivistische Herangehensweise vorschlug, die von der Authentiizierung der Narrative durch den Rezipienten ausgeht.

Anhand von Interviews mit jugendlichen Zu-schauern des Spielilmes „Der Turm“ illus-trierte er unterschiedliche Prozesse der Au-thentiizierung der ilmischen Narrative durch die Zuschauer.

Einen Blick auf die Aneignungsprozesse, die sich an historischen Orten vollziehen, war-fen Stefanie Samida (Potsdam) und Yvonne Kalinna (Magdeburg) im zweiten Panel. Ste-fanie Samida stellte deutschsprachige Living History-Communities in Deutschland vor, die den Alltag römischer Legionäre rekonstruie-ren, und betonte vor allem das körperliche Erlebnis als speziische Aneignungspraxis dieser gegenwärtigen Vergangenheitsrekons-truktion. Yvonne Kalinna stellte die Besucher der Gedenkstätte Deutsche Teilung Marien-born ins Zentrum ihres Vortrags und legte ein-drucksvoll dar, dass die Gedenkstätte für die von ihr ethnographisch erforschten Besucher in der Topographie ganz anders beschaffen sei, als das Konzept der Gedenkstätte dies anlege.

Zu Beginn des Panels „Durch die Geschich-te surfen“ sGeschich-tellGeschich-te Astrid Schwabe (Flensburg) die empirische Evaluation der regionalhistori-schen Website Vimu.info vor, die sich auf die Auswertung von quantitativen Nutzerdaten der Seite gründete. Die Analyse der Verweil-dauer und die Navigation durch den Seiten-aufbau lasse indirekt einen Rückschluss auf verschiedene Nutzungs- und Nutzertypen und ihren jeweiligen Zugang zur Geschichte im Internet zu. Andrea Kolpatzik (Gelsenkir-chen) analysierte in ihrem Vortrag die ge-schichtsjournalistischen Angebote „einesta-ges“ („Spiegel Online“) und „Das Gedächtnis der Nation“ (ZDF/„Stern“). Kolpatzik nahm das Verhältnis der Ebenen von Produktion, Inhalten und Rezeption der Formate in den Blick und konstatierte, dass deren Verlech-tung im Kern eine Erinnerungskultur neuen Typs darstelle.

Eine Besonderheit des dreitägigen Work-shops bot das Laboratorium am Abend des zweiten Tages, bei dem die Teilnehmer/in-nen zeitgeschichtliche Echtzeitstrategie und First-Person-Shooter am PC selbst spielen konnten. Der Abend wurde von Florian Kie-fer (Magdeburg) aus medienpädagogischer Sicht eingeleitet und bot Gelegenheit, die Speziika des Mediums PC-Spiel eigenhän-dig zu entdecken.

Das Panel des dritten Tages stellte die PC-Spiele ins Zentrum der Vorträge. Tim Raupach (Marburg) und Sebastian Koch (Leipzig) prä-sentierten ihr innovatives Projektdesign, das die Analyse des Spielegenres der Weltkriegs-shooter mit der Erforschung seiner Aneignung durch die Gamer verbindet. Das

interdiszipli-näre Projekt erforscht die spieleimmanenten Strategien der Authentiizierung und deren Erfolg in der Online-Spieler-Community glei-chermaßen. Angela Schwarz (Siegen) stellte im Anschluss ihre Erkenntnisse zum Status quo des historisierenden PC-Spiels vor und wagte einen Ausblick auf die dabei stattin-denden Aneignungsprozesse. Dieses Deside-rat zu füllen sei nicht zuletzt durch die Vielfalt der Angebote schwierig, lohne sich aber mit Blick auf die hohe Reichweite des Mediums.

Zum Abschluss des Panels kommentierte Johannes Fromme (Magdeburg) den derzei-tigen Stand der Aneignungsforschung von Geschichte im PC-Spiel und stellte die pro-vokante These in den Raum, dass die Spieler die historischen Narrative der Spiele mögli-cherweise zugunsten der spielmechanischen Aspekte ausblendeten.

Der Workshop verdeutlichte erneut, welch große Notwendigkeit für die Geschichtswis-senschaft besteht, sich konkurrierende For-men der Geschichtsdarstellung und vor allem deren individuelle Aneignung als Analysege-genstand zu erschließen. In den fruchtbaren

Der Workshop verdeutlichte erneut, welch große Notwendigkeit für die Geschichtswis-senschaft besteht, sich konkurrierende For-men der Geschichtsdarstellung und vor allem deren individuelle Aneignung als Analysege-genstand zu erschließen. In den fruchtbaren

Im Dokument Rundfunk und Geschichte (Seite 79-103)