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Die mystische Struktur der Yārıstān-Gemeinde kann man sich wie eine Perle vorstellen (s. Bild).

Sulṭān Säḥāk bildet den Kern des perlenartigen Gebildes. Er ist aber auch in allen anderen Elementen der Struktur präsent. Seinen Funken erteilt er an die „Dreier“ – Bınyāmīn, Dāvūd und Mūsī. Diese drei und später Rämzbār sind die vier Engel. Die vier Engel mit Müṣṭafā, Yādıgār und Sulṭān Säḥāk bilden die Häftän (Sieben Wesen).

Diese Sieben Wesen sind für die himmlischen Angelegenheiten verantwortlich. Ihre sieben Verkörperungen – Häftävān (Sieben Mächte) – sind für die irdischen Aufgaben zuständig: Säyyed Muhammad Sūr, Säyyed Bulväfā, Mīr Sūr, Säyyed Müṣṭäfā, Šeyx Šähāb-od-dīn, Šeyx Ḥäbīb Šäh, Ḥājībābā ‛Īsā.

Der nächste Ring der mystischen Struktur gehört dem ersten Ĵäm mit den 40 Teilnehmern. Dieses Ĵäm zu veranstalten, war die wichtigste Aufgabe Dāvūds.

Der letzte Ring der perlenartigen Struktur gehört den 72 Pīrān. Diese 72 Pīrān waren zunächst die ersten Schüler und Anhänger von Sulṭān Säḥāk. Später wurden einige von ihnen zu den Xānıdān-Führern ernannt.

Dieses Gebilde ist von 90.000 Knechten umrahmt. Unter den sog. 90.000 Knechten versteht man die Yārıstān-Gemeinde.

Die Gemeinde hat eine andere – soziale – Struktur. Sie besteht aus den kleinsten sozialen Einheiten – den Familien. Diese Familien sind durch die Särsıpārī (Initiation) einer Xānıdān unterordnet.

16 Xānıdān bilden die ganze Yārıstān-Gemeinde. Nach Angaben von G. Moradi gibt es 11 Xānıdān (vgl. Moradi 1999, S. 145). S. Safizadeh nennt ebenfalls 11 Xānıdān (vgl.

Safizadeh 1997 b, S. 24f.). Nach einer mündlichen Mitteilung von Säyyed Kāżem Nīknežād gibt es 16 Xānıdān:

Die mystische Struktur der Yārıstān-Gemeinde kann man sich als eine Perle vorstellen.

Die Gemeinde hat eine soziale Struktur: Sie besteht aus den kleinsten sozialen Einheiten – den Familien.

90.000 Knechte 72 Pīrān 40-Personen 7-Wesen u.

7-Mächte 4 Engel Dreier Sulṭān Säḥāk

Gemeinde Xānıdān Familien

Um eine neue Familie gründen zu dürfen, müssen die zukünftigen Eheleute unbedingt aus unterschiedlichen Xānıdān stammen. Es gibt aber Ausnahmefälle, wenn sich junge Menschen aus derselben Xānıdān ineinander verlieben und heiraten wollen. Im Prinzip ist dieses zwar nicht erlaubt, wird aber seitens der Gemeindemitglieder toleriert.

Wenn die Yārıstān außerhalb der Gemeinde einen zukünftigen Ehepartner gewählt haben, wird es ihnen nicht verboten, denjenigen zu heiraten. Es wird willkommen geheißen, wenn sich ein neues Mitglied der Gemeinde anschließt. Das neue Mitglied heißt dann „der den wahren Weg Betretende“. Anders herum, wenn eines der Gemeindemitglieder die Gemeinde verlassen will, um den Angehörigen einer anderen Religion zu heiraten und dessen Glauben zu übernehmen, wird das seitens der Gemeinde ebenfalls freundlich und tolerant hingenommen. Wenn sich aber jemand im Laufe der Zeit entscheidet, in die Gemeinde zurück zu kehren, wird seine Entscheidung begrüßt:

3. Niemand darf einen anderen zwingen und sagen: komm, werde ein Freund (der Wahrheit)!

4. In die Behausung der Freundschaft soll man mit Liebe und eigenem Willen kommen.

(Kälām Nr. 30)

Jedes Mal – für ein neues Mitglied oder für einen Rückkehrer – wird eine Särsıpārī durchgeführt.

Die Kinder, die durch die Heirat zweier Angehörigen unterschiedlicher Dynastien auf die Welt kommen, gehören der Xānıdān des Vaters an. Die Konfession des Kindes, das durch die Heirat eines Angehörigen der Yārıstān mit einem anders Gläubigen auf die Welt kommt, wird allein von den Eltern gewählt oder dem Kind, wenn es erwachsen ist, selbst überlassen. Diese Regeln sind in keinem Kapitel der Yārıstān-Lehre erwähnt, werden aber als Moralprinzipien innerhalb der Gemeinde tradiert.

Dasselbe gilt für den Xānıdān-Führer. Dafür gibt es eine Vorgehensweise, die innerhalb der Yārıstān als Tradition gilt. Die Entscheidung über das nächste Sippenoberhaupt obliegt allein dem bisherigen Xānıdān-Führer. Er wählt einen Mann aus seiner Familie, der seiner Meinung nach einen Funken von Sulṭān Säḥāk in sich trägt. Derjenige kann einer seiner Söhne oder einer seiner Enkelsöhne oder aber auch einer seiner Brüder oder Neffen sein.

Das Zusammensein spielt im Leben der Gemeinde eine wichtige Rolle. Die Yārıstān versammeln sich im Ĵäm-Xāna. In demselben Ĵäm treffen sich gleichzeitig die Angehörigen unterschiedlicher Xānıdān, die in der Nähe des Ĵäms wohnen oder sich zu diesem Zeitpunkt in seiner Nähe aufhalten.

An jedem Donnerstagabend wird das Ĵäm für die Gläubigen geöffnet. Ihre Teilnahme ist allerdings freiwillig. Ein Pīr ist gleichzeitig ein „Priester“, ein Lehrer, ein Führer der Versammlung im Ĵäm, ein Sachverständiger über sämtliche Rituale und Zeremonien, einer, der die Kälāmāt auswendig kann. Er führt ein Familienleben wie alle anderen Yārıstān-Gläubigen. Er hat einen weltlichen Beruf und lebt von seinem eigenen Einkommen. Die wichtigste Funktion eines Pīrs ist die Yārıstān-Zeremonie für die neugeborenen Yārıstānkinder – Särsıpārī (Initiation).

Der Rang eines Pīrs wird vom Vater an den Sohn weitergegeben, wenn er bestimmten Anforderungen entspricht.

Außer dem Pīr gibt es im Ĵäm freiwillige Diener, die sowohl die regelmäßigen Versammlungen als auch die Rituale und Feste unter der Führung des Pīrs vor- und nachbereiten. Ihre Tätigkeit wird nicht entgeltlich ausgeübt, sondern von den Ĵäm-Teilnehmern als eine gute Tat angesehen. Eine schwerwiegende Aufgabe hat der Xādım (oder Xälīfa): er ist vor allem für die Durchführung der Opfer-Rituale verantwortlich.

Seine weitere Aufgabe ist die zeremonielle Verteilung der Speisen während aller Veranstaltungen im Ĵäm. Der Xādım hat zwei Helfer, die ihm während aller Veranstaltungen helfen. Zu ihren Aufgaben gehört es z. B. auch, die Ĵäm-Teilnehmer über eine bevorstehende Versammlung zu benachrichtigen oder das Essen nach der Versammlung für die Abwesenden nach Hause zu liefern.

Es gibt freiwillige Dienerinnen, die im Ĵäm den Boden fegen und wischen, nach dem Essen das Geschirr spülen, das Fleisch von den Opfertieren zubereiten. Ihre Dienste widmen sie Rämzbār.

Andere Ĵäm-Teilnehmer bieten ihre Dienste dem Ĵäm auch an, wenn es um einmalige Aufgaben geht, wie z. B. Brennholz oder Wasser holen, Einkäufe erledigen, bei der Renovierung des Ĵäm-Xānas helfen.

Das Gebilde von sozialen und religiösen Strukturen innerhalb der Yārıstān-Gemeinde bleibt nur dank einer entwickelten religiösen Lehre in Form autorisierter Literatur, die von der älteren Generation der Yārıstān-Gläubigen an die jüngere Generation mündlich weiter gegeben wird, bestehen. Diese Literatur heißt in der hier behandelten türkischen Mundart die Kälāmāt-ı torkī und wurde von 24 türkischen Dichtern gedichtet. Alle

Dichter sind namentlich bekannt. Zehn von ihnen wurden im Kälām Nr. 62 aufgelistet.

Die weiteren Namen der Dichter finden sich jeweils am Ende jedes Kälāms: das entspricht der Ghasel-Form, in der alle Kälāmāt gedichtet worden sind. Die Namen sind:

1. Quščıoġlı 2. Quloġlı

3. Šähsävāroġlı 4. Nämāma 5. Yūnıs 6. Turābī 7. Budaġ 8. Šeyxīĵān 9. Fätḥī 10. Xästäh ‛Ālī 11. Gündüz 12. Quli

13. Qänbär 14. Ämīr 15. Yādıgār 16. Qäländär 17. Qāsım 18. Aqaoġlı 19. Ovlıbābā 20. Äḥmäd 21. Mäḥmūdoġlı 22. Mäzīdoġlı 23. Ḥäsän 24. Qul Välī

Einige der Dichter sind professionelle Dichter, die auch weltliche Werke geschrieben haben. Manche sind lediglich durch ihre Kälāms bekannt.

Alle Dichter tragen den hohen Titel „Ḥäẓrät“ („Heiliger“), den für gewöhnlich die Sieben Wesen tragen.