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1 Intergenerationelle Gerechtigkeit

1 Status sozialer Gerechtigkeit

Die Messung von Generationengerechtigkeit ist methodisch wie konzeptio-nell ein schwieriges Unterfangen. Generationengerechtigkeit umfasst ver-schiedenste Politikbereiche von Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik über Umwelt- bis hin zur Renten- und Fiskalpolitik. Die Generationengerechtig-keit ist somit ein Querschnittsthema, das viele Politikfelder berührt. Hinzu kommt, dass Generationengerechtigkeit sowohl das Verhältnis zwischen Jung und Alt in der aktuellen Periode betrifft als auch den Vergleich von

„Generationen“ (im Sinne von Kohorten) im Zeitverlauf. Es geht also um die Frage, ob die gegenwärtig Jungen im Vergleich zu den gegenwärtig Alten ge-recht behandelt werden (und umgekehrt), aber auch darum, ob die gegen-wärtig Alten im Vergleich zu früheren und zukünftigen Alten gerecht behandelt werden.

Der Social Justice Index erfasst das Ausmaß von intergenerationaler Ge-rechtigkeit anhand von drei qualitativen und fünf quantitativen Indikatoren.

Zwei der quantitativen Indikatoren betreffen den Umweltschutz (Ausmaß von klimaschädlichen Emissionen und Ausbau der erneuerbaren Energien);

ein weiterer die relativen Investitionen in Forschung und Entwicklung. Hin-zu kommen Informationen Hin-zur Höhe der Staatsverschuldung und die soge-nannte „Age Dependency Ratio“, die den relativen Anteil der altersbedingt

„Abhängigen“ (Kinder/Jugendliche und Alte) im Verhältnis zur Zahl der Er-werbstätigten erfasst.

der EU. Nach Abbildung 10 schätzen sie den Reformbedarf auf der vierteili-gen Skala von 0 bis 3 mit 2,06 ziemlich hoch ein, nur geringfügig weniger als für die gesamte EU. Allerdings versteckt sich hinter dem EU -Durch-schnittswert eine große Heterogenität, welche die Entwicklungsunterschie-de wieEntwicklungsunterschie-derspiegelt. Abgesehen vom Ausnahmefall Luxemburg streut das Pro-Kopf-Einkommen in der EU-28 von 46.200 in Dänemark bis 5.900 Euro in Bulgarien. Wenig überraschend erscheint den Fachleuten der Reformbe-darf im armen Rumänien und im krisengeschüttelten Griechenland mit 2,78 und 2,74 am höchsten, während die dänischen Expert/innen mit 1,23 den geringsten Bedarf wahrnehmen. Die Frage, ob Reformen stattgefunden ha-ben, beantworten die deutschen Teilnehmer zu 53 Prozent mit ja, das ist etwas weniger als die Reformaktivität von 56 Prozent in der EU. Dagegen schätzen sie die Reformqualität der deutschen Politik mit 0,7 merklich höher ein als im EU-Durchschnitt. Der Reformbedarf verteilt sich nach Ansicht der befragten Expert/innen ziemlich gleichmäßig auf die acht Teilgebiete. Ledig-lich im Bereich Organisation und Kontrolle (Governance) sehen sie mit 2,33 einen etwas dringlicheren Handlungsbedarf. Das mag auch an der hohen Kom-plexität des Gesundheitswesens mit hohen Anforderungen an eine effektive

SOZIALE INKLUSION IN DEUTSCHLAND

Insgesamt liegt Deutschland bei dieser Dimension leicht über dem EU-Durchschnitt (mit einem Wert von 5,69 bei einem Durchschnitt von 5,47).

Die Betrachtung der einzelnen Indikatoren zeigt allerdings nach Abbildung 11 sehr große Unterschiede. Besonders gravierende Defizite gibt es bei der

„Age Dependency Ratio“: Mit einem Wert von 1,66 liegt Deutschland weit unter dem EU-Durchschnitt. Lediglich Finnland (1,49), Griechenland (1,19) und Italien (1,00) schneiden noch schlechter ab. Bei den Investitionen in Forschung und Entwicklung findet sich Deutschland im Gegensatz dazu mit einem Wert von 7,74 in der Spitzengruppe, wenngleich eine Reihe anderer Länder auch hier besser abschneiden (zum Beispiel Schweden (8,65) oder Österreich (8,20).

Bei den umweltpolitischen Indikatoren ist Deutschland ebenfalls deutlich unter dem EU-Durchschnitt, mit einem Wert von 4,89 bei den klimaschäd-lichen Emissionen (EU-Durchschnitt: 6,12) und mit einem Wert von 4,32 beim Ausbau der erneuerbaren Energien (EU-Durchschnitt: 5,38). Dieses ver-gleichsweise schlechte Abschneiden in der Umweltpolitik überrascht, da Deutschland gern eine Vorreiterrolle im internationalen Klimaschutz über-nimmt. Zudem hat Deutschland den Ausstieg aus der Atomenergie beschlos-sen und den Ausbau der erneuerbaren Energien in den letzten Jahren entschieden vorangetrieben. Offensichtlich waren diese Anstrengungen im internationalen Vergleich noch nicht ausreichend, um umweltpolitische Ge-rechtigkeitsdefizite vollständig zu neutralisieren.

Bei den Staatsfinanzen – insbesondere der Höhe der Staatsverschuldung als Indikator intergenerationaler Gerechtigkeit – erreicht Deutschland mit einem Wert von 4,9 exakt den EU-Durchschnitt. Obwohl gerade in den letz-ten Jahren durch die entschiedene Politik der „Schwarzen Null“ von Bun-desfinanzminister Schäuble erstmals seit Jahrzehnten ein ausgeglichener Bundeshaushalt erreicht werden konnte, wirkt sich die hohe Schuldenlast der vergangenen Jahre und Jahrzehnte weiterhin negativ auf die intergene-rationale Gerechtigkeit aus.

2 Herausforderungen

Der SJI zeigt – und dies deutlicher als in anderen Dimensionen – signifikante Defizite im Hinblick auf die intergenerationale Gerechtigkeit in Deutschland auf. Der demographische Wandel ist und bleibt die zentrale Herausforde-rung für Sozialpolitik und Staatsfinanzen. Auch wenn der Abwärtstrend bei den Geburtenraten in den letzten Jahren gestoppt und sogar ins Positive ge-dreht werden konnte,14 liegt die Geburtenrate weiter deutlich unter dem EU-Durchschnitt. Der Bevölkerungsanteil der Älteren steigt weiter – mit den entsprechenden Folgen für die sozialen Sicherungssysteme. Der demogra-phische Wandel kann allerdings zu einer Entspannung auf dem Arbeitsmarkt beitragen, wenn – unterstützt durch komplementäre Investitionen in Bil-dung und Forschung – genügend gut qualifizierte Fachkräfte zur Verfügung stehen. Auch die Öffnung des Arbeitsmarktes für Migranten kann hier Ab-hilfe schaffen. Im umweltpolitischen Bereich stehen der weitere Ausbau der erneuerbaren Energien sowie verstärkte Bemühungen zum Klimaschutz auf der Agenda. Jüngste Veränderungen im internationalen Umfeld erschweren derzeit die Umsetzung von anspruchsvollen Klimazielen auf globaler Ebene.

14 http://www.spiegel.de/gesundheit/schwangerschaft/deutschlands-geburtenziffer-bleibt-unter-eu-durch-schnitt-a-1147782.html (abgerufen am 30. Juni 2017)

Abgesehen von den inhaltlichen Fragen wird eine weitere zentrale Her-ausforderung eher politischer Natur sein: Der demographische Wandel führt nämlich auch dazu, dass sich die Mehrheitsverhältnisse in einer Demokratie verändern. Wenn fiskalische Handlungsspielräume wieder knapper werden, besteht die Gefahr, dass öffentliche Mittel nicht für notwendige Investitio-nen in Bildung, Forschung, Umweltpolitik und Infrastruktur ausgegeben werden, sondern eher für konsumtive Sozialleistungen.

Die zentralen Herausforderungen zur Verbesserung der intergenerationalen Gerechtigkeit in Deutschland sind somit:

• Verringerung der „Age Dependency Ratio“ durch einen Anstieg des allgemeinen Ruhestandsalters, durch Familien- und Bildungspolitik sowie einer geordneten Zuwanderung von Fachkräften;

• Beibehaltung des Konsolidierungspfades der Staatsfinanzen bei Sicherstellung der notwendigen Investitionen in Bildung, Forschung und Infrastruktur;

• verstärkte Bemühungen zum Ausbau der erneuerbaren Energien und zur Verringerung von klimaschädlichen Emissionen.

3 Reformbemühungen

Wegen des Querschnittscharakters des Problems der intergenerationalen Gerechtigkeit enthält das SIM Europe Reform Barometer keine Auswertung der Daten, die den Indikatoren des Social Justice Index entsprechen. Statt-dessen wurde ein aggregierter Reformindex gebildet, der – in Analogie zum Insgesamt liegt Deutschland bei dieser Dimension leicht über dem

EU-Durchschnitt (mit einem Wert von 5,69 bei einem Durchschnitt von 5,47).

Die Betrachtung der einzelnen Indikatoren zeigt allerdings nach Abbildung 11 sehr große Unterschiede. Besonders gravierende Defizite gibt es bei der

„Age Dependency Ratio“: Mit einem Wert von 1,66 liegt Deutschland weit unter dem EU-Durchschnitt. Lediglich Finnland (1,49), Griechenland (1,19) und Italien (1,00) schneiden noch schlechter ab. Bei den Investitionen in Forschung und Entwicklung findet sich Deutschland im Gegensatz dazu mit einem Wert von 7,74 in der Spitzengruppe, wenngleich eine Reihe anderer Länder auch hier besser abschneiden (zum Beispiel Schweden (8,65) oder Österreich (8,20).

Bei den umweltpolitischen Indikatoren ist Deutschland ebenfalls deutlich unter dem EU-Durchschnitt, mit einem Wert von 4,89 bei den klimaschäd-lichen Emissionen (EU-Durchschnitt: 6,12) und mit einem Wert von 4,32 beim Ausbau der erneuerbaren Energien (EU-Durchschnitt: 5,38). Dieses ver-gleichsweise schlechte Abschneiden in der Umweltpolitik überrascht, da Deutschland gern eine Vorreiterrolle im internationalen Klimaschutz über-nimmt. Zudem hat Deutschland den Ausstieg aus der Atomenergie beschlos-sen und den Ausbau der erneuerbaren Energien in den letzten Jahren entschieden vorangetrieben. Offensichtlich waren diese Anstrengungen im internationalen Vergleich noch nicht ausreichend, um umweltpolitische Ge-rechtigkeitsdefizite vollständig zu neutralisieren.

Bei den Staatsfinanzen – insbesondere der Höhe der Staatsverschuldung als Indikator intergenerationaler Gerechtigkeit – erreicht Deutschland mit einem Wert von 4,9 exakt den EU-Durchschnitt. Obwohl gerade in den letz-ten Jahren durch die entschiedene Politik der „Schwarzen Null“ von Bun-desfinanzminister Schäuble erstmals seit Jahrzehnten ein ausgeglichener Bundeshaushalt erreicht werden konnte, wirkt sich die hohe Schuldenlast der vergangenen Jahre und Jahrzehnte weiterhin negativ auf die intergene-rationale Gerechtigkeit aus.

2 Herausforderungen

Der SJI zeigt – und dies deutlicher als in anderen Dimensionen – signifikante Defizite im Hinblick auf die intergenerationale Gerechtigkeit in Deutschland auf. Der demographische Wandel ist und bleibt die zentrale Herausforde-rung für Sozialpolitik und Staatsfinanzen. Auch wenn der Abwärtstrend bei den Geburtenraten in den letzten Jahren gestoppt und sogar ins Positive ge-dreht werden konnte,14 liegt die Geburtenrate weiter deutlich unter dem EU-Durchschnitt. Der Bevölkerungsanteil der Älteren steigt weiter – mit den entsprechenden Folgen für die sozialen Sicherungssysteme. Der demogra-phische Wandel kann allerdings zu einer Entspannung auf dem Arbeitsmarkt beitragen, wenn – unterstützt durch komplementäre Investitionen in Bil-dung und Forschung – genügend gut qualifizierte Fachkräfte zur Verfügung stehen. Auch die Öffnung des Arbeitsmarktes für Migranten kann hier Ab-hilfe schaffen. Im umweltpolitischen Bereich stehen der weitere Ausbau der erneuerbaren Energien sowie verstärkte Bemühungen zum Klimaschutz auf der Agenda. Jüngste Veränderungen im internationalen Umfeld erschweren derzeit die Umsetzung von anspruchsvollen Klimazielen auf globaler Ebene.

14 http://www.spiegel.de/gesundheit/schwangerschaft/deutschlands-geburtenziffer-bleibt-unter-eu-durch-schnitt-a-1147782.html (abgerufen am 30. Juni 2017)

Abbildung 11

Entwicklung der SJI-Indikatoren im Bereich Intergenerationelle Gerechtigkeit für Deutschland

Social Justice Index 2017 4

6 8

2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2017

2

EAnteil erneuerbarer Energien

FGesamtausgaben für Forschung und Entwicklung GStaatsverschuldung in % des BIP

HAltenquotient

10 = höchster möglicher Wert / 1= geringster möglicher Wert

Generationengerechtigkeit: Gesamtwert

„Child and Youth Opportunity Index“ des SJI – die Entfaltungsmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche misst (siehe Abbildung 12). Dieser Index besteht aus den folgenden Politikzielen: Vermeidung von Armut unter Kindern, Ab-schwächung des Zusammenhangs zwischen sozioökonomischem Hinter-grund und Bildungserfolg, Verringerung der Schulabbrecherquote, arbeitsmarktpolitische Maßnahmen für Jugendliche und Reduzierung der Rate der Jugendlichen, die weder in Ausbildung noch in Arbeit sind („NEET-Rate“).

Zunächst fällt aus der Vogelperspektive betrachtet positiv auf, dass die Reformleistung im EU-Durschnitt bei diesem spezifischen Indikator mit ei-nem Wert von 0,39 deutlich über dem Gesamtdurchschnitt aller betrachte-ten Politikdimensionen liegt (0,27 für die gesamte EU). Insofern kann man sagen, dass die EU-Länder diesen Bereich durchaus als wichtig erkannt haben und entsprechende Reformanstrengungen unternehmen. Besonders aktiv sind die EU-Staaten bei der Vermeidung von Kinderarmut (Reformindex-Wert von 0,53) und von Jugendarbeitslosigkeit durch arbeitsmarktpolitische (Re-formindex-Wert von 0,60) oder andere Maßnahmen zur Reduzierung der NEET-Rate (Wert von 0,32).

Die Bilanz zu Deutschlands Reformanstrengungen in diesem Bereich fällt al-lerdings ernüchternd aus, obwohl einschränkend hinzugefügt werden muss, dass die befragten Expert/innen in dieser Querschnittsauswertung den formbedarf hierzulande auch etwas niedriger einschätzen. Mit einem Re-formleistungswert von lediglich 0,09 liegt Deutschland weiter unter dem EU-Durchschnitt von 0,39. Lediglich Spanien (0,04), Ungarn (0,02) und die Tschechische Republik (0,06) schneiden schlechter ab. Besonders ins Auge fällt die sehr negative Einschätzung der deutschen Reformbemühungen hin-sichtlich der Bekämpfung von Jugendarbeitslosigkeit und zur Reduzierung der NEET-Rate. Dies deckt sich mit den oben diskutierten Befunden zum Anteil der jungen Bevölkerung ohne Schul- oder Berufsabschluss, der lang-fristig und hartnäckig stabil bleibt. Eine etwas bessere Reformleistung be-scheinigen die Expert/innen Deutschland bei der Bekämpfung von Kinder- armut (Reformleistungswert von 0,32).

Diese doch erstaunlich negativen Einschätzungen der befragten Expert/

innen zur Reformleistung Deutschlands hinsichtlich der Situation von Kin-dern und Jugendlichen bedürfen der Kontextualisierung. Ein wichtiger Kon-textfaktor ist die gute Arbeitsmarktlage, die in Verbindung mit dem etablierten System der dualen Ausbildung dazu führt, dass die offene Ju-gendarbeitslosigkeit in Deutschland auf niedrigem Niveau verbleibt. Dies trägt sicherlich zur Ermattung des Reformeifers bei.

Hinzu kommt, dass Deutschland in den vergangenen Jahren hinsichtlich anderer Aspekte, die für intergenerationale Gerechtigkeit von Relevanz sind, durchaus einige Fortschritte zu vermelden hat. Bereits die rote-grüne Re-gierung beschloss im Jahr 2004 eine Rentenreform, die durch die Koppe-lung der Rentenhöhe an demographische Veränderungen eine – zumindest aus fiskalischer Sicht – Verbesserung der Nachhaltigkeit des Systems be-wirkte. Der Sektor der frühkindlichen Erziehung und Bildung wurde in den letzten zehn Jahren massiv ausgebaut, unterstützt durch Finanzmittel des Bundes. Dennoch gelang gleichzeitig eine Konsolidierung der Staatsfinan-zen, die durch die Einführung der sogenannten Schuldenbremse auch dauer-haft Bestand haben könnte. Die umweltpolitische Transformation wurde durch die Energiewende und den Ausbau der erneuerbaren Energien

befördert, und der deutsche Arbeitsmarkt ist – entgegen vieler Vorurteile – für die Zuwanderung von ausländischen Fachkräften inzwischen gut zugäng-lich, wie die OECD jüngst bestätigte.15

4 Gelegenheiten für wechselseitiges Lernen

Trotz aller Relativierungen bleibt am Ende die zentrale Erkenntnis, dass Deutschland hinsichtlich der intergenerationalen Gerechtigkeit signifikante Defizite hat. Wieder lohnt hinsichtlich der Sozialpolitik für Kinder und Ju-gendliche ein Blick in die Nachbarländer: Polen (Reformindex-Wert von 0,48), Frankreich (0,46), Österreich (0,56) und Dänemark (0,40) schneiden allesamt deutlich besser ab. Polen konzentriert seine Anstrengungen auf die Verringerung von Kinderarmut (Reformleistungswert von 1,21), während sich Frankreich vor allen Dingen für eine Reduzierung der NEET-Rate en-gagiert (Wert von 0,75). Österreich zeichnet sich durch eine hohe

15 OECD, 2013: Recruiting Immigrant Workers: Germany, Paris: OECD.

„Child and Youth Opportunity Index“ des SJI – die Entfaltungsmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche misst (siehe Abbildung 12). Dieser Index besteht aus den folgenden Politikzielen: Vermeidung von Armut unter Kindern, Ab-schwächung des Zusammenhangs zwischen sozioökonomischem Hinter-grund und Bildungserfolg, Verringerung der Schulabbrecherquote, arbeitsmarktpolitische Maßnahmen für Jugendliche und Reduzierung der Rate der Jugendlichen, die weder in Ausbildung noch in Arbeit sind („NEET-Rate“).

Zunächst fällt aus der Vogelperspektive betrachtet positiv auf, dass die Reformleistung im EU-Durschnitt bei diesem spezifischen Indikator mit ei-nem Wert von 0,39 deutlich über dem Gesamtdurchschnitt aller betrachte-ten Politikdimensionen liegt (0,27 für die gesamte EU). Insofern kann man sagen, dass die EU-Länder diesen Bereich durchaus als wichtig erkannt haben und entsprechende Reformanstrengungen unternehmen. Besonders aktiv sind die EU-Staaten bei der Vermeidung von Kinderarmut (Reformindex-Wert von 0,53) und von Jugendarbeitslosigkeit durch arbeitsmarktpolitische (Re-formindex-Wert von 0,60) oder andere Maßnahmen zur Reduzierung der NEET-Rate (Wert von 0,32).

Die Bilanz zu Deutschlands Reformanstrengungen in diesem Bereich fällt al-lerdings ernüchternd aus, obwohl einschränkend hinzugefügt werden muss, dass die befragten Expert/innen in dieser Querschnittsauswertung den formbedarf hierzulande auch etwas niedriger einschätzen. Mit einem Re-formleistungswert von lediglich 0,09 liegt Deutschland weiter unter dem EU-Durchschnitt von 0,39. Lediglich Spanien (0,04), Ungarn (0,02) und die Tschechische Republik (0,06) schneiden schlechter ab. Besonders ins Auge fällt die sehr negative Einschätzung der deutschen Reformbemühungen hin-sichtlich der Bekämpfung von Jugendarbeitslosigkeit und zur Reduzierung der NEET-Rate. Dies deckt sich mit den oben diskutierten Befunden zum Anteil der jungen Bevölkerung ohne Schul- oder Berufsabschluss, der lang-fristig und hartnäckig stabil bleibt. Eine etwas bessere Reformleistung be-scheinigen die Expert/innen Deutschland bei der Bekämpfung von Kinder- armut (Reformleistungswert von 0,32).

Diese doch erstaunlich negativen Einschätzungen der befragten Expert/

innen zur Reformleistung Deutschlands hinsichtlich der Situation von Kin-dern und Jugendlichen bedürfen der Kontextualisierung. Ein wichtiger Kon-textfaktor ist die gute Arbeitsmarktlage, die in Verbindung mit dem etablierten System der dualen Ausbildung dazu führt, dass die offene Ju-gendarbeitslosigkeit in Deutschland auf niedrigem Niveau verbleibt. Dies trägt sicherlich zur Ermattung des Reformeifers bei.

Hinzu kommt, dass Deutschland in den vergangenen Jahren hinsichtlich anderer Aspekte, die für intergenerationale Gerechtigkeit von Relevanz sind, durchaus einige Fortschritte zu vermelden hat. Bereits die rote-grüne Re-gierung beschloss im Jahr 2004 eine Rentenreform, die durch die Koppe-lung der Rentenhöhe an demographische Veränderungen eine – zumindest aus fiskalischer Sicht – Verbesserung der Nachhaltigkeit des Systems be-wirkte. Der Sektor der frühkindlichen Erziehung und Bildung wurde in den letzten zehn Jahren massiv ausgebaut, unterstützt durch Finanzmittel des Bundes. Dennoch gelang gleichzeitig eine Konsolidierung der Staatsfinan-zen, die durch die Einführung der sogenannten Schuldenbremse auch dauer-haft Bestand haben könnte. Die umweltpolitische Transformation wurde

durch die Energiewende und den Ausbau der erneuerbaren Energien Reform Barometer 2016

Aktivität

Reformaktivitäten zur Verbesserung der Entfaltungsmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche in Deutschland und Europa

3

Reformaktivität bei der Bekämpfung von Jugendarbeitslosigkeit aus, obwohl auch in diesem Land das duale Ausbildungsmodell weit verbreitet ist. Inso-fern zeigt der Blick über die Grenzen, dass Staaten auch durchaus in sol-chen Bereisol-chen Reformanstrengungen unternehmen können und wollen, in denen sie im internationalen Vergleich bereits relativ gut dastehen.

1

Fazit

1

Wie können die zentralen Ergebnisse unserer Auswertung der Daten des Social Justice Index und des Reform Barometer zusammengefasst werden? Al-les in allem steht Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern, aber auch im Vergleich zu früheren Perioden, gut da. Dies gilt insbesondere und er-staunlicherweise für die Dimension des Zugangs zum Arbeitsmarkt, obwohl Deutschland in früheren Zeiten durchaus mit hohen Arbeitslosenzahlen zu kämpfen hatte. Beim Thema Bildungsungleichheit bestehen allerdings wei-terhin Probleme, wenngleich hier ein leichter Aufwärtstrend zu beobachten ist. Die größten Gerechtigkeitsprobleme zeichnen sich in den Bereichen der intergenerationalen Gerechtigkeit und der Integration von Menschen mit Migrationshintergrund, insbesondere Geflüchteten, ab.

Die deutsche Reformbilanz ist gemischt. Einerseits hat die Politik durch-aus Gerechtigkeitsprobleme erkannt und darauf reagiert, wie etwa bei der Umsetzung von Reformen zur Verbesserung des Zugangs zu Arbeitsmarkt und Bildung sowie bei der Umsetzung des Mindestlohns zur Vermeidung von Armut, insbesondere des Typs der „in-work poverty“. Andererseits ha-ben viele der angestoßenen Reformen Folgeprobleme und neue Formen von Ungleichheit ausgelöst. Zudem sind Reformen weniger engagiert umgesetzt oder erst gar nicht angegangen worden, wenn sie Bevölkerungsgruppen be-treffen, die in den bestehenden politischen Strukturen schwach repräsen-tiert sind, wie etwa Langzeitarbeitslose, Menschen mit Migrationshintergrund, Angehörige junger oder zukünftiger Generationen sowie Frauen.

Insofern mag gerade für Deutschland angesichts der guten Ausgangsla-ge die Einschätzung der befragten Expert/innen bezüglich Reformbedarf und Reformleistung eher ernüchternd wirken. Die Daten des Reform Barometers zeigen an, dass Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern weniger re-formfreudig ist, die Qualität der Reformen – wenn sie einmal verabschiedet sind – allerdings als überdurchschnittlich hoch eingeschätzt wird. Dies deu-tet auf ein spezifisches Muster in der Reformpolitik hin: Im politischen Sys-tem Deutschlands gibt es eine Vielzahl von Akteuren, die im politischen Prozess Mitsprache- oder gar Veto-Rechte haben, wie etwa der Bundesrat und je nach politischer Konstellation die dort vertretenen Landesregierun-gen, Industrie- und Arbeitgeberverbände, Gewerkschaften sowie andere zi-vilgesellschaftliche Institutionen. Diese Konstellation führt dazu, dass Reformprozesse häufiger länger als in anderen Ländern dauern, dafür sind die wesentlichen politischen und gesellschaftlichen Interessen eingebunden, so dass weniger Probleme bei der Umsetzung der Reformen zu erwarten sind. Dies dürfte der positiven Experteneinschätzung zur Qualität der Re-formen zu Grunde liegen. Die Blindstelle dieses Arrangements liegt aller-dings darin, dass politisch weniger gut organisierte Gruppen es besonders schwer haben, ihre Interessen in den Prozess einzubringen. Dies zeigt sich beispielsweise an der eher negativen Bilanz Deutschlands in der Dimension der intergenerationalen Gerechtigkeit. Angesichts der vergleichsweise guten Budgetlage wären die Voraussetzungen günstiger als in den überschuldeten Krisenländern oder den aufholenden osteuropäischen Staaten, notwendige und zukunftsgerichtete Investitionen zu tätigen. Dennoch finden sie nur in begrenztem Maße statt.

Reformaktivität bei der Bekämpfung von Jugendarbeitslosigkeit aus, obwohl auch in diesem Land das duale Ausbildungsmodell weit verbreitet ist. Inso-fern zeigt der Blick über die Grenzen, dass Staaten auch durchaus in sol-chen Bereisol-chen Reformanstrengungen unternehmen können und wollen, in denen sie im internationalen Vergleich bereits relativ gut dastehen.

FAZIT

Wenn die EU die Vision von einem sozial inklusiven Europa verwirklichen und die Bürger/innen mit besseren Jobs und mehr Chancen ausstatten will

Wenn die EU die Vision von einem sozial inklusiven Europa verwirklichen und die Bürger/innen mit besseren Jobs und mehr Chancen ausstatten will