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Sprechen als Handeln

Im Dokument Semantik und Pragmatik (Seite 92-103)

Bisher haben wir uns sowohl in Semantik als auch in der Pragmatik im wesentlichen auf Aussagesätze und ihre Verwendung im Informationsaustausch konzentriert. Aber es gibt auch andere Satztypen und andere Arten, Sätze zu verwenden. Die Vielfalt dieser Verwendungsmöglichkeiten und ihre Analyse steht im Mittelpunkt der Sprechakt-theorie. Um sie geht es in diesem letzten Kapitel gehen.

68 Die Kooperativität des Hörers ist in den Herleitungen der Implikaturen weniger augenfällig, aber ebenso unerlässlich wie die des Sprechers. Denn letzterer verlässt sich darauf, dass der Hörer ihn so versteht, wie er verstanden werden will – was insbesondere die Implikaturen einschließt.

69 Allerings gibt es auch im Bereich der Semantik Erklärungen. Bedeutungen sind einerseits historisch bedingt und lassen sich aus der Sprachgeschichte erklären – das gilt vor allem im lexikalischen Be-reich (Etymologie). Zum anderen scheinen sie teilweise sehr speziellen kognitiven Beschränkungen zu unterliegen, die ihrerseits erklären, welche Typen von Bedeutungen es überhaupt gibt; letzteres gibt Anlass zu verschiedenen Forschungsprogrammen innerhalb der logischen Semantik.

Sprechakte

Wir hatten bereits mehrfach gesagt, dass Sprechen eine Form menschlichen Handelns ist. Jede Handlung, die durch Sprache – sprechend, schreibend oder gebärdend – voll-zogen wird, wird als Sprechakt bezeichnet.70 Hier sind ein paar Beispiele:

(A) Regine und Willi sehen Manfred von weitem mit einem großen Gegenstand rumhantieren. Willi fragt sich, was Manfred da macht. Regine äußert:

(81) Manfred führt seinem Sohn einen Drachen vor.

(B) Regine und Willi unterhalten sich über das bevorstehende Weihnachtsfest.

Willi sucht noch ein Geschenk für seinen Neffen. In der Hoffnung auf Inspira-tion äußert er:

(82) Was schenkt Manfred seinem Sohn?

(C) Manfred fragt Willi, ob er eine Idee hat, die Stimmung seines Sohnes zu heben.

Willi äußert:

(83) Bastel doch deinem Sohn einen Drachen.

In (A) liegt ein typischer Fall von Informationsfluss vor, wie wir ihn schon die ganze Zeit betrachtet haben: Regine sagt mit (81) etwas über die von ihr und ihrem Ge-sprächspartner beobachtete Szene aus – und vollzieht damit einen Sprechakt. In (B) dient die Äußerung nicht der Übermittlung von Informationen, sondern um eine solche Informationsübermittlung in Gang zu setzen: Willi fragt seine Kollegin etwas – und vollzieht damit einen Sprechakt. In (C)kommt Willi mit seiner Äußerung Manfreds Bitte nach: er rät seinem Gesprächspartner zu einer bestimmten Handlung – und voll-zieht damit einen Sprechakt.

Diese Verwendungsmöglichkeiten von Sprache sind insofern wenig überraschend, als sie im wesentlichen der von der Syntax vorgegebenen Einteilung der der Sätze in die drei (Haupt-) Satzarten – Aussagesatz, Fragesatz, Aufforderungssatz – entsprechen. Den Beispielen nach zu urteilen hängt der Sprechakttyp – Aussage, Frage, Ratschlag (als abgemilderte Variante der Aufforderung) – von der Satzart ab. Doch ganz so einfach verhält sich die Sache nicht. Denn einerseits ist die Korrelation zwischen der syntakti-schen Kategoriesierung der Sätze und ihren Verwendungsmöglichkeiten nicht perfekt:

(D) Manfred fragt Willi, ob er eine Idee hat, die Stimmung seines Sohnes zu heben.

Willi äußert:

(84) Warum bastelst du deinem Sohn nicht einen Drachen?

Willi erteilt in diesem Fall seinem Freund Manfred denselben Ratschlag wie im vorher-gehenden Szenario – verwendet dafür aber einen Fragesatz. Andererseits kann man mit sprachlichen Äußerungen eine ganze Reihe anderer Dinge tun, als Informationen zu übermitteln, Fragen zu stellen oder andere zum Handeln zu bewegen – zum Beispiel

70 Sprechakt ist die wenig idiomatische, aber verbreitete Übersetzung des Terminus speech act [Sprechhandlung], den der englische Philosoph John L. Austin (1911–1960) benutzte. Austin gilt mit seinem posthumen Band How to Do Things with Words [Oxford 1962; dt.: Zur Theorie der Sprech-akte, Stuttgart 1972] als Begründer der Sprechakttheorie; ein weiterer Hauptvertreter ist der US-Ame-rikaner John Searle (*1932) mit seinem sprechakttheoretischen Hauptwerk Speech Acts [Cambridge 1969; dt. Sprechakte, Frankfurt 1971].

Besitzverhältnisse ändern:

(E) Manfred hat gerade einen Drachen fertig gebastelt, als sein Sohn Pirmin dazu kommt und sich sehr interessiert zeigt. Manfred äußert:

(85) Ich schenke dir diesen Drachen.

Bis zu Manfreds Äußerung war er selbst der stolze Besitzer des Drachens. Jetzt veräu-ßert er den Drachen – und vollzieht damit einen Sprechakt. Das Beispiel zeigt, dass man mit Sprache nicht nur Informationen, sondern auch Waren austauschen kann.

Jenseits der grammatisch erwartbaren – man sagt auch grammatikalisierten – Sprechakttypen lauert eine Unzahl weiterer Verwendungsmöglichkeiten. Hier ist noch ein Beispiel:

(F) Pirmin freut sich riesig über den Drachen, den ihm sein Vater geschenkt hat und äußert:

(86) Den nenne ich Yogi.

Pirmin tauft seinen Drachen auf den Namen Yogi – und vollzieht damit einen Sprech-akt.

Die Sprechakte (E) und (F) wurden jeweils mit Hilfe eines Aussagesatzes vollzogen.

Trotzdem handelt es sich nicht, oder zumindest nicht nur, um Aussagen. Das wird klar, wenn man die soeben betrachteten Szenarien mit anderen Verwendungen dersel-ben Sätze vergleicht:

(G) Manfred sitzt am Schreibtisch und unterschreibt ein Dokument. Auf dem Bo-den liegt ein Drachen. Pirmin kommt herein und fragt seinen Vater, was er da gerade treibt. Der weist mit der linken, nicht unterschreibenden Hand schräg nach unten und äußert:

(85) Ich schenke dir diesen Drachen.

(H) Pirmin zeigt seiner Schwester seinen neuen Drachen, und sie fragt, ob der denn auch schon einen Namen hat. Pirmin äußert:

(86) Den nenne ich Yogi.

In diesen beiden Fällen werden mit den Sätzen tatsächlich Aussagen gemacht. In (G) beschreibt Manfred was er gerade tut, nämlich per Unterschrift einen Drachen verschenken; aber – anders als bei der Verwendung (E) desselben Satzes – verschenkt er nichts, indem er den Satz (85) ausspricht, nur während er dies tut. Der Fall (H) liegt ähnlich: im Gegensatz zu der Verwendung (F) von (86) erhält der Drachen hier nicht seinen Namen, sondern Pirmin informiert lediglich seine Schwester darüber, wie der Drachen heißt.

Der Unterschied zwischen den Verwendungen (E) und (F) auf der einen und (G) und (H) auf der anderen Seite zeigt sich auch darin, dass man bei letzteren, nicht aber bei ersteren, den Wahrheitsgehalt der jeweiligen Äußerung sinnvoll anzweifeln könnte: in (G) könnte sich z.B. Manfred irren und in Wirklichkeit Pirmins Schulzeugnis unter-schreiben, womit seine Äußerung von (85) falsch wäre; und Pirmin will in (H) viel-leicht seinen Namen für den Drachen geheim halten und belügt mit (86) seine Schwes-ter. Aber weder in (E) noch in (F) kann man sich vorstellen, dass der jeweilige Spre-cher etwas Falsches sagt – die Schenkung in (E) besteht ja gerade in Manfreds

Äuße-rung von (85), ebenso wie die Namensgebung, gerade in Pirmins ÄußeÄuße-rung von (86) be-steht. Falsch können die in (E) und (F) geäußerten Sätze also schlecht sein. Heißt das, dass sie wahr sind? Auf diese Frage gibt es keine theorieunabhängige Antwort. Die tra-ditionelle Antwort der Sprechakttheorie lautet: nein. Zur Begründung wird vor allem angeführt, dass es in der Tat merkwürdig ist, eine Schenkung oder einen Taufakt mit den Worten Wohl wahr! oder Stimmt genau! zu kommentieren.71 Andererseits könnte der Grund für die Unangemessenheit solcher Kommentare ganz einfach darin liegen, dass die Wahrheit der geäußerten Sätze nicht zur Debatte steht, weil sie durch die Äußerung selbst garantiert wird: Saying so makes it so, wie die Vertreter dieser Sicht-weise gerne sagen.72 In Situationen wie (E) und (F) verhalten sich danach die Äuße-rungen ähnlich wie trivial wahre Sätze à la Ich spreche gerade. Andererseits – so die Entgegnung der traditionellen Sprechakttheorie – kann man der Wahrheit solcher Äußerungen sehr wohl zustimmen. Wir kommen noch einmal auf diese Debatte zu-rück.

Sprechakte, in denen etwas anderes getan wird, als über die Welt zu berichten oder Be-hauptungen aufzustellen, heißen auch performativ (also in etwa:"ausführend") – im Gegensatz zu den konstativen ("feststellenden") Sprechakten, in denen es darum geht, etwas Wahres oder Falsches auszusagen. Die Schenkung (E), die Taufe (F), aber auch die Frage (B) und die Ratschläge (C) und (D) sind in diesem Sinne performativ73; die Sprechakte (A), (G) und (H) sind dagegen konstativ. Diese Unterscheidung ist aller-dings mit Vorsicht zu genießen; denn sie suggeriert, dass nur mit performativen Sprechakten Handlungen vollzogen werden, wo doch auch das Aufstellen einer Behaup-tung und das Weitergeben von Informationen sprachliche Handlungen sind.

Statt mit (86) hätte Pirmin seinen Drachen auch mit folgenden Worten taufen können:

(87) Ich taufe den Drachen auf den Namen Yogi.

Das Interessante an dieser Formulierung ist, dass sie den Sprechakttyp gewissermaßen beim Namen nennt: indem er sagt, dass er einen Taufakt vollführt, vollführt Pirmin tat-sächlich einen Taufakt. Man nennt diese Art von Sprechakt deshalb explizit performa-tiv. Auch Manfreds Verschenken des Drachens war so ein explizit performativer Sprechakt; denn auch in (85) wird das Schenken beim Namen genannt. Allgemein ge-sprochen weisen explizite performative Sprechakte die folgenden Eigenschaften auf:

Geäußert wird ein Satz, dessen Hauptverb Indikativ Präsens steht.

Dieses Verb beschreibt den Sprechakttyp, den der Sprecher mit der Äußerung vollzieht.

71 Man kann allerdings unter Umständen eine Taufe oder eine Schenkung als richtig bezeichnen.

Allerdings scheint man sich dann nicht auf den Wahrheitsgehalt des geäußerten Satzes, sondern auf die Angemessenheit der Äußerung zu beziehen. Richtig heißt hier also richtig gehandelt, nicht wahr gesprochen.

72 Die Formulierung ist eine stehende Redewendung im Englischen und geistert als Motto seit einigen Jahrzehnten durch einen Teil der sprechakttheoretischen Literatur.

73 Die sprechakttheoretische Terminologie ist an dieseer Stelle nicht ganz einheitlich. Der Begriff performativ wird gelegntlich auch enger – im Sinne von explizit performativ (s.u.) – verwendet.

In der Regel steht das Hauptverb in der Ersten Person Singular, aber gelegentlich – z.B.

bei behördlichen Anordnungen findet man auch die erste Person Plural (Wir bitten Sie, sich am um 17.20 Uhr bei uns einzufinden) oder die dritte Person (Das Finanzamt stellt Sie von der Hundesteuer frei). Verben, die in dieser Funktion gebraucht werden können, heißen performative Verben. Beispiele sind, neben den bereits genannten: ernennen, eröffnen (z.B. bei Sitzungen), (be)grüßen, bekanntgeben. Man beachte, dass ein perfor-matives Verb, selbst wenn es in der Ersten Person Singular Indikativ Präsens steht, nicht immer explizit performativ verwendet wird, wie die Sprechakte (E) und (F) wei-ter oben belegen. Das Adverb hiermit kann den explizit performativen Charakwei-ter des Sprechakts zum Ausdruck zu bringen, muss es aber nicht: von stilistischen Feinheiten einmal abgesehen, hätte zum Beispiel Manfred seiner Äußerung in (E) durchaus auch ein hiermit hinzufügen können, um sich auf seine Unterschrift zu beziehen und ohne durch einen explizit performativen Sprechakt zu vollziehen. Eindeutige formale, am sprachlichen Ausdruck festzumachende Kriterien für das Vorliegen eines explizit per-formativen Sprechaktes gibt es nicht.

Nicht nur (E), auch die anderen oben betrachteten Sprechakte hätten im Prinzip auch in explizit performativer Form vollzogen werden können, was im Einzelfall allerdings zum Stilbruch geführt hätte. Wenn etwa statt (81) – (83) in den Beispielen (A) – (C) die Sätze (81') – (83') geäußert worden wären, wäre jeweils derselbe Sprechakt vollzogen worden:

(81') Ich teile dir [hiermit] mit, dass Manfred seinem Sohn einen Drachen vorführt.

(82') Ich frage dich [hiermit], was Manfred seinem Sohn schenkt.

(83') Ich schlage dir [hiermit] vor, deinem Sohn einen Drachen zu basteln.

Umgekehrt hätte Manfred die Drachenveräußerung (E) auch mit Hilfe eines implizit performativen Sprechakts vornehmen können, indem er statt (85) zum Beispiel folgen-des geäußert hätte:

(85') Dieser Drachen gehört jetzt dir.

Es ist davon auszugehen, dass prinzipiell jeder Sprechakt in explizit oder implizit per-formativer Form vollzogen werden kann. Diese Tatsache wird sich für die Analyse der Sprechakte als bedeutsam erweisen.

Erfolgreiche Versprechungen

Nach dem Vorbild des Informationsflusses lassen sich Sprechakte beliebigen Typs durch Erfolgsbedingungen charakterisieren, die beschreiben, was Sprecher und Hörer idealerweise tun müssen, damit der Sprechakt vollzogen werden kann. Wir illustrieren diese Vorgehensweise, die einen Großteil der Sprechakttheorie ausmacht, anhand der Analyse des Sprechakttyps Versprechen (nicht Versprecher!). Zunächst ein Beispiel:

(I) Es ist Montagmorgen, mein Sohn Alain möchte am Mittwochabend ein paar Freunde einladen und braucht dafür eine sturmfreie Bude, was er mir un-missverständlich mitteilt. Der Rest der Familie ist verreist, nur ich bin noch da, aber nicht mehr lange. Ich erbarme mich und äußere:

(88) Ich verreise morgen für drei Tage.

Mit (88) gebe ich in der genannten Situation ein Versprechen ab. Das hat vor allem damit etwas zu tun, dass ich mich auf eine (a) zukünftige Handlung beziehe, deren Ausführung (b) durch mich (c) in Alains Interesse liegt. Mit anderen Worten: keiner der folgenden drei Sätze wäre in der gleichen Situation dazu geeignet gewesen, ein Ver-sprechen abzugeben:

(89a) Ich war letzte Woche verreist.

(b) Tom verreist morgen für drei Tage.

(c) Ich bleibe die ganze Woche zu Hause.

(c') Ich treffe mich nachher mit Manfred.

In (89a) beziehe ich mich auf eine vergangene Handlung, und selbst wenn ich diese Handlung ausgeführt habe und sie im Interesse meines Sohnes gelegen haben mag, hätte ich mit der Äußerung von (89a) kein Versprechen abgeben können; denn verspre-chen kann man nur etwas, das man noch tun wird. In (89b) beziehe ich mich auf eine Handlung meines Sohnes Tom, und selbst wenn er diese Handlung plant und sie in Alains Interesse liegen mag, hätte ich mit der Äußerung von (89b) kein Versprechen abgeben können; denn versprechen kann man nur etwas, das man selbst tut. In (89c) und (89c') beziehe ich mich auf eine Handlung, deren Ausführung Alain unangenehm bzw. gleichgültig ist, und selbst wenn ich diese Handlung selbst auszuführen plane, hätte ich mit der Äußerung von (89c) oder (89c') kein Versprechen abgeben können;

denn versprechen kann man nur etwas, an dem dem Gesprächspartner gelegen ist.

(a) – (c) sind offenbar notwendige Bedingungen für Versprechen, aber sie sind nicht hinreichend, wie die folgenden Varianten von (I) zeigen:

(J) Es ist Montagmorgen, Alain möchte am Mittwochabend ein paar Freunde ein-laden und braucht dafür eine sturmfreie Bude, was er mir unmissverständlich mitteilt. Der Rest der Familie ist verreist, nur ich bin noch da, und zwar für den Rest der Woche. Damit Alain mich in Ruhe lässt, äußere ich:

(88) Ich verreise morgen für drei Tage.

(K) Es ist Montagmorgen, Alain möchte am Mittwochabend ein paar Freunde ein-laden und braucht dafür eine sturmfreie Bude. Der Rest der Familie ist ver-reist, ich bin noch da, habe aber seit langem eine Reise geplant. Ich äußere:

(88) Ich verreise morgen für drei Tage.

Im Fall (J) mache ich eine leere Versprechung, da ich gar nicht vorhabe zu verreisen.

So eine leere Versprechung verhält sich zu einem richtigen, aufrichtigen Versprechen wie die Lüge zur Mitteilung. Und so, wie bei den Erfolgsbedingungen für den idealen Informationsfluss Lügen ausgeschlossen werden, erfüllen auch leere Versprechungen nicht die Erfolgsbedingungen für den Sprechakttyp des Versprechens. Denn es gehört zum Wesen des Versprechens, dass es (d) aufrichtig gemeint ist, selbst wenn manch-mal mit dieser Aufrichtigkeit Schindluder getrieben wird.

Der Fall (K) ist etwas subtiler. Hier ist meine Ankündigung zwar aufrichtig, die Reise liegt auch nach wie vor in Alains Interesse, aber er weiß, dass ich sie sowieso unterneh-men werde. Ich brauche ihm das nicht mehr zu versprechen, ich kann es ihm gar

nicht mehr versprechen, denn ich habe es bereits unabhängig von unserem Gespräch beschlossen. Ein richtiges Versprechen hingegen besteht in der Ankündigung einer Tat, die (e) nicht schon vorher geplant war.

Wir erhalten damit die Erfolgsbedingungen für den Sprechakt des Versprechens:74

Inhaltsbedingung [= (a) + (b) + (e)]

Die Aussage beschreibt eine zukünftige Handlung des Sprechers, deren Ausführung nicht schon feststeht.

Sprecherbedingung [= (d)]

Der Sprecher beabsichtigt, die in der Aussage beschriebene Handlung aus-zuführen.

Hörerbedingung [= (c)]

Der Hörer hat ein Interesse an der Ausführung der in der Aussage be-schriebenen Handlung des Sprechers.

Reflexionsbedingung

Sprecher und Hörer wissen, dass die obigen drei Bedingungen gelten.

Effekt

Der Sprecher ist verpflichtet, die in der Aussage beschriebene Handlung auszuführen.

Die Aussage ist dabei wie schon vorher die durch den geäußerten Satz ausgedrückte Proposition. Dass diese Aussage eine zukünftige Handlung des Sprechers beschreibt, heißt damit, dass sie auf genau die Welten zutrifft, in denen der Sprecher in der Zukunft diese eine Handlung ausführt. Für das Szenario (I) setzt das also voraus, dass der Satz (88) als ganz gewöhnlicher Aussagesatz interpretiert wird, dessen Intension alle mögli-chen Welten umfasst, in denen ich morgen für drei Tage verreise. Diese Interpretation folgt den üblichen semantischen Regeln, wie wir sie in der ersten Hälfte dieses Skripts ansatzweise kennen gelernt haben.

Mit Aussagesätzen wie (88) werden nicht nur Aussagen gemacht, Tatsachen fest-gestellt, Behauptungen auffest-gestellt, Informationen übermittelt etc., sondern ebenso Ver-sprechen abgegeben [(88)], Drachen getauft [(86)] und verschenkt [(85')]. Ihre wörtliche Bedeutungen, die durch sie ausgedrückten Propositionen, können dann wie im Fall des Versprechens die Erfolgsbedingungen für andere Sprechakttypen erfüllen. Die Erfolgs-bedingungen für Versprechen zeigen, wie Propositionen in nicht konstativen Sprechak-ten Verwendung finden können. Obwohl also der Propositionsbegriff der logischen Se-mantik zunächst (wie in Kapitel 5) anhand der Übermittlung von Information motiviert war, ist er flexibel genug, um auch für andere Arten der Sprachverwendung eingesetzt zu werden. Die Verwendung anderer Satzarten dagegen bedarf zunächst einiger se-mantischer Vorarbeit; denn weder Fragesätze noch Aufforderungssätze drücken Propo-sitionen aus.75 Im Rahmen dieses Skripts werden wir nicht weiter auf sie eingehen.

74 Diese Erfolgsbedingungen folgen im wesentlichen der Analyse in Searles Speech Acts (–> Fußnote 70). Die Originalformulierung findet man auch wieder in Gybbons Skript (–> Fußnote 57).

75 Bei Fragesätzen ist das nicht ganz klar; es gibt hier keine Standard-Semantik. Man unterscheidet syntaktisch zwischen Ergänzungsfragen (wie Wann verreist du?) und Entscheidungsfragen (wie Verreist du?). Zumindest für letztere wird gelegentlich angenommen, dass sie Propositionen aus-drücken, die dann nur eingeschränkt verwendbar sind, also insbesondere nicht in Behauptungen.

Dieses an sich einfache Bild über den Zusammenhang zwischen wörtlicher (Aussage-satz-) Bedeutung und Sprechakt wird nun empfindlich gestört durch die Existenz explizit performativer Sprechakte. So hätte ich das mit (88) gemachte Versprechen auch durch die Äußerung von (90) abgeben können:

(90) Ich verspreche dir [hiermit], morgen für drei Tage zu verreisen.

Doch dieser Fall ist in den obigen Erfolgsbedingungen für Versprechen nicht vorgese-hen. Denn (88) erfüllt ganz offensichtlich nicht die Inhaltsbedingung: die durch den Satz ausgedrückte Proposition beschreibt eine gegenwärtige Handlung des Sprechers, nämlich gerade die, die er mit seiner Äußerung ausführt.

Um explizite Performative abzudecken, müssen wir offenbar die Erfolgsbedingungen für Versprechen anders fassen. Die einfachste Revision besteht darin, den dort verwen-deten Begriff der Aussage neu zu bestimmen und ihn nicht notwendigerweise auf die von dem geäußerten Satz ausgedrückte Proposition zu beziehen. Stattdessen sollte er sich – je nach dem, ob es sich um einen Satz wie (88) oder einen Satz wie (90) handelt – einmal auf die durch den Satz ausgedrückte Proposition, ein anderes Mal auf eine ande-re Proposition beziehen. Diese andeande-re Proposition ist im vorliegenden Fall die Menge al-ler Welten, in denen der Sprecher (= ich) die durch den Infinitiv (= morgen für drei Tage zu verreisen) ausgedrückte Handlung ausführt. Die Frage ist, wie man sie im allgemei-nen bestimmen kann. Hier gibt es prinzipiell mehrere Strategien:

Fallunterscheidung

Explizit performative Sprechakte werden strukturell (zum Beispiel durch einen eigenen Satztyp) von anderen Sprechakten unterschieden.

Performativhypothese

Alle Sätze werden syntaktisch analysiert, als würden sie explizit performativ gebraucht.

Saying so makes it so

Alle Sätze werden syntaktisch analysiert, als würden sie konstativ ge-braucht.

Die Unterschiede zwischen diesen Strategien macht man sich am besten am Beispiel klar:

• Nach der Fallunterscheidungs-Strategie hat (90) eine spezielle Struktur, in der das Verb versprechen als explizit performativ und damit für die Bestim-mung der Aussage unerheblich – also sozusagen: für die Semantik unsicht-bar – markiert wird; die Rolle des Verbs besteht in dieser Lesart lediglich da-rin, des Sprechakttyp anzuzeigen. Die Unterscheidung zwischen expliziten und impliziten Performativen wird auf diese Weise von der Pragmatik in die Syntax verschoben, oder von der Syntax reflektiert.

• Nach der Performativhypothese besitzt auch (88) eine solche Struktur, aber der semantisch unsichtbare Teil ist in diesem Fall auch an der Oberfläche

• Nach der Performativhypothese besitzt auch (88) eine solche Struktur, aber der semantisch unsichtbare Teil ist in diesem Fall auch an der Oberfläche

Im Dokument Semantik und Pragmatik (Seite 92-103)