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Die von Sharpless et al. entwickelte OsO4-katalysierte, asymmetrische Dihydroxylierung ermöglicht die Überführung einer Vielzahl prochiraler Olefine in chirale 1,2-Diole und zeichnet sich durch ihre einfache Handhabung und hohe Enantioselektivität sowie katalytische Produktivität aus, weshalb sie zu einem bedeutenden Werkzeug in der Synthesechemie avancierte.[108–110] Standardmäßig kommen hierbei 0.2 mol% eines OsVI -Salzes, 1 mol% des jeweiligen Liganden sowie stöchiometrische Mengen der Base K2CO3

und des Oxidationsmittels K3[Fe(CN)6] entweder in einem zweiphasigen Lösungsmittel-system (tBuOH/H2O) oder unter Verwendung von NMO in einer homogenen Lösung zum Einsatz. Als Liganden wurden vor allem die Phthalazin-verbrückten dimeren Dihydrochinin (DHQ) (122) und Dihydrochinidin (DHQD) (123) dank der durch sie induzierten hohen Enantioselektivitäten und des breiten Substratspektrums etabliert.[111,112] Zuträglich der großen Akzeptanz der Methode ist ebenfalls die kommerzielle Verfügbarkeit vorgefertigter Mischungen bestehend aus K2OsO4 ∙ 2 H2O, (DHQ)2PHAL oder (DHQD)2PHAL, K2CO3

und K3[Fe(CN)6], die unter der Bezeichnung AD-mix-α respektive AD-mix-β vermarktet werden (Abbildung 35).

Abbildung 35: Phthalazin-verbrückte dimere Dihydrochinin- (DHQ)2PHAL (122) und Dihydrochinidin-Liganden (DHQD)2PHAL (123).

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1.6.1 Mechanismus

Erste Arbeiten von Sharpless und Mitarbeitern zur Reduzierung des hochtoxischen und teuren OsO4 auf katalytische Mengen für die Dihydroxylierung bauten auf einem System aus Cinchona-Alkaloiden als Liganden und stöchiometrische Mengen des Oxidations-mittels NMO in einem homogenen Aceton/H2O-Gemisch auf.[108] Dieses frühe System lieferte zwar nur geringe ee-Werte von bis zu 8%, erlaubte jedoch bereits erste wichtige Erkenntnisse über den Mechanismus des katalytischen Prozesses (Abbildung 36).[113]

Abbildung 36: Mechanismus der Sharpless-Dihydroxylierung in einem einphasigen Lösungsmittelsystem mit NMO als Oxidationsmittel.

Dieser beinhaltet zwei katalytische Zyklen, die in mechanistischen Studien identifiziert wurden und unter den genannten Reaktionsbedingungen beide aktiv sind. Die Erzeugung einer OsVI-Glycolat-Spezies mit definierter Stereoinformation infolge der Osmylierung des Olefins durch OsO4 (I) markiert den Ausgangspunkt der Sharpless-Dihydroxylierung.

Nachfolgend führen die Oxidation mit NMO und die Freisetzung des Liganden zur Ausbildung des Trioxo-OsVIII-Glycolats (II). Ausgehend von diesem Intermediat kann bei einphasiger Reaktionsführung einer von zwei Reaktionspfaden beschritten werden, was in den beiden beobachteten konkurrierenden Katalysezyklen resultiert. Vorteilhaft, weil mit hoher Stereoselektivität verbunden, ist die Hydrolyse des Trioxo-OsVIII-Glycolats unter Freisetzung des enantiomerenangereicherten Diols sowie der Regeneration des OsO4 (III) und der damit einhergehenden Komplettierung des ersten katalytischen Kreisprozesses.

Bedingt durch die Möglichkeit der Bindung eines zweiten Moleküls des Olefins an das

Die Sharpless-Dihydroxylierung 42

Trioxo-OsVIII-Glycolat eröffnet sich der zweite konkurrierende Katalysezyklus. Die Addition des zweiten Olefins findet durch den im vorherigen Reaktionsschritt eliminierten Liganden in diesem Fall jedoch ohne asymmetrische Induktion (IV) statt, wodurch in der darauffolgenden Hydrolyse das Diol aus dem Bisglycolatester mit stark verminderter Enantioselektivität abgespalten (V) und somit die Stereoselektivität des Gesamtprozesses negativ beeinflusst wird.

Abbildung 37: Mechanismus der Sharpless-Dihydroxylierung in einem zweiphasigen Lösungsmittelsystem und K3[Fe(CN)6] als Reoxidans.

Durch die Verwendung eines zweiphasigen Lösungsmittelsystems und dem wasser-löslichen Oxidationsmittel K3[Fe(CN)6] kann der nachteilige zweite Zyklus allerdings vollständig unterdrückt werden. Hierbei erfolgt zunächst erneut die Osmylierung des Olefins und damit die Ausbildung des hydrophoben Monoglycolatesters. Aufgrund des Fehlens eines Oxidationsmittels in der organischen Phase findet daraufhin die hydro-lytische Spaltung des Osmatesters statt, wobei sowohl das freigesetzte Diol als auch der Ligand in der organischen Phase verbleiben, während die OsVI-Spezies in die wässrige Phase übertritt und dort zu OsO4 reoxidiert wird (Abbildung 37).[114]

Trotz unzähliger mechanistischer Studien und zahlreicher daraus gewonnener Erkenntnisse besteht noch immer Uneinigkeit über dem der Osmylierung zugrunde

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liegenden Mechanismus. Eine stufenweise Abfolge von [2+2]-Addition unter Ausbildung des Osmaoxetans 124 und Umlagerung zum Monoglycolatester 126, wie von Sharpless et al. postuliert,[115] konkurriert mit der von Corey et al. vorgeschlagenen direkten [3+2]-Cycloaddition des OsO4 und des Olefins über das Intermediat 125 zum Monoglycolatester 126.[116] Letzteres wird nach dem derzeitigen mechanistischen Verständnis des Prozesses favorisiert[117] und durch quantenmechanische Berechnungen, die für die [3+2]-Addition im Vergleich zur [2+2]-Addition eine um ca. 30 kcal/mol geringere Aktivierungsenergie aufzeigen,[118] gestützt (Abbildung 38).

Abbildung 38: Ausbildung des Monoglycolatesters 126 durch eine stufenweise [2+2]-Addition/Umlagerung oder durch eine konzertierte [3+2]-Addition.

Klarheit besteht hingegen über den geschwindigkeitsbestimmenden Schritt der Sharpless-Dihydroxylierung, der als die hydrolytische Spaltung des Monoglycolatesters 126 identifiziert wurde. Dieser kann durch die Zugabe von Methansulfonamid, vor allem bei Reaktionen mit geringer Umsatzrate aufgrund einer limitierten Hydrolyse stark beschleunigt werden (um das bis zu 50-fache). Die durch das Additiv erzielte Wirkung wird auch als „Sulfonamid-Effekt“ bezeichnet und erlaubt sogar die Umsetzung tetra-substituierter Alkene.[109,110]

Die in der Sharpless-Dihydroxylierung zur Anwendung kommenden Cinchona-Alkaloide verfügen über eine herausragende asymmetrische Induktion, die zum Teil auf einen durch den Liganden hervorgerufenen beschleunigenden Effekt des Reaktionsschrittes zurückzuführen ist. Die Bindung des Chinuclidin-Stickstoffs am OsO4 führt hierbei zu einer stark erhöhten Geschwindigkeit, mit der die Enantioselektivität bestimmende Ausbildung des Monoglycolatesters 126 verläuft. Darüber hinaus verlieren durch diesen Effekt alle in der Osmylierung beschreitbaren nicht beschleunigten Reaktionswege stark an Bedeutung. Vor allem die Liganden (DHQ)2PHAL und (DHQD)2PHAL, deren Cinchona-Alkaloid-Einheiten beide am jeweiligen 9-O über ein Phthalazin miteinander verbrückt sind

Die Sharpless-Dihydroxylierung 44

und somit eine Enzym-ähnliche Bindungstasche aufweisen, induzieren sehr hohe Enantioselektivitäten.[109,110]

Zur Prognose der Stereoselektivität der Dihydroxylierung kann das von Sharpless et al.

vorgeschlagene mnemonic device konsultiert werden. Der südöstliche (SE) sowie der nordwestliche (NW) Quadrant in diesem Schema werden hierbei durch den sterischen Einfluss des Liganden abgeschirmt, wohingegen der nordöstliche (NE) Quadrant als Eintrittspunkt für das Olefin fungiert und der südwestliche (SW) Quadrant für flache, aromatische oder große aliphatische Substituenten verbleibt. Die Positionierung des Olefins erfolgt damit in einer Art und Weise, die den kleinsten Substituenten, im Regelfall ein Proton, im südöstlichen und den sperrigsten Substituenten im südwestlichen Quadranten anordnet. Der Angriff auf das Olefin findet im Falle von AD-mix-α von der Unterseite statt, während er mit AD-mix-β von der Oberseite her verläuft (Abbildung 39).[110,111]

Abbildung 39: Mnemonic device zur Vorhersage der Stereoselektivität.

1.6.2 Anwendungen in der organischen Synthese

Die Vorteile der Sharpless-Dihydroxylierung, namentlich das breite Substratspektrum, die milden Reaktionsbedingungen sowie die erzielten hohen Ausbeuten und ausgezeichneten Stereoselektivitäten, machen ebenjene zu einem vielgenutzten Werkzeug in der Synthese zahlreicher komplexer Moleküle.

In der enantioselektiven Totalsynthese von (+)-Zaragoesäure C (129) griffen Armstrong und Mitarbeiter auf eine doppelte Sharpless-Dihydroxylierung zum Aufbau vier benachbarter Stereozentren zurück. Das ursprüngliche Vorhaben, dies in einer Eintopf-reaktion mittels AD-mix-β durchzuführen, scheiterte dabei an einer zu geringen Ausbeute sowie Stereoselektivität. Durch die Separierung in zwei aufeinanderfolgenden Dihydroxy-lierungen, in denen zunächst das Dien 127 mit Super-AD-mix-β in einem

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system aus tBuOH/H2O ins Triol überführt wurde, das seinerseits mittels katalytischer Mengen OsO4 und (DHQD)2PHAL in einem homogenen Aceton/H2O-Gemisch zum Pentaol 128 umgesetzt wurde, konnten sowohl die Ausbeute auf moderate 45% sowie die Enantio- und Diastereoselektivität auf gute 76% ee respektive dr = 9:1 verbessert werden (Abbildung 40).[119]

Abbildung 40: Zweifache Sharpless-Dihydroxylierung zur enantioselektiven Totalsynthese von Zaragoe-säure C (129) durch Armstrong.

Mithilfe der Sharpless-Dihydroxylierung war es Shair und Mitarbeitern möglich in ihrer enantioselektiven Synthese von (+)-Cephalostatin 1 (132) neben der Hydroxygruppe an C-16 vor allem die angrenzende Hydroxyfunktionalität an C-17 mit vollständiger Diastereoselektivität und in hoher Ausbeute ausgehend vom Olefin 130 in das Substrat zu inkorporieren. Hierbei verblieben sowohl die Acetal- als auch die Silylschutzgruppen aufgrund der milden Reaktionsbedingungen während der Transformation unbeeinflusst (Abbildung 41).[120]

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Abbildung 41: Sharpless-Dihydroxylierung in der enantioselektiven Totalsynthese von (+)-Cephalostatin 1 (132) durch Shair.

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