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Semantik und Symbolismus

Im Dokument ›Res‹ oder ›Verba‹? (Seite 152-155)

In dem besprochenen Lied lassen sich über das titelgebende »clair de lune« hinaus noch einige weitere Wort-Ton-Beziehungen ausmachen. Das Wort »déguisements« (T. 11–12) trifft sich mit einer enharmonisch ›verkleideten‹, nach gis-Moll zurückführenden Domi-nante; die Klangtäuschungen bei »ils n’ont pas l’air de croire à leur bonheur« (T. 17–18) sind wohl nicht zufällig mit einer Textpassage verbunden, die einen metaphorischen Kontrast zwischen Gefühlen und äußerem Erscheinungsbild der poetischen Figuren her-stellt.30 Die affektgeladene Zeile »sur le mode mineur« könnte ein (wenn auch speku-latives) Argument abgeben, warum Debussy den Leitton cisis nicht als Hochalteration der vierten Skalenstufe, sondern harmonisch inkorrekt als d notiert – dieses Phänomen vermag sowohl als Folge eines einzeltonalen ›mode mineur‹, also einer Tiefalteration, als auch vor dem Bedeutungshintergrund von ›mineur‹ als ›zweitrangig bzw. ›defizitär‹

schlüssig erscheinen. Auch das zweifellos leittönig aufzufassende Alternieren der Sing-stimme zwischen d und dis zu den Worten »clair de lune« (T. 20–22) könnte sich dieser semantischen Konnotation verdanken: Die Klausel-Penultima d = cisis fungiert als eine textbedingte Eintrübung von dis.31 Schließlich findet auch das beschließende »sangloter d’extase les jets d’eau«, das leidenschaftliche Schluchzen der Wasserfontänen, in der klagenden, über eine Dezime absteigenden Gesangslinie der Takte 27 bis 30 seine mu-sikalische Entsprechung.

Der Umstand, dass Debussy sich in seinem kompositorischen Schaffen über zwei Jahrzehnte immer wieder auf wenige Zeilen eines einzigen Gedichts bezog, ist faszinie-rend. Diese Komposition darf als seine gelungenste Umsetzung der literarischen Vor-lage gelten – in der Gesamtwahrnehmung des Liedes vermittelt sich, in vollkommener Entsprechung zu der Textzeile »triste et beau«, eine allgemeine Atmosphäre trauriger Schönheit. Diese lässt das musikalische Mondbild in einer faszinierenden affektiven Ge-schlossenheit wirken, deren sanftem Zauber selbst die beschriebenen tonalen Ausbrüche nichts anhaben können.

Literatur

Forte, Allen (1973), The Structure of Tonal Music, New Haven: Yale University Press.

Hardeck, Erwin (1967), Untersuchungen zu den Klavierliedern Claude Debussys, Regens-burg: Gustav Bosse.

Hirsbrunner, Theo (1981), Debussy und seine Zeit, Laaber: Laaber.

Hilbk, Iris Helene (1996), Studien zum Verhältnis von Sprache und Musik bei Debussy.

Eine Untersuchung ausgewählter Werke vor dem Hintergrund seiner Briefe, Feuille-tons und Musikkritiken, Frankfurt a. M. u. a.: Peter Lang.

30 Vgl. Walker 1972, 1009.

31 In diesem Zusammenhang sind die Ausführungen von Arthur Wenk aufschlussreich, der sich detail-liert zu Verlaines Zuordnung des Adjektivs mineur im Kontrast zu der Textpassage »la vie opportu-ne« äußert (1976, 25 ff.).

Lesure, François (1977), Catalogue de l’œuvre de Claude Debussy, Genf: Editions Min-koff.

Meister, Barbara (1998), Nineteenth-century French Song: Fauré, Chausson, Duparc, and Debussy, Bloomington: Indiana University Press.

Nichols, Roger (1967), »Debussy’s Two Settings of Clair de lune«, Music and Letters 48/3, 229–235.

Nichols, Roger (2003), »The Prosaic Debussy«, in: The Cambridge Companion to Debussy, hg. von Simon Trezise, Cambridge: University Press, 84–100.

Schmidt, Christian Martin (1991), »Mahler, Reger, Schönberg: Nachtstücke«, in: Natio-naler Stil und europäische Dimension in der Musik der Jahrhundertwende, hg. von Helga de la Motte-Haber, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 79–85.

Seidel, Elmar (1969), Artikel »Nocturne«, in: Riemann Musiklexikon, Sachteil, Mainz:

Schott, 635 f.

Thompson, Oscar (1937), Debussy: Man and Artist, New York: Dodd, Mead & Compa-ny, Reprint New York: Dover Publications 1967.

Walker, Hallam (1972), »Visual and Spatial Imagery in Verlaine’s Fêtes galantes«, PMLA 87/5, 1007–1015.

Wenk, Arthur B. (1976), Claude Debussy and the Poets, Berkeley: University of Califor-nia Press.

Wright, Alfred J. (1967), »Verlaine and Debussy: Fêtes galantes«, The French Review 40/5, 627–635.

Nicht weniger als vierundzwanzig Jahre nach der ersten, 1988 in Kopenhagen abgehal-tenen nordischen Konferenz zu Fragen des musikalischen Hörens im Kontext akademi-scher Musikausbildung wurde im Oktober 2012 der zweite Kongress dieser Art in Oslo ausgetragen. Im Fokus der von sechs Hoch-schullehrerinnen der Norwegian Academy of Music unter Leitung von Inger Elise Rei-tan organisierten Veranstaltung sRei-tanden die Bereiche »Listening«, »The Musical Ear and Performance« sowie »Aural Methodology«.

Mit John Sloboda (GB) und Gary S. Karpinski (USA) konnten zwei renommierte auswärtige Keynote-Speaker gewonnen werden, denen Erja Joukamo-Ampuja (FIN) und Frøydis Ree Wekre (N) als Repräsentantinnen des skandi-navischen Raums zur Seite standen.

John Sloboda thematisierte in seinem Refe-rat das Verhältnis zwischen Musikern und ih-rem Live-Publikum. Abnehmende Zuschauer-zahlen im ›klassischen‹ Konzertbetrieb der letzten Jahrzehnte seien als Zeichen dafür zu werten, dass Aufgeschlossenheit gegenüber dem Repertoire und musikalische Kompe-tenz bei poKompe-tenziellen Zuhörern nicht mehr als selbstverständlich vorausgesetzt werden könnten. Dementsprechend sei es notwen-dig, die jeweiligen Zielgruppen durch spezi-elle, konzertbegleitende Angebote zu schulen und zu motivieren, was am Beispiel mehrerer aktueller Projekte konkretisiert wurde. Inger Elise Reitan präsentierte eine Untersuchung zu Hörstrategien von Orchestermusikern im Vergleich zu denen eines Dirigenten. Der Ge-gensatz zwischen professioneller und nicht-professioneller Rezeption wurde von Bengt Lundin (S) mit Bezug auf Musik zu Filmen Ingmar Bergmans herausgearbeitet, während

Reidar Bakke (N) die Rolle natürlicher Ge-räusche und Klänge in Kompositionen jen-seits einer stereotyp organisierten Musique concrete thematisierte. Gro Shetelig (N), de-ren Moderationen des morgendlichen »Aural awakening« zu den inspirierenden Momenten der Konferenz gehörten, bot eine anschauli-che Präsentation zu Fragen der Intonation von Sekundintervallen, die zu dem (freilich sehr allgemein gefassten) Begriff der ›Mikrotonali-tät‹ in Beziehung gesetzt wurden. Ein Beitrag von Andreas Moraitis (D) über ein neuroakus-tisches Modell der Tonhöhen- und Grundton-erkennung sowie ein Bericht von Hannes Taljaard (ZA) über eine Studie zur Selbstbe-obachtung von Musikern bildeten den Ab-schluss des ersten Tages.

Anregungen zur fachübergreifenden Dis-kussion gaben die beiden Hornistinnen Erja Joukamo-Ampuja und Frøydis Ree Wekre mit ihrer Keynote über die spezifischen Er-fordernisse der Ausbildung von Blechbläsern.

Schwerpunkte bildeten die Darstellung instru-mentenbaulich bedingter Intonationsprobleme und die Dokumentation von Schwierigkeiten, welche sich beim Prima-vista-Spiel von Stim-men mit wechselnden Transpositionsinterval-len ergeben. Dabei wurde die Notwendigkeit

›inneren Hörens‹ besonders herausgestellt – ein im Verlauf des Kongresses wiederholt an-gesprochener Punkt, der naturgemäß auch in Lotta Ilomäkis (FIN) Vortrag zum ›Peer lear-ning‹ mittels instrumentaler Improvisation eine zentrale Rolle spielte. Leider wurde die Verfolgung des per Skype übertragenen Refe-rats durch Verbindungsprobleme erschwert.

Zwei von Aslaug Louise Slette (N) und Guro Gravem Johansen (N) vorgestellte Forschungs-projekte befassten sich mit Proben- und

Nordic Conference on aural Disciplines in higher Music Education –

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