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Selbstzerstörung und das strafende Ideal des Über-Ichs

Im Dokument MASTERARBEIT / MASTER S THESIS (Seite 26-29)

Der Weg des Todestriebs ist folgendermaßen nachzuzeichnen: Zunächst wirkt der Todestrieb selbstzerstörend, er arbeitet im Inneren des Menschen auf die Rückkehr des Organismus zum anorganischen Zustand, zum Tod hin (Freud, 1920/1991, S. 68). In vielzelligen Lebewesen trifft er dort auf die Libido, die Energie des Lebenstriebs, die bemüht ist, die destruktive Kraft des Todestriebs unschädlich zu machen. Der Lebenstrieb bindet nun den Todestrieb an sich und nutzt die zerstörerische Kraft des Todestriebs in seinem Dienst – zur Vernichtung von Äußerem, das ihm auf dem Weg seines Ziels, der Erhaltung des Lebens, im Weg steht (Freud, 1924a/1991, S. 376). Die nach außen gewendete Kraft des Todestriebs in Form der Aggression verringert zwar die Gefahr der Selbstdestruktion, sie steht aber auch anderen Zielen des Lebenstriebs im Weg wie beispielsweise der sexuellen Vereinigung mit anderen äußeren Objekten.25 Zudem wird das Individuum durch die dynamischen Aspekte der Kultur mitbeeinflusst, die im Dienst der Ermöglichung eines Zusammenlebens die nach außen gewendete Aggression eindämmen (Freud, 1930/1991, S. 481). In diesem Sinne steht der Aggression

25 Hierbei ist zu beachten, dass ein bestimmtes Maß an Aggression Freud zufolge für sexuelle Aktivitäten notwendig ist (vgl. Freud, 1938/1991, S. 71). Es geht hier um eine (feine) Verlagerung der Mischverhältnisse des Lebens- und des Todestriebs. Die Auslebung aggressiver Neigungen nach außen wird also nicht komplett verhindert, sie wird nur insoweit reduziert, dass der Lebenstrieb im Sinne seiner verbindende Tendenz wirken kann, und die äußeren Objekte nicht im Sinne der trennenden Tendenz des Todestriebs auf Distanz gehalten werden (vgl. Freud, 1938/1991, S. 71). Die Dualität zwischen (Ver-)Bindung und Trennung und deren Bezug zu Lebens- und Todestrieb wird im letzten Aspekt der „Trennung, Spaltung, Zersetzung und (Nicht-)Existenz“ noch näher behandelt werden.

ein Verbot entgegen, das sich im Über-Ich etabliert. Das Über-Ich besteht aus einer Identifikation mit diesem (aggressiv auftretenden) Verbot26 und der verbietenden Kraft. Über die Bildung des Über-Ichs wird ein Teil der nach außen gewendeten destruktiven Kraft des Todestriebs reinternalisiert, von wo aus sie wieder ihrem ursprünglichem Ziel, der Selbstzerstörung, nachkommen kann (ebd., S. 482ff.).

Freud zufolge existiert die Kultur, um ein Zusammenleben von menschlichen Individuen zu ermöglichen (Freud, 1930/1991, S. 481). Die Voraussetzungen für dieses Zusammenleben sieht Freud insofern als erschwert, da der Mensch, damit er selbst (über-)leben kann, zumindest einen Teil der Energie des Todestriebs über eine Vermischung mit dem Lebenstrieb nach außen trägt, wo er in Form der Aggression gegen äußere Objekte wirkt. Die Kultur ist also im weiteren Sinne ein Erzeugnis der vereinenden Tendenz des Lebenstriebs, die ein Zusammenleben in Familien, Stämmen und Völkern ermöglicht. Das Über-Ich, als ein Produkt der kulturell bestimmten Interaktionen, die wiederum die Entwicklung determinieren, stellt also eine Aggressionsbereitschaft gegen das Ich dar, um die aggressiven Tendenzen der Mischung aus Lebens- und Todestrieb für ein Zusammenleben weit genug in Schach zu halten.

Soweit erscheint das Über-Ich als funktionale Instanz in der kulturellen Existenz. Problematisch ist laut Freud dabei nur, dass sich die Möglichkeit, über das Über-Ich Aggression gegen das Ich auszuüben zu können, insofern leicht verselbstständigen kann, als dass in der strafenden Tendenz des Über-Ichs eine Befriedigung der zerstörerischen Tendenzen des Todestriebs liegt. Diese äußert sich im Strafbedürfnis, einer masochistisch-erotischen Bindung der selbstzerstörerischen Tendenz des Todestriebs an das Über-Ich. Eine Sicherheit, dass ein Schuldgefühl also für die Ermöglichung des gemeinschaftlichen Zusammenlebens notweniges Moment ist, gibt es laut Freud daher nicht. Es besteht neben dieser Möglichkeit immer die „Gefahr“ der lustvoll masochistischen Schuld, mit der der psychische Apparat auf seine Selbstzerstörung hinarbeitet. „Der Preis für den Kulturfortschritt“ wird also Freud zufolge „in der Glückseinbuße durch die Erhöhung des Schuldgefühls bezahlt“ (ebd., S.

494).27

26 Im freudschen Theorie-Bild ist das ursprüngliche Verbot das Nein-des-Vaters, also das Inzestverbot, das durch die „Kastrationsdrohung“ seine Macht erhält. „Kastration“ ist dabei als „Wegnehmen des Phallus“ zu verstehen, „Phallus“ kann abgekürzt mit Macht, Möglichkeit und Aktivität gleichgesetzt werden. Der „Vater“

ist (anschließend) das (kulturelle) Gesetz, das bei Verstößen gegen seine Regeln diese Kastration durchführt und dem Individuum seine Macht, Möglichkeiten und Aktivität eindämmt (vgl. Freud, 1925/1991).

27 Die strafenden Tendenzen des Über-Ichs können sich in Extremform bis zur Melancholie steigern (Freud, 1923/1991, S. 283). Nimmt man an, dass im Zuge der Globalisierung von einem Zusammenwachsen und einer Annäherung einzelner Gruppen von Individuen zu einem größeren Ganzen gesprochen werden kann, so erscheint es interessant, dass Parallel zu diesem Prozess ein weltweiter Anstieg an Depressionen gemessen wurde (innerhalb von zehn Jahren um 18%; Robert-Koch-Institut, 2017; [ich hoffe man verzeiht mir den Rückgriff auf in dieser von der Beschäftigung mit konnotativen Theorien gefärbten Arbeit auf numerische Werte als Argumentationsstütze]). In Bezug auf Freuds Theorie könnte dies so erklärt werden, dass die aggressiven Neigungen gegenüber der Außenwelt für ein funktionierendes enges Zusammenleben bei Zunahme der Nähe in größerem Ausmaß introjiziert werden müssen. Dadurch kann die nun über das Über-Ich ausgelebte Aggression extreme Formen in Gestalt depressiver Störungen annehmen (symptomatisch bestehen große Ähnlichkeiten

Wie bereits erwähnt, kann sich der Todestrieb unter anderem in Form des Masochismus selbstzerstörerisch auswirken (Freud, 1924a/1991, S. 376). Freud vertrat im Laufe seiner Theorieentwicklung verschiedene Standpunkte hinsichtlich der Wirkrichtung von Masochismus und Sadismus. Zunächst sah er den Sadismus als das ursprüngliche Phänomen und den Masochismus als eine sekundäre Erscheinung in Form einer Wendung gegen die eigene Person (Freud, 1915b/1991, S.

220). Dies ändert sich mit der Formulierung seines zweiten Triebdualismus: Der (primäre) Masochismus ist der ursprüngliche Zustand, der entsprechend den Bestrebungen des Todestriebs selbstzerstörerisch wirkt (Freud, 1920/1991; S. 59). Der Sadismus ist der Anteil des Todestriebs, der im Dienst der Sexualfunktion (Lebenstrieb) nach außen gerichtet wurde und dort nach Bemächtigung im Sinne eines „Willen zur Macht“ strebt (Freud, 1924a/1991, S. 376). Hierbei ist allerdings zu beachten, dass der Masochismus wie der Sadismus eine Libidinisierung erfahren haben, also eine Mischung der beiden Triebarten darstellen. Der Masochismus ist derjenige Teil des Todestriebs, der nach der Verbindung mit dem Lebenstrieb nicht wie der Sadismus nach außen gewendet wurde, sondern „libidinös gebunden“ im Inneren geblieben ist (ebd.). Er stellt den sogenannten (primären) erogenen Masochismus dar, der selbstzerstörerische Energie des Todestriebs beinhaltet, die nun, da sie in gebundener Form vorliegt, nicht nach sofortiger Abfuhr drängt (hierzu folgen später noch ausführlichere Ausführungen). Da der Masochismus eine „Verbindung der nach innen gerichteten Destruktion mit der Sexualität“ (Freud, 1931/1991, S. 478) darstellt, sollte der Masochismus meiner Ansicht nach nicht als prototypische Erscheinung des Todestriebs gesehen werden. Obwohl an ihm die selbstzerstörerischen Tendenzen des Todestriebs gut erkennbar werden, sind masochistische Phänomene doch von sexuellen Momenten begleitet, die dem Lebenstrieb und nicht dem Todestrieb zuzuschreiben sind.

Ich halte hier wieder ähnlich wie nach dem letzten Abschnitt fest: Der Todestrieb strebt danach, das lebende Individuum insofern zu zerstören, als dass es in den anorganischen Zustand zurückkehrt.

Phänomene der Selbstzerstörung, seien sie schuldhaften oder eines anderen Charakters (z. B. Suizid, Rauchen, oder selbstverletzendes Verhalten; vgl. Feldman, 2000), entlehnen Aspekte des Todestriebs und sind (innerhalb von Freuds zweitem Triebmodell) nicht ohne die Wirkungsweise des Todestriebs denkbar. Da die Selbstzerstörung verhilft, den Organismus wieder in den anorganischen Zustand zurückzuführen, wirkt die Selbstzerstörung durchaus auf eine mit den „Zielen“ des Todestriebs

zwischen Depression und Melancholie; vgl. Dilling, Mombour & Schmidt, 2015, S. 169 f.; Freud, 1915a/1991, S. 429).

Ich möchte diese Schlüsse mit Vorsicht ziehen und von voreiligen politischen Schlussfolgerungen und Ableitungen abraten. Vielmehr möchte ich auf die Erklärungs- und Reflexionsmöglichkeiten hinweisen, die anhand der Theorie möglich sein können. Geeignete Phänomene aus aktuellem Diskurs könnten beispielsweise die Dynamik xenophober Tendenzen sein sowie die Dynamik und psychische Ökonomie (über-)moralisierten Handelns. (Über-)moralisierte Tendenzen könnten dabei spekulativ im Dienste einer masochistischen Triebbefriedigung des als Folge der Globalisierung schwieriger nach außen wendbaren Todestriebs verstanden werden. Xenophobe Tendenzen könnten als eine überkompensatorische „Weigerung“ angesehen werden, die Aggressionen über Ver- und Gebote im Über-Ich wieder gegen die eigene Person zu wenden. Vielmehr wird dabei ein „Anderes“ aufrechterhalten bzw. etabliert, gegen das Aggressionen gerichtet werden (dürfen).

vereinbare Art und Weise. Wie sich allerdings noch zeigen wird, können aufgrund der ökonomischen Wirkungsweise der beiden Triebarten möglicherweise nicht alle Formen selbstzerstörerischer Phänomene alleinig auf die Wirkungsweise des Todestriebs zurückgeführt werden.

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